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Erich Meyer * 1924

Grindelhof 66 (Eimsbüttel, Rotherbaum)

1942 aus Drancy (F) nach Auschwitz

Weitere Stolpersteine in Grindelhof 66:
Robert Meyer

Robert Meyer, geb. am 30.6.1887 in Hagen, Westfalen, emigriert nach Frankreich 1933, deportiert am 7.9.1942 nach Auschwitz, ermordet am 12.9.1942
Erich Meyer, geb. am 25.6.1924 in Hamburg, emigriert nach Frankreich 1934, deportiert am 7.9.1942 nach Auschwitz, für tot erklärt zum 8.5.1945

Grindelhof 66

Robert Meyer war der Sohn von Fanni, geborene Seligmann, und Salomon Meyer. Er absolvierte eine kaufmännische Lehre und war in der Textilbranche tätig. Am 9. Mai 1923 heiratete er die Hamburgerin Margarete Fanny Cohen in der Hansestadt, wo sich das junge Ehepaar in einer gut ausgestatteten 5-Zimmer-Wohnung niederließ. Die am 18. Oktober 1897 in Hamburg geborene Margarete (auch Margarethe) stammte aus einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie. Sie hatte das Lyzeum des Dr. Jacob Löwenberg in der Johnsallee 33 besucht und den Beruf einer Sekretärin erlernt. Ihr Vater Jacob Cohen, Jahrgang 1864, war ein erfolgreicher Kaufmann gewesen und besaß in Hamburg drei Grundstücke in der Elbstraße (seit 1948
Neanderstraße) 68, 88 und 90. Er war mit der 1867 geborenen Goldchen Dora, geborene Bauer, verheiratet. Das Paar hatte zwei weitere Kinder, die Söhne Siegbert Simon, geboren am 16. August 1893, und Julius, geboren am 9. August 1894. Beide ergriffen einen kaufmännischen Beruf wie der Vater, nahmen als Soldaten am Ersten Weltkrieg teil und wurden mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet.

Robert war als selbstständiger Vertreter und Gutachter fest in der Hamburger Geschäftswelt etabliert, sodass sich die Familie gediegen einrichten und sich Annehmlichkeiten wie die Beschäftigung eines Dienstmädchens, Ferienreisen sowie Theater- und Konzertbesuche leisten konnte. Der Wohlstand der Familie lässt sich auch an den Kosten für die Einrichtung ablesen, welche Margarete aus Anlass der Emigration im Jahre 1934 und nochmals im Rahmen des Wiedergutmachungsverfahrens auflistete. Dazu schrieb sie, dass sie im Jahre der Hochzeit 1923 ein Schlafzimmer aus Eichenholz für 2000 Reichsmark (RM), zwei Kinderzimmereinrichtungen für 1000 RM, die Ausstattung eines Herrenzimmers für 2000 RM sowie eine lackierte Küche für 600 RM besaßen und noch 1932 eine komplette Esszimmergarnitur mit sechs Stühlen aus Mahagoni für 3500 RM angeschafft hätten. Hinzu kamen kleinere Möbelstücke und Einrichtungsgegenstände, deren Anschaffungswert Margarete mit weiteren 2500 RM bezifferte. Ein Wert von insgesamt fast 12.000 RM.

