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Bereits verlegte Stolpersteine



Rudolf W. Stamm * 1903

Eppendorfer Landstraße 14 (Hamburg-Nord, Eppendorf)

1942 Auschwitz
ermordet 15.08.1942

Weitere Stolpersteine in Eppendorfer Landstraße 14:
Robert Salomon Borchardt, Claus-Jürgen Borchardt, Charlotte Borchardt, Amalie Leser, Hans Leser, Siegbert Leser, Ernst J. Schönhof, Else Stamm, Eric Walter Stamm, Dr. Carl Stamm, Minna Margarethe Stamm

Dr. Carl Stamm, geb. 15.3.1867 in Hedemünden, gestorben am 28.10.1941 in Hamburg

Am 16. März 1929 tagte die Mitgliederversammlung des Trägervereins "Kinderkrankenhaus Rothenburgsort". Etliche Anwesende kritisierten, dass der ärztliche Leiter des Krankenhauses, Carl Stamm, Vorsitzender des Vereins bleiben wollte. Der Hamburger Senator Paul de Chapeaurouge, langjähriges Vorstandsmitglied, erhob hingegen keine Einwände, hatte Carl Stamm doch durch seine Doppelfunktion wesentlich dazu beigetragen, dass das Kinderkrankenhaus als eines der modernsten über den Stadtteil hinaus Anerkennung genoss. Das "Patriarchalische im Hause" wurde auch staatlicherseits nicht in Frage gestellt. Unter den leitenden Vereinsmitgliedern war Carl Stamm der einzige, der nicht zu einer der führenden Hamburger Familien gehörte.

Er war in Mollenfelde, einem Dorf südlich von Göttingen, als Sohn des jüdischen Kaufmanns E. M. Stamm und seiner Frau Jeanette, geb. Moses, geboren worden, hatte in Göttingen, München und Berlin Medizin studiert, und im Dezember 1890 in Göttingen mit einem "Beitrag zur Lehre von den Blutgefäßgeschwülsten" promoviert. Bei seinem Gesuch um Aufnahme in die Hamburger Ärzte-Matrikel, das Verzeichnis zugelassener Ärzte, gab er als Approbationsdatum und -ort "Ostern 1891 in Göttingen" an. Seiner Militärpflicht genügte er als Arzt der Ersatz-Reserve beim Landsturm I.

Carl Stamm spezialisierte sich in Berlin auf Kinderheilkunde. Von April 1891 bis zu seiner Übersiedlung nach Hamburg im Oktober 1893 arbeitete er als Assistenzarzt am "Kaiser und Kaiserin Friedrich Kinderkrankenhaus" und beschäftigte sich wegen der häufig tödlich verlaufenden sog. Kinderkrankheiten insbesondere mit bakteriologischen Untersuchungen. Seine Forschungsergebnisse trugen die für Laien unverständlichen Titel "Aetiologie der Rhinitis pseudomembran", "Coccidienkrankheit der Kaninchen, Veränderungen der Leber und Darm bei denselben" und "Über Scharlachnephritis". Die Zeit bis zur Aufnahme in die Hamburger Ärzteschaft, die am 16. August 1894 erfolgte, überbrückte er mit Volontariaten in staatlichen bzw. städtischen Krankenhäusern. Noch ledig, wohnte er am Alstertor 3. Ein Gewerbeschein "Nr. 2190 im Jahr 1894" erlaubte es ihm zudem, eine Praxis zu betreiben. Carl Stamm bewarb sich im November desselben Jahres beim Medizinalkollegium auf eine Stelle als Impfarzt. Er sah in Impfungen eine wirkungsvolle vorbeugende Maßnahme gegen die hohe Kindersterblichkeit. Ob er die Stelle erhielt, ist uns nicht bekannt.

