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Bereits verlegte Stolpersteine



Mary Liebreich * 1882

Grindelhof 83 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
MARY LIEBREICH
JG. 1882
DEPORTIERT 1941
ERMORDET IN
RIGA

Weitere Stolpersteine in Grindelhof 83:
Leopold Bielefeld, Erna Brociner, Valentina Brociner, Kurt Ehrenberg, Heinrich Kempler, Rosa Kempler, Herbert Lesheim, Bert(h)a Lesheim, Ruth Lesheim, Marion Lesheim, Tana Lesheim, Hugo Moses, Bertha Nürenberg

Mary Liebreich, geb. am 26.3.1882 in Hamburg, deportiert am 6.12.1941 nach Riga

Grindelhof 83

Die in Hamburg geborene 35-jährige Witwe Julie Gumpel, geborene Beer (1845–1907), Tochter des Hamburger Schlachters Beer Mendel Beer (1812–1893) und Bert(h)a Beer, geb. Marcus (1826–1908), heiratete 1880 den aus Bayern stammenden Schlachter und Geflügelhändler Schmay, genannt "Siegfried", Liebreich (1855–1930). Beide wohnten schon vor 1880 in der Peterstraße (Neustadt) in den Nachbarhäusern Nr. 5 und 7. Auch die Trauzeugen, Kaufmann Hirsch Mendel Beer (1822–1888) aus der Peterstraße 18 und Buchbinder Abraham Jacobsohn (1804–1883) aus der Peterstraße 7, wohnten hier und waren Mitglieder der Jüdischen Gemeinde. 1882 wurde die Tochter Mary in der Peterstraße 7 und 1884 der Sohn Ely in der Peterstraße 5 geboren. Zwischen 1891 und 1902 wechselten die Wohn- und Geschäftsadressen von Familie Liebreich in der Hamburger Neustadt im Schnitt alle zwei Jahre, von 1903 bis 1908 lautete die Adresse Wexstraße 21. Aus Julies erster Ehe (1865) mit dem Schlachter Gottschalk Abraham Gumpel (1838–1879) stammten die Kinder Jette (1866–1866), Adolf (1867–1937), Olga (1868–1941), Rosa (1870–1943), Betty (1871–1942) und Siegfried (1873–1942). Julie Liebreich starb im April 1907 in der Wohnung Grindelhof 69 und wurde auf dem Jüdischen Friedhof Hamburg-Ohlsdorf beigesetzt.

Die unverheiratete Mary Liebreich zog ein Jahr nach dem Tod ihrer Mutter zusammen mit ihrem Vater in den Grindelhof 83 Haus 10. Im Hamburger Adressbuch lautete der Eintrag "Siegfried Liebreich, Schiffskoch, Grindelhof 83 Hs. 10". Grindelhof 81–83, im Hamburger Adressbuch auch als "Grindelhof-Allee" bezeichnet, war ein Wohnkomplex für Arbeiter, den der Architekt A. Heidtmann 1892/93 entworfen hatte.

Nach dem Tod ihres Vaters Siegfried Liebreich (1930), wie seine Ehefrau auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf beerdigt, tauchte Mary ab 1931 im Adressbuch als Hauptmieterin der Wohnung auf. Von 1934 an führte die Deutsch-Israelitische Gemeinde Hamburg sie als eigenständiges Mitglied. Auf ihrer Karteikarte stand als Berufsangabe "Nähstubenleiterin", für die Jahre 1935 und 1936 wurde jedoch "erwerbslos" eingetragen und kein Beitrag erhoben. Ab 1940 bezog sie eine monatliche Rente von 38,80 Reichsmark, im Januar 1941 erhielt sie zusätzlich Wohlfahrtsunterstützung der Jüdischen Gemeinde (ab 30. November 1939 musste der Jüdische Religionsverband allein für die Wohlfahrtspflege seiner Mitglieder aufkommen).

