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Bereits verlegte Stolpersteine



Edmund Ringert 1922 (Foto auf Personalkarteikarte der Polizeibehörde)
Edmund Ringert 1922 (Foto auf Personalkarteikarte der Polizeibehörde)
© StaH

Edmund Ringert * 1898

Poolstraße 20 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
EDMUND RINGERT
JG. 1898
VERHAFTET 1938
KZ FUHLSBÜTTEL
NEUENGAMME
ERMORDET 23.8.1942

Weitere Stolpersteine in Poolstraße 20:
Sophie Zippor Grevesmühl

Edmund Paul Ringert, geb. 24.12.1898 in Schleusenau/Landkreis Bromberg/Posen (heute polnisch Powiat Bydgoski), mehrfach verhaftet, ermordet im KZ Neuengamme am 23.8.1942

Poolstraße 20

Vor dem Eingang des Hauses in der Hamburger Poolstraße 20 befinden sich heute zwei Stolpersteine. Einer von ihnen erinnert an das Schicksal Sophie Zippor GREVESMÜHLS, der andere an jenes Edmund Paul Ringerts. Die Inschrift des letzteren Steins lautet:

"HIER WOHNTE EDMUND RINGERT, JAHRGANG 1898 – VERHAFTET 1938 –
KZ FUHLSBÜTTEL – NEUENGAMME – ERMORDET 23.8.1942".

Nach Auskunft des Staatsarchivs Hamburg war Paul Grevesmühls Witwe Sophie als Mieterin in der Poolstraße zugleich die Vermieterin Ringerts: Er lebte etwa drei Jahre lang bei ihr zur Untermiete. Recherchen in Adressbüchern der 1930er Jahre weisen lediglich Paul Grevesmühl, später seine Witwe Sophie, nicht aber Edmund Ringert als Mieter namentlich aus. Dennoch wohnten ab März 1933 zunächst die Grevesmühls, nach dem Tode Pauls am 22. Februar 1934 dann Sophie Grevesmühl und Edmund Ringert im ersten Stock des Hauses Poolstraße Nummer 20. Der Eintrag im städtischen Adressverzeichnis von 1935 lautete: "Grevesmühl Wwe. P., I.". ("Wwe." stand für "Witwe", das "P." für den Vornamen des verstorbenen Hauptmieters Paul und das "I." für die erste Etage.)

Edmund Paul Ringert kam am 24.12.1898 im damals noch deutschen, heute polnischen Schleusenau (Regierungsbezirk Bromberg/Bydgoszcz in Posen/Westpreußen) zur Welt. Wie noch zu erläutern sein wird, beruhte seine 1938 einsetzende Verfolgung durch deutsche Behörden auf deren geringschätziger Bewertung der sexuellen Präferenzen Ringerts. Sein staatlich gewollter Leidensweg führte dabei 1939 auch über Waren an der Müritz. Dort gibt es inzwischen Am Seeufer 11 einen zweiten ihm gewidmeten Stolperstein.

Print- und Online-Quellen sowie Auskünfte der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und Materialien des Staatsarchivs Hamburg ermöglichen heute die konkrete Nachzeichnung des Lebenswegs Edmund Paul Ringerts. So ist zu erfahren, dass er als Sohn Eduard Ringerts und Julianna Ringerts, geb. Hennig, in einer katholischen Familie aufwuchs, zu der außer ihm noch sieben Geschwister gehörten. Edmund machte den Volksschulabschluss, trat aber keine Lehre an, sondern arbeitete stattdessen einige Zeit bei der Bahn. Während des Ersten Weltkrieges kämpfte er – zuletzt im Rang eines Grenadiers – an der Front und geriet so 1918 in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Auf die Freilassung 1920 folgte zunächst eine Tätigkeit im Ruhrbergbau.

Zum Zeitpunkt seiner Einstellung als Unter-Wachtmeister bei der Hamburger Ordnungspolizei am 26. Mai 1922 gab Edmund Ringert als Zivilberuf "Arbeiter" an. Das United States Holocaust Memorial Museum verbucht den konkreten Beruf eines Fräsers. Edmund Ringert wohnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Poolstraße, sondern zur Untermiete bei den Matthiesens in der Bornstraße 7 (HH-Rotherbaum). Dies geht aus einer beim Staatsarchiv Hamburg verwahrten Personalkarteikarte hervor, die die Polizeibehörde als sein zeitweiliger Arbeitgeber 1922 über ihn anlegte. Am 30. Juni 1928 schied Ringert jedoch aus dem Polizeidienst wieder aus. Nach diesem beruflichen Rückschlag verdingte er sich zunächst als Gelegenheitsarbeiter. Ein Jahrzehnt später folgte eine Tätigkeit als dienstverpflichteter Werksschutzleiter bei der Mecklenburgischen Metallwarenfabrik m. b. H., kurz: "Memefa".

