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Bereits verlegte Stolpersteine



Alice und Julius Reinmann
Alice und Julius Reinmann 1926 in Mannheim
© Privat

Alice Reinmann (geborene Baer) * 1890

Fruchtallee 115 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)


HIER WOHNTE
ALICE REINMANN
GEB. BAER
JG. 1890
DEPORTIERT 1941
LODZ
1942 CHELMNO
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Fruchtallee 115:
Horst Fröhlich, Oskar Helle, Julius Reinmann

Alice Reinmann, geb. Baer (auch Bär), geb. am 5.11.1890 in Walldorf/Baden, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert, am 10.5.1942 im Vernichtungslager "Kulmhof"/Chelmno ermordet
Julius Reinmann, geb. 8.6.1877 in Mannheim, ermordet am 21.10.1940 im Konzentrationslager Dachau

Fruchtallee 115

Im Jahr 2008 erhielt Hagit Bergman, eine Enkelin von Alice und Julius Reinmann, in Tel Aviv einen überraschenden Anruf. Am Telefon war ein Mann aus München, der behauptete, mit ihr verwandt zu sein. Auf einer Israelreise hatte er Nachforschungen über seinen verschollen geglaubten jüdischen Großvater Julius Reinmann angestellt und war dabei auf die Kinder von Julius Reinmanns Tochter Ruth gestoßen. Er und seine Geschwister waren Enkelkinder von Julius Reinmann aus einer früheren Beziehung. Bis dahin hatten beide Partien nichts von der jeweils anderen Familie gewusst. Gegenseitige Besuche folgten, und im Sommer 2011 begaben sich einige der "neuen" Cousinen und Cousins in Hamburg gemeinsam auf Spurensuche. Manches, was über das Leben von Julius und Alice Reinmann bekannt ist, beruht auf Auskünften der Enkelkinder und auf persönlichen Dokumenten, die sie zugänglich machten und die weitere Anhaltspunkte für Recherchen boten.

Der Vater von Alice Reinmann, Eduard Bär (1862–1911), ist im "Walldorfer Familienbuch" als "isr. Handelsmann" eingetragen. Er heiratete 1890 Regina Weil (geb. 1860) aus Oberlustadt, die seit 1887 in Walldorf in der Heidelberger Straße 11 lebte. Bis mindestens 1939 blieb diese Adresse der Familienwohnsitz. Das Ehepaar bekam sechs Töchter. Auf Alice (oder Alisa, wie in manchen Dokumenten verzeichnet) folgten Emilie (geb. 1892), Bertha (geb. 1893), Na­tha­lia (geb. 1894), Jenny (geb. 1896) und Erna (geb. 1898). Jenny starb 1915. Emilie heiratete später Albert Vogel (geb.1883 in Mainz). Im "Verzeichnis der am 1.1.1933 in der Gemeinde Walldorf/Baden wohnhaften Juden" sind diese beiden unter der Adresse Heidelberger Straße 11 eingetragen, ebenso wie Alices Mutter Regina Bär und ihre Schwestern Erna und Nathalia. Zu diesem Zeitpunkt lebten 53 jüdische Einwohnerinnen und Einwohner in dem Ort, 1,1 Prozent der Bevölkerung.

Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Inneneinrichtung der Walldorfer Synagoge zerstört. Der Mob überfiel verschiedene Häuser und demolierte sie völlig. Die jüdischen Männer, unter ihnen Emilies Ehemann Albert Vogel, wurden verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau bei München verschleppt. Albert Vogel wurde am 6. Dezember 1938 wieder entlassen und versuchte nun, mit seiner Frau nach Brasilien auszuwandern. Ein Vorhaben, das möglicherweise an Geldmangel scheiterte. Das lässt sich aus einem Schreiben schließen, das Emilie "Sara" Vogel im Juli 1939 an die Stadtkasse Walldorf schickte. Darin bat sie darum, ihr die Bürgersteuer für 1938 zu erlassen, "da ich keinerlei Einkommen oder Vermögen besitze. Die Bürgersteuer für die Jahre 1935, 1936, 1937 wurden mir ebenfalls erlassen." Auf dem Brief ist als Absender noch die Adresse "Heidelbergerstrasse 11" angegeben. Später musste das Ehepaar in die Hauptstraße 26 in ein so genanntes Judenhaus ziehen. Emilie Vogel und ihr Mann gerieten in eine der frühen Deportationen, die die Gauleiter Robert Wagner und Josef Bürckel angeordnet hatten: Insgesamt 6.500 südwestdeutsche Jüdinnen und Juden wurden am 21. und 22. Oktober 1940 nach Südfrankreich verschleppt. Emilie und Albert Vogel wurden ins Internierungslager Gurs eingewiesen. Von dort schickte man sie am 12. August 1942 nach Auschwitz in den Tod. Mindestens fünf Cousinen und Cousins von Alice Reinmann, die Kinder ihres Onkels Isidor Bär, wurden mit ihren Ehepartnern ebenfalls ermordet. An Emilie und Albert Vogel und einige andere erinnern in Walldorf Stolpersteine.

Alices Schwester Bertha Bär lebte zuletzt als Hausangestellte in Heidelberg. Im Mai 1939 gelang ihr die Flucht nach Brasilien, wo sie 1943 heiratete. Die zweitjüngste der Schwestern, Nathalia, konnte 1939 ebenfalls nach Brasilien auswandern, zusammen mit ihrer Mutter Regina Bär und ihrer Schwester Erna. Regina Bär starb 1950 in Brasilien. Erna Bär hatte 1930 einen Julius Weidler geheiratet, über dessen Schicksal nichts bekannt ist. Später zog sie nach Israel, wo eine ihrer Töchter starb; die andere lebt in New York.

Über Kindheit, Schulzeit und Jugend von Alice Reinmann wissen wir nichts. In späteren Dokumenten war als Beruf "Hausfrau" angegeben. Wahrscheinlich arbeitete sie mit ihrer Mutter in dem Kolonialwaren- und Lebensmittelgeschäft der Familie, das auch Jahre nach Eduard Bärs Tod nicht unter dem Namen der wahrscheinlichen Erbin und Besitzerin Regina Bär, sondern unter "Eduard Bär Witwe" verzeichnet war. Wie, wo und wann Alice Baer und Julius Reinmann sich kennenlernten, ist nicht bekannt. Belegt ist nur, dass Julius Reinmann nie in Walldorf gelebt hat.

Julius Reinmann war der Sohn des Kaufmanns und Tabakhändlers Emanuel Reinmann, geboren 1844 in Feudenheim, seit 1910 ein Stadtteil von Mannheim. Seine Mutter Anna, geb. Mann, wurde 1850 in Grünstadt geboren, wo das Paar 1876 heiratete. Anschließend lebte es in Mannheim. Dort kam ein Jahr später Julius zur Welt. Am 30.6.1882 wurde der zweite Sohn Hugo geboren.

Julius Reinmann hatte nach eigenen Angaben die Oberrealschule besucht und trat anschließend ins väterliche Geschäft ein. 1897/98 diente er im Infanterieregiment 110 in München. Im März 1900 wurde er in Mannheim Vater einer Tochter, 1903 kam ein Sohn zur Welt. Wie in der Familie erzählt wird, lebte Julius Reinmann mit der Mutter seiner Kinder, einer 1878 in Tuttlingen geborenen Näherin, zumindest zeitweise zusammen in einer Wohnung. Warum sie nicht heirateten, lässt sich heute nicht mehr klären. Jedenfalls soll sie mit den Kindern im Kleinkindalter regelmäßig Julius‘ Eltern besucht haben. Eine Vaterschaftsanerkennung erfolgte nicht, der spätere Stiefvater gab den Kindern 1918 seinen Familiennamen. Dies erwies sich als glücklicher Umstand, da sie so nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen entgingen. Die Kinder glaubten jahrzehntelang, ihr leiblicher Vater sei von Hamburg aus nach Amerika ausgewandert. Der Sohn reiste 1938 sogar in die Hansestadt, um seinen Vater zu suchen. Da er ihn nicht fand, ging die Familie davon aus, dass ihm die Ausreise gelungen war. Von der neuen Familie, die Julius Reinmann gegründet hatte, ahnten die Kinder genauso wenig wie später die Tochter von Alice und Julius Reinmann von der Existenz ihrer älteren Halbgeschwister.