1898 rief der aus Stade stammende Kaufmann Ernst Heinrich Kruse in Rothenburgsort am Billhorner Röhrendamm 240, im Zentrum des Billwärder Ausschlags, eine "Poliklinik für die Kinder unbemittelter Eltern" ins Leben, die erste überhaupt in Hamburg. Mit dieser philanthropischen Einrichtung wollte er die Erinnerung an den 1891 verstorbenen Hamburger Arzt Franz Matthias Mutzenbecher wach halten. Seine Stiftung sollte "kranken Kindern der armen Stände unentgeltlich ärztliche Hülfe zu Theil werden" lassen, wie die Hamburger Nachrichten am 6. Januar 1898 anlässlich der Eröffnung mitteilten. Dazu benötigte er ehrenamtlich tätige Ärzte. Neben drei anderen gewann er als wichtigsten seinen Hausarzt Carl Stamm für diese Pioniertätigkeit in dem damals dicht bevölkerten Ortsteil Hamburgs mit einer überdurchschnittlich hohen Mütter- und Säuglingssterblichkeit. In dem nahen Gemeindehaus der St. Thomas-Kirchengemeinde wurde eine Fürsorgeabteilung für Säuglinge und Kleinkinder angegliedert.

Carl Stamm brachte sich bei seiner Arbeit im Oktober 1900 selbst in Lebensgefahr, als er sich bei einer Sektion mit einer Nadel verletzte und sich eine Blutvergiftung entwickelte, die im neuen Allgemeinen Krankenhaus Eppendorf erfolgreich behandelt wurde.

Inzwischen 34 Jahre alt, heiratete er am 18. November 1901 in Hannover die elf Jahre jüngere Minna Margarethe Cohen (geb. am 11. September 1878). Ihre Eltern, der Kaufmann Bernhard Cohen und seine Frau Sophie, geb. Jessurun, gehörten ebenfalls dem jüdischen Glauben an. Über Minnas Kindheit und Jugend ist nichts bekannt. Das frischgebackene Ehepaar bezog eine Wohnung in den Colonnaden 21, wo Carl Stamm auch seine Privatsprechstunden – 8 bis 9 Uhr und von 5 bis 6 Uhr – abhielt. Offenbar verbrachte er die Zwischenzeit in der Poliklinik in Rothenburgsort. Am 16. Februar 1903 wurde Minna und Carl Stamms einziges Kind, Rudolf Walter, geboren. Der soziale Aufstieg ging weiter. Im September 1904 mietete Carl Stamm eine Praxis und eine Wohnung an. Die Praxis verlegte er in die Esplanade 39 I, die Wohnung in die Johnsallee 63, wo er ebenfalls nachmittags von 3 bis 4 Uhr praktizierte. Mittags von 1 bis 2 Uhr betreute er die Poliklinik.

Inzwischen anerkannter Kinderarzt, aber mit immer noch preußischer Staatsangehörigkeit, bewarb sich Carl Stamm 1905 um die Hamburger Staatsbürgerschaft. Am 31. Mai 1905 erhielt er die Urkunde über die "Aufnahme in den Hamburgischen Staatsverband" und leistete am 7. Juli 1905 den Bürgereid. Ab 1924 ist er als zahlungskräftiges Mitglied der jüdischen Gemeinde Hamburg registriert.

1907 wurde die Poliklinik von der Ortsmitte des Billwärder Ausschlags in größere Räumlichkeiten weiter in den Westen verlegt. Am 3. Dezember 1910 gründete sich aus der Stiftung heraus der "Verein Kinder-Poliklinik und Säuglingsfürsorge Rothenburgsort". Carl Stamm eröffnete die Gründungsversammlung mit einem Rückblick auf die zwölfjährige Entwicklung der Poliklinik von den Anfängen bis zu den inzwischen jährlich ca. 3500 Patienten und Patientinnen und der schwerpunktmäßigen Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit durch Mütterberatung und Stillhilfen. Er wies darauf hin, dass die Räumlichkeiten und die finanziellen Mittel nicht mit der Ausweitung der Arbeit Schritt hielten und dass die Gründung eines Vereins nötig sei. Dessen Satzungszwecke sollten die Fortführung der Kinderpoliklinik, die ambulante ärztliche unentgeltliche Behandlung von Kindern unbemittelter Eltern (bis zum vollendeten vierzehnten Lebensjahr), die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit durch ärztliche Beratung unbemittelter Mütter in allen Fragen der Ernährung und Pflege des Säuglings, die Anstellung und Ausbildung von Säuglingspflegerinnen und die Gewährung von Stillbeihilfen sowie die Begründung eines Kinderkrankenhauses für Kinder unbemittelter Eltern sein. Der Verein wurde gegründet, Carl Stamm wurde zum Vorstandsvorsitzenden gewählt, er blieb es bis 1933. Auf der Beitrags- und Spenderliste des Vereins stehen die Namen von Männern wie Frauen, jüdisch wie nichtjüdisch, Ärzte wie Kaufleute hatten Geld gegeben, auch Carl Stamms Ehefrau.

