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Bereits verlegte Stolpersteine



Adolf Robertson * 1862

Lübecker Straße 13-15 (Hamburg-Nord, Hohenfelde)


HIER WOHNTE
ADOLF ROBERTSON
JG. 1862
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
14.7.1942

Weitere Stolpersteine in Lübecker Straße 13-15:
Marikita Lindenheim

Adolf Robertson, geb. am 20.5.1862 in Hamburg, Selbsttötung am 14.7.1942 in Hamburg

Lübecker Straße 13–15


Ottilie Robertson, geb. Liebmann, geb. am 2.9.1871 in Stuttgart, wohnhaft in Hamburg, Selbsttötung am 17.7.1942, gestorben am 22.7.1942 in Hamburg

Uhlenhorster Weg 46, Uhlenhorst

"Gegen 10 Uhr teilte mir der Sohn des Adolf Robertson mit, dass die Zimmertür seines Vaters verschlossen sei. Da der Verdacht des Selbstmords vorlag, ließen wir den Schlossermeister Kabel, wohnhaft Rappstraße 40, die Tür öffnen. Robertson lag leblos auf dem Fußboden. Ich benachrichtigte sofort die Polizei." So lautete der Aktenvermerk, den ein Kriminalassistent des "Bereitschaftsdienstes für unnatürliche Todesfälle" der Hamburger Polizei nach der Aussage Wilhelmine Annemarie Sorths anfertigte, der Verwalterin des Hauses in der Heinrich-Barth-Straße, in dem Adolf Robertson gewohnt hatte. Ebenfalls in der Akte findet sich die Aussage von Adolf Robertsons Sohn Hans: "Der Verstorbene ist mein Vater. Gestern war ich zuletzt bei ihm. Er war sehr aufgeregt, weil er Bescheid bekommen hatte, dass er heute um elf Uhr von Hamburg fort müsse. (...) Mein Vater sagte gestern, er wäre doch gerne bei seiner Frau auf dem Ohlsdorfer Friedhof beerdigt worden."

Während bereits die Hausverwalterin mit ihren wenigen emotionslosen Sätzen das Drama erahnen lässt, dass sich am 14. Juli 1942 abspielte, verraten die Worte des Sohnes die Verzweiflung hinter dem Geschehen. "Dass er heute um elf Uhr von Hamburg fort müsse" – dahinter verbirgt sich der Befehl zur Deportation, den der achtzigjährige Adolf Robertson am Tag zuvor erhalten hatte. Und er wusste genau, dass er nicht mehr lebend zurückkehren würde. Voll Trauer scheinen seine Worte, dass er doch gerne bei seiner Frau beerdigt worden wäre. Eugenie Robertson, geborene Liebmann, war zwei Jahre zuvor gestorben, am 25. Juni 1940. Da war sie 69 Jahre alt. Beide hatten noch im Jahr vorher ihre goldene Hochzeit feiern können.

Am 6. August 1889 hatten sie in Stuttgart geheiratet, dem Geburtsort Eugenie Robertsons. Sie war dort am 29. Juli 1868 zur Welt gekommen, ihre Eltern hießen Louis Liebmann und Jettchen, geborene Krailsheimer. Adolf Robertson dagegen kam aus Hamburg. Er war der Sohn des Kaufmanns Isaac Jonas Robertson aus Lemgo und dessen aus Aurich stammender Frau Johanne "Hannchen" Moses, geborene Ballin, und hatte noch zwei Brüder, Eduard und Julius. Nach der Hochzeit lebte Eugenie Robertson zusammen mit ihrem Mann in Hamburg. Dort brachte sie am 27. Juli 1890 einen Sohn zur Welt. Die Eltern nannten ihn Hans Siegfried, er blieb ihr einziges Kind.

Adolf Robertsons Vater Isaac betrieb bereits seit 1847 in der Neustadt ein "Taback- und Cigarrengeschäft en gross", ab etwa 1870 mit Sitz in der Neustädter Fuhlentwiete 85. Im selben Haus wohnte die Familie auch. Nach und nach vergrößerte Isaac Robertson sein Geschäft und handelte nicht nur mit Zigarren, sondern stellte sie in einer eigenen Fabrik auch aus importierten Tabakblättern her. 1882 gründete auch Adolf Robertson ein Unternehmen, eine "Agentur für Export". 1884 ließ er sie in das Hamburger Handelsregister eintragen. Zum 1.Mai 1885 verlegte Isaac Robertson sei-ne Firma in die Hohen Bleichen 16, wieder bezog die ganze Familie im selben Haus auch eine Wohnung.

