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Zuzana Glaserová als Kind
© Nationalarchiv Prag

Zuzana Glaserová * 1925

Falkenbergsweg 62 (Harburg, Neugraben-Fischbek)


HIER ARBEITETE
ZUZANA GLASEROVA
JG. 1925
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
AUSCHWITZ
NEUENGAMME
TOT 20.3.1945

Weitere Stolpersteine in Falkenbergsweg 62:
Anna Dawidowicz, Erika Dawidowicz, Ruth Frischmannova, Nina Müller, Elisabeth Polach, Alice Weilova, Lili Wertheimer

Zuzana Glaserová, geb. 27.7.1925, deportiert nach Theresienstadt, Auschwitz und ins KZ Neuengamme, dort getötet am 20.3.1945

Stadtteil Neugraben, Falkenbergsweg 62

Zuzana, genannt Susi, Glaserová war 13 Jahre alt, als deutsche Truppen am 15. März 1939 ihre tschechische Heimat besetzten und sich ihr Leben dramatisch veränderte. Nach dem frühen Tod der Mutter hatten ihr Vater (geb. 27.8.1871) und die ältere Schwester Marianne (geb. 30.7.1920), genannt Mimi, alles getan, um ihr zu helfen, diesen Verlust zu verschmerzen. Umso größer war der Schock, als ihr Vater seines Postens als Fabrikdirektor enthoben wurde, weil er Jude war, und auch ihre Schwester sich nicht mehr um sie kümmern konnte. Sie und ihr Ehemann waren als Jungvermählte noch rechtzeitig nach Südamerika entkommen.

Ihr Vater, Viktor Glaser, hatte keine Chance, eine neue Anstellung zu finden, so dass er sich bald gezwungen sah, mit seiner Tochter Zuzana in eine kleinere Wohnung in Prag zu ziehen. Als wenig später für alle Einwohnerinnen und Einwohner des neuen "Protektorats Böhmen und Mähren" Lebensmittelkarten eingeführt wurden, mussten Juden von vornherein mit geringeren Rationen Vorlieb nehmen. Doch das war erst der Anfang. Weitere Einschränkungen ließen nicht lange auf sich warten. Eines Tages stand auch Zuzana Glaserová wie andere jüdische Kinder vor verschlossenen Schultüren.

Die Lage wurde noch schwieriger, als die alte tschechische Garnisonsstadt Terezin (Theresienstadt) im Herbst 1941 in ein Getto umgewandelt wurde, in dem alle tschechischen Juden zusammengefasst werden sollten. Die Umsetzung dieses Plans verlief chaotisch. Das Aufbaukommando hatte sich gerade nach Terezin begeben, als bereits die ersten Deportationszüge aus Böhmen und Mähren hier eintrafen. Die nächsten folgten zügig. Im Februar 1942 erhielten auch Zuzana Glaserová und ihr Vater Viktor Glaser den Befehl, sich für die "Umsiedlung" nach Theresienstadt zu melden. Drei Tage vor dem Abtransport hatten sie sich an der Sammelstelle einzufinden und alles abzugeben, was nicht mitgenommen werden durfte. Am 12. Februar 1942 verließen sie die Stadt.

Die Ankunft an ihrem neuen Wohnort war für sie ein furchtbarer Schock. Nach einem ca. drei Kilometer langen Marsch mit Gepäck vom nächstgelegenen Bahnhof Bauschowitz (Bohusovice) und einer stundenlangen Registrierung wurden sie auf unterschiedliche Kasernen verteilt, wobei die Familienangehörigen voneinander getrennt wurden. Es gab Kasernen für Frauen, solche für Männer und bald auch Heime für ältere Mädchen und solche für ältere Jungen. Die Eingangstore aller Kasernen waren streng bewacht. Solange noch tschechische Zivilisten in der Stadt wohnten, galt ein scharfes Ausgehverbot. In den Gebäuden gab es keine Betten. Die neuen Bewohnerinnen und Bewohner schliefen dichtgedrängt auf Strohsäcken und Matratzen, die auf dem Fußboden lagen. In einem Raum, der für 10 Soldaten gedacht war, wohnten nun 50 Häftlinge. Ihr Gepäck diente ihnen als Kopfkissen. Eine Privatsphäre fehlte völlig.