Von 1934 bis 1941 wurde sie mit der Adresse Bornstraße 22 (Rotherbaum) geführt, dort befand sich das Louis-Levy-Stift, das bedürftigen Jüdinnen und Juden günstigen Wohnraum bot. Die Nationalsozialisten bezogen das Stiftshaus als "Judenhaus" in die Vorbereitung der Deportation ein. Ihr Bruder Ely gab 1958 im (abgelehnten) Entschädigungsverfahren an, Mary sei als Schneiderin tätig gewesen und habe daher auch zuhause eine Nähmaschine besessen. Ferner hätten sich in ihrer Wohnung Bornstraße 22 Einrichtungsgegenstände befunden, die der NS-Staat im Dezember 1941 beschlagnahmt habe, darunter ein Mahagoni-Sekretär, ein Mahagoni-Vertiko, eine Kredenz, Sofa, Sessel, Stühle, zwei Kleiderschränke, ein Bett mit doppelten Federbetten, die Küchenausstattung sowie die Nähmaschine. Es ist anzunehmen, dass diese Wohnungseinrichtung im April 1942 versteigert und der Erlös von 167,30 RM an die Oberfinanzkasse Hamburg überwiesen wurde.

Mary Liebreich wurde am 6. Dezember 1941 von Hamburg in das Außenlager Jungfernhof (Jumpravmuiža) des Gettos Riga deportiert. Es lag 6 Kilometer von Riga entfernt und bestand aus einem heruntergekommenen Gutshaus mit ungeheizten Baracken, Holzscheunen und Viehställen. Unterernährung, Kälte und die katastrophalen sanitären Bedingungen führten zu einer gewollt hohen Sterblichkeitsrate. Am 26. März 1942 wurden 1700 bis 1800 deutsche Jüdinnen und Juden des Außenlagers im nahegelegenen Wald erschossen ("Aktion Dünamünde"). Ob sich unter den Opfern dieser Aktion auch Mary Liebreich befand, ist ebenso unbekannt wie ihr Todesdatum. 1944 wurde das Lager Jungfernhof von der SS aufgegeben.


Wie erging es Mary Liebreichs Geschwistern?
Mary Liebreichs Bruder Siegfried Gumpel (geboren 27. Februar 1873 in Hamburg) tauchte bereits 1901 erstmalig im Hamburger Adressbuch unter "S. Liebreich jr, Kfm., Niedernstraße 99" auf, obwohl er erst 1904 offiziell den Namen seines Stiefvaters annahm. Er heiratete Mathilde Bähr, mit der er eine Tochter hatte (Maria Leiser, geborene Liebreich, 1897–1941). Die Familie wohnte von 1902 bis 1909 auf St. Pauliin der Wilhelminenstraße 74 und ab 1910 in der Wilhelminenstraße 24 (später umbenannt in Hein-Hoyer-Straße). Für den Zeitraum 1910 bis 1920 war er als Fotograf vermerkt, zuvor lautete seine Berufsangabe Kaufmann, danach Vertreter. Siegfried Liebreich wurde im Rahmen der "Juni-Aktion" vom 16. bis 24. Juni 1938 im Konzentrationslager Fuhlsbüttel in "Schutzhaft" genommen und danach ins Konzentrationslager Sachsenhausen überstellt, vermutlich wegen eines Bagatelldelikts. Am 19. September 1938 wurde er entlassen.

Am 15. Juli 1942 wurde Siegfried Liebreich gemeinsam mit seinen Schwestern Rosa Stern, geborene Gumpel, und Betty Worms, geborene Gumpel, ins Getto Theresienstadt deportiert. Alle drei starben dort: Siegfried am 10. November 1942, Betty am 1. Dezember 1942 und Rosa am 9. Januar 1943.