Mit der Planung des Krankenhauses wurde 1913 begonnen, der Erste Weltkrieg und die Inflationszeit verzögerten die Ausführung des Vorhabens. Die Stadt Hamburg stellte ein Grundstück in der Marckmannstraße östlich der damals im Bau befindlichen Realschule zur Verfügung. Der erste Flügel mit der Poliklinik und Fürsorgestelle wurde 1917 bezugsfertig, das nach modernen Gesichtspunkten geplante gesamte Haus mit 60 Betten und einem großen Garten 1922.

In diesen Jahren vollzog sich in Hamburg der grundlegende Wandel von einer auf Mildtätigkeit basierenden Wohlfahrt zu einem staatlich gelenkten Gesundheitswesen. Der Verein änderte seinen Namen in "Kinderkrankenhaus Rothenburgsort e.V." und berief den Vereinsvorsitzenden zum ärztlichen Leiter. Nach 24 Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit für den Verein und seinen Vorläufer erhielt Carl Stamm eine Festanstellung. Als Assistenzarzt trat der ebenfalls jüdische Arzt Oscar Herz in das Krankenhaus ein. Die Belegzahlen stiegen, und 1927 wurde mit staatlichen Mitteln die Baulücke zwischen der Realschule und dem Kinderkrankenhaus durch einen vierstöckigen Erweiterungsbau geschlossen. Der ästhetische und ethische Anspruch des Bauherrn fand seinen Ausdruck in Richard Kuöhls Skulptur der "Mutterliebe" und dem anschließenden Fries spielender Kinder. (Kuöhl gehörte zu dieser Zeit noch der "Hamburger Sezession" an und schuf avantgardistische Kunstwerke, nach 1933 erfüllte er mit heroischen Denkmälern die Wünsche der Nationalsozialisten.)

Das Krankenhaus verfügte nun über 231 Betten, fünf Ärzte und eine wachsende Zahl von Schwestern. Die Schwestern, die dem baptistischen TABEA-Diakonissenverband angehörten, prägten das Klima des Krankenhauses nachhaltig mit ihrem Verständnis von Krankenpflege als Ausdruck christlicher Nächstenliebe.

Ein wohlhabender Freund, Richard Sellmar, setzte Carl Stamm zu seinem Testamentsvollstrecker ein. Er sollte eine Stiftung im Andenken an Sellmars Mutter gründen, die "armen erholungsbedürftigen Kindern ohne Unterschied der Konfession den Aufenthalt in einem Seebade zur Kräftigung ihrer Gesundheit ermöglichen" sollte. Als der Hamburger Senat am 3. Februar 1928 die Errichtung der Stiftung genehmigte, übernahm Carl Stamm den Vorsitz des Kuratoriums. Die vorhandenen Mittel wurden in der bald einsetzenden Weltwirtschaftskrise allerdings statt für einmalige Erholungsaufenthalte für regelmäßige, nahrhafte Mittagessen bedürftiger Kinder ausgegeben.

Carl Stamm genoss nicht nur bei seinen Kollegen im Verein eine hohe Wertschätzung, sondern auch bei den wissenschaftlichen Mitgliedern des Medizinalkollegiums und in der Öffentlichkeit. 1928 beschloss der Senat "Herrn Dr. Karl Stamm in Anerkennung seiner langjährigen ehrenamtlichen Tätigkeit als Arzt in der Kinderpoliklinik Rothenburgsort am Verfassungstage die Plakette "Für treue Arbeit im Dienste des Volkes" zu überreichen. Als Voraussetzung für diese Auszeichnung galten 25 Jahre ehrenamtlicher Tätigkeit; Carl Stamm konnte eigentlich nur 24 Jahre – von 1898 bis 1922 – vorweisen, galt aber dennoch als würdig. Die Plakette wurde ihm am 11. August 1928 als einem von 67 verdienten Hamburger Bürgern verliehen. Am 1. Januar 1928 erhielt er einen Vertrag auf Lebenszeit, der ihn Hamburger Staatsbeamten gleichstellte. Sein Stellvertreter, Oscar Herz, wurde zu seinem designierten Nachfolger ernannt. Aus der Arbeit des Kinderkrankenhauses gingen bis 1928 mindestens 40 wichtige wissenschaftliche Studien hervor, die meisten von Carl Stamm und Oscar Herz.

