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Bereits verlegte Stolpersteine



Dr. Heinrich und Hedwig Wohlwill, Ende der 1930er Jahre
© Privatbesitz

Hedwig Wohlwill (geborene Dehn) * 1877

Hindenburgstraße 111 (Hamburg-Nord, Alsterdorf)


HIER WOHNTE
HEDWIG WOHLWILL
GEB. DEHN
JG. 1877
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
TOT AN HAFTFOLGEN
3.7.1948

Weitere Stolpersteine in Hindenburgstraße 111:
Dr. Heinrich Wohlwill

Dr. Heinrich Wohlwill, geb. 7.2.1874 in Hamburg, am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert, dort am 31. Januar 1943 ermordet
Hedwig Wohlwill, geb. Dehn, geb. 27.6.1877 in Hamburg, deportiert 1942 nach Theresienstadt, gestorben an den Haftfolgen am 3. Juli 1948 in Hamburg.

Jüdische Aufklärer

Die Familiengeschichte Heinrich Wohlwills führt zurück in eine Familie der Aufklärung, damit vor allem zu seinem Großvater und Vater. Diese Familie war durch eine große weltanschauliche Liberalität und durch eindrucksvolle Selbstbestimmung in Bezug auf Religion und Weltanschauung geprägt, eine Haltung, die philosophisch bestimmt war und sich zugleich im Interesse dieser beiden Männer an der Förderung des Gemeinwohls äußerte.
Während der französischen Besetzung Hamburg von 1806 bis 1814 hatten die Juden in Hamburg das volle Bürgerrecht, das nach Ende dieser Besetzung sofort wieder rückgängig gemacht und durch das restriktive Judenreglement von 1710 ersetzt wurde. Alle Gesuche und Rechtsgutachten stießen bei der wieder eingesetzten Regierung Hamburgs auf Ablehnung. In dieser Situation konzentrierten sich aufgeklärte Juden auf die Modernisierung des jüdischen Lebens, vor allem die des Schulwesens. Der Prozess der Aufklärung in Hamburg war nicht mit der Forderung nach der Gleichstellung der Juden verbunden, nur wenige Aufklärer in Hamburg setzten sich dafür ein. Franklin Kopitzsch kennzeichnet den Kampf Lessings und Mendelssohn für die Gleichstellung als wenig erfolgreich in Hamburg. Letztlich war die Realisierung der rechtlichen Gleichstellung an die Modernisierung der Wirtschaft und die Demokratisierung der Gesellschaft gebunden (Helga Krohn, Das Jüdische Hamburg).
Die gekennzeichnete Entwicklung wird am Leben der Vorfahren Heinrich Wohlwills erkennbar. Sein Großvater änderte seinen Namen als Zeichen religiöser Liberalität von Joel Wolf in Immanuel Wohlwill (1799–1847). In Harzgerode geboren, in Seesen aufgewachsen und dort auch in der jüdischen Gemeinde tätig, unterrichtete er nach seiner Promotion in Philosophie ab 1823 an der israelitischen Freischule in Hamburg (1815 gegründet), die für Söhne armer Juden, ab 1859 auch für nichtjüdische Schüler gedacht war. Die Struktur dieser Schule mit einem modernen Curriculum löste in der jüdischen Gemeinde Kontroversen aus, die Immanuel Wohlwill nicht beirrten, zumal er im Hamburger Bürgertum Anerkennung fand. Er konnte, da er ja kein Hamburger Bürger sein durfte, nicht reguläres Mitglied der Patriotischen Gesellschaft werden. Diese nahm ihn 1834 als Ehrenmitglied auf und ehrte damit seine aufgeklärte Pädagogik. 1838 ging Immanuel Wohlwill nach Seesen zurück und arbeitete dort als Leiter der Jacobson-Schule. In dieser interreligiösen Schule wurden seit 1801 christliche und jüdische Schüler unterrichtet. 1805 wurde sie amtlich als erste überkonfessionelle Schule in Deutschland anerkannt.
Die Geschichte des aufgeklärten Judentums in Hamburg spiegelt sich im Leben Emil Wohlwills (1835–1912), dem Vater Heinrich Wohlwills. Sein Kampf um das Bürgerrecht dokumentiert die Schwierigkeiten der jüdischen
Emanzipation.
