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Benno Hirschfeld
Benno Hirschfeld
© Privat

Benno Hirschfeld * 1879

Neuer Wall 19 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER ARBEITETE
BENNO HIRSCHFELD
JG. 1879
VERHAFTET 1943
KZ FUHLSBÜTTEL
DEPORTIERT 1943
AUSCHWITZ
ERMORDET 10.4.1945
BUCHENWALD

Weitere Stolpersteine in Neuer Wall 19:
Kurt Manfred Hirschfeld

Benno Hirschfeld, geb. 23.3.1879 in Kasparus/Westpreußen, deportiert Mai 1943 nach Auschwitz, weiterdeportiert 22.1.1945 nach Buchenwald
Kurt Manfred Hirschfeld, geb. 1922, Oktober 1944 nach Neuengamme eingeliefert, dort am 28.1.1945 gestorben

Neuer Wall 19

Benno (eigentlich Berger) Hirschfeld wurde 1879 im katholisch und polnisch geprägten Dorf Kasparus im Landkreis Preußisch-Stargard in Westpreußen geboren. Sein Vater, Simon Hirschfeld, war Hausierer mit eigenem Pferdewagen und königlicher Forstkassenrendant, seine Mutter, Cäcilie Hirschfeld, geb. Rosenberg, führte eine Schankwirtschaft im eigenen Haus. An den hohen Feiertagen fuhr die Familie zur Synagoge nach Schliewitz.

Benno Hirschfeld hatte 11 Geschwister und war der zweitjüngste der 6 Söhne. Von Februar 1897 bis Dezember 1898 arbeitete er als Gehilfe und Commis bei Firma Alsberg in Recklinghausen (Breite Straße 24); anschließend wechselte er nach Berlin. Erstmalig 1905 taucht er im Hamburger Adressbuch als Hauptmieter einer Wohnung im Neuen Wall 69 auf, wo kurzzeitig auch sein älterer Bruder Isidor Hirschfeld wohnte.

Zusammen mit seinen fünf Brüdern Isidor (1868–1937), Joseph (1863–1899), Walter (gest. ca. 1910/11), Albert (1882–1931) und Emil Hirschfeld (1870–1934) gründete er in unterschiedlichen Konstellationen und Beteiligungen gehobene Damenbekleidungsgeschäfte in Hamburg (seit 1893, Isidor Hirschfeld, später gemeinsam mit Benno Hirschfeld), Bremen (Emil Hirschfeld), Lübeck (seit 1898, Emil Hirschfeld), Hannover (Isidor, Benno u. Emil Hirschfeld) und Leipzig (Isidor, Benno u. Albert Hirschfeld) jeweils in der Rechtsform Offener Handelsgesellschaften. Auch die Beteiligung an den Grundstücken variierte von Stadt zu Stadt. Die Immobilie in der Hamburger Altstadt konnte schrittweise erworben werden, so das Geschäftshaus "Schleusenhof" (Neuer Wall 17) 1919 von der Berlinischen Lebensversicherungs-Gesellschaft und das danebenliegende "Leinenhaus" (Neuer Wall 19/23) im Jahre 1928 von den Inhabern des Leinengeschäfts und der Wäsche- und Bettenfabrik Meissner & Sohn. Beide Geschäftshäuser wurden ab 1929 von den neuen Eigentümern unter der Bezeichnung "Arkadenhaus" zusammengelegt.

Obwohl die einzelnen Konfektionsgeschäfte der Hirschfelds eigenständige Firmen waren, trafen die Brüder gewichtige Entscheidungen wie z.B. über Geschäftsumbauten und die personelle Ausstattung für alle Häuser in Hamburg gemeinsam. Der Wareneinkauf für alle Häuser wurde zentral vom Berliner Einkaufsbüro aus geleitet, das Benno Hirschfeld führte. Berlin war das Zentrum der Damenkonfektion. Für seine lang anhaltenden Berlinaufenthalte hatte Benno Hirschfeld ein Zimmer im Hotel Kaiserhof fest angemietet (das ihm 1934 gekündigt wurde). Auch für das befreundete Textilhaus Merkur (Basel) kaufte er bis 1933 in Berlin ein. Der erste Firmeneintrag im Hamburger Adressbuch für Gebr. Hirschfeld stammte aus dem Jahr 1894 für eine "Damen-Mäntelfabrik". Die rasante Entwicklung der Firma dokumentierte der Adressbucheintrag aus dem Jahre 1900 recht anschaulich: "Gebr. Hirschfeld, Fabrik von Damen- und Kinder-Mäntel jeden Genres in hervorragenden Neuheiten, großes Lager englischer Gummi-Regenmäntel, Sport- und Reisekleider aus echten Loden, Anfertigung nach Maaß in eigenen Ateliers".

