Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine



Clementine und Mathias Stein mit ihren Kindern 1928
Clementine und Mathias Stein mit ihren Kindern 1928
© Privatbesitz

Clementine Stein (geborene Rothschild) * 1880

Rutschbahn 37 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
CLEMENTINE STEIN
GEB. ROTHSCHILD
JG. 1880
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
1942 TREBLINKA
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Rutschbahn 37:
Isaak Schenkolewski, Mirjam Schenkolewski, Moses Schenkolewski, Klara Schenkolewski, Mathias Stein

Mathias Stein, geb. am 7.4.1874 in Storndorf/Hessen, am 19.7.1942 nach Theresienstadt deportiert, am 26.9.1942 nach Treblinka deportiert, ermordet
Clementine Stein, geb. Rothschild, geb. am 15.1.1880 in Alsfeld/Hessen, am 19.7.1942 nach Theresienstadt deportiert, am 26.9.1942 nach Treblinka deportiert, ermordet

Grindelhof 30 / Rutschbahn 37

Als Kinder wagten es die Enkel von Mathias und Clementine Stein nicht, ihre Eltern nach deren Kindheit und früherem Leben zu befragen oder danach, was mit ihren Großeltern geschehen war. Ruth Walter, Charles und Wally Oppenheim waren sich bewusst, dass ihre Vorfahren zu den Millionen NS-Opfern zählten, viel mehr war ihnen jedoch nicht bekannt. 2015 beschlossen sie das, was sie wussten, zusammenzufügen, um die Familiengeschichte an die nächste Generation weiterzugeben. Es stellte sich heraus, dass Ruth und Wally unabhängig voneinander über Jahre Informationen gesammelt hatten. Ruth war im Besitz vieler Familiendokumente, während Wally die Geschichte NS-Deutschlands ausführlich studiert hatte und darüber Vorträge hielt. Zusammen mit den Rechercheergebnissen der Autorin entstand so folgendes Bild:

Clementine und Mathias Stein kamen beide aus großen Familien. Mathias‘ Eltern, der Viehhändler Solomon Stein (1836–1884) und dessen Frau Eva, geborene Adler (1831–1908) hatten 1859 geheiratet. Mathias war das jüngste ihrer sieben Kinder und erst zehn Jahre alt, als sein Vater starb. In seinem Heimatort Storndorf, heute Teil der Gemeinde Schwalmtal, existierte seit dem 17. Jahrhundert bis 1939 eine Jüdische Gemeinde mit eigener Schule, rituellem Bad und Synagoge. Die Gräber seiner Vorfahren auf dem Jüdischen Friedhof in Storndorf sind erhalten.

Clementine war die Tochter von Joseph Rothschild (1841–1900), einem Tuch- und Textilhändler, und dessen Frau Henriette, geborene Stern (1852–1915). Sie hatte sechs Brüder und eine Schwester. Ihr Vater besaß ein Geschäft am Rossmarkt in Alsfeld, in dem er außer Stoffen, Gardinen, Teppichen und Herren- und Damenkonfektion auch Nähmaschinen verkaufte. Wegen der starken Konkurrenz in dem kleinen Ort warb er in der "Oberhessischen Zeitung" der 1880er-Jahre mit "Gründlicher Unterricht [an der Nähmaschine] wird unentgeltlich ertheilt". Joseph und Henriette Rothschild wurden auf dem Jüdischen Friedhof in Alsfeld begraben.

Wir wissen nicht, wann und wo Clementine und Mathias sich kennenlernten. Im Oktober 1903 wurden sie im Standesamt Alsfeld getraut. Clementines Brüder Sally und Leopold fungierten als Trauzeugen. Als Kind wünschte sich Tochter Eva, sie sei irgendwie mit der Familie des berühmten Bankhauses Rothschild verwandt, aber soweit die Familie weiß, war dies nicht der Fall.