Inzwischen war Eduard Robertson in das Unternehmen des Vaters eingestiegen. Etwa zur selben Zeit nahm Adolf Robertson zwei Kompagnons in seine Firma auf, den ehemaligen Zigarrenarbeiter Wilhelm Peters und den Kaufmann Hermann Spiegel. Unter dem Namen Adolf Robertson & Co. betrieben sie nun gemeinsam eine Zigarrenfabrik. Die Herstellung von Zigarren war im 19. Jahrhundert ein lukrativer Industriezweig, denn damals war das Zigarrerauchen in Europa sehr beliebt und weit verbreitet. Wilhelm Peters verließ 1889 die Firma Adolf Robertson & Co. wieder. Im selben Jahr übertrug Isaac Robertson die Leitung des von ihm gegründeten Betriebs seinen beiden Söhnen Eduard und Julius. 1892 trennte sich auch Hermann Spiegel wieder von Adolf Robertson. Fortan führte dieser das Unternehmen als alleiniger Inhaber. Isaac Robertson starb 1894, von nun an wohnten Adolfs Bruder Eduard und die Mutter Hannchen allein in der Wohnung in den Hohen Bleichen. Er selbst lebte mit seiner Familie erst im Graumannsweg und dann in der Langen Reihe, sein Bruder Julius hatte eine Wohnung in der Lohmühlenstraße gefunden.

Ab Anfang des 20. Jahrhunderts lösten Zigaretten die Zigarren zunehmend in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung ab. Das mag Adolf Robertson vorhergesehen haben, denn 1901 gab er seine Tätigkeit als Cigarrenfabrikant wieder auf und wandte sich endgültig dem kaufmännischen Bereich zu: Er spezialisierte sich als "Bank-Finanz-Assecuranz-Makler". Sein Büro hatte er in der Ferdinandstraße in der Innenstadt, mit seiner Familie wohnte er inzwischen in der Lübecker Straße 139. Eduard und Julius blieben in der Zigarrenbranche, allerdings trennten sich ihre beruflichen Wege bald darauf. Ebenfalls 1901 hatte Eduard in Leipzig die aus Bayern stammende Ida Engelmann geheiratet, der gemeinsame Sohn hieß Herbert. 1910 starb die Mutter, Hannchen Robertson, mit 84 Jahren. Sie hatte ihren Mann um 14 Jahre überlebt. Im selben Jahr machte Eduard Robertson seine Frau Ida zur Inhaberin seiner Zigarrenimportfirma.

Adolf Robertson versteuerte von 1913 bis 1917 nur ein geringes Einkommen, entsprechend gering war der Kultussteuerbetrag, den er an die Hamburger jüdische Gemeinde entrichtete. Doch ab 1918 stieg sein Jahresumsatz kontinuierlich. Nach und nach erarbeitete er sich ein Vermögen, dass er in in- und ausländischen Wertpapieren sowie in Grundbesitz anlegte. 1921 stieg sein Sohn Hans in seine Firma ein. Dieser hatte Kaufmann gelernt und danach selbstständig ein Exportgeschäft betrieben. Im selben Jahr entrichtete er erstmals Kultussteuer an die jüdische Gemeinde.

Seine Eltern hatten Adolf Robertson keinen hebräischen Vornamen gegeben, sondern einen, der bei seiner Geburt in Deutschland generell beliebt war – ein Hinweis darauf, dass Isaac und Hannchen Robertson ihre jüdische Religion nicht oder zumindest nicht orthodox gelebt hatten. Das galt auch für Adolf selbst – 1925 trat er sogar aus der Hamburger jüdischen Gemeinde aus. Diese führte ihn von da als "Dissidenten", weil er zu keiner anderen Religionsgemeinschaft wechselte.