Benno Hirschfeld, seit März 1905 Mitglied der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg sowie des liberalen jüdischen Kultusverbandes "Tempelverband", heiratete die evangelische Mecklenburgerin Betty Köhn (1884–1962), mit der er die beiden Söhne Hans (geb. 1920) und Kurt (geb. 1922) hatte. Die Familie wohnte in Mietwohnungen in der Moorweidenstraße 24 III.Stock (u.a. 1914–1934), Moorweidenstraße 22 (1935–1939) sowie Frauenthal 13 II. Stock in Harvestehude (1942–1943). Für die letzte Wohnadresse im Haus der Witwe Ebert wurde im Adressbuch Betty Hirschfeld eingetragen, in den Jahren 1940 und 1941 weist kein Eintrag auf Hirschfelds als Hauptmieter hin. Der ältere Sohn Hans besuchte nach der Grundschule Binderstraße seit 1930 die Oberrealschule Bogenstraße, die er im Frühjahr 1936 aufgrund seines jüdischen Vaters verlassen musste.

Isidor Hirschfeld (1868–1937) war mit Frieda geb. Brandenburger (geb. 11.12.1885) verheiratet; aus dieser Ehe stammten die Söhne Rudolf (geb. 1906), Walter (geb. 1909), Herbert (geb. 1910), Otto (geb. 1911) und Gerhard (geb. 1917). Isidor Hirschfeld hatte ab 1882 als Lehrling einer Textilhandlung in der Kreisstadt Preußisch-Stargard und von 1884 bis 1888 in Berlin bei Sielmann & Rosenberg (Kommandantenstraße 3/4) gearbeitet, seit 1889 war er in Hamburg Filialleiter von Sielmann & Rosenberg "Manufactur u. Confection" (Graskeller 6) und seit Herbst 1893 zusammen mit seinem Bruder Joseph Hirschfeld Inhaber eines eigenen Konfektionsgeschäfts. Isidor Hirschfeld gehörte seit 1892 der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg sowie dem liberalen Kultusverband "Tempelverband" an. Im März 1929 wurde er in den Verwaltungsausschuss des Israelitischen Tempelverbandes gewählt, dort engagierte er sich für den Bau des Tempels Oberstraße (1930–1931 erbaut). 1930 unterstützte er den Wahlaufruf der Religiös-Liberalen-Liste bei der Wahl des Repräsentanten-Kollegiums der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg. 1903 erwarb Isidor Hirschfeld das Hamburger Bürgerrecht. Er war zudem Mitglied im Vorstand des Reichsbundes des Textileinzelhandels und beeidigter Sachverständiger für die Detaillistenkammer des Hamburger Einzelhandels für Damen- und Kinderkonfektionen (u.a. 1921–1929) zusammen mit Siegfried Freundlich (1863–1942). Isidor Hirschfelds Familie wohnte in der Moorweidenstraße 18 III. Stock (u.a. 1910–1934). Als Beispiel, wie die Söhne für die künftigen Aufgaben im Familienunternehmen vorbereitet wurden, sei die Ausbildung von Herbert Hirschfeld erwähnt: 1926–1929 Lehre im Warenhaus S. Alsberg & Co. (Bielefeld), 1929 Substitut bei S. Alsberg & Co. (Bielefeld), 1930 Kleiderfabrikation Louis Rosenthal & Co. (Berlin), 1931 Mantelfabrikation Basch & Kastel (Berlin), 1932 Manager und Einkäufer bei Gebr. Hirschfeld (Berlin), 1934 Manager und Einkäufer bei Gebr. Hirschfeld (Hamburg), 1936 Geschäftsführer und Einkäufer bei Gebr. Hirschfeld (Hannover).

Die Hirschfelds pflegten freundschaftlichen Umgang u.a. mit den Familien Warburg, Rappolt und Robinsohn. Die beiden Letztgenannten gehörten ebenso zur gehobenen Textilbranche, wie der genannte befreundete Siegfried Freundlich, der laut Adressbuch von 1928 ein "Großes Haus für Jugend-Moden, Konfektion für junge Damen und junge Herren" in der Poststraße 2–4/Ecke Neuer Wall ("Hübner-Haus") führte. Auch zu den in Hamburg lebenden Schwestern Selma Galewski, geb. Hirschfeld und Bertha Cohn, geb. Hirschfeld (verheiratet mit Salo Cohn, Damenmäntelfabrik, Reeperbahn 89) bestand ein enger Kontakt.