Noch schlimmer waren die Missstände im sanitären Bereich. Die Gemeinschaftstoiletten und Waschräume waren viel zu klein. Häufig war der Andrang so groß, dass die Bewohnerinnen und Bewohner Schlange standen. Diese mangelhaften Zustände verstärkten neben dem ständigen Hunger die gesundheitlichen Gefahren, denen vor allem die älteren Menschen hier ausgesetzt waren.

Eine weitere Geißel des Lagers waren Läuse, Flöhe und Wanzen, ebenso wie die Ratten, die sich immer häufiger blicken ließen. Sie trugen ebenfalls in nicht unerheblichem Maße zur Ausbreitung von Epidemien im Lager bei. Die Krankenversorgung war immer weniger in der Lage, für Abhilfe zu sorgen. Trotz verzweifelter Anstrengungen konnten die jüdischen Ärzte und Krankenschwestern nicht die gewaltigen Mängel bei der Ausstattung mit medizinischen Instrumenten und der Versorgung mit Medikamenten ausgleichen.

Die Situation verschärfte sich mit der Ankunft weiterer Transporte im Sommer und Herbst des Jahres 1942. Die höchste Sterblichkeitsquote weist die Statistik für den Herbst 1942 aus, als das Lager mit fast 60.000 Menschen belegt war und täglich mehr als 100 Männer, Frauen und Kinder starben. Am 9. Dezember 1942 endete auch Viktor Glasers Lebensweg in diesem Vorhof zur Hölle.

War Zuzana Glaserovà schon als Kind ohne Mutter aufgewachsen, so musste sie nun als Jugendliche ohne Vater in einer unmenschlichen Zeit den Weg in eine hellere Zukunft finden. Nach der Ankunft in Theresienstadt musste sie in das erste Mädchenheim des Gettos in der Hamburger Kaserne ziehen und war damit schon vom Vater getrennt. Nach seinem Tod jedoch erwies sich diese Anordnung offenbar als glückliche Fügung: Hier erlebte sie eine Gemeinschaft, in der junge Menschen sich mit Respekt und gegenseitigem Verständnis begegneten. In dieser Schicksalsgemeinschaft gleichaltriger jüdischer Mädchen fand sie vermutlich Trost und neue Zuversicht.

Ihr Augenmerk in diesen Wochen nach dem Tod ihres Vaters fiel eines Tages auf die Ghettoswinger, eine Jazztruppe. Im Laufe des Jahres 1943 wurde offenbar sehr schnell eine feste Freundschaft und Zuzana Glaserovà wirkte bei Aufführungen als Sängerin mit. Obwohl die Zahl derjenigen, die zu dem eindrucksvollen Kulturleben in Theresienstadt beitrugen, gerade unter den Musikern sehr groß war, konnten sich die Ghettoswinger ziemlich schnell in diesem Umfeld fest etablieren. Viele Häftlinge ließen sich an diesem grauenvollen Ort von der Musik des Jazzensembles gern in eine angst- und sorgenfreie Traumwelt entführen. Nach anfänglichem Zögern gewährte die SS-Kommandantur allen Kulturschaffenden mehr Entfaltungsmöglichkeiten. Diese Periode währte jedoch nicht lange und änderte sich grundsätzlich, nachdem der Besuch einer Delegation des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) zu einer Inspektion dieses Lagers bewilligt worden war. Daraufhin wurden in Theresienstadt umfangreiche Verschönerungsarbeiten in die Wege geleitet. Ein gewaltiges Täuschungsmanöver sollte die nationalsozialistische Propaganda von der `Mustersiedlung für europäische Juden´ bestätigen.