Ebenfalls 1925 verließ sein Sohn die Gemeinde. Zwei Jahre später, am 19. Mai 1927 heiratete Hans Robertson die evangelische Hamburgerin Elisabeth Minna Magdalena Hintz. Beide bekamen im Jahr nach der Eheschließung, am 13. Juli 1928, einen Sohn, den sie Helmuth nannten.

Erst 1926 hatte auch Julius Robertson Hochzeit gefeiert. Seine Frau Ottilie, geborene Liebmann, kam aus Stuttgart und war die drei Jahre jüngere Schwester von Adolf Robertsons Frau Eugenie. Die beiden Brüder hatten also zwei Schwestern geheiratet. Die Hochzeit fand in Freiburg im Breisgau statt. Ottilie war zu der Zeit bereits 55 Jahre alt und bekam mit ihrem Mann keine Kinder mehr.

Die Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 hatte zunächst noch keine gravierenderen wirtschaftlichen Folgen für Adolf Robertson. Ab November 1938 wurde er jedoch gleich mehrfach Opfer der Ausplünderung der Jüdinnen und Juden durch das NS-Regime, was seine Existenz und die seiner Frau Eugenie fast ruinierte. Zunächst musste er eine "Reichsfluchtsteuer" bezahlen, die 25 Prozent seines Vermögens betraf. Außerdem erließ die Zollfahndungsstelle Hamburg am 1. November 1938 eine "Sicherungsanordnung" gegen ihn und seine Frau. Ab sofort durften sie über ihre Wertpapiere (Gesamtwert zu dem Zeitpunkt rund 14.000 Reichsmark), ihr Grundeigentum (elf Grundstücke in verschiedenen Hamburger Stadtteilen) und ihre Konten bei der Reichsbank sowie bei der Deutschen Bank nur noch mit Genehmigung der Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten Hamburg verfügen. Ohne Genehmigung waren für sie 3000 Reichsmark monatlich zugänglich. Damit mussten sie ihren Lebensunterhalt bestreiten, sowie zunächst noch die Gehälter der Angestellten und alle weiteren firmenbezogen Ausgaben wie Steuern und sonstige Abgaben. Für den Lebensunterhalt waren 600 Reichsmark festgelegt, die Geschäftsausgaben ohne Gehälter durften nicht mehr als 400 Reichsmark betragen. Als Gründe für diese Maßnahmen folgte die stereotype Formulierung der Zollfahndungsstelle: "Herr Robertson u. seine Frau sind Juden. Es bestehe Auswanderungsverdacht. Bei der in letzter Zeit immer mehr zunehmenden Abwanderung von Juden und den hierbei gemachten Erfahrungen ist es erforderlich das Vermögen zu sichern."

Ab Dezember 1938 wurden Adolf und Hans Robertson zudem gezwungen, gemäß der "Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens" ihr gemeinsames Unternehmen abzuwickeln. Damit beauftragten sie einen früheren Prokuristen. Dessen Honorar von 400 Reichsmark ging von dem 3000 Reichsmark betragenden Freibetrag ab. Die Liquidation war Ende 1939 abgeschlossen, Mitte 1940 wurde die Firma im Handelsregister gelöscht, 56 Jahre nach dem sie dort eingetragen worden war. Auch die Haus- und Hypothekenmaklerfirma D. M. Hennigsen, deren Inhaber er seit etwa 1910 ebenfalls gewesen war, liquidierte Adolf Robertson gezwungenermaßen.