Ab 1849 konnten Juden das Hamburger Bürgerrecht erwerben, und schon bald darauf leisteten Hunderte von Juden den Bürgereid. Freilich blieb diese Möglichkeit denjenigen vorbehalten, die Mitglieder in einer der jüdischen Gemeinden Hamburgs waren und auch blieben. Diese Mitgliedschaft war seit Jahrhunderten zwingende Voraussetzung für das Bleiberecht von Juden in Hamburg und wurde auch durch die Verfassung von 1860 nicht aufgehoben, obwohl in dieser Verfassung Staat und Kirche ausdrücklich getrennt waren. Als Emil Wohlwill 1863 seinen Antrag auf Bürgerrecht stellte, bezog er sich ausdrücklich auf diese Verfassung. In seinem Antrag ließ er die Rubrik "Religion" frei, Emil Wohlwill hielt Religion für Privatsache und bezeichnete sich als "Freidenker". Sein Antrag wurde zurückgewiesen, und es wurde ihm bedeutet, dass er natürlich, wenn er kein Jude sei, seinen Taufschein vorweisen könne. Erst am 7. November 1864 wurde durch ein Gesetz die "für die Israeliten bestehende Zwangspflicht" zum Eintritt in eine jüdische Gemeinde aufgehoben, dieses Gesetz beendete einen Jahrhunderte langen Sonderstatus der Hamburger Juden. Gleichwohl erfüllte Emil Wohlwill immer noch nicht alle Bedingungen für den Erwerb des Bürgerrechts: Bürger konnten sich frei für eine Religionsgemeinschaft entscheiden – sie konnten sich aber nicht dafür entscheiden, überhaupt keiner Religionsgemeinschaft anzugehören. Dieses Recht der "negativen Religionsfreiheit" wurde den Hamburger Bürgerinnen und Bürgern erst 1879 gewährt. Dennoch verlieh der Senat Emil Wohlwill 1865 das Bürgerrecht. Er war der erste aus der Familie Wohlwill, der Hamburger Bürger wurde. Wir gehen davon aus, dass es sich bei dieser Entscheidung des Senats um ein unkommentiertes Sonderrecht für Emil Wohlwill handelte und dass die "negative Religionsfreiheit" ohnehin allmählich Gewohnheitsrecht wurde, bevor sie kodifiziert wurde. Emil Wohlwill trat nach der Gewährung des Bürgerrechts aus der Jüdischen Gemeinde aus, auch keines seiner Kinder gehörte zur jüdischen Gemeinde, die 1867 als "Religionsgemeinschaft freiwilliger Mitgliedschaft" neu gegründet wurde.
Bereits am 3. April 1867 ist Emil Wohlwill in die Patriotische Gesellschaft eingetreten. Schon 1842 verfasste eine "Commission" der Patriotischen Gesellschaft Berichte über die gegenwärtige Situation der Juden in Bezug auf das Bürgerrecht und auch Entwürfe zur "Verbesserung des bürgerlichen Zustands der Juden". Diese Commission brachte die entsprechende Senatscommission in Bewegung und schlug 1844–1845 erste Gesetze vor. Es kann sein, dass Emil Wohlwills Eintritt in die Patriotische Gesellschaft auch eine Anerkennung für deren Arbeit war.
Die beharrliche Haltung Emil Wohlwills zeigt eine nachdrückliche Bindung an die Stadt Hamburg, die dann kennzeichnend für die gesamte Familie Wohlwill wurde. Auch im Verein "Harmonie" (den es bis heute gibt) war Immanuel Wohlwill Mitglied und fühlt sich dort sehr wohl, offenbar auch wegen der selbstverständlichen Gemeinsamkeit aller Hamburger. Emil Wohlwill war überdies Mitbegründer der "Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften" und Mitglied in ihrem ersten Vorstand.
Nach dem Chemie-Studium in Heidelberg, Berlin und Göttingen und der Promotion unterrichtete Emil Wohlwill zunächst Physik an Hamburger Gewerbeschulen und arbeitete auch als freiberuflicher Handelschemiker. Es gelang ihm in einem bahnbrechenden Verfahren, reines Gold und Silber in großen Mengen industriell durch elektrochemische Elektrolyse zu gewinnen ("Wohlwill-Goldelektrolyse"). Auch aufgrund dieser Erfindung wurde Emil Wohlwill Vorstandsvorsitzender der neu gegründeten Norddeutschen Affinerie (1877–1900).

