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Bereits verlegte Stolpersteine



Julius Nehemias * 1895

Dorotheenstraße 59 (Hamburg-Nord, Winterhude)

1940 Landesanstalt Brandenburg
ermordet

Weitere Stolpersteine in Dorotheenstraße 59:
Johanna Nehemias

Johanna Nehemias, geb. Rothgießer, geb. 12.9.1867 in Hamburg, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, dort am 5.4.1943 gestorben
Julius Nehemias, geb. 24.1.1895 in Hamburg, ermordet am 23.9.1940 in Brandenburg

Julius war der Sohn von Johanna Nehemias und ihrem Mann Bernhard (geb. 10.12.1855 in Hamburg, Eltern: Siegmund und Sara, geb. Biesenthal), der wahrscheinlich 1940 starb. Das Paar hatte noch zwei weitere Kinder: Martha (geb. 2.3.1889) und Jenny (geb. 27.1.1895). Die Familie war jüdisch. Martha schied 1921 mit dem Vermerk "ausserhalb verheiratet" aus der Hamburger Gemeinde aus, ihre Schwester 1924 als "verzogen". Auf der Gemeindesteuerkarte von Bernhard Nehemias sind u. a. die Adressen Schinkelstraße 3, Preystraße 4 und Dorotheenstraße 59 eingetragen. Die letzte Adresse scheint zumindest von Anfang der 1920er Jahre bis 1938 der Familienwohnsitz gewesen zu sein. Dort lebte bis Anfang 1938 auch Julius bei seinen Eltern. Er muss psychisch oder geistig krank gewesen sein, im Februar 1938 wurde er in der Langenhorner Anstalt untergebracht. Dort fiel er, als "jüdischer Geisteskranker" doppelt stigmatisiert, dem Euthanasieprogramm T4 zum Opfer: Mit dem ersten Transport dieser Art wurde er, als einer von 136 Schicksalsgenossen, am 23. September 1940 in die Tötungsanstalt Brandenburg gebracht und dort mit Kohlenmonoxid erstickt.

Johanna Nehemias zog um 1940 in die Schauenburgerstraße 11 und, sicherlich nicht freiwillig, im April 1942 in das jüdische Altersheim Frickestraße 24. Am 15. Juli 1942 wurde sie nach Theresienstadt deportiert. Ihre Gefährten auf dieser Reise waren unter anderem Johanna Stern (s. d.) und Emil Mirabeau (s. d.). Sie starb sie am 5. April 1943 in Theresienstadt.

© Ulrike Sparr

Quellen: 1; 4; 5; 8; Klaus Böhme, Uwe Lohalm (Hrsg.), Wege in den Tod, Hamburg 1993.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".


Julius Nehemias, geb. am 24. 1. 1895 in Hamburg, ermordet am 23. 9. 1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Stolperstein in Hamburg-Winterhude, Dorotheenstraße 59

Julius Nehemias kam als das jüngste von drei Kindern der sich zum jüdischen Glauben bekennenden Eltern Bernhard Nehemias und Johanna, geborene Rothgießer, am 24. Januar 1895 in Hamburg-Harvestehude, Grindelberg 41, zur Welt. Seine älteste Schwester, Marianne Martha, war am 2. März 1889, die zweite Schwester, Julchen Jenny, war am 29. Januar 1890 geboren worden, beide in Billwerder-Ausschlag, Billhorner Röhrendamm 2/4.

Die gebürtigen Hamburger Bernhard und Johanna Nehemias hatten am 5. Juni 1888 geheiratet. Bernhard Nehemias handelte um 1888 mit Herrengarderoben. Zu dieser Zeit finden sich im Hamburger Adressbuch mehrere im Kleiderhandel tätige Geschäfte mit dem Namen Nehemias. Anscheinend waren die Inhaber verwandtschaftlich verbunden. Wie viele andere jüdische Familien in dieser Zeit zog auch Familie Nehemias 1893 in das neu entstandene Grindelviertel. Als Julius Nehemias 1895 in der Straße Grindelberg 41 zur Welt kam, nannte sich sein Vater nicht mehr Kleiderhändler, sondern "Agent" (Vertreter). Ab etwa 1902 wohnte die nun fünfköpfige Familie in der Gärtnerstraße 121 im Stadtteil Hoheluft-West. Bernhard Nehemias arbeitete jetzt als Reisender (Handelsvertreter). Nach weiteren Wohnungswechseln in die Hoheluftchaussee 82 (Stadtteil Hoheluft-Ost) und den Krohnskamp 5 (Stadtteil Winterhude) fand die Familie Nehemias laut Hamburger Adressbuch 1917 oder 1918 schließlich für viele Jahre eine Wohnung in der Dorotheenstraße 59 in Hamburg-Winterhude.

Julius Nehemias war zwischen 1911 und 1916 dreimal Patient der "Irrenanstalt Friedrichsberg”. Vermutlich litt er an einer psychischen Krankheit. Am 3. Juni 1916 wurde er in der "Irrenanstalt Langenhorn” aufgenommen und am 31. Dezember desselben Jahres wieder entlassen. 1919 befand sich Julius erneut zweimal in Friedrichsberg und anschließend ab 4. Februar 1920 wieder in Langenhorn, diesmal für etwa sieben Monate. Es folgten weitere Krankenhausaufenthalte in Friedrichsberg in den Jahren 1923 und 1925 und schließlich am 1. April 1926 die dauerhafte Aufnahme in der nach dem Ersten Weltkrieg in "Staatskrankenanstalt" umbenannten Langenhorner Einrichtung.