Mathias absolvierte die Volksschule in Storndorf und anschließend, wahrscheinlich seit dem 13. Lebensjahr, die Israelitische Präparanden- und Bürgerschule Talmud Tora im fränkischen Burgpreppach. Ein Ziel der Schule bestand in der Vorbereitung auf den Besuch eines Lehrerseminars. Seinen Enkelkindern zufolge war Mathias‘ Familie arm, wahrscheinlich wegen des frühen Todes des Vaters. Von 1891 bis 1894 wurde er am jüdischen Lehrerseminar in Hannover ausgebildet. Seine Geschwister sollen gemeinsam die Kosten dafür getragen haben. Nach dem Studium war Mathias bis 1897 als Lehrer an der Israelitischen Volksschule in Gleidingen bei Hannover tätig. Sein Sohn Shlomo trug aus dieser Zeit eine Anekdote zu Ursula Randts Buch "Die Talmud Tora Schule in Hamburg" bei: "Mathias Stein war der einzige Lehrer in der jüdischen Kleingemeinde … Die Schule hatte nur eine Klasse … Er liebte das Unterrichten und die Kinder. Auch das Vorbeten in der Synagoge machte ihm Spaß. Verhasst wurde ihm nur das Schlachten von Geflügel und Vieh … Vor allem wollte er keine Störung des Unterrichts …" Eines Tages bestand ein reicher Viehhändler darauf, seine Kuh während der Unterrichtszeit schlachten zu lassen. Zufällig war gerade ein Schulrat anwesend, der den Mann zurechtwies und wegschickte. Am Nachmittag erschien dieser erneut und wurde bedient, aber am selben Abend erhielt Mathias Stein einen Brief "mit vielen Anklagen und der Drohung, entlassen zu werden. Am nächsten Morgen hatte der Mann seinen Brief zurück. Alle orthographischen und stilistischen Fehler waren dick rot unterstrichen. Unten stand: Trotz der vielen Fehler und des flegelhaften Benehmens GENÜGEND." Doch die Gleidinger jüdischen Gemeindeoberen teilten diesen Humor offenbar nicht – am nächsten Tag erhielt Mathias seine Kündigung. Er übersiedelte nach Hamburg und wurde Schönschreiblehrer an der Talmud Tora Schule, damals Kohlhöfen, wo er hauptsächlich die Schüler der zweiten Klasse unterrichtete. Später lehrte er auch andere Fächer. Sein Sohn, der dort ebenfalls unterrichtet wurde, erinnerte sich, dass "Schönschreiben" sehr wichtig war und dass die Jungen im Takt eines Metronoms schreiben mussten.

Im Ersten Weltkrieg diente Mathias in der kaiserlichen Armee und wurde, wie die Familie erzählt, mit Tapferkeitsmedaillen ausgezeichnet.

1937 feierte er sein 40-jähriges Dienstjubiläum an der Talmud Tora Schule. Aus diesem Anlass spendete er, wie schon früher, der "Kinderverschickung" Geld. Diese Sammlung ermöglichte armen und kränklichen jüdischen Kindern einen Kuraufenthalt. 1938, im Alter von 64 Jahren, trat Mathias Stein in den Ruhestand.

Über Clementines Leben vor ihrer Heirat wissen wir nichts. In Hamburg, als Ehefrau und Mutter, war sie im Hause tätig. Wie damals in Mittelschichtfamilien üblich, gab es Dienstboten, die viele der anfallenden Arbeiten erledigten. Mathias und Clementine hatten vier Kinder, drei Jungen und ein Mädchen: Fritz Solomon (später Shlomo, geboren 20. September 1904), Joseph (geboren 8. Februar 1906), Herbert (geboren 20. März 1909) und Eva Henriette (geboren 23. April 1919). Der Haushaltsvorstand "M. Stein, Lehrer" wurde ab 1905 in den Hamburger Adressbüchern unter der Adresse Rutschbahn 37 geführt. Die Familie lebte in einer Mietwohnung im dritten Stock mit Zentralheizung, damals eine moderne Errungenschaft. Das Gebäude überstand die Luftangriffe im Krieg und existiert noch. Die Tochter Eva besuchte 1957 mit ihrer Familie Hamburg. Wie sie ihren Kindern erzählte, seien ihre Eltern streng und distanziert gewesen. Mathias wurde von seinen Schülern scherzhaft "Oliwo mit dem Glaspopo" genannt. Nach Ursula Randt soll er einem italienischen Eisverkäufer namens Oliwo vom Großneumarkt ähnlich gesehen haben, der "Glaspopo" wurde nur des Reimes wegen angehängt. Mathias schien der Spitzname nicht zu stören, seine Familie benutzte ihn ebenfalls. Sein früherer Schüler Fred (ehemals Manfred) Leser erinnerte sich an ihn als an einen "ziemlich netten Kerl, der leicht lispelte". Im Sommer 2015 war die Enkelin Ruth Walter zu Besuch in Hamburg und lernte Fred Leser kennen. Es berührte sie sehr, mit jemandem sprechen zu können, der ihren Großvater noch persönlich gekannt hatte.

