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Bereits verlegte Stolpersteine



Isidor Nemann * 1866

Großneumarkt 37 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
DR. ISIDOR NEMANN
JG. 1866
GEDEMÜTIGT/ENTRECHTET
TOT 5.11.1942

Weitere Stolpersteine in Großneumarkt 37:
Felix Nemann, Lea Nemann

Felix Nemann, geb. am 10.4.1865 in Rackwitz, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, weiter deportiert am 21.9.1942 nach Treblinka
Dr. Isidor Nemann, geb. am 23.3.1866 in Rackwitz, gestorben am 5.11.1942 in Hamburg
Lea Nemann, geb. am 15.5.1868 in Rackwitz, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, dort gestorben am 18.10.1942

Großneumarkt 37 (vor der Pelikan-Apotheke)

Isidor Nemann war als zweites Kind des jüdischen Ehepaares Moritz Nemann (geb. 14.9.1836 in Reisen) und Betty, geb. Friedländer (geb. 29.4.1837 in Jutroschin), in Rackwitz in Posen geboren worden. Sein älterer Bruder Felix war ein Jahr zuvor am 10. April 1865 zur Welt gekommen, die Geschwister Lea am 15. Mai 1868 und Max am 2. November 1871. Der Jüngste, Simon, wurde am 22. November 1873 in Berlin geboren. Laut seinem Eintrag ins Geburtenregister lebten die Eltern zu dieser Zeit im brandenburgischen Wittstock, Kreis Ostprignitz. Geheiratet hatten sie am 19. Oktober 1864 zu Wollstein in Posen.

Der Vater Moritz Nemann ließ sich 1880 als Wein- und Teehändler in Hamburg nieder. Zunächst betrieb er in der Nähe der Brooksbrücke "Auf dem Sande 19" sein Geschäft, dann in der Neustädter Fuhlentwiete 44. Eine Wohnung bezog die Familie im Stadtteil St. Pauli in der Marktstraße 104.

Als Moritz Nemann im Dezember 1888 ein "Gesuch um Aufnahme in den Hamburgischen Staatsverband" stellte, lebten seine ältesten Söhne Felix und Isidor noch in Berlin. Dem Antrag wurde stattgegeben. Familie Nemann wohnte seit 1901 in der Bundesstraße 31. Moritz Nemann starb am 20. Januar 1902, seine Frau Betty vierzehn Jahre später am 24. Juni 1926. Die Geschwister behielten die Wohnung bei.

Die Eltern hatten Isidor Nemann den Besuch einer Universität ermöglicht. Er studierte Medizin und erlangte seine Approbation in Alter von 25 Jahren im März 1890 in Kiel. Seine Dissertation schrieb er zum Thema "Über einen Fall von Circulärem Irrsein im Verlaufe einer Zwangsvorstellungspsychose". Drei Jahre später, im April 1894, ließ er sich als praktischer Arzt sowie als Facharzt für Hautkrankheiten am Großneumarkt 37 im Haus der heute noch existierenden Pelikan-Apotheke nieder. Da Isidor Nemann wie seine Geschwister unverheiratet blieb, wohnte er auch in der Praxis. Wie eine Zeitzeugin sich erinnerte, konnte Isidor Nemann sehr gut mit Kindern umgehen, zeigte viel Verständnis, wenn sie ihn als kleine -Patientin mit ihrer Mutter konsultierte. Am 7. April 1933 wurde ihm mit dem "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" als "Nichtarier" die Kassenzulassung entzogen. Er konnte aber seine Praxis am Großneumarkt für Privatpatienten fortführen, bis ihm, wie allen "nichtarischen" Ärzten, mit der "Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz" am 30. September 1938, nach 42-jähriger Tätigkeit, die Approbation entzogen wurde. Mit der erzwungenen Aufgabe der Praxis verlor er auch die Wohnung. (Die Praxis übernahm Dr. C. Böttler.)