Julius Reinmanns Vater Emanuel starb 1926, die Mutter 1929.

Julius Reinmann schrieb 1938, er sei Anfang 1907 nach Hamburg gegangen und Kai- und Werftarbeiter geworden. Im Ersten Weltkrieg war er Soldat. 1919 trat er der Jüdischen Gemeinde Hamburg bei. Als Beruf war jetzt Kaufmann verzeichnet. Im Juli 1920 heirateten Alice Baer und Julius Reinmann im Standesamt von Walldorf. Trauzeugen waren Julius’ Vater und Alices Onkel Isidor Bär, ein Bruder ihres verstorbenen Vaters. Zwei Jahre später, im Juli 1922, wurde die Tochter Ruth Ellen geboren. Auf dem Hamburger Standesamt 3a zeigte der Vater, wohnhaft Mittelstraße 96, die Geburt an. Das damalige Wohnhaus der Familie befand sich auf dem heutigen Grundstück Carl-Petersen-Straße/Ecke Ohlendorffstraße im Stadtteil Hamm. Im Adressbuch von 1926 ist "Julius Reinmann Obst-Großhdl., Hammerhof 14" verzeichnet. Auch dieses Gebäude gegenüber dem Hammer Park existiert nicht mehr. Die Wohnung im Hammer Hof habe vier Zimmer gehabt und die Familie ein ständiges Dienstmädchen beschäftigt, notierte Ruth später. Wahrscheinlich Anfang der 1930er Jahre zogen Reinmanns in die Grindelallee 6, dann in die Fruchtallee 115 in den zweiten Stock. Hier lebte die Familie zum letzten Mal zusammen. Tochter Ruth besuchte die Höhere Israelitische Töchterschule in der Carolinenstraße. Ihr Vater, der jetzt einen Kunstpostkartenhandel betrieb, geriet immer stärker in wirtschaftliche Not. Seit 1935 war er arbeitslos und Fürsor­ge­emp­fänger. Für einen fast 60-jährigen jüdischen Mann war es damals unmöglich, eine Anstellung zu bekommen. 1938 lebte die Familie von 17,25 Reichsmark (RM) wöchentlicher Fürsorgeunterstützung, dafür musste Julius Reinmann "Pflichtarbeit" leisten. Er war bei Erdarbeiten in Waltershof eingesetzt. Außerdem zahlte die Jüdische Gemeinde einen Mietzuschuss von monatlich 20 RM. Ob Ruth schon als ganz junges Mädchen über eine Auswanderung nachdachte? Ein Foto vom 1. Mai 1936 zeigt sie bei einem Besuch des "Brüderhofs" bei Harksheide nahe Hamburg, einem Hachscharazentrum des Hechaluz. Ebenfalls 1936, also als 14-Jährige, reiste sie, wohl allein, mit einem Transitvisum im Pass nach Frankreich, wo sie wahrscheinlich ihren Onkel Hugo, den Bruder ihres Vaters, besuchte. Dieser lebte schon lange in Dettwiller im Elsass und hatte gerade ein Stoffgeschäft erworben. Ob Ruth die Absicht hatte, von dort in ein anderes Land weiterzureisen, oder aus welchen Gründen in ihrem Pass ein Transitvisum eingestempelt war, wissen wir nicht.