1938 kam Edmund Ringert seiner gleichgeschlechtlichen sexuellen Orientierung wegen mit dem Gesetz in Konflikt. Zwischen dem 18. und dem 24. November 1938 war er daher für eine Woche im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert. Gemäß § 175 RStGB verurteilte ihn das Amtsgericht Hamburg am 15. Dezember 1938 wegen "fortgesetzten Vergehens" zu einer zehnmonatigen Gefängnisstrafe. Nach deren Verbüßung beorderte die zuständige staatliche Stelle Ringert im Oktober 1939 zwangsweise zum Arbeitseinsatz nach Waren an der Müritz.

Im zweiten Band der Dokumentation "Stolpersteine in der Hamburger Neustadt und Altstadt – Biographische Spurensuche" von Susanne Rosendahl wird u. a. die rechtliche Situation homosexueller Männer umfassend erläutert: Demnach standen in Deutschland von 1871 bis 1994 sexuelle Handlungen zwischen Männern gemäß § 175 des Strafgesetzbuches unter Strafe. Ab 1935 reichte unter Umständen schon ein "begehrlicher Blick" oder eine Körperberührung für die Verurteilung. Häufig wurde zunächst aus dem sozialen Umfeld eines Mannes heraus denunziert, bevor die Geheime Staatspolizei oder die Kriminalpolizei konkret ermittelte. Während der NS-Zeit wurden so etwa 54.000 Männer nach § 175 oder § 175 a RStGB zu Gefängnis- oder Zuchthausstrafen verurteilt – und ein Teil sodann zudem in "Heil- und Pflegeanstalten" eingewiesen. Dies ging regelmäßig mit der Zerstörung der sozialen Existenz einher. Insbesondere im Wiederholungsfalle drohte sogar die erzwungene Einwilligung in eine Kastration oder die Einweisungen in "Konzentrationslager" sowie in nur anders benannte Misshandlungs- und Tötungsanstalten. Von staatlichen Stellen als "auszumerzende Gewohnheitsverbrecher" verunglimpft, wählten viele Beschuldigte noch während der gegen sie laufenden Verfahren den Freitod.

Ein Abschnitt der auf den Ergebnissen der Arbeit der Initiative "Gemeinsam gegen das Vergessen – Stolpersteine für homosexuelle NS-Opfer" basierenden Publikation "Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919–1969" von Bernhard Rosenkranz, Ulf Bollmann und Gottfried Lorenz widmet sich der Mecklenburgischen Metallwarenfabrik m. b. H., kurz: "Memefa" in Waren, einem Rüstungsbetrieb der Industriellenfamilie Quandt. Dieser moderne NS-Musterbetrieb produzierte während des NS-Regimes Halbzeuge (vorgefertigtes Rohmaterial) und Fertigteile aus Aluminium für die Flugzeugindustrie. Die Memefa setzte dazu Ostarbeiter, Kriegsgefangene und – vom NS-Regime als "Pflichtarbeiter" titulierte – Zwangsarbeiter unter zum Teil menschenunwürdigen Bedingungen als Beschäftigte ein.

Exemplarisch stellen Rosenkranz u. a. den Betrieb wie auch das Schicksal Edmund Ringerts aus Hamburg als eines der vielen in Waren ausgebeuteten Arbeiter vor. Neben ihm wurden zahlreiche andere – oft nach § 175 RStGB verurteilte – Männer vom Arbeitsamt an die Memefa vermittelt. 1939 führte die nationalsozialistische Reichsregierung eine allgemeine Arbeitspflicht ein. Etwa von nun an nutzte auch das Reichsluftfahrtministerium die Memefa als Rüstungsbetrieb für die Luftwaffe sowie für die Kriegsmarine: Das Unternehmen lieferte Segmente für den U-Bootsbau, Zünder für Geschosse sowie Steuerungsaggregate für Bomben.