In der Wirtschaftskrise blieben die Belegungszahlen und die Beiträge der Vereinsmitglieder hinter den Erwartungen zurück. Carl Stamm zeigte sich zuversichtlich, dass sich die Auslastung des Hauses wie bisher stetig verbessern werde und schlug der Mitgliederversammlung 1929 die Wahl von Vertretern der Gesundheitsbehörde in den Verwaltungsausschuss vor, um so leichter mit dem Staat über neue Zuschüsse verhandeln zu können. Verwaltungsausschuss und Vorstand des Vereins wurden vergrößert und erhielten neue Aufgaben. Dass vier Jahre später aufgrund dieser Reform die nationalsozialistische Gesundheitsverwaltung selbstverständlich im Vorstand des "Verein Kinderkrankenhaus Rothenburgsort" vertreten sein würde, konnte niemand ahnen.

Der immer noch hohen Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit sollte ein weiteres Arbeitsfeld des Krankenhauses begegnen, das als Vereinszweck 1931 in die Satzung aufgenommen wurde, "die Lieferung von künstlichen Nährgemischen aus der Milchküche für die unter der Beobachtung des Krankenhauses stehenden Kinder der Säuglingsfürsorge und für die Säuglinge, die auf Anweisung der praktizierenden Ärzte Heilnahrung von der Anstalt beziehen". Eine Infektionsabteilung fehlte dem Krankenhaus, um wirksam der Kindersterblichkeit begegnen zu können. Ihrer Einrichtung stand das Hamburger Recht entgegen, das nur staatlichen Krankenanstalten die Behandlung von an Infektionen leidenden Kranken gestattete.

1934 wurde familiär ein Wendejahr für Familie Stamm. Carl und Minna Margarete Stamm zogen in die Eppendorfer Landstraße 14. Ihr Sohn Rudolf, inzwischen Kaufmann, emigrierte nach Amsterdam und heiratete Else Goslar, geboren am 18. Februar 1905 in Wiesbaden. Sie und ihre Eltern, Alfred und Mathilde, geb. Simon, hatten seit den 30er Jahren in Hamburg gelebt. In Amsterdam kam Sohn Eric Walter am 18. September 1935 zur Welt.

Im Oktober 1936 emigrierte Oscar Herz in die USA. Carl Stamm praktizierte in seiner Wohnung, bis ihm am 14. Oktober 1938 die Approbation entzogen wurde. Noch im selben Monat beschloss das Kuratorium mit dem Hinweis auf den jüdischen Stifter die Auflösung der Richard-Sellmar-Stiftung. Die Stiftungsaufsicht bzw. der Reichsstatthalter lehnten den Antrag ab; woher das Kapital stamme, sei unerheblich. Das Stiftungskapitel steckte als Hypothek im Krankenhaus, es konnte nicht flüssig gemacht werden. So wurde die Stiftung am 20. Juni 1939 einfach aufgehoben. Damit endete endgültig Carl Stamms Mitwirkung an seinem Lebenswerk.

Er und seine Frau planten, dem Sohn Rudolf in die Niederlande zu folgen, realisierten das Vorhaben aber nicht. Der Oberfinanzpräsident erließ eine "Sicherungsanordnung" aller Guthaben und erlaubte dem Ehepaar, monatlich über 800 RM zu verfügen. Carl Stamms Pension von ca. 400 RM als langjähriger Leiter des Kinderkrankenhauses Rothenburgsort wurde "von der vorläufigen Sicherungsanordnung aus Zweckmäßigkeitsgründen nicht mit erfasst", ging dann aber doch ab 1. November 1939 in den auf 600 RM herabgesetzten Freibetrag ein.