Mit der Regierungsübergabe an eine Koalitionsregierung aus NSDAP, Deutschnationaler Volkspartei (DNVP) und Deutscher Volkspartei (DVP) wurde der Antisemitismus schrittweise in Gesetze aufgenommen. Am 1. April 1933 boykottierten die Sturmabteilung (SA) und Schutzstaffel (SS) der NSDAP reichsweit Geschäfte jüdischer Eigentümer. Im Zuge dieser Aktion postierte die SA Männer auch vor dem Eingang des Hamburger Hauses von "Gebr. Hirschfeld", um so Kundschaft und Eigentümer gleichermaßen einzuschüchtern. Die ehemalige Buchhalterin Elsa Brey erinnerte sich 1971 in einem Gerichtsverfahren so: "Es standen Posten an den Türen und ließen keine Kunden in das Geschäft. Das dauerte 2 bis 3 Tage. (…) Wir mussten unsere Kraftwagen, mit denen wir die Ware auslieferten, neutral gestalten, damit nicht mehr erkennbar war, daß Ware aus einem jüdischen Geschäft geliefert wurde. Wir hörten auch, daß viele Männer ihren Frauen verboten, bei uns einzukaufen, weil sie sonst ihrerseits Unannehmlichkeiten gehabt hätten." Gleichzeitig wurde Werbung von Firmen jüdischer Inhaber in der Presse untersagt. In den folgenden Jahren verschärfte sich die NS-Politik gegen Juden immer mehr und gingen mit einer Flut von lokalen und reichsweiten antisemitischen Verordnungen, Gesetzen und Maßnahmen einher.

Am 15. Mai 1937 starb der 69-jährige Isidor Hirschfeld auf der Straße vor dem Damenbekleidungsgeschäft "Gebr. Hirschfeld" am Neuen Wall 20. Die ehemalige Buchhalterin Marie Wulf berichtete 1971: "Herr Hirschfeld war bis zum Schluß voll im Geschäft tätig. Vormittags zeichnete er Ware aus, kümmerte sich um die Retouren, diktierte die Post und nachmittags beaufsichtigte er meistens den Verkauf. So blieb es mit ihm bis zu seinem Todestag. Ich entsinne mich noch, daß dies am Pfingstsonnabend 1937 geschah. Er hatte sich noch von uns verabschiedet, er hatte uns kleine Geschenke überreicht und starb dann, als er mit dem Wagen vom Geschäft abfahren wollte, vor dem Geschäftshaus. Dies traf uns alle völlig unerwartet. Man sagte damals, es sei ein Herzschlag gewesen. (…) Mein persönlicher Eindruck war der, daß Herr Isidor Hirschfeld der Kern der gesamten Hirschfeld-Familie und Hirschfeld-Unternehmungen war; sein Wort galt schon etwas."

Ab circa 1936 machten sich die Eigentümerwechsel in der deutschen Textilproduktion auch im Modehaus Hirschfeld negativ bemerkbar. Als jüdische Fabrikanten und Zulieferer emigrierten und/oder an nichtjüdische Besitzer verkauften, folgte eine Welle von Vertrags- und Lieferstornierungen der "arischen" Neueigentümer. Dies führte zu ersten boykottbedingten Engpässen bei jüdischen Bekleidungsgeschäften. Über die vom NS-Staat 1938 gebildete Lieferantenvereinigung "Arbeitsgemeinschaft deutsch-arischer Fabrikanten der Bekleidungsindustrie" (ADEFA) in Berlin übte die NSDAP zusätzlich massiven Druck auf die Produzenten aus, keine jüdischen Geschäfte mehr zu beliefern. Durch dieses staatlich geschaffene Lieferantenkartell, das im Sinne der Nationalsozialisten agierte, wurden die jüdischen Geschäftsinhaber von Warenlieferungen ausgeschlossen und zum Verkauf ihrer Firmen genötigt, wollten sie überhaupt noch einen Erlös aus dem Unternehmensverkauf erzielen. In dieser Situation entschloss sich auch Benno Hirschfeld notgedrungen zum Verkauf.