Clementine und Mathias Stein waren bei der Geburt ihrer Tochter Eva schon vergleichsweise alt, 45 und 39 Jahre. Eva erzählte ihren Kindern, dass sie die altmodischen Kleider, die sie tragen sollte, nicht mochte. Jeden Sonntag ging sie mit dem Vater an der Alster spazieren, und sie bekam Klavierunterricht. Die Sommerferien wurden wie in vielen Familien an der See verbracht. Freitagabende und jüdische Feiertage wurden nach Evas Erinnerung streng befolgt, ihre Brüder mussten am Samstag (Schabbat) zum Rauchen vor die Tür gehen. Während der religiösen Zeremonie beim Abendessen freitags versuchten ihre Brüder, sie zum Lachen zu bringen und traten sie unter dem Tisch, sodass sie ausgeschimpft wurde. Allen vier Kindern gelang dank großer Unterstützung durch die Eltern die Flucht aus NS-Deutschland. Die beiden Söhne Herbert und Fritz Salomon (später Shlomo) wanderten 1935 und 1936 in das britische Mandatsgebiet Palästina aus. Fritz hatte in Deutschland ein Studium der Chemie abgeschlossen und wurde wie sein Vater Lehrer. Er unterrichtete Chemie, Geographie und Mathematik an religiösen Schulen in Jerusalem. Als orthodoxer Jude engagierte er sich in der von deutschen Einwanderern gegründeten Synagoge "Emeth ve Emunah" (Wahrheit und Glaube). Er starb 1986 in Jerusalem.

Herbert hatte kurz vor seiner Flucht sein Medizinstudium in Berlin beendet. Seine Frau und er erreichten Palästina gleichzeitig mit einer Einwanderungswelle von Medizinerinnen und Medizinern, sodass er keine Stelle als Arzt fand. Fast 15 Jahre lang arbeitete er als Orthopädiemechaniker, bis er 1951 seinen eigentlichen Beruf ausüben konnte. Nach ärztlicher Tätigkeit im Hadassah-Krankenhaus und im Shaarei-Zedek-Krankenhaus in Jerusalem zog die Familie nach Beer Sheva, wo Herbert bis zu seinem Tod 1969 als niedergelassener Arzt arbeitete.

Joseph, von Beruf Zahnarzt, hatte eine Frau und einen kleinen Sohn. Im März 1937 war er zweimal wegen "Hochverrats" im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert. 1938 floh er zunächst allein über Belgien, wo seine Schwiegereltern im Exil lebten, nach Indien, damals Teil des Britischen Empires. Frau und Sohn folgten ihm später. Joseph erhielt von einer englischen jüdischen Hilfsorganisation ein Darlehen und eröffnete eine Zahnarztpraxis in Ahmedabad. Unter seinen Patienten befand sich sogar ein Maharadscha. Bis 1956 blieb er in Indien. Nach einem kurzen Aufenthalt in Hamburg ließ er sich dann in England nieder und praktizierte dort bis zu seinem plötzlichen Tod 1968.