Im November 1940 beantragte Carl Stamm die Freigabe von monatlich 300 RM zur Unterstützung seines Sohnes und dessen Familie in Amsterdam, was abgelehnt wurde. Er beschwerte sich beim Reichswirtschaftsminister. Ernst Kaufmann, der nicht mehr als Rechtsanwalt, aber noch als "Konsulent" in jüdischen Angelegenheiten zugelassen war, vertrat sein Anliegen, das im Januar 1941 zurückgewiesen wurde. Die ursprünglichen Bestimmungen, auf die er sich berief, waren inzwischen "angepasst" worden. Carl Stamm erlebte 1941 noch die Einbeziehung der Realschule als Hilfskrankenhaus in das Kinderkrankenhaus, wodurch die Bettenzahl auf 450 stieg.

Am 13. Mai 1941 starb Minna Stamm in ihrer Wohnung in der Eppendorfer Landstraße. Als Todesursache konstatierte der Arzt, der sie seit Juni 1940 behandelte, "Folgen einer Gehirnblutung und Darmlähmung". Sie wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Ohlsdorf beigesetzt.

Carl Stamm wurde am 25. Oktober 1941, dem Tag des ersten Osttransports Hamburger Juden, ebenfalls wegen einer Gehirnblutung, in das Israelitische Krankenhaus in der Johnsallee 68 eingeliefert, wo er drei Tage später starb. Als weitere Todesursache wurde eine Lungenentzündung angeführt. Im Umfeld Carl Stamms nahm man an, die Ehepartner hätten sich wegen der drohenden Deportation das Leben genommen.

Es gibt in den Akten der Polizeibehörde keinerlei Hinweis auf einen Suizid, ebenso wenig einen Hinweis darauf, dass Carl Stamm den Deportationsbefehl zum Transport am 25. Oktober 1941 bekommen hatte. Dass die Demütigungen und Entrechtungen mittelbar zum Tod von Minna Margarete und Carl Stamm geführt haben, ist hingegen wahrscheinlich. Während Carl Stamm den Tod seiner Frau selbst anzeigte, tat es für ihn der Schwiegervater seines Sohnes, Alfred Goslar. Beider Eheleute letzte Tage im Israelitischen Krankenhaus begleitete der Arzt Berthold Hannes, der nach Kriegsende Leiter dieser traditionsreichen Hamburger Einrichtung wurde.

Der Testamentsvollstrecker Ernst Kaufmann, Carl Stamm seit Ende des Ersten Weltkriegs persönlich verbunden und selbst finanzieller Förderer des Kinderkrankenhauses, löste den Stamm’schen Haushalt auf und ließ ihn einlagern. Noch lebte Rudolf Stamm als rechtmäßiger Erbe in den Niederlanden. Im Juli 1942 wurde er mit seiner Frau und ihrem Sohn Eric nach Auschwitz deportiert, wo Else Stamm-Goslar und ihr Sohn Eric am 17. Juli, Rudolf am 15. August 1942 umkamen. Alfred Goslar wurde am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt und am 21. September 1942 nach Treblinka deportiert, wo er vermutlich unmittelbar nach der Ankunft ermordet wurde.

Am 10. Februar 1943 beantragte Ernst Kaufmann ein letztes Mal die Freigabe der Kosten für Lagermiete und Versicherung für den Haushalt für die vergangenen drei Monate. Ob und ggfs. wie er die Testamentsvollstreckung abschließen konnte, bevor er am 9. Juni 1943 in das Getto von Theresienstadt (und von dort am 9.10. 1944 nach Auschwitz) deportiert wurde, ließ sich nicht klären. Die entsprechenden Akten gingen verloren.

Epilog

Am Freitag, 26. April 1946, fand die seit dem 20. Dezember 1942 erste Mitgliederversammlung des Vereins "Kinderkrankenhaus Rothenburgsort" statt. Auf ihr dankte der kommissarische Vorsitzende des Vorstands, Senator a. D. Paul de Chapeaurouge, dem Oberarzt Wilhelm Bayer und drei weiteren Mitarbeitern des Krankenhauses, die auf Grund der Entnazifizierungsbestimmungen aus ihren Stellungen hatten ausscheiden müssen. Carl Stamm und sein Lebenswerk wurden im Protokoll nicht einmal erwähnt.