Ruth Reinmann beendete Ostern 1938 die Schule und absolvierte einen zweimonatigen landwirtschaftlichen Vorbereitungslehrgang. Mit 16 Jahren wanderte sie im August 1938 mit einem Zertifikat der Aliyat Hano’ar ins damalige britische Mandatsgebiet Palästina aus. Die Aliyat Hano’ar brachte Kinder und Jugendliche, die von den britischen Behörden nicht der Einwanderungsquote zugerechnet wurden, in Kibbuzim unter. Dort sollten sie zwei Jahre lang die hebräische Sprache lernen und in der Landwirtschaft arbeiten. Ruth wurde dem Kibbuz Ein Harod zugeteilt, einem der ersten Kibbuzim, die sich an dem Programm beteiligten. (Anfang der 1960er Jahre würde eine Enkelin aus Julius Reinmanns nichtehelicher Be­ziehung in eben diesem Kibbuz als Freiwillige arbeiten.) Zur Zeit von Ruths Auswanderung befand sich ihr Vater in Haft. Aufgrund einer Denunziation war er der versuchten Erpressung und des versuchten Betruges mit "unzüchtigen Bildern" angeklagt und wurde deswegen verurteilt. Ruths Mutter, der die Auswanderung nicht gelang, blieb allein auf sich gestellt und ohne Einkommen zurück. Sie musste die Wohnung in der Fruchtallee aufgeben, die Möbel wurden eingelagert. Eventuell durch Vermittlung der Jüdischen Gemeinde zog sie im September 1938 als Hausangestellte zu Familie Bein in die Eppendorfer Landstraße 64. (Zu Familie Bein siehe "Stolpersteine in Hamburg-Eppendorf und Hamburg-Hoheluft-Ost"). Alice Reinmann lebte bei freier Kost und Logis in dem Haushalt. Sie besäße kein Vermögen, ist auf ihrer Kultussteuerkartei eingetragen. In einem Brief, den sie im Januar 1940 an Ruth in Palästina schrieb, hieß es: "Besonders gefreut hat mich Deine so nette Schilderung von Deinem Ausflug und stelle ichs mir im Geiste ganz wunderbar vor, ich wünschte, daß ich auch mal all das Schöne schauen darf, aber ich glaube es bleibt nur ein Wunsch." Sie berichtete auch von ihrem Anruf bei einer Bekannten: "Frau Neugarten hat sich so sehr gefreut, endlich einen Gruß von ihrer Tochter zu bekommen, die Leute haben noch gar nichts von ihrer Tochter gehört, seit dieselbe im August [1939] von hier weg ist, trotzdem Frau N. wiederholt über das Rote Kreuz geschrieben hat, wahrscheinlich stimmte die Adresse nicht, sage bitte Ruth N., daß sie sofort ihrer sehr besorgten Mutter antworten soll." Offensichtlich kannten Ruth Reinmann und die erwähnte Ruth Neugarten sich aus Hamburg und hatten in ihrer neuen Heimat Kontakt, lebten vielleicht sogar im gleichen Kibbuz. Als besorgte Mutter ermahnte Alice Reinmann ihre Tochter: "Alles Schöne und Gute mein Liebling und tu mir einen Gefallen und rauche nicht zuviel Cigaretten, Du machst Dich krank damit." Außerdem äußerte sie die Be­fürchtung, sich eine neue Stelle suchen zu müssen, weil "der Herr Dr. [Bein] seinen Haushalt nicht mehr so weiterführen kann, wie schwer es mir fällt, woanders hinzumüssen kann ich Dir nicht beschreiben. Hoffentlich finde ich bald etwas für mich." Und an den Rand des vierseitigen Briefes geschrieben: "Von Vati viel Grüße kommt Anfang Juli wieder."

