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Bereits verlegte Stolpersteine



Frieda Silberstein (geborene Melhausen) * 1888

Paulinenstraße 16 (Hamburg-Mitte, St. Pauli)


HIER WOHNTE
FRIEDA SILBERSTEIN
GEB. MELHAUSEN
JG. 1888
DEPORTIERT 1941
ERMORDET IN
MINSK

Weitere Stolpersteine in Paulinenstraße 16:
Harry Arronge, Paulina Arronge, Martha Ehrenbaum, Leo Silberstein, David Arthur Westfeld

Frieda Silberstein, geb. Melhausen, geb. 1.12.1888 in Hamburg, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Leo Silberstein, geb. 9.3.1878 in Berlin, inhaftiert im Juni 1938 im KZ Fuhlsbüttel, bis Januar 1939 im KZ Sachsenhausen, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk

Paulinenstraße 16

Frieda Melhausen hatte sechs oder sieben Geschwister und Halbgeschwister. Sie war die zweitälteste Tochter von Hertha Melhausen. Zwischen Januar 1931 und April 1933 wohnte sie auf der Reeperbahn bei ihrer Schwester Rosa Quast und deren Ehemann Johann Hinrich. Im Oktober 1932 kam ihr Ehemann Leo hinzu. Der Kaufmann Silberstein war 1931 aus Berlin nach Hamburg gezogen. Leos Mutter Marianne lebte in Berlin-Charlottenburg, seine Schwester Hedwig wohnte bei der Mutter. Im Mai 1933 bezog das Ehepaar Silberstein eine eigene Wohnung in der Paulinenstraße.

Frieda war Kontoristin und Schauspielerin. Sie arbeitete von Januar bis Juli 1931 als Verkäuferin bei ihrem Schwager Johann, anschließend beim "Kaffee Rheinterrassen" als Bonkontrolleurin. Leo war zunächst ebenfalls bei Quast beschäftigt – als Lagerverwalter von April 1931 bis Mai 1932. Ab November 1932 arbeitete auch er im "Kaffee Rheinterrassen" als Geschäftsführer und "Billardmarquer" (vermutlich verzeichnete er die Punkte der Spieler). Die gleichzeitige Entlassung der Eheleute Ende März 1933 erfolgte – so ein Vermerk bei der Wohlfahrtsbehörde –, weil sie jüdischer Abstammung waren. Im April 1933 beantragte Frieda erstmals in ihrem Leben Unterstützung bei der Wohlfahrtsbehörde. Ihr Mann, der ebenfalls einen Antrag stellte, hatte bereits im Juli 1929 in Berlin einmal Arbeitslosenunterstützung bezogen.

Im Laufe der folgenden Jahre wurde dem Ehepaar jeweils der Höchstsatz an Krisenunterstützung gewährt. Diese reichte jedoch nicht, um die laufenden Kosten zu decken. Die Eheleute versetzten Wertgegenstände, um Miete zahlen und Kohlen kaufen zu können.

Im Rahmen der "Aktion Arbeitsscheu Reich" wurden im Juni 1938 in Hamburg etwa 700 Männer – darunter ca. 200 Juden, die irgendwann wegen Bagatelldelikten verurteilt worden waren – von der Kriminalpolizei verhaftet und in Konzentrationslager gebracht. Leo Silberstein war einer von denen, die inhaftiert wurden. Am 18. Juni wurde er im Konzentrationslager Fuhlsbüttel – seinerzeit als Polizeigefängnis Fuhlsbüttel bezeichnet – in "Schutzhaft" genommen und anschließend in das KZ Sachsenhausen überstellt, wo er bis Januar 1939 gefangen blieb.

Nach seiner Entlassung traute er sich trotz erneuter Arbeitslosigkeit nicht mehr, Unterstützung zu beantragen. Dies dokumentiert das Protokoll einer Angestellten der "Sonderdienststelle B" für Juden. Die Sonderdienststelle wurde im Februar 1939 von der Hamburger Sozialverwaltung eingerichtet, da die antijüdische Gesetzgebung einen Anstieg der Zahl jüdischer Armer erwarten ließ, die getrennt von den "arischen" Unterstützten abgefertigt werden sollten.