Ende September 1938 erließ Regierungsrat Fritz Klesper (geb. 1900, seit 1.5.1933 NSDAP-Mitglied) von der Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten eine "Sicherungsanordnung gemäß § 37a Devisengesetz" gegen das gesamte Vermögen von Benno und Betty Hirschfeld und entzog es damit der freien Verfügbarkeit der Eigentümer. Darüber hinaus wurde Benno Hirschfeld am 19. November 1938 die Geschäftsführung entzogen und von der Devisenstelle Edgar Koritz (geb. 1889, seit August 1935 Mitglied der NSDAP) von der "Treuhansa" (Hanseatische Vermögensverwaltungs- und Treuhand-Gesellschaft mbH) als "alleinvertretungsberechtigter Treuhänder" im Sinne der nationalsozialistischen Politik eingesetzt. Benno Hirschfeld befand sich zu dieser Zeit in Haft.

Er war im Zuge des Novemberpogroms mit seinem Sohn Hans Hirschfeld am 10. November 1938 in Bremen frühmorgens verhaftet und dort in Massensammelzellen des Gefängnisses gepfercht worden. Hans Hirschfeld, nach einigen Stunden wieder entlassen, versuchte umgehend über den Anwalt der Firma Gebr. Hirschfeld seinen Vater freizubekommen. Der Anwalt verwies resigniert auf die Machtlosigkeit der Justiz und die Allmacht der Gestapo. Benno Hirschfeld wurde erst nach einem zweiten Herzanfall entlassen.

Der Novemberpogrom 1938, von den Nationalsozialisten zynisch als "Reichskristallnacht" bezeichnet, führte auch bei den Geschäften von "Gebr. Hirschfeld" zu großen Zerstörungen und Warenverlusten. Für die organisierte Geschäftszerstörung in Hamburg fuhren drei oder vier Lastwagen mit SA-Leuten vor. Der Nachtportier wurde vertrieben und das Zerstörungswerk systematisch durchgeführt: alle Schaufenster und Glasvitrinen zerschlagen, Holzschränke demoliert, Kleiderständer über das Treppengeländer ins Erdgeschoss geworfen, sämtliche Schaufenster beraubt (Pelzmäntel, Abendkleider, Mäntel, Schaufensterpuppen) und große Mengen an Kleidung beschädigt – die Verluste wurden auf rund 100.000 RM geschätzt, allein die Neuverglasung der Fenster kostete 11.200 RM. Die Glasschutzkasse (Hamburg, Neue Rabenstr. 27/30) lehnte eine Ersatzpflicht ab und bezog sich auf eine nachträglich erlassene Verordnung vom 12. November 1938. Darin war den jüdischen Firmeninhabern die sofortige Beseitigung des Schadens aus der "Reichskristallnacht" auferlegt und Versicherungsansprüche gleichzeitig ausgeschlossen worden. Im Rahmen der reichsweit gesteuerten Übergriffe gegen Personen und Geschäfte wurde auch der Geschäftsführer von "Gebr. Hirschfeld" in Hannover und Sohn von Isidor Hirschfeld, Herbert Hirschfeld (geb. 1910 in Hamburg), verschleppt. Er hatte am 10. November das verwüstete Geschäft in der Hannoveraner Altstadt (Große Packhofstraße 4/5 u. 6/8) betreten, wurde dort ohne Angabe von Gründen von SS-Männern verhaftet, ins Gefängnis überstellt und ins KZ Buchenwald verschleppt, wo er bis zum 17. Januar 1939 in "Schutzhaft" blieb. Herbert Hirschfeld emigrierte im Juni 1939. Der Geschäftsführer Dr. jur Walter Reifenberg und seine Frau Cecilie Reifenberg, geb. Hirschfeld, emigrierten vor dem 21. November 1939. Der von den Firmeneigentümern beauftragte Hamburger Rechtsanwalt Heinrich Günther hielt in einer Aktennotiz am 17. November 1938 fest: "Vom 9. bis zum 11.11.1938 ist (…) in Hannover durch uniformierte SS die Ware mit Lastwagen weggebracht und sichergestellt. Ein anderer Teil fremder Ware ist nach diesem Zeitpunkt in den Laden der Firma Gebrüder Hirschfeld hineingeworfen." Die Warenverluste in Hannover beliefen sich durch die systematische Beraubung des Warenlagers auf rund 200.000 RM. Das Modehaus in Hannover wurde von dem "Treuhänder" Freitag ohne Wissen der Eigentümer im Januar 1939 verkauft.