Ruth korrespondierte auch mit ihrem Onkel und dessen Frau in Dettwiller. Hugo und Aline Reinmann (geb. 1880 in Dettwiller) hatten keine eigenen Kinder und nahmen interessiert Anteil am Leben ihrer Nichte. Die Bitte an Ruth, doch bald wieder zu schreiben, fand sich in jedem ihrer Briefe. Mit den angeheirateten Walldorfer Verwandten standen sie ebenfalls in Kontakt. In einem Brief hieß es: "Deine arme Großmutter in den alten Tagen noch so durchzumachen wie die [?unleserlich] und alle. Es tut uns sehr sehr leid, aber leider kann man nichts machen." Wahrscheinlich bezogen sie sich dabei auf folgende Begebenheit: Am 15. Dezember 1938 hatte Ruths Großmutter "Frau Eduard Bär Witwe, Kolonialwaren in Walldorf, Heidelbergerstr. 11" vom Bezirksamt in Heidelberg, Abteilung IV, die schriftliche Mitteilung erhalten, "daß Sie Ihr Geschäft abzuwickeln und auf 31. Dezember 1938 zu schließen haben. Die Abwicklung haben Sie ... selbst vorzunehmen. Das noch vorhandene Warenlager haben Sie spätestens innerhalb 1 Woche der Bezirksfachgruppe des Einzelhandels in Heidelberg ... zum Kauf anzubieten. Erst wenn diese ausdrücklich erklärt, daß ihr die Unterbringung der Ware nicht möglich ist, kann sie anderweitig veräußert werden." Damit war die Familie ihrer Existenzgrundlage beraubt.

Hugo und Aline Reinmann hatten sich auch nach einer Möglichkeit erkundigt, Ruths Eltern zu helfen und sie eventuell zu sich nach Frankreich zu holen, aber [...] "die Einreise- und Aufenthaltserlaubnis [wird] nur noch an reclamirte landwirtschaftliche Arbeiter vorübergehend gewährt". Ihre eigene wirtschaftliche Situation war nicht einfach: "Bei uns hier ist strenge Kälte und viel Schnee, ich kann nie auswärts meine Geschäftsgänge machen. Durch die hohen Warenpreise halten die Bauern sehr in ihren Einkäufen zurück" schrieb Ruths Onkel im Dezember 1938. Trotzdem bemühte er sich, ihre Wünsche zu erfüllen. Im April 1939 erkundigte er sich, ob sein Päckchen mit weißem und blau u. weiß getupftem Stoff angekommen sei, "wir sind sehr erstaunt seit einiger Zeit keine Nachrichten von dir zu haben". Immer schlossen die Briefe und Karten mit der Hoffnung, dass Ruth gesund und in ihrer Tätigkeit zufrieden sei, und immer wurde sie von Onkel und Tante herzlichst geküsst.

Nach den Unterlagen der Gedenkstätte "Memorial de la Shoah" besaßen Aline Reinmann, geborene Levy, und ihr Ehemann Hugues/Hugo die französische Staatsbürgerschaft, was sie nicht schützte: Sie trafen am 1. April 1944, aus Nancy kommend, im Durchgangslager Drancy bei Paris ein. Der Gebäudekomplex diente der Internierung französischer Jüdinnen und Juden. Ab 1942 wurden sie von dort in die Vernichtungslager deportiert. Hugo und Aline Reinmann befanden sich in Transport Nr. 71, der am 13. April 1944 Auschwitz Birkenau erreichte. Sie überlebten nicht. Vier Monate später, am 18. August 1944, wurde Paris von den Alliierten befreit.

Zu dieser Zeit waren Ruth Reinmanns Eltern bereits tot. Julius Reinmann war 1939 aus dem KZ Fuhlsbüttel ins Zuchthaus Bremen-Oslebshausen verlegt worden. Im Juli 1940 erfolgte nicht die von seiner Frau erwartete Haftentlassung, sondern die Gestapo nahm ihn in "Schutzhaft" und überstellte ihn zunächst ins KZ Sachsenhausen und im September 1940 ins KZ Dachau, wo er wenig später starb. Angehörige wurden gefragt, ob sie die Urne gegen Gebühr zugeschickt haben wollten. Bei Menschen ohne Einkommen übernahm die Jüdische Gemeinde die Kosten. Auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf erinnert eine Grabstelle an Julius Reinmann.