Die Sachbearbeiterin kannte die finanziellen Verhältnisse der Silbersteins und schrieb nach einem Hausbesuch am 8. Juni 1939: "Es wurde heute nur die Ehefrau angetroffen, der Mann war zur Devisenstelle, da d. Ehel. am 13.7.39 auswandern wollen bzw. müssen. Ihr Mann soll zum 1.7.39 Deutschland verlassen, ihr Schiff, mit dem sie von Genua nach Schanghai fahren wollen, geht am 13.7. Es handelt sich nur noch darum, daß sie d. Geld in ital. Währung für ihr Visum erhalten. Nachdem der Mann 7 Monate im K. Z. war (bis zum Frühjahr), hat er sich nicht mehr bei AA gemeldet, weil er Angst hatte, dann nochmals ins Lager zu kommen. So haben d. Leute nur v. Alu v Kru und v Untermiete [...] Alu muß weiter befürwortet werden."

Das Arbeitsamt Hamburg reagierte auf den Unterstützung befürwortenden Bericht der Sachbearbeiterin umgehend mit einem Schreiben an die Sozialverwaltung: "Unter Bezugnahme auf den Erlass vom 1.3.39 und die Verordnung vom 19.11.38 betreffend Unterstützung für Juden bitte ich um erneute Prüfung der Hilfsbedürftigkeit."

Kurz darauf veränderten sich Ton und Haltung auch in der "Sonderdienststelle B" deutlich. Im Oktober 1939 schrieb ein Bearbeiter: "S. hat seine ungünstige wirtschaftliche Lage selbst verschuldet. Nach seiner Entlassung aus dem K. Z. hat er sich weder um Arbeit beim Arbeitsamt bemüht noch dort seinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung geltend gemacht. Er mag sich jetzt beim Arbeitsamt melden und dort einen Antrag auf Alu stellen. Wenn er arbeitswillig ist, wird er entweder Alu oder Arbeit bekommen."

Inzwischen – im April 1939 – hatte Leo bei der Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten einen Fragebogen für die geplante Auswanderung eingereicht und erklärt, er rechne damit, "die Mittel zur Auswanderung vom Hilfsverein der Juden zu erhalten". Am 2. Mai 1939 sandte die Devisenstelle Silbersteins eine Unbedenklichkeitsbescheinigung zu. Damit war eine der Hürden, die einer geplanten Auswanderung im Wege stehen konnten, genommen. Dennoch reisten Silbersteins nicht aus. Was sie daran hinderte, ist nicht bekannt. Frieda und Leo wohnten bis zum Herbst 1941 in der Paulinenstraße 16. Längere Zeit – von April 1940 bis Oktober 1941 – lebte Friedas Mutter Hertha bei ihnen.

Silbersteins mussten sich im Sammellager, dem Logenhaus in der Moorweidenstraße, einfinden, um mit dem ersten Deportationszug nach Minsk gebracht zu werden. Dieser ging vom Hannoverschen Bahnhof ab und traf nach dreitägiger Fahrt am 11. November im Getto ein. Mit den beiden Transporten im November 1941 aus Hamburg kamen etwa zweitausend Menschen nach Minsk. Bis zur Auflösung des Gettos im September 1943 waren fast alle aus Hamburg Deportierten gestorben. Wer den lebenswidrigen Umständen nicht zum Opfer fiel, wurde bei einem der beiden Massaker, die die Nationalsozialisten am 8. Mai und am 14. September 1943 verübten, ermordet. Frieda und Leo Silberstein überlebten das Getto nicht.

© Christiane Jungblut

Quellen: 1; 2; 4; 5; 8; AB 1938, T. 1; StaH 314-15 OFP, Abl. 1998/1, S 832; StaH 314-15 OFP, FVg 5804; StaH 332-8 Meldewesen A51/1, K 2514; StaH 351-11 AfW, Abl. 2008/1, 011289 Silberstein, Frieda; StaH 522-1 Jüd. Gemeinden, 992 e 1 Band 2; 1995; Bajohr, "Arisierung", 1997, S. 267; Gottwaldt / Schulle, "Judendeportationen", 2005, S. 91; Gruner, Öffentliche Wohlfahrt, 2002, S. 172; Meyer (Hrsg.), Verfolgung, 2007, S. 175.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen". Hier abweichend:
(2) Bundesarchiv Berlin, R 1509 Reichssippenamt, Ergänzungskarten der Volkszählung vom 17. Mai 1939

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