Nach einer – später falsifizierten – Denunziation durch einen Strichjungen geriet der Junggeselle Edmund Ringert nun erneut in Bedrängnis: Rosenkranz u. a. berichten, der Strichjunge Paul Kühnapfel habe nach Durchsicht einer Täterkartei der Hamburger Kriminalpolizei gegenüber behauptet, er sei von diesem "unsittlich" angefasst worden. Daraufhin wurde der Tatverdächtige am 9. Oktober 1940 um 9 Uhr früh in Waren ein zweites Mal verhaftet. Wie der dortige Oberleutnant der Schutzpolizei Kuhr in einem Schreiben an den Oberstaatsanwalt beim Landgericht Hamburg am 10. Oktober mitteilte, brachte man den Häftling Ringert daraufhin am folgenden Tage um 7:40 Uhr zu einem Sammeltransportwagen nach Ludwigslust. Mit diesem gelangte er in die Untersuchungshaftanstalt Hamburg-Stadt, also wohl zum Holstenglacis 3.

Den hiesigen Ermittlungsbeamten gegenüber gab Ringert zu, mit dem Strichjungen "Unzucht getrieben" zu haben. Hierfür bestrafte ihn das Amtsgericht Hamburg am 10. Januar 1941 wiederum nach § 175 RStGB mit einem Jahr Gefängnis. In der Urteilsbegründung hieß es damals: "Der Angeklagte ist innerhalb eines Jahres wieder rückfällig geworden. Es muss ihn nun eine empfindliche Freiheitsstrafe treffen."

Rosenkranz u. a. zufolge wurde Ringert am 9. Oktober 1941, also bereits nach zehn Monaten, aus der Untersuchungshaftanstalt Hamburg-Stadt entlassen und der Polizeibehörde Schwerin überstellt, die ihn "zur Sicherheitsverwahrung" im Oktober oder November 1941 in das KZ Neuengamme einwies.

Interne Dokumente des KZ verzeichneten Edmund Ringert dort als "Berufsverbrecher" (BV) mit der KZ-Häftlingsnummer 06503. Hermann Kaienburgs Studie "Das Konzentrationslager Neuengamme 1938–1945" ist u. a. zu entnehmen, dass die Tage im KZ während der Sommermonate bereits um 4:30 Uhr mit dem Wecken begannen. Arbeitsbeginn war um 6:00 Uhr, Abendappell um 19:00 Uhr, Nachtruhe ab 21:30 Uhr. Im Winter wurde erst um 5:00 Uhr geweckt und die Häftlinge arbeiteten bis zum Einbruch der Dunkelheit. Nachtruhe galt nun schon um 21:00 Uhr. An Sonntagen wurde bis 13 Uhr gearbeitet. Kaienburg zufolge führte die SS 1942 im Lager öffentliche Erhängungen als Strafe ein. Auch wurde im gleichen Jahr ein eigenes Krematorium in Betrieb genommen. Mehr als die Hälfte der ca. 100.000 Häftlinge des KZ Neuengamme überlebten die nationalsozialistische Verfolgung nicht.

1942 gab es im KZ Neuengamme rund 5000 Häftlinge. Hermann Kaienburg weist darauf hin, die Versorgung der KZ-Insassen habe dort Schwankungen unterlegen. So seien die Nahrungsmittelrationen etwa im April 1942 von der KZ-Leitung verringert worden. Im Herbst des gleichen Jahres klagte daraufhin die Leitung des Klinkerwerkes wiederholt über die schlechte körperliche Verfassung der inhaftierten Arbeitskräfte. Die Erbringung früher üblicher Leistungen erschien damit unmöglich. Nach einer erneuten Herabsetzung im Winter 1942/43 starben monatlich mehr als zehn Prozent der Lagerinsassen.

Aus Laboruntersuchungsbüchern des KZ Neuengamme geht hervor, dass Edmund Paul Ringert während seiner Gefangenschaft wiederholt gesundheitlich beeinträchtigt war und sich daher mehrfach im Krankenrevier aufhielt: Am 20. Februar 1942 wurde eine Untersuchung seines Urins durchgeführt, am 22. August 1942 – einen Tag vor seinem Tode – untersuchte das hauseigene Labor schließlich das Sputum (den Speichel) des Häftlings auf Tuberkulose. Der Befund: "Tbc: ø".

Seinen letzten Wohnort Am Seeufer 11 in Waren sah Edmund Ringert nie wieder. Am 23. August 1942 um 10 Uhr morgens wurde er ermordet. Im Krankenrevier-Totenbuch Stammlager II des Konzentrationslagers (mit Nachweisen der Toten vom 1. Mai bis zum 16. Dezember 1942) wie auch im faktisch gleichlautenden Register des von der SS in Neuengamme eingerichteten "Sonderstandesamtes A" ist als Todesursache "Cardiale Insuffizienz" – also akutes Herzversagen – vermerkt. Nach Auskunft überlebender Häftlinge dienten solche Angaben jedoch der systematischen Verschleierung gänzlich anderer Gründe. Tatsächliche Todesursachen waren demnach regelmäßig Hunger, Misshandlungen sowie tödliche Erschöpfung durch die schwere Zwangsarbeit – oder verhängte Todesstrafen. Als Todesort Ringerts benennt die Website der KZ-Gedenkstätte Neuengamme das "Hauptlager KZ Neuengamme". Die Sterbeurkunde, eingesehen über Arolsen Archives online, konkretisiert dies mit dem Adress-Zusatz "Hausdeich 60".