Alice Reinmann blieb im Haushalt von Dr. Ernst Bein und seiner Tochter Erika, bis sie zum 25. Oktober 1941 den "Evakuierungsbefehl" erhielt. Sie wurde ins Getto "Litzmann­stadt"/ Lodz deportiert und dort am 9. November 1941 in den Froschweg 14 in "Wohnung" Nr. 3 einewiesen. Einige ihrer "Mitbewohnerinnen" stammten ebenfalls aus dem Hamburger Transport. Die Frauen waren alle ungefähr in demselben Alter und ohne Angehörige im Getto. Maria Eisenberg, Rosa Garcia, Rosa Rosenberg, Rosa Scheuer und Dorothea Seligmann mussten sich zusammen mit Alice Reinmann am 10. Mai 1942 für die "Aussiedelung" bereithalten, wie der Transport in den Tod beschönigend genannt wurde. Die Frauen wurden im ca. 70 km entfernten Vernichtungslager "Kulmhof"/Chelmno ermordet.

Ruth Reinmann blieb in Israel, machte eine Ausbildung zur Krankenschwester, heiratete und bekam zwei Töchter. Sie starb 1991 im Alter von 68 Jahren in Tel Aviv. Zwanzig Jahre später besuchten ihre Töchter Ada Cohen Sharon und Hagit Bergman die Orte ihrer Kindheit in Hamburg. Für sie hatte sich damit ein Kreis geschlossen.

© Sabine Brunotte

Quellen/Sources: 1; 2, 5, 8; HAB 1926, 1937; StaH Jüdische Gemeinden 992 e 1 Bd.1; StaH 332-8, Meldewesen A 51/1; StaH 213-11, 3239/40, StaH 213-11 3467/39; schriftliche Auskunft Gedenkstätte Dachau, E-Mail vom 14.7.2010; Klaus Ronellenfitsch, Walldorfer Familienbuch; schriftl. Auskunft Fritz Neubauer, E-Mails vom 12. und 13.9.2011; schriftl. Auskünfte der Enkelin H. B., E-Mails vom 13.11.2010, 3.1.2012, 14.1.2012, 2.6.2012; schriftliche Auskunft Dieter Herrmann, Walldorfer Heimatfreunde, vom 13.12.2011; Dieter Hermann, Geschichte und Schicksal der Walldorfer Juden; mündliche Auskunft Dieter Herrmann, Telefonat vom 15.2.2012; www.alemannia-judaica.de/walldorf_synagoge.htm, Zugriff vom 11.9.2011, schriftliche Auskunft der Enkelin G. Z. vom 9.1.2012; mündliche Auskunft G. Z., Telefonat vom 15.2.2012; schriftliche Auskunft Stadtarchiv Mannheim an G. Z. vom 23.1.2008; schriftliche Auskunft Stadtarchiv Mannheim, E-Mail vom 13.2.2012; www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/directory, Zugriff vom 17.9.2011; www.alemannia-judaica.de/dettwiller_synagogue.htm, Zugriff vom 15.2.2012; www.fr.wikipedia.org/wiki/Dettwiller, Zugriff vom 15.2.2012; diverse persönliche Dokumente, zur Verfügung gestellt von der Familie; schriftliche Auskunft Memorial de la Shoah, E-Mail vom 23.2.2012; Stadt Walldorf, Archiv 21-044.45; http://memorialmuseums.eu/denkmaeler/ zu Durchgangslager Drancy, Zugriff vom 21.2.2012; www.answers.com zu Aliyat Hano`ar, Zugriff 7.3.2012; telefonische Auskunft Gedenkstätte Dachau vom 7.3.2012; schriftliche Auskunft Archiv und Museum Neustadt an der Weinstraße, E-Mail vom 7.3.2012; schriftliche Auskunft Dettwiller, E-Mail vom 10.3.2012.

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