Entsprechend der "Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens" musste er darüber hinaus seinen Grundbesitz veräußern. Von diesen Verkäufen profitierten gleich eine ganze Reihe nichtjüdischer Hamburgerinnen und Hamburger auf unterschiedliche Weise. So ging das Grundstück Lübecker Straße 35/37 zusammen mit dem dort befindlichen Wohnhaus an eine Helena Rebattu, geborene Berckemeyer, in Klein Flottbek. Sie war die Ehefrau des Notars Hermann Rebattu, dessen Kanzlei in der Bergstraße den Verkauf abwickelte. Für das Grundstück samt Haus erhielt Adolf Robertson 58.000 Reichsmark, davon abgezogen wurden rund 35.500 Reichsmark an Hypotheken. Helena Rebattu musste noch eine "Ausgleichsabgabe" von zunächst 10.000 Reichsmark, kurz darauf ermäßigt auf 7000 Reichsmark, auf ein Sonderkonto bei der Verwaltung für Handel, Schiffahrt und Gewerbe zugunsten des Deutschen Reichs zahlen, weil der Staat auf diese Weise auch von den "Arisierungsgewinnen" profitieren wollte. Von den verbliebenen 22.500 Reichsmark musste Adolf Robertson mit 14.500 Reichsmark ein Fünftel der von ihm zu bezahlenden "Judenvermögensabgabe" entrichten, eine weitere Zwangsmaßnahme zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz der deutschen Jüdinnen und Juden zugunsten des Deutschen Reiches. Damit waren noch 8000 Reichsmark übrig, von denen er Steuern und andere Abgaben im Zusammenhang mit dem Verkauf bezahlen musste – darunter eine erhöhte Bearbeitungsgebühr für die Genehmigung durch die "nächsthöhere Verwaltungsbehörde". Das war in Hamburg der Reichstatt-halter und NSDAP-Gauleiter Karl Kaufmann. Einzuzahlen war die Gebühr entweder auf ein Konto der Verwaltung für Handel, Schiffahrt und Gewerbe oder auf eines der Hamburgischen Grundstücksverwaltungsgesellschaft von 1938 mbH, die die Gauleitung Hamburg eigens zum Zweck der Enteignung jüdischer Immobilienbesitzerinnen und -besitzer gegründet hatte. Der geringe restliche Betrag, der Adolf Robertson noch blieb, ging auf sein gesperrtes Konto bei der Deutschen Bank.

Fast genauso verliefen die anderen Grundstücksverkäufe, die er von Januar 1939 bis April 1942 vornehmen musste. Die Liegenschaften Grindelallee 5 und Bundesstraße 4 etwa gingen an den Rechtsanwalt Friedrich Niebuhr, damals Neuer Wall 10. Dieser zahlte eine "Ausgleichsabgabe" von 13.500 Reichsmark auf ein Sonderkonto ebenfalls bei der Verwaltung für Handel, Schiffahrt und Gewerbe und Adolf Robertson musste von dem Verkaufserlös 11.700 Reichsmark "Judenvermögensabgabe" entrichten.

Bei allen Grundstückstransaktionen, die Adolf Robertson betrafen, betätigten sich als Makler unter anderem Jacob Volckerts, Jungfernstieg 8, und J. Christian Glück, Georgsplatz 1; die Beurkundungen nahmen verschiedene Hamburger Notare vor, darunter Gustav Otto Bartels, Gottfried Wäntig und der bereits erwähnte Hermann Rebattu.

Ihre Wertpapiere mussten Adolf und Eugenie Robertson zudem alle in ein Depot bei der Deutschen Bank geben. Sie durften sie zwar verkaufen, die Erlöse mussten sie jedoch auf ein Konto einzahlen, das sich ebenfalls bei der Deutschen Bank Hamburg befand und über das sie wieder nur mit Genehmigung der Devisenstelle verfügen konnten. Außerdem wurden sie gezwungen, bis zum 31. März 1939 ihre Juwelen, Edelmetalle und Kunstgegenstände bei staatlichen Ankaufstellen abzuliefern. Das hieß für Adolf Robertson, dass er unter anderem Silberstecke für 24 Personen, zwei große fünfarmige Leuchter, mehrere brillantenbesetzte Uhren und Krawattennadeln, Schmuck, Manschettenknöpfe sowie verschiedene Edelsteine in die damalige öffentlichen Leihanstalt am Bäckerbreitergang bringen musste.

Nachdem Adolf Robertson gezwungen gewesen war, das Grundstück an der Lübecker Straße 35/37 zu verkaufen, durften seine Frau Eugenie und er auch nicht mehr dort wohnen bleiben. Mittlerweile hatten sie über zwanzig Jahre in dem Haus gelebt. Nun zogen sie zur Untermiete zu einer Familie Mendel in die Hammer Landstraße 59.