Nach dem Ende des "Dritten Reiches" hatte der unmenschliche § 175 StGB nicht nur in den westlichen Besatzungszonen, sondern auch im Gebiet der Bundesrepublik weiterhin Bestand. Allein zwischen 1949 und 1969 wurde gegen rund 100.000 homosexuelle Männer ermittelt. In etwa der Hälfte der Fälle kam es zu Verurteilungen. Den Paragrafen 175 StGB bestätigte indes das Bundesverfassungsgericht noch 1957. Erst ab 1969 blieben sexuelle Handlungen zwischen volljährigen (zunächst also mindestens 21 Jahre alten) Männern in Westdeutschland straffrei. Weibliche Homosexualität wurde nicht verfolgt, konnte sich bei Vorliegen anderer Beschuldigungen vor Gericht jedoch weiterhin strafverschärfend auswirken.

Dem Feuerbestattungsregister des Friedhofs Hamburg-Ohlsdorf ist zu entnehmen, dass der Körper Edmund Ringerts hier erst am 15. Oktober 1942, also fast zwei Monate nach seinem Tod, eingeäschert wurde. "Zur Deckung der Bestattungskosten" hatte man Ringerts sterbliche Überreste bereits am Tage nach seinem Tode (also am 24. August 1942) zunächst in das Anatomische Institut des Universitäts-Krankenhauses Eppendorf überführt. Mithäftlinge bestätigten seinerzeit die Abholung der Leiche des mit nur 43 Jahren verstorbenen Gefangenen. Wie fast 500 weitere Tote aus dem KZ Neuengamme wurde er im Rahmen des Unterrichts angehender Mediziner im UKE seziert.

Zur Beisetzung der Urne kam es am oder kurz nach dem 15. Oktober 1942. Die Lage des Grabes trug zunächst die Bezeichnung Bl.71 Rh.53 No.29. Sechzehn Jahre später, am 6. Oktober 1958, bettete man die Urne auf ein Krieger-Ehrenfeld des Ohlsdorfer Friedhofes um. Edmund Paul Ringerts Grab trägt dort seither die Bezeichnung Bp.74 Rh.46 No.05.

Stand: August 2021
© Lars Güthling, Hamburg

Quellen: Kaienburg, Hermann: "Das Konzentrationslager Neuengamme 1938–1945", Bonn 1997; Rosendahl, Susanne: "Stolpersteine in der Hamburger Neustadt und Altstadt – Biographische Spurensuche." (Bd. 2), Hamburg 2018; Rosenkranz, Bernhard/ Bollmann, Ulf/ Lorenz, Gottfried: "Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919–1969" (basierend auf den Ergebnissen der Arbeit der Initiative "Gemeinsam gegen das Vergessen – Stolpersteine für homosexuelle NS-Opfer"), Hamburg 2009; "Hamburger Adressbücher" 1930 – 1940; https://www.ushmm.org/online/hsv/person_view.php?PersonId=3764519 (United States Holocaust Memorial Museum; online eingesehen: 28.8.2021); Materialien (Laboruntersuchungsbücher, Krankenrevier-Totenbuch Stammlager II, Register des "Sonderstandesamtes A", Feuerbestattungsregister des Friedhofs Hamburg-Ohlsdorf u. a.) sowie schriftliche Auskünfte der KZ-Gedenkstätte Neuengamme (2019); https://www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de/geschichte/totenbuch/die-toten-1940-1945/?tx_ registerofdeaths_registerofdeaths%5Bcontroller%5D=Person&tx_registerofdeaths_registerofdeaths%5Bperson%5D =15931&cHash=efac88c9a192646a43e0c18b62910a4b; Website der KZ-Gedenkstätte Neuengamme https://www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de; online eingesehen: 28.8.2021; Website Arolsen Archives (Sterbeurkunde Edmund P. Ringerts), https://collections.arolsen-archives.org/G/SIMS/01013002/0033/ 104179197/001.jpg, online eingesehen 2019; StaH, 331-1_II_634 (Personalkarteikarte mit Porträtfoto u. a.) sowie telefonische und schriftliche Auskünfte des Staatsarchivs Hamburg (2019).

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