Eine Hamburger Familie

Wie viele jüdische Familien Hamburgs war auch die Familie Wohlwill eine große Familie. Heinrich Wohlwill, am 7. Februar 1874 geboren, war der älteste Sohn seines Vaters Emil Wohlwill und dessen Frau Louise Nathan. Vertreter verschiedener Berufe finden sich in ihr: Sophie Wohlwill wurde eine bekannte Pianistin und Klavierlehrerin in Hamburg; die Künste waren in der Familie auch vertreten durch Gretchen Wohlwill, der bekannten Künstlerin der Hamburger Sezession. Von Heinrich Wohlwill wird berichtet, dass er sehr gut Geige spielte. Sein Bruder Friedrich wurde Pathologe in St. Georg. Um die älteste Tochter Marie, die häufig krank war, kümmerten sich die Geschwister liebevoll.
Zu dieser Familie gehörte eine große Verwandtschaft. In seinem Buch (s.u.) führt der Historiker John Grenville 12 Mitglieder der Familie Wohlwill auf, die für Hamburg wichtig waren – Grenville ist übrigens der einzige, der an mehreren Stellen ausdrücklich über Heinrich Wohlwill berichtet. Bei unseren Recherchen waren wir sonst vorwiegend auf Akten, vor allem auf die Wiedergutmachungsakte, angewiesen.
Heinrich Wohlwill wuchs in Hamburg auf und machte am Wilhelm-Gymnasium Abitur. Danach studierte er Chemie wie sein Vater und wurde 1913 dessen Nachfolger im Vorstand der Norddeutschen Affinerie. In die Patriotische Gesellschaft trat er am 13. August 1929 ein.
Das Hamburger Adressbuch erwähnt Heinrich Wohlwill 1902 zum ersten Mal (Mittelweg), von dort zog er 1910, dann schon mit Familie, in die Hagedornstraße. 1902 hatte Heinrich Wohlwill seine Frau Hedwig, geborene Dehn, geheiratet. Das Adressbuch zeigt, dass ein großer Teil der verzweigten Familie Wohlwill im Bereich Harvestehude und Rotherbaum wohnte.
Gleichsam als eine Art Pionier baute Heinrich Wohlwill 1928 ein Haus in der Hindenburgstraße 111, die zu dieser Zeit noch nicht bebaut war. Schon 1925 nennt das Adressbuch Heinrich Wohlwill als Direktor der Norddeutschen Affinerie und als Mitglied der Handelskammer, dies auch 1933 und 1934, l935 fehlen die zusätzlichen Angaben. Heinrich Wohlwill und seine Frau haben in diesem Haus bis zur Deportation 1942 gewohnt, danach fiel das Grundstück automatisch an den Staat.

