Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine



Martin Beer * 1924

Bartelsstraße 72 (Altona, Sternschanze)


HIER WOHNTE
MARTIN BEER
JG. 1924
DEPORTIERT 1941
LODZ
1942 CHELMNO
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Bartelsstraße 72:
Eduard Beer, Frieda Chana/Anna Beer, Frieda Beer, Lotte Beer, Siegfried Beer, Ilse Sambor

Anna Frieda Beer, geb. Sambor, geb. am 13.12.1893 oder 28.12.1893 in Warschau, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, am 10. Mai 1942 nach Chelmno deportiert und ermordet
Eduard Beer, geb. am 10.10.1893 in Hamburg, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, am 10.5.1942 nach Chelmno deportiert und ermordet
Ilse Sambor, geb. am 16.4.1919 in Hamburg, am 28.10.1938 nach Zbaszyn abgeschoben, verschollen
Martin Beer, geb. am 8.12.1924 in Hamburg, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, am 10. Mai 1942 nach Chelmno deportiert und ermordet
Frieda Beer, geb. am 24.1.1926 in Hamburg, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, am 10.5.1942 nach Chelmno deportiert und ermordet
Lotte Beer, geb. am 4.7.1927 in Hamburg, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, am 10.5.1942 nach Chelmno deportiert und ermordet
Siegfried Beer, geb am 13.2.1929 in Hamburg, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, am 10.5.1942 nach Chelmno deportiert und ermordet

Bartelsstraße 72

Auf der ersten Liste der jüdischen Hamburger, die am 25. Oktober 1941 ins Getto nach Lodz (Litzmannstadt) deportiert wurden, waren unter der Adresse Bartelsstraße 72 Haus 3 parterre sechs Mitglieder der kinderreichen Familie Beer aufgeführt. Die Familie lebte in bescheidenen Verhältnissen

Sie bestand aus den Eltern Anna Frieda und Eduard Beer und ihren insgesamt acht Kindern: der Tochter Ilse Sambor (1919 unehelich geboren), Margot Beer (geb. 1920 gest. 1923), Moritz Wilhelm Beer (geb. 1922), Ruth Beer (geb. 1923), Martin Beer (geb. 1924), Frieda Beer (geb. 1926), Lotte Beer (geb. 1927) und Siegfried Beer (geb. 1929). Die Verfolgung überlebten nur Ruth Beer, die nach Palästina hatte auswandern können, und Moritz Beer. Beide stellten nach Kriegsende Anträge auf Wiedergutmachung, und fast nur aus ihren Aussagen erfahren wir etwas über die Familie. Eltern und Kinder lebten vermutlich seit 1936 in der Bartelsstraße. Eine frühere Wohnung lag in der Forbacher Straße 1 in Barmbek, heute Dulsberg.

Die Mutter Anna Frieda wurde in Warschau geboren. Dass es für sie kein eindeutiges Geburtsdatum gibt, mag damit zusammenhängen, dass Warschau zu Russland gehörte und dort der Julianische Kalender und nicht der Gregorianische Kalender wie in Westeuropa galt. Sie war die älteste von mindestens sieben Geschwistern, die zwischen 1893 und 1912 geboren wurden. Ihr Vater Isaak Chaim Sambor kam 1896 mit seiner Familie nach Hamburg. Der Name der Mutter war Salinna Ida, geb. Rother. Die ältesten Kinder waren noch in Warschau geboren worden, die jüngeren dann in Hamburg. Anna Friedas Vater arbeitete als Zigarettenarbeiter und Händler. Die Familie wechselte oft die Wohnung und wohnte in Hamburg und in Altona. Anna Frieda Sambor war erstmals 1909 in Hamburg gemeldet. Da war sie 16 Jahre alt und ging vielleicht "in Stellung". Ihre erste Meldeadresse war Bismarckstraße 134 (bei Jacobsen). Im Oktober 1909 war sie in der Dillstraße 8 II gemeldet, vor- und nachher in Altona. Keines der Geschwister ist im Bundesgedenkbuch verzeichnet. Lediglich für die Schwester Sara (geb. 1902) findet sich ein Hinweis in der Datenbank von Yad Vashem. Demnach wurde sie von Drancy in Frankreich aus deportiert und ermordet.