Während der NS-Zeit durften Jüdinnen und Juden nicht publizistisch oder künstlerisch tätig sein. Das bedeutete für Eva, dass sie sich nicht wie erhofft zur Pianistin ausbilden lassen konnte. Stattdessen besuchte sie ab 1935, im Alter von 16 Jahren, eine jüdische Haushaltungsschule in Breslau. Anschließend arbeitete sie einige Zeit in Frankfurt am Main und kehrte dann nach Hamburg zurück. Nach den Eintragungen auf ihrer Kultussteuerkartei lebte sie als Praktikantin im Paulinenstift, dem jüdischen Mädchenwaisenhaus, und war auch im Israelitischen Krankenhaus tätig. Ein Klavier rührte sie nie wieder an. Die Erinnerung daran, das geliebte Spielen aufgeben zu müssen, war zu schmerzhaft. Die Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 ließ sie die Entscheidung zur Flucht treffen. Eva war entsetzt, als sie hörte, wie SA-Männer Wohnungen von Menschen, die sie kannte, verwüsteten. Dieses Erlebnis war so traumatisch, dass sie Deutschland verlassen wollte, obwohl sie ihre Eltern zurücklassen würde. Es gelang ihr, im Februar 1939 mit einem Dienstbotenvisum nach Großbritannien zu entkommen. Eine ihrer Freundinnen, Ruth, nach der sie später ihre eigene Tochter benannte, hatte eine Tante in London. Diese lebte schon länger dort, fragte in der Nachbarschaft herum, und es gelang ihr, Dienstmädchenstellen für vier Personen zu finden. Drei waren für Ruth, deren Mutter und eine Kusine, die vierte wurde Eva angeboten. Diese nahm an, erzählte aber Mathias und Clementine nicht, dass sie für eine christliche Familie arbeiten würde, da ihre Eltern orthodoxe Juden waren. Später versuchte sie mehrmals, ihre Eltern nachzuholen und fühlte sich schuldig, dass ihr das nicht gelang.

Wahrscheinlich 1937 zogen Clementine und Mathias Stein in eine Wohnung in der Bornstraße 29. Im September 1938 wurde eine "Sicherungsanordnung" für ihre Bankkonten getroffen und sie mussten alle Einkommen und Vermögen offenlegen. In den für den Hamburger Oberfinanzpräsidenten ausgefüllten Formularen listeten sie auf: Lehrerpension 350 Reichsmark (RM), Vermögen unter anderem in Form von Aktien und zwei Hypotheken und – Mathias Stein besaß keinen Pass. In der im Staatsarchiv erhaltenen Akte befinden sich mehrere Anträge, in denen er darum bitten musste, über sein eigenes Geld verfügen zu können. Er unterstützte damit einen der Söhne und seine Tochter, die sich in der Ausbildung befanden. Im November 1938 bat er um 1000 RM für die Auswanderung seiner Schwiegertochter, der Frau von Fritz, die damals mit dem kleinen Sohn in Breslau lebte. Im Dezember 1938 beantragte er weitere 1400 RM, um Steuern zu bezahlen und 4000 RM für Evas Auswanderung. 2000 RM wurden ihm dafür bewilligt. Alle weiteren Anträge scheinen genehmigt worden zu sein. Darunter waren im April 1939 für seinen Sohn Herbert in Palästina 268 RM und im Juli 1939 für seine taubstumme Schwester Rebecka in Berlin 20 RM monatlich. Die Ausraubung der jüdischen Bevölkerung ging weiter. Im Oktober 1939 musste Mathias 1000 RM "Judenvermögensabgabe" bezahlen. Wahrscheinlich war diese Summe nur eine von vier oder fünf Raten zur angeblichen Beseitigung der Schäden des Novemberpogroms. Im November oder Dezember 1939 nahm das Ehepaar Stein einen Untermieter auf, Edgar Ephraim Hirsch (s. www.stolperstein-hamburg.de), für den vor dem Haus Bornstraße 28 ein Stolperstein liegt. In den Akten der Familie im Hamburger Staatsarchiv findet sich kein Anhaltspunkt dafür, dass Clementine und Mathias irgendwann versuchten, auszuwandern. 1939 waren sie 59 und 65 Jahre alt.

Wie bereits erwähnt, hatten sowohl Mathias als auch Clementine Geschwister. Folgendes wissen wir über die Rothschildkinder: Clementines Bruder Hugo (1872–1930) hatte das Textilgeschäft vom Vater übernommen und führte es gemeinsam mit dem zweitältesten Sohn Leopold (1873–1920) weiter.

Max (1875–1969) war Arzt geworden und nach Palästina ausgewandert. Sally (1877–1956) gelang noch 1940 mit seiner Frau die Flucht in die USA.