In diese Programmvorbereitungen waren alle jüdischen Kulturschaffenden, darunter auch die Gettoswinger, eingebunden. Am 23. Juni 1944 mussten auch sie ihr Publikum stundenlang immer wieder zu tosendem Beifall animieren, damit die durchziehende Delegation entsprechend beeindruckt war. Die perfekte Inszenierung verfehlte nicht ihre Wirkung, wie die lobenden Worte des Leiters dieser internationalen Delegation am Ende der Inspektion erkennen ließen. Sein Fazit lautete, dass die Delegation bei ihrer Besichtigung wider Erwarten eine jüdische Stadt kennen gelernt habe, "die wirklich erstaunlich ist … und ein fast normales Leben lebt." Er schenkte seinen deutschen Gesprächspartnern auch uneingeschränktes Vertrauen; als sie ihm erklärten, dass Theresienstadt die letzte Station der Häftlinge sei.

Zuzana Glaserová jedoch war an diesem Tage nicht mehr dabei, denn im Zuge der Herrichtung Theresienstadts für den Besuch des IKRK war das überfüllte Lager auch geräumt worden. Wie andere musste auch sie am 18. Dezember 1943 auf einen Transport gehen, der von Theresienstadt nach Auschwitz-Birkenau führte. Im Unterschied zur allgemeinen Praxis bei vielen anderen Transporten, die in diesem Konzentrations- und Vernichtungslager ankamen, mussten diese zumeist tschechischen Jüdinnen und Juden aus Theresienstadt nicht zur Selektion antreten. Sie wurden in den Lagerabschnitt B II b geführt, wo sich das Theresienstädter Familienlager befand und wo sie viele Verwandte und Freunde wieder trafen, die drei Monate zuvor von Theresienstadt hierhin deportiert worden waren.

Männer und Frauen wurden in diesem Lager zwar auch getrennt voneinander untergebracht, aber die Unterkünfte waren nicht weit voneinander entfernt. Familienmitglieder und Freunde durften sich nach der Arbeit und dem Abendappell gegenseitig kurz besuchen. Die kleineren Kinder wurden tagsüber in einer speziellen Baracke von Erwachsenen betreut.

Die Männer, Frauen und Kinder, die in diesem Lagerabschnitt eingesperrt waren, litten wie alle anderen Häftlinge in Auschwitz unter der mangelhaften Ernährung und der unzulänglichen Hygiene, und die schwere Arbeit raubte vielen die letzte Kraft.

Zwei Privilegien galten hier, die den anderen Auschwitzer Häftlingen verwehrt blieben. Die Häftlinge, die im Theresienstädter Familienlager untergebracht waren, durften Pakete empfangen und Postkarten verschicken, was die Lagerleitung ihnen allerdings auch nicht ganz ohne Hintergedanken gestattete. Diese Grußkarten übermittelten private Nachrichten und dienten zugleich dem Zweck, etwaige Gerüchte über die massenhafte Ermordung von Juden im Keim zu ersticken.

Doch auch den meisten Gefangenen des Theresienstädter Familienlagers blieb dieses Schicksal nicht erspart. Die Liquidierung dieses Lagerabschnitts begann in der Nacht vom 8. auf den 9. März 1944 mit der Ermordung fast aller Menschen, die im September 1943 von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert worden waren. Ihr folgte eine zweite Etappe, in der am 2. Juli 1944 alle anderen, die noch im Theresienstädter Familienlager registriert waren, zu einer großen Selektion antreten mussten und der berüchtigte KZ-Arzt Joseph Mengele zusammen mit seine Kollegen aus dieser Riesenmenge im Eilverfahren mehr als 3000 junge und gesunde Frauen, Männer und Jugendliche aussonderten, die die Mediziner für `arbeitsfähig´ erachteten. Die große Mehrheit der Angetretenen wurde am 11. Juli 1944 in die Gaskammern des Vernichtungslagers geführt, womit die Liquidierung des Theresienstädter Familienlagers endete.