Wirtschaftliche und bürgerliche Ausgrenzung

Heinrich Wohlwill hat in Hamburg eine wichtige, wirtschaftliche Rolle gespielt. 1903 hatte er ein Verfahren erfunden, mit dessen Hilfe man Kupfer rückgewinnen konnte. Dieses Patent wurde die Basis für das Wachstum der Norddeutschen Affinerie und spielte bis zum 2. Weltkrieg eine große Rolle; die Norddeutsche Affinerie war stets ein bedeutender, europäischer Grundstoffproduzent, insofern auch besonders kriegswichtig.
Heinrich Wohlwill war – wie sein Vater und auch seine Frau – ein Freidenker, der in keiner jüdischen Gemeinde Mitglied war. Durch die Bestimmungen des "Arierparagraphen" (§3 Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums) vom 11. April 1933 wurden Heinrich Wohlwill und seine Frau als "Juden" definiert. Heinrich Wohlwill war als Vorstandsmitglied einer öffentlichen Kapitalgesellschaft zusätzlich von den beruflichen Konsequenzen dieses Gesetzes betroffen: durch einen Senatserlass vom 23. Mai 1933 wurde das Gesetz auf diese Gesellschaften erweitert und führte dazu, dass Heinrich Wohlwill den Vorstand der Norddeutschen Affinerie verlassen musste. Als die Handelskammer sich 1933 "freiwillig" gleichschaltete, mussten 17 Mitglieder, darunter alle "jüdischen" und "halbjüdischen Mitglieder" aus der Handelskammer ausscheiden (darunter auch Max Warburg).
Der Wiedergutmachungsakte ist zu entnehmen, dass Heinrich Wohlwill nach dem Ende seiner Vorstandstätigkeit für die Norddeutsche Affinerie weiter in der Stellung eines leitenden Chemikers tätig gewesen ist. Von Dr. Paul Wohlwill, Cousin von Heinrich Wohlwill (Landgerichtsrat bis 1934), liegt in dieser Akte ein Schreiben vom 14. März 1946 an die Beratungsstelle für Wiedergutmachung. Dort heißt es zu Heinrich Wohlwill: "In dieser Zeit sind seine Bezüge von der N.A. entgegenkommend geregelt worden. Er hat zuletzt im Januar 1939 eine Ausgleichsentschädigung von 30.000 RM erhalten. Ende 1938 wurde er dann endgültig pensioniert und bezog vom 1.1.1939 anstelle seines Gehalts die Pensionsansprüche." Auch zur Pensionierung äußert sich Paul Wohlwill in seinem Brief: "Dr. Varlimont (richtig: Warlimont), der Vorsitzende des Aufsichtsrates der N.A. hat dem Unterzeichnenden, Dr. P. W. erklärt, dass Dr. Heinrich Wohlwill, der seit 1915 (tlw. unleserlich) dem Vorstand angehörte, ohne das Eingreifen der NSDAP bis zu seinem Tode seine Stellung im Vorstand behalten hätte."

Verfolgung und Deportation

Nach dem Pogrom im November 1938 musste sich die Jüdische Gemeinde in "Jüdischer Religionsverband" umbenennen. Alle, die nach den NS-Bestimmungen Juden waren, wurden gezwungen, in diesen Verband einzutreten. Ab 1939 gibt es eine Kultussteuerkartei für Heinrich Wohlwill und seine Frau Hedwig. Beide sind auf ihr als "glaubenslos" vermerkt. Die Kinder des Ehepaars, einschließlich der früh gestorbenen Hedwig Elisabeth sind mit "evangelisch" eingetragen.
Der Sohn Max war zu dieser Zeit schon nach Australien ausgewandert, Marianne lebte noch in Hamburg, konnte aber rechtzeitig nach England emigrieren, und die Tochter Margarethe überlebte durch die Heirat mit dem "Arier" Albrecht Brandis.
Wie viele verfolgte jüdische Hamburger Bürger muss auch Heinrich Wohlwill nicht mit einer brutalen Verfolgung gerechnet haben. Wie viele – z. B. auch Max Warburg – mag er gehofft haben, dass die NS-Diktatur von begrenzter Dauer sein werde. Mit dem Novemberpogrom und seinen Folgen allerdings wird ihm die Brutalität dieser Diktatur bewusst geworden sein. Am Ende seiner Berufstätigkeit dachte Heinrich Wohlwill an Emigration. Ursula Osborne berichtet in einer Mail vom 9. Juli 2007, dass Heinrich Wohlwill ihren Vater Robert Solmitz gebeten habe, sich nach Möglichkeiten für Affidavits in die USA für ihn und seine Frau zu erkundigen. Auch eine Möglichkeit, eventuell nach Schweden auszuwandern, habe bestanden.

Einige Geschwister konnten Deutschland rechtzeitig verlassen. Friedrich emigrierte bereits 1933 nach Portugal und am Ende des Krieges in die USA. Die Schwester Gretchen Wohlwill, die 1933 aus dem Schuldienst entlassen und aus dem Kunstverein ausgeschlossen wurde, konnte 1940 nach langem Zögern zu ihrem Bruder nach Portugal emigrieren. Von dort aus bemühte sie sich vergeblich, für ihre Schwester Sophie und ihren Bruder Heinrich mit seiner Frau eine Ausreise nach Portugal zu ermöglichen. Seit 1941, als die Vertreibung und Vernichtung der Juden beschlossene Sache der Nationalsozialisten war, war ihnen die Auswanderung verboten. Wie Heinrich und Hedwig Wohlwill blieb Sophie in Hamburg – sie wurde im März 1943 nach Theresienstadt deportiert und starb dort im April 1944.