Eduard Beer war jüdischer Hamburger, Sohn des Schlachters Moritz Beer und der Mathilde Beer, geb. Sussmann. Als Eduard 1893 geboren wurde, wohnten seine Eltern in der Grindelallee 73, Haus 1. Er besuchte von 1900 bis 1908 die Talmud-Tora-Schule und machte anschließend eine Lehre als Schlachter. Ab 1924 arbeitete er zehn Jahre lang als Fellarbeiter bei der Fa. Heine & Fleischmann. 1934 gaben die Inhaber das Geschäft auf, und nach seiner Entlassung gelang es Eduard Beer wegen seiner jüdischen Herkunft nicht mehr, Arbeit zu finden. Er bezog für seine Familie Fürsorgeleistungen und wurde zu Arbeitsmaßnahmen (so genannten Pflichtarbeiten), z.B. als Erdarbeiter, gezwungen. In der Liste der Gemeindemitglieder ist sein Beruf mit "Arbeiter am Staatsquai" angegeben.

Von der ältesten Tochter Ilse Sambor finden sich, genau wie von ihrer Mutter, fast keine Spuren mehr. Sie ist ebenfalls nicht in den Gedenkbüchern verzeichnet. Nach Angaben ihres Halbbruders Moritz Beer wuchs sie im jüdischen Waisenhaus in Hamburg auf. Von April 1938 bis zu ihrer Verhaftung im Oktober 1938 wohnte sie bei der Familie in der Bartelsstraße. Im Rahmen der "Polenaktion" 1938 wurde sie nach Zbaszyn an die polnische Grenze abgeschoben, wo sich ihre Spur verliert.

Moritz Beer (geb. 1922) hat von 1928 bis 1936 die Talmud-Tora-Schule besucht. Danach war es für ihn nicht mehr möglich, eine kaufmännische Lehrstelle zu finden. Es gelang aber, ihn bei dem jüdischen Schlachter Joseph Mayer in der Eppendorfer Landstraße unterzubringen, wo er als Bote und Reinigungskraft beschäftigt wurde. Nach der Pogromnacht gab Joseph Mayer den Laden auf und Moritz wurde entlassen. Vom Arbeitsamt wurde er dann als ungelernter Erdarbeiter in den Kreis Stade vermittelt. Die Firma E. Schmidt in Harsefeld hatte ihn ab März 1939 bei der dortigen Krankenkasse angemeldet und wohl für verschiedene Zeiträume Beiträge gezahlt. Der Vater Eduard Beer war von derselben Firma im Sommer 1938 für einen Monat bei der Krankenkasse angemeldet worden. Eine Lücke in der Krankenkassenmeldung besteht für die Zeit vom Juli 1939 bis August 1940. Im Sommer 1939 nämlich war Moritz Beer Erntehelfer im Dorf Garzin östlich von Berlin und gelangte von dort am 13.November 1939 in ein Umschulungslager in Paderborn, das ab Juni 1939 von der Reichsvereinigung in Abstimmung mit der Gestapo und der Stadt Paderborn eingerichtet worden war. Moritz kam dann am 19.Mai 1940 nach Hamburg zurück und arbeitete wieder in Harsefeld. Am 25. Oktober wurde er mit seinen Eltern und vier Geschwistern deportiert. In Lodz fand sich noch eine Spur von ihm: Er war untergebracht in der Hausiererstraße 1 a, und sein Name taucht auf einer Arbeiterliste des XX. Transports vom 7. November 1941 auf. Er war registriert mit der Nummer 1328. Nach eigenen Angaben wurde er vom Getto "Litzmannstadt" nach Posen ins Arbeitslager Remo gebracht und von dort ins KZ Auschwitz, Unterlager Fürstengrube. Als die russische Front 1945 näher rückte, kam er nach Dora-Nordhausen. Von dort aus ging es im März 1945 nach Schleswig-Holstein. Am 2. Mai 1945 bestieg er auf das Schiff "Cap Arcona", dessen Bombardierung er als einer von Wenigen überlebte. In Neustadt/Holstein wurde er befreit. Von seiner Familie lebte zu diesem Zeitpunkt nur noch seine Schwester Ruth in Palästina. Anfang 1947 reiste auch Moritz Beer dorthin.