Drei Tage später verließen Zuzana Glaserová und 999 andere tschechische Häftlingsfrauen, die zuvor als `arbeitsfähig´ bezeichnet worden waren, das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau in Richtung Hamburg, wo sie in das neu errichtete Außenlager des KZ Neuengamme am Dessauer Ufer im Hamburger Hafen eingewiesen wurden. Kriegswirtschaftliche Engpässe waren trotz vieler ideologischer Bedenken ausschlaggebend dafür, dass seit Langem wieder jüdische Menschen nach Hamburg hinein – und nicht aus der Stadt hinaus – verfrachtet wurden. Das war jedoch nicht der Anfang einer grundsätzlichen Wende in der Vernichtungspolitik, sondern nur eine zusätzliche Variante. Vernichtung durch Arbeit und Ermordung durch Giftgas waren zwei Wege, die zu einem Ziel führten.

In Hamburg mussten die Häftlingsfrauen im Rahmen des so genannten Geilenberg-Programms – eines Sofortprogramms zum Wiederaufbau der zerstörten Anlagen der Mineralölindustrie – bei größeren Hamburger Raffinerien wie Rhenania-Ossag (heute: Shell), Ebano-Oehler (Esso), dann Holborn, Julius Schindler oder Jung-Öl Aufräumarbeiten verrichten. Viele dieser weiblichen Häftlinge waren körperlich überfordert, obwohl die Verpflegung und die Unterbringung besser als in Auschwitz waren.

Am 13. September 1944 wurde Zuzana Glaserová mit 497 anderen Kameradinnen in das KZ-Außenlager Hamburg-Neugraben am Falkenbergsweg verlegt. Hier kamen sie im nahegelegenen Harburg bei Aufräumarbeiten nach alliierten Luftangriffen, beim Bau eines Panzergrabens und bei der Errichtung einer Behelfsheimsiedlung zum Einsatz.

Ihr Alltag im diesem Lager war von ständigem Hunger, permanenter Müdigkeit, harter Arbeit, eisiger Kälte, engen Wohnbedingungen, völlig unzureichender Kleidung, den unterschiedlichen Launen des Wachpersonals und vielen Krankheiten geprägt. Jeder Arbeitstag begann mit dem morgendlichen Zählappell auf dem Lagerplatz. Dann rückten die einzelnen Arbeitskolonnen mit ihren Bewachern zu den verschiedenen Arbeitsplätzen aus. Die Wege zur Arbeit waren oft lang. Die Arbeitszeit betrug 12 Stunden täglich, auch sonnabends wurde gearbeitet. Bei der Rückkehr am Abend wurden die Frauen nach Lebensmitteln durchsucht, bevor ein weiterer Zählappell und die Bestrafungen folgten.

Aber auch an diesem grauenvollen Ort gaben die Frauen die Hoffnung auf ihre Rettung und eine bessere Zukunft in den Jahren danach nicht auf, wie die grandiose Silvesterfeier zeigt, die sie im Waschraum ihres Lagers inszenierten. Dort tischten sie ein buntes Programm auf, das unterhaltsamer und stimmungsvoller nicht sein konnte. Auch Zuzana Glaserová trug mit ihrer goldenen Stimme dazu bei, dass sich alle an diesem Abend so glücklich fühlten wie lange nicht mehr.

Am 8. Februar 1945 wurden alle Neugrabener Häftlinge in das KZ-Außenlager Hamburg-Tiefstack überführt. Zuzana Glaserová war 19, als sie hier bei einem Luftangriff am 20. März 1945 ihr Leben verlor.


Stand: Juni 2020
© Klaus Möller

Quellen: 3; 8; Meyer, Kinder Auschwitz, S. 125ff.; Eichengreen, Asche, S. 96ff.; Schultz, Neugraben, in: Ellermeyer u. a. (Hrsg.), Harburg, S. 493ff.; Diercks, Hafen, S. 54f.; Czech, Kalendarium, 2. Auflage, S. 684ff.; Benz, Theresienstadt – Eine Geschichte von Täuschung und Vernichtung, München 2016, S. 92ff. 119ff., 186ff.; Dita Kraus, Ein aufgeschobenes Leben – Kindheit im Konzentrationslager. Neuafang in Israel, Göttingen 2020, S. 184f.; Gespräch mit Peter Saxi (Neffe) vom 23.6.2010; email Anna Hajkova v. 19.5.2020.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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