Die regelmäßigen Musikabende im Hause Wohlwill, meist einmal in der Woche, wurden zunächst fortgesetzt. Heinrich Wohlwill spielte regelmäßig zusammen mit der Pianistin Gisela Distler-Brendel. Er hat auch gern Zeit
in den Räumen der Jüdischen Gemeinde verbracht, solange diese noch zur Verfügung standen. Mit zunehmender Zuspitzung der Verfolgung kamen – so berichtet Grenville – nur noch wenige Freunde und Bekannte. Heinrich Wohlwill habe in einem kleinen Krankenhaus, das den Juden geblieben sei, geholfen, es könnte die ehemalige Klinik Callmann gewesen sein. Dem Arzt Dr. Callmann, der diese Klinik gegründet hatte, wurde 1938 seine Approbation entzogen. Als die Stadt 1939 Gebäude, Liegenschaften und das Restvermögen des Israelitischen Krankenhauses übernommen hatte, wurden dem Krankenhaus als notdürftiger Ersatz zwei Gebäude in der Johnsallee (Nr. 54 und Nr. 68, ehemalige Klinik Callmann) bis 1942 zur Verfügung gestellt, dann nur noch Nr. 68. Gegen Ende des Krieges wurde das Israelitische Krankenhaus in das Gebäude des ehemaligen jüdischen Pflege- und Siechenhauses verlegt, vermutlich sind die beiden Gebäude in der Johnsallee dann aufgegeben worden.
Am 17. Juli 1942 erhielten Heinrich Wohlwill und seine Frau die Anordnung der Deportation. Am Abend vor der Deportation hat Heinrich Wohlwill noch einmal mit Gisela Distler-Brendel zusammen Sonaten gespielt – ob ihm die Endgültigkeit des Abschieds bewusst war, bleibt auch in dem Bericht Gisela Distler-Brendels offen (Hinweis von Margot Löhr).

In der Hindenburgstraße 111 wohnten bis zum Tag der Deportation außer Heinrich und Hedwig Wohlwill auch Heinrich und Marie Mayer (die Schwester von Hedwig Wohlwill) und die Cousine Hedwig Wohlwills, Ella Nauen. Das Ehepaar Mayer und Ella Nauen müssen erst kurz vor Deportation in die Hindenburgstraße eingezogen sein, sie werden im Adressbuch nicht erwähnt.
Alle wurden mit dem Transport vom 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Heinrich Wohlwill starb dort am 31. Januar 1943 (nach Angaben des Totenscheins aus Theresienstadt an "Herzversagen"). Auf der Kultussteuerkartei ist das "Ausscheiden durch Abwanderung" vermerkt.

Hedwig Wohlwill kehrte 1945 nach Hamburg zurück, wo sie 1948 an den Folgen der in Theresienstadt erlittenen, körperlichen Schäden starb. Es gibt für sie eine gesonderte Wiedergutmachungsakte.

Schon kurze Zeit nach der Deportation fand am 25. August 1942 auf Anordnung des Oberfinanzpräsidenten die "freiwillige Versteigerung" von vier Silberbestecken des Ehepaars Wohlwill statt. Das Ehepaar hatte schon den größten Teil seines Schmucks und anderer Gegenstände aus Gold und Silber aufgrund der Verordnung vom 3. Dezember 1938 an die städtischen Pfandleihen als zentrale Sammelstelle abliefern müssen.

In der Wiedergutmachungsakte Heinrich Wohlwill wird in dem bereits zitierten Brief von Dr. Paul Wohlwill auf eine Postkarte verwiesen, die Heinrich Wohlwill am 8. Dezember 1942 an seine Tochter in Hamburg geschrieben hat. Auf dieser berichtet Heinrich Wohlwill, dass er in Theresienstadt "ein verantwortungsvolles und schwieriges Amt bekleidet" habe. Er "hatte dort die Vertretung einer Arbeiterschaft von 2500 Köpfen gegenüber den Behörden." (Weder Wolfgang Benz vom Zentrum für Antisemitismusforschung noch Tomas Fedorovic von der Historischen Abteilung der Gedenkstätte Theresienstadt konnten auf Anfragen klären, worauf sich Heinrich
Wohlwill mit seiner Äußerung konkret bezieht).
Grenville gibt seinem Buch "The Jews and Germans of Hamburg" den Untertitel "The Destruction of a Civilization 1790–1945”. Er schildert eindringlich, wie die jüdischen Bürger Hamburgs seit 1933 ausgegrenzt, verfolgt, in die Emigration getrieben, umgebracht wurden. Die Nationalsozialisten, das ist seine These, zerstörten keine jüdische Zivilisation in Hamburg, sie zerstörten eine besondere Form der deutschen Zivilisation. Mit der Auflösung dieser Zivilisation hat Hamburg auch die große Familie Wohlwill verloren – dieses schweren und schmerzlichen Verlustes an Aufklärung wollen wir mit dieser Biographie gedenken.