Am 25. Juni 1924 wurde Erich geboren, knapp vier Jahre später, am 25. April 1928, Lotte. Beide zogen in die zwei Kinderzimmer. Bis 1932 konnte Robert seiner Familie – nicht zuletzt wegen der herrschenden Wirtschaftskrise – als selbstständiger Buchrevisor und Konkursverwalter auf Honorarbasis ein gutes Auskommen bieten. Er war über einen Verein tätig und bezog ein Tagegeld sowie eine prozentuale Beteiligung vom Wert des Lagers der betroffenen Firma oder gegebenenfalls einen Teil des Erlöses aus einer Versteigerung. Laut Aktenlage konnte sich das Einkommen aus solchen Projekten auf mehrere tausend RM belaufen, für 1933 gab Margarete jedoch nur noch Einnahmen in Höhe von 700 RM an. Dem standen 400 RM gegenüber als Kosten für die Auswanderung der Familie in den Jahren 1933 und 1934, denn, wie sie später angab: "Mein (…) Ehemann war Führer einer Reichsbannergruppe in Hamburg und als solcher bereits schwer von den Nationalsozialisten angegriffen worden und persönlich bedroht. Im Juni 1933 wurde er von den Nazis geschlagen und bedroht, so dass er Deutschland fluchtartig sofort verließ und nach Holland flüchtete. Ich blieb mit beiden Kindern zurück, verschleuderte jedoch schnellstens alle unsere Sachen und ging dann 1934 meinem Mann nach nach Frankreich, wohin dieser unterdessen weitergewandert war."

Das "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" hatte sich im Frühjahr 1924, hauptsächlich auf sozialdemokratische Initiative hin, aber als überparteilicher Verband in Magdeburg gegründet. Er setzte sich zum Ziel, die Weimarer Republik zu verteidigen. Schnell gründeten sich Ortsgruppen in Deutschland. In den Jahren vor der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Gruppen, die sich feindlich gegenüberstanden. Und wie alle Organisationen, die sich 1933 nicht den Nationalsozialisten anpassten und unterordneten, wurde das Reichsbanner verboten. Wie Robert Meyer fürchteten viele führende Reichsbanner-Mitglieder um ihr Leben und flüchteten ins Exil.

Die überstürzt in die Wege geleitete Emigration kostete die Familie nicht nur ihr Gefühl der Sicherheit, sondern auch viel Geld, denn Margarete verkaufte die gesamte Einrichtung der Hamburger Wohnung für knapp ein Viertel des Anschaffungswertes und folgte ihrem Mann mit den beiden Kindern am 11. Juli 1934 ins französische Dijon, wo sie wohl zunächst vom Erlös aus der Wohnungsauflösung lebten, denn es gelang Robert in den folgenden Jahren in Frankreich nicht, beruflich Fuß zu fassen.

Auch für Margaretes Brüder Siegbert und Julius Cohen in Hamburg wurde die Situation immer schlimmer. Da beide in den 1930er-Jahren unter anderem als Vertreter im Verkauf von Textilfirmen tätig waren, raubte ihnen das Reiseverbot, das ab dem 1. Juli 1938 Julius, ab dem 1. Oktober desselben Jahres Siegbert betraf, jede Existenzgrundlage. Als sie im Zuge der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November zudem Opfer von tätlicher Gewalt und Verfolgung wurden, hielt es sie nicht mehr in Deutschland. Siegbert entging der Verhaftung nur, indem er sich wochenlang vor der Gestapo in wechselnden Verstecken aufhielt, was ihn für sein Leben zeichnen sollte. Im Dezember 1938 gelang es den beiden Brüdern, mit ihren Familien aus Deutschland zu fliehen. Julius und seine Frau Lily, geborene Bock, schafften es mit ihrem Sohn Gerhard, nach New York zu gelangen. Siegbert und seine Frau Thea, geborene Hildesheimer, flohen mit ihren beiden Kindern Eva Ruth und Kurt nach Montevideo, Uruguay. Die Eltern blieben in Hamburg allein zurück. Doch ihr gesundheitlicher Zustand verschlechterte sich und nur wenige Monate, nachdem die beiden Söhne Deutschland verlassen hatten, wurden sie von Krankheit dahingerafft. Am 1. Februar 1939 starb Jacob Cohen an einem Blasenleiden, seine Frau Dora nur zwei Wochen später, am 15. Februar, an einer Lungen-Rippenfellentzündung in ihrer damaligen Wohnung in der Heinrich-Barth-Straße 3 II. Diese traurigen Ereignisse brachten einige Steine ins Rollen.