In Hamburg erwarb Franz Fahning (1896–1958), ehemaliger Geschäftsführer des Warenhauses Rudolph Karstadt AG in Hamburg (1930–1935) sowie ehemaliger Mitinhaber der Firma Franz Fahning KG in Duisburg (1935–1938) und seit Mai 1937 NSDAP-Mitglied, im November 1938 als "Ariseur" sowohl die Hirschfeld-Immobilie Neuer Wall 17–23, Schleusenbrücke 8–12, Alsterarkaden 13/16 als auch das Bekleidungsgeschäft von Gebr. Hirschfeld und führte es unter dem Namen "Franz Fahning – Das Haus für modische Damen-Moden" weiter. Nur durch sehr hohe Kredite des Konsuls Dietrichsen (Hamburg) über 600.000 RM sowie der Commerz- und Privatbank AG über 380.000 RM konnte Fahning die Kaufsumme von 1,5 Millionen Reichsmark für Gebäude und Geschäft aufbringen. Die Festlegung der Werte und damit der Kaufsumme erfolgte über einen Schätzer vom Reichswirtschaftsministerium in Berlin. Für die Firmengründerfamilie Hirschfeld bedeutete die "Arisierung" neben einem geringeren Verkaufserlös auch Kosten für Rechtsanwälte, Steuerberater, Gutachter, die Commerz- und Privatbank AG sowie die Arisierungsabgabe in Höhe von insgesamt mindestens 200.000 RM. Im Hamburger Tageblatt erschien am 30. November 1938 eine große Anzeige: "Am Neuen Wall (…) eröffnet morgen 10 Uhr Franz Fahning, früher Gebrüder Hirschfeld, das Haus für modische Damenkleidung. Das Haus Gebrüder Hirschfeld, Hamburg, Neuer Wall, ist seit dem 29. November 1938 restlos in arischen Besitz übergegangen. (…)".

Das Geschäftshaus der Hirschfelds in Leipzig (Peterstraße 40/42) wurde im April 1941 an den "Zweckverband für die Stadt- u. Girobank Leipzig" zum niedrigeren Einheitswert von 1937 und nicht wie üblich zum höheren Verkehrswert verkauft. Das dortige Modegeschäft Gebr. Hirschfeld war bereits 1938 verkauft worden.

In Lübeck (Breite Straße 39–41) wurde das Geschäft für "Damen- u. Mädchen-Kleidung Gebr. Hirschfeld" im Zuge der nationalsozialistischen "Arisierungspolitik" am 12. November 1938 von Herbert Gutsmann übernommen und unter seinem Namen weitergeführt. Geschäftsführer bei Gebr. Hirschfeld waren zuletzt Carl Camnitzer (Ehefrau Lina Hirschfeld geb. 6.6.1873) und Hermann Schild (Ehefrau Emma Hirschfeld), die beide Vorstandsmitglieder der Israelitischen Gemeinde Lübeck waren.

Im Juli 1939 wurde reichsweit die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland gegründet, der die Hamburger Jüdische Gemeinde als Bezirksstelle angehören musste. Dort übernahm Walter Rudolphi (siehe dessen Biografie www.stolpersteine-hamburg.de) im neu gebildeten Vorstand die Bereiche Fürsorge und Gesundheitswesen. Er war auf ehrenamtliche Helfer/innen angewiesen, und Benno Hirschfeld erklärte sich bereit, eine Kleiderkammer für Bedürftige in der Beneckestraße 2 (Rotherbaum) einzurichten. Auch Franz Rappolt (siehe dessen Biografie www.stolpersteine-hamburg.de), den Benno Hirschfeld geschäftlich wie privat gut kannte, engagierte sich in Walter Rudolphis (1880–1944) Arbeitsbereich.

Nach dem Verlust des Hamburger Modegeschäfts musste Benno Hirschfeld Schikanen der Devisenstelle erdulden, so eine neue "Sicherungsanordnung" vom 17. Januar 1940 sowie eine Vorladung am Sonnabend, den 20. April 1940 ("Führers Geburtstag") vormittags, dem jüdischen Sabbat. Seine Versuche nach dem Novemberpogrom 1938, in die USA und nach Kuba zu emigrieren, scheiterten.

Vom 3. November 1940 bis 25. November 1940 wurde Benno Hirschfeld im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert. Für eine Inhaftierung genügte im Deutschland der NS-Zeit bereits eine bloße Anschuldigung. In Benno Hirschfelds Fall soll ihn der Hauswart des Nachbarhauses, ein überzeugter Nazi, mit dem Hinweis, er höre Feindsender, angezeigt haben. Daraufhin erschienen von der Geheimen Staatspolizei Kriminalsekretär Walter Wohlers und Kriminalsekretär Walter Mecklenburg im Wohnhaus Frauenthal 13. Im ersten Verhör in der Privatwohnung traten und schlugen die Gestapo-Beamten ihr 61-jähriges Opfer, um von ihm ein schnelles Geständnis zu erpressen. Anschließend musste Benno Hirschfeld in ein wartendes Auto steigen und wurde ins Konzentrationslager bzw. Polizeigefängnis Fuhlsbüttel gebracht. Drei Wochen später kehrte er verstört zurück und verwies bei Nachfragen darauf, dass er nichts über die Haft sagen dürfe.