Ruth Beer (geb. 1923) besuchte die jüdische Mädchenschule in der Karolinenstraße. 1939 wanderte sie mit der Jugend-Alija nach Palästina aus, bevor sie die Schule in Hamburg hatte beenden können. Da sie keinen Beruf erlernt hatte, arbeitete sie in Palästina zunächst in der Landwirtschaft und war dann beim englischen Militär als Hilfsschwester tätig, wo sie ihren späteren Ehemann kennenlernte.

Martin Beer (geb. 1924) besuchte die Talmud-Tora-Schule und wurde Ostern 1940 nach Abschluss der Klasse 8G entlassen. Auch seine Klassenkameraden Walter Golenzer und Peter Glück (siehe dort) wurden deportiert und ermordet. Dasselbe Schicksal ereilte den Klassenlehrer der Jungen, Ernst Streim. An Martin erinnerte sich seine ehemalige Klassenkameradin und Freundin Steffi Wittenberg, die noch ein Poesiealbum aus ihrer Schulzeit besitzt, in das auch Martin Beer einen Spruch geschrieben hat. Steffi Wittenberg erinnerte sich auch noch an den gemeinsamen Lehrer Naphtali Eldod, für den ein Stolperstein in der Hallerstraße 55 liegt.

Frieda Beer (geb. 1926), die sich Hilde nannte – dieser Vorname ist auch in einer Schulakte verzeichnet -, verließ die Schule Karolinenstraße 1940. Als Jüdin konnte sie keine Lehre machen und war vermutlich als ungelernte Kraft in einer Baumwollspinnerei tätig. Aus dem Getto "Litzmannstadt" schrieb sie am 5. Dezember 1941 zwei Postkarten an die Hamburger Freunde Gertrud Dammann in der Hallerstraße (damals Ostmarkstraße) und an Rolf Ascher, Adresse Bei der Friedenseiche (beider Biographien siehe www.stolpersteine-hamburg.de). Diese Karten fanden nie den Weg aus dem Getto nach Hamburg und werden heute in Lodz archiviert. Auch Gertrud Dammann und Rolf Ascher überlebten nicht. Rolf Ascher, den Hilde wohl sehr mochte, war bereits am 8. November nach Minsk deportiert worden, was Hilde natürlich nicht wissen konnte, als sie an ihn schrieb. Gertrud Dammann wurde ein Jahr später im Dezember 1942 nach Riga Jungfernhof deportiert. Für beide sind Stolpersteine verlegt worden.

Lotte Beer (geb. 1927) wurde 1934 in die Mädchenschule in der Karolinenstraße eingeschult. Bevor sie ihre Volksschulzeit beenden konnte, wurde sie deportiert. Auch das jüngste Kind Siegfried Beer (geb. 1929) besuchte die Talmud Tora Schule.

Nach der Deportation lebte die Familie im Lodzer Getto gemeinsam in der Hausierergasse (heute Flisacka) 1, Wohnung 1A. In einer noch vorhandenen Liste in Lodz ist die Adresse mit Tintenstift eingetragen und überschrieben Hohenstein(straße) 49/1a. Die Eltern und die Kinder Martin, Frieda, Lotte und Siegfried wurden am 10. Mai 1942 vom Getto Lodz in das Vernichtungslager Chelmno transportiert und dort ermordet.

Stand: Juli 2022
© Susanne Lohmeyer

Quellen: 1; 4; 5; 8; StaH 332-5, 9087 + 1681/1893; StaH 351-11 AfW; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden 992e2 Band 1 Deportationsliste; StaH 332-8 Meldewesen, A 30; StaH 741-4 Fotoarchiv Sa 1248; HAB IV 1926; Peter Offenborn: Jüdische Jugend; Deportationsliste Litzmannstadt, Gedenkstätte Lodz Radegast; Auskunft von Steffi Wittenberg; Archiwum Państwowego w Łodzi- karty pocztowe i listy, sygn. 2316-2325.
Nummerierte quellen siehe www.stolpersteine-hamburg.de: Recherche und Quellen.

druckansicht  / Seitenanfang