Marys Bruder Ely Liebreich (1884–1958) heiratete 1914 in der Hansestadt die nichtjüdische Hamburgerin Any Henriette Martha Tauschwitz (1893–1963), die Eheleute hatten zwei Kinder: Lieselotte (1914–2003) und Leopold (1919–1965). Ely Liebreich hatte die Talmud Tora Realschule (1890–1898) besucht, als Kontorist gearbeitet, war 1915 zum Kriegsdienst eingezogen und seit 1929 als eigenständiges Mitglied der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg geführt worden.

Im Hamburger Adressbuch war er unter anderem von 1920 bis 1926 als Handlungsgehilfe mit der Wohnadresse Rosenallee 30 (Klosterthor) eingetragen; 1927 bis 1930 lautete die Berufsangabe Abteilungsleiter bei unveränderter Adresse. Im Zeitraum 1927 bis 1931 war er Kirchensteuerangestellter beim Finanzamt in der Baumeisterstraße (St. Georg). Es folgten Umzüge zur Straßburger Straße 41/Dulsberg (1930–1932), Kroogblöcke 26/Horn (1933–1935) und Klosterallee 100/Hoheluft-Ost (1937–1941). 1936 fand er eine Anstellung als Buchhalter bei der Vieh-Großhandelsfirma Fritz Neuhaus bzw. Neuhaus & Albers (Rahlstedt), die Stallungen und Verkaufsräume in Mollhagen (Kreis Stormarn) hatten.

Auch Ely Liebreich fand Anfang der 1940er Jahre abseits der Hansestadt im Dorf Mollhagenbei Ahrensburg eine Unterkunft. Noch am 14. Februar 1945 wurde Ely Liebreich ins Getto Theresienstadt überstellt, obwohl er nach NS-Kriterien in einer "privilegierten Mischehe" lebte. Doch zu diesem Zeitpunkt galt der Schutz einer solchen nicht mehr. Er überlebte das Getto, kehrte am 30. Juni 1945 nach Hamburg zurück und starb dort im November 1958.

Der Sohn Leopold"Poldi" Liebreichwar als Koch tätig, zeitweilig auch in Erfurt, wo er sich mit Elfriede Bechmann verlobte. Die Gestapo Erfurt verbot ihm den weiteren Kontakt zu seiner "arischen" Verlobten, woraufhin er nach Hamburg zurückkehrte. Im September 1943 wurde der gemeinsame Sohn Peter geboren und Leopold Liebreich fuhr nach Erfurt.

Aufgrund einer anonymen Anzeige erfuhr die Gestapo Erfurt davon und ließ ihn in Hamburg verhaften. Erfolglos versuchte die Leiterin des Hamburger Restaurants "Imperator" (Mönckebergstraße 18), wo Leopold Liebreich seit April 1943 tätig war, seine Freilassung zu erwirken. Er wurde am 2. November 1943 in das Gefängnis Fuhlsbüttel gebracht, von dort am 25. Januar 1944 in das Konzentrationslager Auschwitz und am 13. Oktober 1944 in das Konzentrationslager Buchenwald überstellt. Leopold Liebreich wurde in Buchenwald am 11. April 1945 von Einheiten der US-Armee befreit. Am 26. Mai 1945 kehrte er nach Hamburg zurück und nahm im Laufe des Jahres 1945 seine Tätigkeit im Restaurant "Imperator" wieder auf.

Für Siegfried Liebreich wurde in der Hein-Hoyer-Straße 24 (St. Pauli) ein Stolperstein verlegt.

An Betty Worms, geborene Gumpel, erinnert ein Stolperstein in der Hein-Hoyer-Straße 63

und für Rosa Stern, geborene Gumpel, liegt ein Stolperstein in der Klosterallee 100 (Hoheluft-Ost).