Ende Februar 1943 listete der für den Zwangseinsatz jüdischer Männer zwischen 14 und 65 Jahren und jüdischer Frauen zwischen 15 und 55 Jahren verantwortliche Willibald Schallert (geb. 1896, seit 1930 Mitglied der NSDAP und der SA) dem Hamburger Gestapo-"Judenreferenten" Claus Göttsche die Namen von 17 angeblichen Arbeitssaboteuren auf. Darunter befanden sich auch Alfred Berend (geb. 15.9.1885 in Altona, siehe www.stolpersteinehamburg.de), Alfred Moser (geb. 15.4.1887 in Aachen, siehe www.stolpersteine-hamburg.de), Fritz Scharlach (geb. 25.2.1898 in Hamburg) sowie der 63-jährige Benno Hirschfeld. Auf der Liste standen ausschließlich jüdische Ehemänner aus "privilegierten Mischehen", meist ehemals selbständige Kaufleute zwischen 45 und 67 Jahren, zwei waren zudem ehrenamtliche Helfer des Jüdischen Religionsverbandes. Bis auf Rudolf Hamburger, der durch Flucht überlebte, wurden alle genannten Personen nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Schallert erklärte gegenüber Betty Hirschfeld: "Sie brauchen nichts zu unternehmen. Ihr Mann kommt nicht wieder." Sein Sohn Hans Hirschfeld schrieb 1944 sogar an Generalfeldmarschall Hermann Göring und bat um Entlassung seines Vaters, eine Reaktion blieb aus. Benno Hirschfeld wurde im März 1943 im Konzentrationslager Fuhlsbüttel interniert und von dort im Mai 1943 mit einem Sondertransport ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und im Januar 1945 aufgrund des Vormarsches der "Roten Armee" ins Konzentrationslager Buchenwald verlegt. Sein genaues Todesdatum dort ist nicht bekannt; sein letzter Brief datierte vom 4. März 1945. Er wurde auf den 10. April 1945 für tot erklärt.

Sein jüngerer Sohn Kurt Hirschfeld (geb. 1922), gelernter Textilkaufmann, arbeitete dienstverpflichtet ab circa 1941 bei der Hamburger Heizungs- und Installationsfirma Rudolf-Otto Meyer (Pappelallee 23–39). Im Oktober 1944 sollte er in den Zwangsarbeitseinsatz für "jüdische Mischlinge" bei der Arbeitsarmee "Organisation Todt" kommen. Den letzten Abend davor ging Kurt Hirschfeld mit seinen Freunden Werner Möller und Günther Behrendson in einer Seitenstraße der Reeperbahn Wein trinken. Auf dem Weg nach Hause sangen sie (Swing)Schlager. Ein Kriminalbeamter wurde zufällig auf sie aufmerksam, verfolgte sie, wollte ein feindliches Lied gehört haben, nahm sie fest und übergab sie den Beamten in der Davidwache (St. Pauli). Die Gestapo in der Stadthausbrücke übernahm den "Fall", machte aus dem Lied die "Internationale", erzwang mit den üblichen Methoden Geständnisse und ließ Kurt Hirschfeld und Werner Möller ins Konzentrationslager Neuengamme und Günther Behrendson ins Konzentrationslager Buchenwald einliefern – ein Gerichtsverfahren gab es nicht. Ein schriftliches Gesuch von Hans Hirschfeld, seinen Bruder freizubekommen, endete mit einer Vorladung Hans’ bei der Gestapo im Johannisbollwerk und wüsten Drohungen des Kriminalsekretärs Hans Stephan (geb. 1.5.1902, seit 1.5.1933 Mitglied der NSDAP und der SS) und des Kriminalsekretärs Walter Wohlers (geb. 5.5.1902, seit 1.5.1933 Mitglied der NSDAP und der SS).
Kurt Hirschfeld starb nach offiziellen Angaben am 28. Januar 1945 im Krankenhaus des KZ Neuengamme an Diphterie. Seine beiden Freunde überlebten das KZ.

Für Benno Hirschfeld und seinen Sohn Kurt Hirschfeld wurden im August 2013 Stolpersteine vor dem Wohnhaus Frauenthal 13 (Harvestehude) und vor dem Geschäftshaus Neuer Wall 19 (Neustadt) verlegt. An der Stirnseite des ehemaligen Modehauses, Schleusenbrücke, wurde 1998 eine Metallplakette mit folgendem Text angebracht: "Zum Gedenken an die Gebr. Hirschfeld die hier ihr Modehaus führten bis ihr Lebenswerk am 9. November 1938 zerstört wurde".