Auch Hans Robertson und seine Familie mussten ihre Wohnung verlassen. Sie siedelten aus dem Hofweg in die Grindelallee über. Da Elisabeth Robertson nichtjüdisch war und das Ehepaar ein Kind hatte, lebten beide gemäß den Kategorien der Nationalsozialisten in einer "privilegierten" Mischehe. Damit war Hans Robertson vor der Deportation geschützt. Nach der Löschung der von ihm und seinem Vater gemeinsam betriebenen Firma musste er allerdings genau wie viele andere in Mischehe lebende Männer und Frauen Zwangsarbeit leisten. Willibald Schallert, der Leiter der "Sonderdienststelle J" des Hamburger Arbeitsamtes, wies ihn zunächst der Blankeneser Firma Joh. C. Meyer zu, für die er "Erdarbeiten" verrichten sollte. In Wirklichkeit handelte es sich um Müllbeseitigung, Siel- und Straßenreinigung. Anschließend musste er bei dem Harburger Kraftfutterhersteller Joh. Bischoff als Sackträger arbeiten und danach bei dem Schuhwarengroßhandel Ernst Jung am Großen Burstah als Packer und Verlader.

1938 starb Adolf Robertsons Bruder Julius. Lange Zeit hatten er und seine Frau Ottilie am Uhlenhorster Weg 46 gewohnt. Nun, als Witwe, zog Ottilie zu ihrer bereits seit vielen Jahren verwitweten Schwägerin Ida nach Lokstedt, in die Eichenallee 4.

Im darauf folgenden Jahr wurde Adolf Robinson zwangsweise Mitglied der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland und musste Pflichtbeiträge entrichten. Mit der Begründung, dass er bereits 1925 aus dem israelitischen Religionsverband ausgetreten sei, erhob er Widerspruch gegen den Beitragsbescheid und beantragte die Freistellung von den Zahlungen. Es folgte eine mehrjährige Auseinandersetzung mit dem Jüdischen Religionsverband, für die Adolf Robertson punktuell auch den Konsulenten Alexander Bachur hinzuzog. Dieser gehörte zu den jüdischen Rechtsanwälten, denen die Nationalsozialisten 1938 die Konzession entzogen hatten und die nur noch unter der Bezeichnung "Konsulent" jüdische Mandantinnen und Mandanten juristisch beraten und vertreten durften. Adolf Robertson akzeptierte schließlich bei einem Vermögen von 117.000 Reichsmark eine monatlichen Zahlung von 100 Reichsmark, allerdings unter Protest und ohne Anerkennung der Rechtspflicht. Gleichwohl musste der Jüdische Religionsverband in den folgenden Jahren immer wieder säumige Zahlungen anmahnen, sodass er sogar die Möglichkeit einer Pfändung der Wertpapiere Adolf Robertsons in Betracht zog. Sowohl der stellvertretende Vorsitzenden des Jüdischen Religionsverbandes, Leo Lippmann, als auch der Justitiar der Finanzabteilung, Ludwig Loeffler, zeigten sich misstrauisch gegenüber den Beteuerungen Adolf Robertsons, dass sein tatsächliches Vermögen wesentlich niedriger sei als in den Einkommensbescheiden angegeben. Da Adolf Robertson seine Wertpapiere jedoch nach und nach beleihen musste und die Grundstücke seinen eigenen Angaben nach ohnehin kein Einkommen mehr abwarfen, sondern nur noch ein Zuschussgeschäft seien, einigten sich alle Beteiligten schließlich auf eine geringere monatliche Zahlung.

Am 25. Juni 1940 musste Adolf Robertson zusätzlich zu den existenzbedrohenden äußeren Umständen noch einen persönlichen Schicksalsschlag verkraften: Seine Frau Eugenie starb nach langer Krankheit im Alter von fast 72 Jahren. Von nun an stand er den täglichen antisemitischen Repressalien allein gegenüber. Rund drei Wochen später, am 18. Juli 1940, starb auch seine Schwägerin Ida, die Witwe seines Bruders Julius. Damit lebten von den drei Brüdern Robertson und ihren Ehefrauen nur noch Adolf und seine Schwägerin Ottilie, Letztere in großer Armut. Noch fast zwei Jahre blieb Adolf Robertson Untermieter der Familie Mendel in Hamm. Am 18. März 1942 wurde er in das "Judenhaus" Heinrich-Barth-Straße 8 im Grindelviertel eingewiesen. In der kleinen Wohnung waren außer ihm noch zwei Paare einquartiert, die jeweils eine Mischehe führten.