Stand: März 2019
© Björn Eggert

Quellen: 1; 4; 5; Staatsarchiv Hamburg (StaH)213-13 (Landgericht Hamburg, Wiedergutmachung), 20826 (Mary Liebreich Erben); StaH332-3 (Zivilstandsaufsicht), A Nr. 149 (Geburtsregister 1487/1873, Siegfried Gumpel, ab 1904 Liebreich); StaH 332-5 (Standesämter), 69 u. 1563/1879 (Sterberegister 1879, Gottschalk Abraham Gumpel); StaH 332-5 (Standesämter), 2616 u. 1310/1880 (Heiratsregister 1880, Julie Gumpel geborene Beer u. Schmay Liebreich); StaH 332-5 (Standesämter),2027 u. 1673/1882 (Geburtsregister 1882, Mary Liebreich); StaH 332-5 (Standesämter), 142 u. 931/1883 (Sterberegister 1883, Abraham Jacobsohn); StaH 332-5 (Standesämter), 2078 u. 2288/1884 (Geburtsregister 1884, Ely Liebreich); StaH 332-5 (Standesämter), 247 u. 3230/1888 (Sterberegister 1888, Hirsch Mendel Beer); StaH 332-5 (Standesämter), 347 u. 1158/1893 (Sterberegister 1893, Beer Mendel Beer); StaH 332-5 (Standesämter),7988 u. 206/1907 (Sterberegister 1907, Julie Liebreich); StaH 332-5 (Standesämter), 7992 u. 360/1908 (Sterberegister 1908, Bertha Beer geb. Marcus); StaH 332-5 (Standesämter), 3243 u. 943/1914 (Heiratsregister 1914, Ely Liebreich u. Any Tauschwitz); StaH 332-5 (Standesämter), 8102 u. 300/1930 (Sterberegister 1930, Schmay Liebreich); StaH 332-7 (Staatsangehörigkeitsaufsicht), A III 21 Band 11 (Aufnahme-Register 1897–1905 L-Sa), Siegfried Liebreich (Nr. 74780/30.12.1903); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung) 15406 (Any Liebreich geborene Tauschwitz); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 7356 (Ely Liebreich); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 43265 (Leopold Liebreich); Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, Archiv, Häftlingsdatenbank (Siegfried Liebreich); Jüdischer Friedhof Hamburg-Ohlsdorf, Gräberdatenbank im Internet (Beer Mendel Beer, Grablage A12 Nr. 367; Berta Beer geb. Marcus, Grablage A12 Nr. 368); Adressbücher Hamburg 1885, 1890–1910, 1915–1918, 1920, 1925–1935, 1938, 1941; Frank Bajohr, "Arisierung" in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmen 1933–1945, Hamburg 1998, S. 267 (Siegfried Liebreich); Dieter Guderian, Die Hamburger Originale Tetje und Fietje, Lebensgeschichte der Gebrüder Wolf und ihrer Familie Isaac, Ochtendung 2006, S. 136–145 (Julie Beer und ihre Kinder, Foto von Ely Liebreich 1917); Uwe Lohalm, Fürsorge und Verfolgung. Öffentliche Wohlfahrtsverwaltung und nationalsozialistische Judenpolitik in Hamburg 1933 bis 1942, Hamburg 1998, S. 55; Beate Meyer (Hrsg.), Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933–1945, Hamburg 2006, S. 65–67 (Riga–Jungfernhof); Wilhelm Mosel, Wegweiser zu den ehemaligen jüdischen Stätten in Hamburg, Heft 3, Hamburg 1989, S. 113–114 (Bornstraße 22); Bernhard Press, Judenmord in Lettland 1941–1945, Berlin 1988, S. 114 (Jumpravmuiža); Ingo Wille, Transport in den Tod, Hamburg 2017, S. 320 (Betty Lippmann, Enkelin von Beer Mendel Beer); Jüdischer Friedhof Ohlsdorf, www.jfhh.org (Julie Liebreich,Grablage ZZ 10-10;Schmay Liebreich,Grablage ZY 10-62); www.myheritage.de (Beer Mendel Beer, eingesehen 19.2.2019); www.stolpersteine-hamburg.de (Siegfried Liebreich u. Betty Worms geborene Gumpel).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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