Selma Galewski, geb. Hirschfeld (geb. 12.10.1880 in Kasparus) und ihr Ehemann Marcus, genannt Hugo, Galewski (geb. 7.3.1870 in Kempen/Posen) besaßen ein Bekleidungsgeschäft am Steindamm 108/114. Beim Novemberpogrom 1938 schlugen auch bei ihnen SA-Männer die Schaufensterscheiben ein und die Firma musste auf staatlichen Druck hin verkauft werden. Im Adressbuch von 1940 waren bereits die neuen Eigentümer des in "Tönshoff & Henning Damenkonfektion" umbenannten Geschäfts vermerkt, auch die Immobilie war von den "Ariseuren" P. Tönshoff und Albert J. Henning erworben worden.

Die Eheleute Galewski mussten im Mai 1941 ihre stilvoll eingerichtete 8-Zimmer-Wohnung im Mittelweg 151 (Rotherbaum) auf Druck staatlicher Stellen verlassen. Die wertvolle Wohnungseinrichtung wurde beschlagnahmt und auf Anweisung des Oberfinanzpräsidenten öffentlich versteigert. Die Eheleute wurden am 19. Juli 1942 ins Getto Theresienstadt deportiert und am 15. Mai 1944 weiter ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Für beide wurden Stolpersteine in der Johnsallee 29 verlegt. Ihr Sohn Robert Galewski (geb. 5.8.1906 in Hamburg) floh nach Frankreich und wurde am 4. September 1942 vom Lager Drancy aus ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Dem Bruder Ernst Galewski (geb. 1909) gelang circa 1939 die Ausreise in die USA; die Schwester Irene Guthmann, geb. Galewski (geb. 1905) reiste noch circa 1941 über Moskau, Wladiwostok, Tokio und San Francisco aus.

In Lübeck wurden Stolpersteine für Carl Camnitzer (geb. 1873), Lina Camnitzer, geb. Hirschfeld (geb. 1873) und ihre Tochter Elsa Camnitzer (geb. 1900) in der Breite Straße 41 verlegt. Die Familie wurde am 6. Dezember 1941 über Hamburg ins Getto Riga-Jungfernhof deportiert und dort vermutlich im März 1942 bei den Massenerschießungen in Dünamünde ermordet.

An Siegmund Freundlich (geb. 10.4.1863 in Neustettin), Textilkaufmann und mit Familie Hirschfeld befreundet, erinnert ein Stolperstein in der Sierichstraße 20 (Winterhude).

Für die angeblichen "Arbeitssaboteure", die zusammen mit Bruno Hirschfeld im April/ Mai 1943 deportiert wurden, liegen Stolpersteine in der Hirtenstraße 58 (für Alfred Berend), im Novalisweg 1 (für Alfred Moser), im Jean-Paul-Weg 10 (für Alexander Grünberg, siehe www.stolpersteine-hamburg.de), in der Sierichstraße 66 (für Herbert Ledermann, siehe www.stolpersteine-hamburg.de), in der Otto-Speckter-Straße 1 (für Jonni Melhausen, siehe www.stolpersteine-hamburg.de), in der Lüneburger Straße 44 (für Georg Cohn, siehe www.stolpersteine-hamburg.de), in der Klaus-Groth-Straße 29 (für Harry Krebs, siehe www.stolpersteine-hamburg.de) und in der Klaus-Groth-Straße 99 (für Fritz Heinsen, siehe www.stolpersteine-hamburg.de).