Julius’ Vater fiel es mit zunehmendem Alter immer schwerer, den Unterhalt für seine Familie sicherzustellen. Im Frühsommer 1925 musste er Fürsorgeunterstützung beantragen. In dem Bericht des Fürsorgers heißt es: "Herr N. ist schon 70 Jahre alt, er verdient kümmerlich seinen Lebensunterhalt durch Verkauf von Schokoladen, seine Frau ist schon jahrelang ohrenleidend, ausserdem hat er noch einen Sohn, der keine Stellung hat, er ist nervenleidend und bezieht 8.– M. Unterstützung vom W.A. [Wohlfahrtsamt]. Ausserdem wohnt seine Tochter mit dem Sohn bei ihm. [...] Es sind wirklich trostlose wirtschaftliche Verhältnisse bei Nehemias."

Julchen Jenny Nehemias, Julius’ Schwester, hatte am 7. Oktober 1910 den "Correspondeten" Johann Hamm aus Rothau in Böhmen geheiratet und mit ihm den Sohn Werner bekommen. Die Ehe wurde im Juli 1913 geschieden. Julchen Jenny erhielt zwar Unterhalt vom Vater ihres Sohnes, musste aber für ihren eigenen Unterhalt sorgen. Als sie ihre Stelle im Studentenheim am Grindelhof wegen Arbeitsmangels verlor, zog sie bei ihren Eltern ein, die bereits Julius’ Zimmer an einen Untermieter abgegeben hatten. Die Wohnverhältnisse waren sehr beengt. Julius musste in den Zeiten, in denen er nicht im Krankenhaus war, auf einer alten Matratze auf dem Boden schlafen.

Am 13. November 1925 starb Bernhard Nehemias im Israelitischen Krankenhaus an den Folgen eines Schlaganfalls. Nun versuchte seine Witwe Johanna, die Familie, nämlich ihre Tochter Julchen Jenny, das Enkelkind Werner und zeitweise ihren Sohn Julius, "über Wasser" zu halten. 1929 zog sie in eine kleinere Wohnung in der Schinkelstraße 13 in Winterhude. Bei ihr entwickelte sich ein Nierenleiden, das sie stark beeinträchtigte. Nach dem Tod ihrer Tochter Jenny am 14. Dezember 1933 wechselte Johanna Nehemias zur Senkung der Mietkosten abermals die Wohnung. Sie wohnte nun in der Preystraße 4 in Winterhude und ab Januar 1939 in der Straße Sechslingspforte 16 in Hamburg-Hohenfelde. Sie war völlig abhängig von der Unterstützung durch ihren Enkelsohn Werner, der all die Jahre bei ihr wohnte.

Wir wissen nicht, ob der in der Staatskrankenanstalt Langenhorn lebende Julius Nehemias Kontakt zu seiner Familie, insbesondere zu seiner Mutter hatte. Seine Patientenakte, die darüber hätte Auskunft geben können, existiert nicht mehr.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen. Julius Nehemias gehörte zu den Patienten, die schon länger in der inzwischen in Heil- und Pflegeanstalt umbenannten Einrichtung in Hamburg-Langenhorn lebten. Am 23. September wurde er mit weiteren 135 Patienten aus den norddeutschen Anstalten im Güterbahnhof Ochsenzoll in einen Zug verladen und nach Brandenburg an der Havel transportiert. Noch an demselben Tag töteten man die Patienten in dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses mit Kohlenmonoxyd. Nur Ilse Herta Zachmann entkam zunächst diesem Schicksal (siehe dort).

Auf dem Geburtsregistereintrag von Julius Nehmias wurde notiert, dass er am 2. Februar 1941 gestorben sei und das Standesamt Chelm II seinen Tod unter der Nummer 458/1941 registriert habe. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch), einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es in Chelm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Johanna Nehemias, eine 75 Jahre alte kranke Frau, erhielt den Deportationsbefehl für den Transport am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt. Dort kam sie am 5. April 1943 ums Leben.

Über Marianne Martha Nehemias und ihren Neffen Werner Hamm finden sich keine Hinweise in den Gedenkbüchern und Opferdatenbanken.

An Johanna und Julius Nehemias erinnern Stolpersteine in der Dorotheenstraße 59 in Winterhude.

Stand: November 2017
© Ingo Wille

Quellen: 1; 4; 5; 7; 9; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 332-5 Standesämter 898 Sterberegister Nr. 456/1925 Bernhard Nehemias, 2210 Geburtsregister Nr. 411/1889 Marianne Martha Nehemias, 2239 Geburtsregister Nr. 243/1890 Julchen Jenny Nehemias, 9108 Geburtsregister Nr. 168/1895 Julius Nehemias, 9538 Heiratsregister Nr. 510/1910 Julchen Jenny Nehemias/Johann Hamm, 9813 Sterberegister Nr. 582 1925 Recha Rothgiesser, 8535 Heiratsregister Nr. 510/1888 Bernhard Nehemias/Johanna Rothgiesser; 351-14 Arbeits- und Sozialfürsorge – Sonderakten 1615 Bernhard Nehemias; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26.8.1939 bis 27.1.1941; UKE/IGEM, Archiv, Patienten-Karteikarte Julius Nehemias der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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