Da alle drei Kinder der Cohens ausgewandert waren, wurde ein jüdischer Nachlassverwalter bestellt. Dieser inventarisierte die Besitztümer des Ehepaares akribisch genau – über die Möbel der einzelnen Zimmer bis hin zu einzelnen Wäschestücken. Es kam eine Menge zusammen, doch nicht alles wurde an die Erbinnen und Erben weitergegeben. Der NS-Staat beanspruchte den Schmuck des Ehepaars, der teilweise aus Gold und Silber bestand sowie vereinzelt mit Brillanten verziert war, und gab nur solches Besteck heraus, das nicht aus Silber war.

Dennoch wurde am 26. Juni 1939 die beträchtliche Summe von 20544,80 RM auf das "zu Gunsten von Frau Margarethe Meyer, Lugano bei uns [Hardybank, Berlin] [geführte] Auswanderungskonto überwiesen". Margarete konnte über dieses Geld also nicht verfügen. Die Meyers mochten sich in Lugano aufgehalten oder dort lediglich ein Bankkonto eingerichtet haben, was aus den vorliegenden Quellen nicht zu klären ist. Die Familie versuchte außerdem, einige Möbelstücke zu sich nach Frankreich zu holen. Dies sollte möglich sein, da der Nachlassverwalter bei der zuständigen Stelle angab, dass "Mobilien und Wäsche" bereits alt und deutlich vor 1933 angeschafft worden seien. Es kostete Familie Meyer gut 380 RM an Speditionskosten, die sie jedoch von dem Erbe decken durften. Weiter wurden aus dieser in Deutschland angelegten Summe 180,10 RM Steuerschulden beglichen, die Robert noch aus den Jahren 1925 und 1926 hatte und die eigentlich verjährt gewesen wären, sowie Schulden in Höhe von 300 RM bei einem Herrn Cäsar Sandel.

Das Erbe gab den Meyers immerhin Gelegenheit, sich in Frankreich einzurichten. Im Juli 1939 meldeten sie Interesse an einem Grundstück im Elsass an. Sie hatten Kontakt zu einem Erich Langeneckert aus der Kleinstadt Obernai (Oberehnheim), der beabsichtigte, nach Deutschland einzuwandern und sein Grundstück gegen Reichsmark an Robert und Margarete Meyer zu verkaufen. "Der Wert des ausländischen Grundstückes wird mit ffrs [französischen Francs] 87.200 angegeben. Außerdem hat der Einwanderer Verpflichtungen im Betrage con [sic!] ffrs. 19.000, zu deren Bezahlung sich Robert Meyer, Ehemann der Margarethe Meyer, bereit erklärt hat." Der zuständige Beamte vermerkte in dieser Sache: "Im Hinblick auf die besondere Lage des Falles beabsichtige ich dem Auftrage in dieser Form nach Möglichkeit zu entsprechen." Auch Margaretes Bruder Julius wollte sich am Kauf des Grundstücks beteiligen, aber sein damaliger Wohnsitz und der Status seiner Auswanderung waren in Deutschland nicht bekannt.

Doch dieser Plan ging nicht auf und die Meyers konnten Dijon nicht mehr verlassen. Auch die teuer in die Wege geleitete Möbelsendung erreichte sie nicht mehr. Die Sendung sollte über Basel nach Frankreich gelangen, doch wegen des Kriegsbeginns im September 1939 konnte sie die Schweiz nicht mehr verlassen. Zunächst sollte der Inhalt des Containers versteigert werden, doch dies war den Beamten vor Ort aus zollsteuerlichen Gründen nicht erlaubt, so dass der Spediteur schließlich unter ihren Augen alles verschenkte.