Stand: April 2017
© Björn Eggert

Quellen: StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident), F 1078b (Benno Hirschfeld); StaH 314-15 (OFP), R 1940/0020 (Benno Hirschfeld); StaH 332-5 (Standesämter), 1069 u. 160/1937 (Sterberegister 1937, Isidor Hirschfeld); StaH 332-7 (Staatsangehörigkeitsaufsicht), A I e 40 Bd.13 (Bürger-Register 1899–1905, A-H, Isidor Hirschfeld); StaH 332-8 (Meldewesen), Alte Einwohnermeldekartei, Film-Nr. K 6261 (Albert Hirschfeld, Joseph Hirschfeld); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 1267 (Isidor Hirschfeld) Band I u. II; StaH 351-11 (AfW), 42354 (Gerhard Hirschfeld, darin Lebenslauf von Herbert Hirschfeld); StaH 351-11 (AfW), 43961 (Hans Hirschfeld); StaH 351-11 (AfW), 46666 (Rolf Hirschfeld); StaH 351-11 (AfW), 4854 (Selma Galewski geb. Hirschfeld); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden), 992b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg), Benno Hirschfeld, Isidor Hirschfeld; StaH 741-4 (Fotoarchiv), S 12115 (Hamburger Tageblatt, Mi. 30.11.1938, S. 11, Werbeanzeige Fahning); StaH 213-11, 06370/53 (Willibald Schallert wg. Freiheitsberaubung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 1947–1950); StaH 221-11 (Staatskommissar für die Entnazifizierung), Ad 858 (Fritz Klesper), C 25 (Franz Fahning), Fa 13829 (Edgar Koritz); Stadtarchiv Hannover, I 342-1259/1896 (Heiratsurkunde 1896, Joseph Hirschfeld u. Hedwig Falk); Hamburgisches Staatshandbuch 1921 (S. 114), 1925 (S. 115), 1929 (S. 200), beeidigter Sachverständiger Isidor Hirschfeld; Hamburger Adressbuch 1910, 1914, 1919, 1928, 1934; Hamburger Adressbuch (Straßenverzeichnis Neuerwall) 1919–1922, 1925, 1927–1929; Hamburger Adressbuch (Straßenverzeichnis Steindamm) 1936, 1939, 1940, 1943; Archiv der Hansestadt Lübeck, Amtsgericht, HRA 840 (Gebr. Hirschfeld); Stadtarchiv Recklinghausen, Einwohnermeldekartei; Sonderarchiv Moskau, Signatur 500-1-659, SD-Oberabschnitt Nordwest, Liste einflussreicher und vermögender Juden, Blatt 56–58, Nr. 26 Hirschfeld Benno; Bundesarchiv Koblenz, Gedenkbuch (Benno Hirschfeld); Staatsarchiv Hamburg, Gedenkbuch, Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus, Hamburg 1995, S. 120 (Marcus und Selma Galewski, Robert Galewski), S. 175 (Benno Hirschfeld), S. 176 (Kurt Manfred Hirschfeld); Frank Bajohr, "Arisierung" in Hamburg, Hamburg 1998, S. 132, 151, 321, 360 (Gebr. Hirschfeld), S. 356 (Marcus Galewski Damen- u. Kinderbekleidung); Ulrich Bauche (Hrsg.), Vierhundert Jahre Juden in Hamburg, Ausstellung des Museums für Hamburgische Geschichte, Hamburg 1991, S. 466–467 (Nachtaufnahme Geschäft Hirschfeld, Eröffnungsanzeige Fahning); Franklin Kopitzsch/Dirk Brietzke (Hrsg.), Hamburgische Biografie – Personenlexikon, Band 1, Göttingen 2008 (2. Aufl.), S. 267–268 (Kurzbiografie von Beate Meyer zu Willibald Schallert); Ina Lorenz, Die Juden in Hamburg zur Zeit der Weimarer Republik, 2 Bände, Hamburg 1987, Seite 236, 665 (Isidor Hirschfeld); Beate Meyer, "Jüdische Mischlinge". Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933–1945, Hamburg 1999, S. 394 (Biografie Hans Stephan), S. 402 (Walter Wohlers); Beate Meyer (Hrsg.), Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933 bis 1945, Hamburg 2006, S. 84 (Schallert, Hirschfeld); Wilhelm Mosel, Wegweiser zu ehemaligen jüdischen Stätten in Hamburg, Heft 3, Hamburg 1989, S. 42, S. 138 (Abb. von Benno Hirschfeld); Monika Richarz, Jüdisches Leben in Deutschland. Selbstzeugnisse zur Sozialgeschichte im Kaiserreich, Band 2, Stuttgart 1979, S. 243–250 (Isidor Hirschfeld, 1921); Werner Skrentny (Hrsg.), Hamburg zu Fuß. 20 Stadtteilrundgänge (…), Hamburg 1987, S. 13 ("Die Schaufensterpuppen im Alsterkanal"); Ulrike Sparr/Björn Eggert, Stolpersteine in Hamburg. Biografische Spurensuche, Hamburg 2011, S. 58–66 (Walter Rudolphi); Adressbuch Berlin (Adolf Sielmann & Meyer Rosenberg) 1885; Informationen von Heidemarie Kugler-Weiemann, 2015; Gespräch mit Herrn H.H. (Hamburg), Mai und Juni 2009; www.stolpersteine-luebeck.de (Familie Camnitzer; eingesehen 22.1.2015).

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