1967 suchte das Ortsamt Veddel-Rothenburgsort wegen der Verwechslungen mit der Billhorner Kanalstraße einen neuen Namen für die Zweite Billhorner Kanalstraße, die auf das ursprüngliche Kinderkrankenhaus zuführt, und zog als Namengeber eine verstorbene Persönlichkeit, die sich um die Gründung oder Leitung des Krankenhauses verdient gemacht hatte, in Betracht. Der Vereinsvorstand schlug Friedrich Thieding vor, der ab 1934 dem Vereinsvorstand angehört hatte, zwar passives Mitglied der NSDAP, als "unbelastet" aus dem Entnazifizierungsverfahren hervorgegangen war, und sich vielmehr als Hausarzt, Funktionär in der Ärztekammer und Gegner der "Euthanasie" einen Namen gemacht hatte. Am 3. Oktober 1969 wurde der Namenswechsel zu "Thiedingreihe" vollzogen.

Trotz der unklaren Todesumstände wurden für Minna Margarethe und Carl Stamm an ihrer Wohnadresse Eppendorfer Weg 14 Stolpersteine verlegt und ein weiterer für Carl Stamm vor seiner Wirkungsstätte in Rothenburgsort. Ein weiterer Schritt zu seiner Würdigung und Erinnerung ist die Benennung des Parks an der Ecke Marckmannstraße/Billhorner Deich nach ihm. In dem Park steht bereits ein Denk- und Mahnmal für die Opfer des "Feuersturms" und der NS-Herrschaft. Am 12. November 2010 erfolgte die Einweihung des Parks durch den Leiter des Bezirksamts Hamburg-Mitte, Markus Schreiber, dessen Kinderarzt während seiner ersten fünf Lebensjahre Wilhelm Bayer war, und in Gegenwart von Gerhard Ruhrmann, des letzten Chefarztes des Kinderkrankenhauses Rothenburgsort, das im Rahmen der Hamburger Krankenhausplanung im Jahre 1982 geschlossen wurde. Der Verein wurde durch Beschluss der Mitgliederversammlung vom 12. März 1986 aufgelöst.* Krankenhaus- wie Vereinsunterlagen wurden gemäß der Aufbewahrungsfristen und -vorschriften behandelt, so dass nur noch eine geringe Zahl von Dokumenten erhalten ist.

© Hildegard Thevs

Quellen: 1; 2 R 1938/2853; 4; 5; Joodsmonument; StaH Senat VII Lit Qd Nr. 628; 135-1 I-IV Senatskanzlei – Präsidialabteilung, 1928 A 86, 7753; 231-10 Vereinsregister, B 1997-1, Bd 1 und 2; 332-5 Standesämter, 8080+221/1924; 8174+348/1941; 9919+321/1941; 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht B III 80419; 351-8 Stiftungsaufsicht, B 361; 352-3 Medizinalkolleg IV C 29, IV C 118; 315-11 Amt für Wiedergutmachung, 091096 Oscar Herz; 710-2, Bd. 1 Originalia archivi, Vol. 8, Nr. 16; Jahresberichte Kinder-Poliklinik Rothenburgsort, 1898–1923; Beckershaus, Hamburger Straßennamen; Brahm, Lehren; Bussche, Akademische Karrieren, S. 115ff., in: Bussche (Hrsg.), Medizinische Wissenschaft; Ruhrmann/Holthusen, Das Kinderkrankenhaus, in: Hamburger Ärzteblatt (40), 1986; Stamm, Carl, Das Kinderkrankenhaus Rothenburgsort. in: Hygiene und soziale Hygiene in Hamburg, S. 254–257; 100 Jahre Tabea; 100 Jahre Diakoniewerk; Das Säuglings- und Kinderkrankenhaus; Tätigkeitsbericht des Säuglings- und Kinderkrankenhauses; Festschrift des Säuglings- und Kinderkrankenhauses Rothenburgsort; 80 Jahre Kinderheilkunde; persönliche Mitteilungen von Harald Jenner, 13.6.2010.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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