Mit dem deutschen Überfall auf Frankreich im Frühjahr 1940 verschlechterte sich die Lage für Flüchtlinge aus Deutschland und den verbündeten Ländern. Sie galten fortan, ungeachtet der Tatsache, dass sie vor dem NS-Regime flohen, als Feinde und wurden in vielen Fällen verhaftet und interniert. Im Mai 1940, noch vor dem deutsch-französischen Waffenstillstand am 25. Juni, traf dies auch Robert Meyer. Zunächst wurde er in verschiedenen Lagern im unbesetzten Süden Frankreichs festgehalten. Die deutschen Besatzer forderten von der Vichy-Regierung, nichtfranzösische Juden zu internieren. Im Juli 1940 waren aus diesem Grund schließlich etwa 7500 "Reichsdeutsche", davon gut 5000 Jüdinnen und Juden, in französischen Lagern inhaftiert. Die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten sowie die hygienischen Zustände dort waren katastrophal.

Am 24. August 1942 wurde auch Roberts damals 18-jähriger Sohn Erich verhaftet und, ähnlich wie Robert, in Lagern im Süden Frankreichs interniert. Wahrscheinlich handelte es sich um Lager in Montbard, Nimes, La Tour D‘Aigues und Camp de Milles. Schließlich erreichten beide am 2. September 1942 das in Zentralfrankreich gelegene Sammellager Drancy. Es befand sich in der besetzen Zone Frankreichs und war bereits im Mai/Juni 1940 von den Deutschen als zentrales "Durchgangs- und Sammellager" eingerichtet worden. Von Drancy gingen seit dem 27. März 1942 insgesamt 67 der 77 Transporte von Frankreich nach Auschwitz und Sobibor ab, die 65.000 Juden, davon 6000 Kinder, in den Tod schickten. Dazu gehörten auch Robert und Erich Meyer. Sie wurden zusammen mit etwa tausend jüdischen Männern, Frauen und Kindern am 7. September 1942 mit dem Transport Nr. 29 nach Auschwitz deportiert, wo sie zwei Tage später ankamen. 200 Männer wurden für einen Arbeitseinsatz im Rahmen der Organisation Schmelt ausgesucht und damit zu harter Zwangsarbeit herangezogen, 59 weitere Männer und 52 Frauen in das KZ verbracht und alle 689 Verbliebenen, wohl hauptsächlich Kinder und alte Menschen, in den Gaskammern ermordet.

Für Robert Meyer ließ sich der 12. September 1942 als Todesdatum feststellen. Sein Sohn Erich, 18 Jahre alt, wurde auf den 8. Mai 1945 für tot erklärt.

Margarete und Lotte Meyer überlebten den Krieg in Dijon, durften aber von Juni 1940 bis September 1945 ihren Wohnort nicht verlassen. Aus diesem Grund musste Lotte ihre Ausbildung unterbrechen, die beiden lebten möglicherweise von der Vermietung von Zimmern.

Nach dem Krieg wanderten beide nach Montevideo in Uruguay aus und Lotte ließ sich zur Lehrerin ausbilden.

Robert Meyer war 1940 in Frankreich wegen seiner jüdischen Abstammung verhaftet worden, in einem Beschluss vom 8. Oktober 1952 wurde ihm jedoch aufgrund seiner Mitgliedschaft im Reichsbanner Schwarz Rot Gold auch der Status eines politisch Verfolgten zugesprochen.

Stand: Juli 2017
© Anne Lena Meyer

Quellen: 1; 2; 4 (S. 286, 290); 8; StaH 314-15 Oberfinanzpräsident F172; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 10047, 955, 15284 u. 16382; digitales Archiv ITS Bad Arolsen, Teilbestand 1.1.9.1., Dokument ID 11181264 – Listenmaterial B. d. S. Frankreich; ebd. Teilbestand: 6.3.3.2, Dokument ID 101226729 – Korrespondenzakte T/D 06 735; Czech (Hrsg.): Kalendarium, S. 297; Distel: Frankreich, S. 273–291; Ziemann: Die Zukunft, Kapitel II, XIII, XIV.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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