Clementines einzige Schwester Betty Adler (geboren 1882) lebte in Gelsenkirchen und Mannheim und wurde am 27. Januar 1942 nach Riga deportiert und dort am 26. März 1942 ermordet.

Ihr Bruder Adolf Rothschild (geboren 1884) lebte in Wien und wurde mit dem zweiten Transport am 27. Oktober 1939 nach Nisko am San im besetzten Polen deportiert. Wie die meisten Deportierten wurde er über die Demarkationslinie auf sowjetisch besetztes Gebiet getrieben. Die Sowjets kategorisierten die Männer als "feindliche Ausländer" und wiesen sie in Zwangsarbeiterlager ein. Nach Angaben seiner Tochter, die im Exil überlebte, befand sich Adolf Rothschild in Suchobezwodnaja im Gebiet Gorki in einem NKWD-Lager (ein Lager des "Volkskommissariats für innere Angelegenheiten", russisch abgekürzt NKWD), wo sich seine Spur verlor. Seine Frau Anna wurde im Januar 1942 von Wien aus nach Riga deportiert und ermordet. Clementines jüngster Bruder Karl (geboren 1890) war im Mai 1915 als Soldat in Frankreich gestorben.

Mathias‘ Geschwister waren Markus, Malchen, die Zwillinge Veilchen und Abraham, Bertha und Rebecka. Markus Stein (1860–1942, Frankfurt am Main), war Kaufmann und verheiratet mit Zippora, geborene Roth (1855–1930). Ihr Sohn Salomon (geboren 1893) wurde nach Majdanek deportiert und am 2. September 1942 ermordet, die Tochter Jenny (geboren 1896) wurde von Frankfurt aus an einen unbekannten Ort deportiert. Die Lebenswege von Mathias’ Schwestern Malchen (geboren 1862) und Veilchen (geboren 1864) sind unbekannt. Es ist zu hoffen, dass sie eines natürlichen Todes starben, da sie im Gedenkbuch des Bundesarchivs nicht aufgeführt sind. Dasselbe gilt für Veilchens Zwillingsbruder Abraham, laut Volkszählung von 1939 ebenfalls in Frankfurt ansässig. Eine weitere Schwester, Bertha (geboren 1871), lebte bis zum Tod ihres Ehemanns Hesekiel (genannt Hugo) Rothschild 1938 in Gießen. Im März 1938 zog sie zu ihrer verheirateten Tochter nach Berlin. Ihr gelang die Flucht zu ihren anderen Kindern in das Britische Mandatsgebiet Palästina. Bertha Rothschild starb 1955 im israelischen Rishon LeZion.

Die bereits erwähnte taubstumme Schwester Rebecka (geboren 11. September 1866), die von Mathias finanziell unterstützt wurde, lebte anscheinend abwechselnd bei ihren Geschwistern. 1912 wohnte sie in Gießen bei den Rothschilds, im Juni 1921 zog sie aus Hamburg (Anschrift dort Rutschbahn 37) nach Gießen zurück und übersiedelte im Januar 1922 nach Storndorf. Laut Volkszählung lebte sie im Mai 1939 bei ihrem Bruder Markus und dessen Kindern Salomon und Jenny Stein in Frankfurt in der Schwanenstraße 12. Kurz darauf zog sie nach Berlin-Weissensee oder wurde eingewiesen in das "Dauerheim der Israelitischen Taubstummenanstalt für Deutschland" in der Parkstraße 22. Am 14. September 1942 wurde sie mit 81 Mitbewohnerinnen und -bewohnern nach Theresienstadt deportiert. Die Gruppe war Teil des "Zweiten großen Berliner Alterstransports", der 1000 Menschen umfasste. Rebecka Stein starb am 1. Juni 1943 in Theresienstadt.