Stand Juli 2015
© Marlis Roß und Hartmut Roß

Quelle: 1; 3; 4; 5; 8; Amtsgericht Hamburg, VA 44, Akten der Patriotischen Gesellschaft I–III; Patriotische Gesellschaft von 1765 – Protokolle der Vorstandssitzungen; 1866–2006; Sonderheft zum 140-jährigen Bestehen der Norddeutschen Affinerie AG, Hamburg 2006, S. 10, S. 15; Anfragen an Prof. Dr. Wolfgang Benz und an die Gedenkstätte Theresienstadt (Briefliche Antworten von Herrn Benz und Herrn Tomas Fedorovic 27.5.2014); Mail-Kontakt mit Ursula Osborne (Juli 2007); StaH 241 – 1 T._715 Gerichtsvollzieherwesen Versteigerung von Silbersachen am 25.8.1942; StaH 351 – 11_2398; StaH 351 –11_3632; StaH 351 – 11_35033 Amt für Wiedergutmachung (Heinrich, Hedwig und Marianne Wohlwill); Das Jüdische Hamburg 2006, darin: S. 277–281 Hans-Dieter Loose, Anna Wohlwill, S. 281 Helga Krohn, Emil Wohlwill, S. 281/282 Arno Herzig, Immanuel Wohlwill, S. 224f. Rainer Lehberger, Schul- und Erziehungswesen; Bajohr 2005; Benz 2013, S. 68–72, S. 205f.; Bruhns, Gretchen Wohlwill, in: Hamburger Biografien, Band 2, 2003; Büttner 1988, S. 131f; Gottwaldt, Schulle 2005; Grenville, 2012 S. 87/88, S. 228/229 und passim; Beate Meyer 2006 S. 70–73; Starke 1975, S. 45/46; Gretchen Wohlwill 1984; Hamburger Adressbücher und Telefonbücher; Internet: http://de.wikipedia.org/wiki/Israelitische_Freischule; Das Jüdische Hamburg, hrsg. vom Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Göttingen 2006. FrankBajohr, Hamburg im "Dritten Reich", Hamburg 2005. Wolfgang Benz. Theresienstadt. Eine Geschichte der Täuschung und Vernichtung, München 2013. Maike Bruhns, Gretchen Wohlwill. In: Hamburger Biographien Band 2, hrsg. von Franklin Koptzsch und Dirk Brietzke, Hamburg 2003. Ursula Büttner, Die Not der Juden teilen, Hamburg 1988. Alfred Gottwaldt, Diana Schulle, Die "Judendeportationen" aus dem Deutschen Reich, 1941–1945, Wiesbaden 2005. J.A.R. Grenville, The Jews and Germans of Hamburg, The Destruction of a Civilization 1790–1945, London and New York 2012. Haarbleicher, Moses M., (Hrsg.), Zwei Epochen aus der Geschichte der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg. Verlag Meissner, Hamburg 1866, Online-Ausgabe Frankfurt am Main: Universitätsbibliothek JCS, 2009. Beate Meyer (Hrsg.), Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden, 1933–1945, Hamburg 2006. Jürgen Sielemann, Quellen zur Jüdischen Familiengeschichte im Staatsarchiv Hamburg (per Mail von Herrn Sielemann am 29.7.2014). Käthe Starke, Der Führer schenkt den Juden eine Stadt, Berlin 1975. Gretchen Wohlwill, Lebenserinnerungen einer Hamburger Malerin. Bearbeitet von Hans-Dieter Loose, Hamburg 1984. Hamburger Adressbücher und Telefonbücher. Diese Dateizugriffe wurden dankenswerterweise ermöglicht durch die finanzielle Unterstützung der GEN Gesellschaft für Erbenermittlung mbH.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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