Isidor Nemann zog zur Untermiete in die Isestraße 54 und erhielt von der "Ärzte-Vereinigung" eine Rente von 95 Reichsmark (RM). Wie viele seiner Kollegen, die sich entschlossen, Deutschland zu verlassen, traf auch Isidor Nemann Auswanderungsvorbereitungen. Vielleicht aufgrund seines hohen Alters blieb er jedoch in Hamburg. Nach Sondersteuern wie der "Reichsfluchtsteuer" und der "Judenvermögensabgabe" erlegte der Oberfinanzpräsident in Hamburg ihm eine "Sicherungsanordnung" auf. Isidor Nemann konnte über sein Konto bei der Dresdner Bank nicht mehr frei verfügen, lediglich ein monatlicher Betrag von 300 RM blieb für die Lebenshaltungskosten. Isidor Nemann unterstützte dennoch seinen mittellosen Bruder Felix, der früher als Kaufmann im Eisen- und Metallwarenhandel tätig gewesen war. Auch für seine Schwester Lea, seit 1935 in einem Pflegeheim in Elmshorn in der Kaltenweide 217 untergebracht, zahlte er den Unterhalt. Der jüngste Bruder Simon, ein kaufmännischer Angestellter, war am 15. November 1931 verstorben.

Nach einem Sturz auf der Treppe, oder vielleicht auch, weil seine Vermieterin Else Rosenkranz aus der Isestraße (s. Stolpersteine in der Hamburger Isestraße) ihren Deportationsbefehl für den 25. Oktober 1941 ins Getto "Litzmannstadt" nach Lodz erhalten hatte, zog Isidor Nemann in das jüdische Altersheim in die Schäferkampsallee 29, wo er am 5. November 1942, 76-jährig, starb. Als Todesursache wurde die ältere Bezeichnung "Paralysis agitans" für die Parkinson-Krankheit angegeben.

Isidor Nemann hatte bereits im August 1940 testamentarische Bestimmungen für die weitere Versorgung seiner Geschwister getroffen und wählte den "Gemeindesyndikus" der Deutsch-Israelitischen Gemeinde, Nathan Max Nathan, zu seinem Testamentsvollstrecker. Im Falle seines Todes verfügte er u. a., ohne vorherige Sektion und ohne Feierlichkeiten bestattet zu werden, was auf einen geplanten Suizid hindeuten könnte.

Weiter wünschte er, in einem von drei freien Reihengräbern auf dem Jüdischen Friedhof beerdigt zu werden, "damit wir Geschwister nebeneinander unsere letzte Ruhestätte finden".

Isidor Nemanns letzter Wunsch wurde nicht erfüllt.

Er hatte noch die Deportationen seiner Geschwister miterleben müssen. Der ältere, Felix, kam am 15. Juli 1942 aus der Rothenbaumchaussee 217 ins "Altersgetto" nach Theresienstadt. Schwester Lea wurde mit dem nächsten Transport am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Ihr Name stand auf der Nachtragsliste für diese Deportation. Felix Nemann wurde am 21. September 1942 im Vernichtungslager Treblinka ermordet. Lea Nemann starb nach der Todesfallanzeige des Gettos Theresienstadt im selben Jahr am 18. Oktober an "Altersschwäche", ihre letzte Adresse wurde mit "Hamburg Schlachterstraße 46" angegeben.

Isidor Nemann fand seine letzte Ruhestätte auf dem Jüdischen Friedhof an der Ilandkoppel in Ohlsdorf, wie er es in seinem Testament bestimmt hatte. Die Grabstellen für seine Geschwister blieben ungenutzt. Ihre Stolpersteine wurden nebeneinander vor dem Haus am Großneumarkt 37 verlegt, als symbolisches Zeichen.

Nathan Max Nathan (geb. 1879) konnte seine Aufgabe als Testamentsvollstrecker nicht mehr wahrnehmen: Zusammen mit seiner Ehefrau Dora, geb. Rieger (geb. 1881), wurde er bereits am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert, beide wurden 1944 in Auschwitz ermordet (Stolpersteine in der Werderstraße 16, s. Stolpersteine in Hamburg-Eimsbüttel).


Stand: August 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: 1; 3; 4; 8; 9; StaH 351-11 AfW 1086 (Nemann, Isidor); StaH 314-15 OFP, R 1940/277; StaH 314-15 OFP, R 1939/2510; StaH 332-7 B III 87940/1906; StaH 332-5 Standesämter 7952 u 165/1902; StaH 332-5 Standesämter 8085 u 237/1926; StaH 332-5 Standesämter 9855 u 2241/1931; StaH 332-5 Standesämter 8179 u 523/1942; StaH 352-13 Karteikarten jüdischer Ärzte 15; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 4; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 5; StaH 332-7 B_III 31627; Nationalarchiv in Prag/Theresienstädter Initiative, Jüdische Matriken, Todesfallanzeigen Theresienstadt (Lea Nemann); Villiez: verdrängt, S. 369; Hamburger Adressbuch 1915; www.ancestry.de (Geburtenregister Simon Nemann am 22.11.1873 Berlin (Zugriff 30.7.2017).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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