Eva Stein hatte inzwischen in London einen Freund und früheren Klassenkameraden ihres Bruders Joseph wiedergetroffen, Georg Oppenheim. Georg, ein ehemaliger Schüler ihres Vaters, war sogar von diesem mit dem Rohrstock gezüchtigt worden. Die beiden verliebten sich und heirateten nach einer kurzen und heftigen Romanze, wie ihre Kinder erzählen. Über das Rote Kreuz teilte Eva 1941 ihren Eltern mit, dass sie schwanger sei. Diese Nachricht wird eine große Freude für Clementine und Mathias Stein gewesen sein, denn ansonsten verschlechterten sich die Lebensbedingungen für jüdische Menschen rapide. Seit September 1941 mussten alle Jüdinnen und Juden in Deutschland den gelben Stern tragen. Es erfolgte ihre massenhafte Einweisung in "Judenhäuser", die vollkommen überfüllt waren. Auch Mathias und Clementine Stein mussten ihr Zuhause verlassen und in ein "Judenhaus" im Papendamm 3 ziehen, dem ehemaligen jüdischen Waisenhaus für Jungen. Dort erhielten sie kurze Zeit später den Deportationsbefehl nach Theresienstadt. Mathias Stein hatte gezwungenermaßen einen "Heimeinkaufsvertrag" über 1847,72 RM abschließen müssen, wahrscheinlich der Rest seines Vermögens. Dieser "Vertrag" sah die Übertragung ihrer gesamten Ersparnisse an die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland vor, fiktive Gegenleistung war die lebenslange Nutzung eines "Heimplatzes" in Theresienstadt. Das von der Reichsvereinigung eingesammelte Geld beschlagnahmte am Ende die Gestapo.

Zwei Monate nach ihrer Ankunft im "Altersgetto" wurden Mathias und Clementine Stein in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und wahrscheinlich sofort nach der Ankunft ermordet. Das auf dem Stolperstein angegebene Deportationsziel Minsk beruht auf einem Irrtum.

Für Mathias und Clementine Stein liegen weitere Stolpersteine in der Rutschbahn 37.

Stand: Juli 2017
© Sabine Brunotte

Quellen: 1; 2; 3; 5; Walter Oppenheim, The Oppenheim and Stein Family: A Short Family History, April 2016, Familienerinnerungen und Dokumente, zur Verfügung gestellt von Ruth Walter und Walter Oppenheim; StaH 314-15 R 1938/2925; StaH 351-11 35602; StaH 522-1 Ablieferung 1993, Ordner 10; Hamburger Adressbücher 1905, 1915, 1920, 1925, 1930, 1936 und 1937, Zugriff 25.6.2015; Randt: Die Talmud-Tora-Schule, S. 262 u. S. 266; Dittmar/Jäkel: Geschichte, S. 73; Müller: Juden, S. 542, 574 und 612; telefonische Auskunft Fred Leser vom 7.6.2015; schriftliche Auskunft Staatsarchiv Hamburg, E-Mail vom 15.6.2015; schriftliche Auskunft Eric Brück, Frankfurt am Main, E-Mails vom 5. und 6.7.2015; schriftliche Auskunft Stadtarchiv Alsfeld, E-Mails vom 17. und 21.7.2015; schriftliche Auskunft Bundesarchiv Berlin, E-Mail vom 23.7.2015; schriftliche Auskunft Standesamt Alsfeld, E-Mail vom 18.8.2015; schriftliche Auskunft Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, E-Mail vom 18.9.2015; schriftliche Auskunft Lothar Dymianiw, Ortsarchiv Storndorf, vom 20.9.2015; Jüdisches Gemeindeblatt für das Gebiet der Hansestadt Hamburg, Ausgabe Nr. 7 1937, S. 10, online eingesehen unter www.sammlungen.ub.uni-frankfurt.de, Zugriff am 18.10.2015, https://de.wikipedia.org/wiki/Alsfeld (letzter Aufruf: 24.10.2015); https://de.wikipedia.org/wiki/Storndorf (letzter Aufruf: 24.10.2015); Alemannia Judaica (Hrsg.): Burgpreppach; www.ffmhist.de/ffm33-45/portal01/portal01.php?ziel=t_jm_deportatio nen_1942_45 zu "Heimeinkaufsvertrag" Theresienstadt (letzterAufruf: 22.11.2015); schriftliche Auskunft Hessisches Hauptstaatsarchiv, E-Mail vom 6.4.2016; Meyer: Hirsch; schriftliche Auskunft Eitan Avitsur, E-Mails vom 25.5.2016.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

druckansicht  / Seitenanfang