Rund drei Monate später, am 9. Juni 1942, starb Adolf Robertsons Schwiegertochter Elisabeth Robertson im Alter von 46 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung im Gerhard-Wagner-Krankenhaus, Friedrichsberger Straße 60. Dabei handelte es sich um eine Einrichtung für Naturheilverfahren unter Leitung des NS-Mediziners Heinrich Kunstmann. Bald nach dem Tod seiner Ehefrau musste Hans Robertson die Wohnung am Hofweg aufgeben und zog mit seinem Sohn Helmuth, der inzwischen 13 Jahre alt war, in die Grindelallee.

Am 14. Juli 1942 erfuhr Adolf Robertson, dass er am nächsten Tag deportiert werden sollte. Am Abend ging er in die Küche seiner Mitbewohnerin Margarethe Steinberg. Er sei sehr erregt gewesen und hätte ein auffallend rotes Gesicht gehabt, gab Frau Steinberg später zu Protokoll. Wenig später ging er wieder in sein Zimmer und setzte in der Nacht seinem Leben ein Ende, mit Morphium und Schlaftabletten. Vorher hatte er noch eine ausgefüllte, aber nicht unterschriebene "Judenvermögenserklärung" sowie seine Kennkarte, die ihn als Juden im Sinne der NS-Rassegesetze auswies, deutlich sichtbar auf seinen Schreibtisch gelegt. Er war mit einem graugestreiften Anzug, einem Oberhemd mit Manschettenknöpfen, Socken und Hausschuhen bekleidet. Und er trug zwei Trauringe, seinen und den seiner verstorbenen Frau Eugenie.

Drei Tage später nahm sich auch seine Schwägerin Ottilie Robertson mit einer Überdosis Morphium das Leben. Sie hatte den Deportationsbefehl für den 19. Juli 1942 nach Theresienstadt bekommen.

Stand: Mai 2016
© Frauke Steinhäuser

Quellen: 1; 2; 4; 5; StaH 314-15 Oberfinanzpräsident R 1938/3150; StaH Oberfinanzpräsident R 1940/390; StaH 331-5 Polizeibehörde, Unnatürliche Sterbefälle 3 Akte 1942/1314; StaH 331-5 Polizeibehörde, Unnatürliche Sterbefälle 3 Akte 1942/1234; StaH 332-5 Standesämter: 6891 u. 876/1910; 7259 u. 881/1942; 8168 u. 384/1940; 1151 u. 512/1942; 363 u. 1218/1894; StaH 332-8 Meldewesen A24 Band 233; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 761; StaH 552-1 Jüdische Gemeinden 992 d Steuerakten Bd. 26; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde 696 f Geburtsregister 1861-1865 u. 189/1862; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde 992 e2 Band 4 (2) Deportationsliste 15.7.1941 Theresienstadt; Hamburger Adressbücher; Bajohr, Arisierung, S. 369; Meyer, Gratwanderung, 2011; Verordnung über eine Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit vom 12. November 1938, RGBl I 1938, S. 1579, in: Österreichische Nationalbibliothek, ALEX. Historische Rechts- und Gesetzestexte Online, http://kurzurl.net/2cUKJ (letzter Zugriff: 31.3.2015); Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12. November 1938, RGBl 1938 I, S. 1580, in: Österreichische Nationalbibliothek, ALEX. Historische Rechts- und Gesetzestexte Online, http://kurzurl.net/y0exp (letzter Zugriff: 31.3.2015); Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938, RGBl I, S. 1709, in: Österreichische Nationalbibliothek, ALEX. Historische Rechts- und Gesetzestexte Online, http://kurzurl.net/L0KL3 (letzter Zugriff: 31.3.2015); Zehnte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 4. Juli 1939, RGBl I 1939, S. 1097; Zweite Durchführungsverordnung über die Sühneleistung der Juden vom 19. Oktober 1939, RGBl I S. 2059, in: Österreichische Nationalbibliothek, ALEX. Historische Rechts- und Gesetzestexte Online, http://kurzurl.net/SDZEA (letzter Zugriff: 31.3.2015).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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