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Bereits verlegte Stolpersteine



Passbild Johanna Kohn
Johanna Kohn
© Stadtarchiv Baden-Baden

Johanna Kohn * 1856

Hallerstraße 42 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
JOHANNA KOHN
JG. 1856
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
1942 TREBLINKA
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Hallerstraße 42:
Clara Kaiser, Frieda Kohn, Ella Lange

Johanna Kohn, geb. 14.9.1856 in Pless (Schlesien), deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, am 21. September 1942 im Vernichtungslager Treblinka ermordet
Clara Kaiser, geb. 31.5.1867 in Breslau, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, am 21. September 1942 im Vernichtungslager Treblinka ermordet

Hallerstraße 42

Johanna Kohn wurde in Pless (Pleß), dem heutigen Pszczyna, geboren. Der oberschlesische Kreis Pless kam im Zuge der Abtretung der östlichen Teile Oberschlesiens 1922 zu Polen. 1939 wurde das Gebiet nach dem deutschen Überfall auf Polen bis 1945 erneut Teil des Deutschen Reiches.

Ihre Eltern waren der Kaufmann Friedrich Salomon und Friederike Kohn, geb. Münzer. Aus der Ehe gingen elf Kinder hervor.

Die Eltern der in Breslau, dem heutigen Wroclav, geborenen Clara Kaiser hießen Carl und Rosalie Kaiser, geb. Kohn. Rosalie, geb. 27.7.1843 in Pless, war Johannas 13 Jahre ältere Schwester, folglich handelte es sich bei Clara Kaiser um Johannas Nichte.

Bedauerlicherweise haben wir keine Kenntnisse über ihre frühen Jahre, da die Archive in Pszczyna und Wroclaw über keine weiteren Dokumente der beiden verfügen.

Erst ein Vermerk in der später verfügten "Sicherungsanordnung" durch den Oberfinanzpräsidenten in Hamburg, der auf einen Zuzug in die Hansestadt aus Baden-Baden verweist, lässt eine verlässliche Rückverfolgung ihrer Spuren bis ins Jahr 1910 zu. Als Clara Kaiser und Johanna Kohn – wie alle Juden – 1938 eine Kennkarte beantragten, füllten sie den entsprechenden Fragebogen aus:
Johanna Kohn beantragte sie bei der Polizeidirektion Baden-Baden am 14. Dezember 1938 und wies ihre Staatsangehörigkeiten für die Länder Preußen (bis zum 12. Dezember 1918) und Baden nach. Seit dem 4. September 1928 besaß sie einen Pass des Deutschen Reiches. In Baden-Baden hatte sie unter folgenden Adressen gelebt: Februar 1910–März 1910 Schützenstraße 8 (bei Wilhelm Bischoff), März 1910–20.9.1912 Albrecht-Dürer-Straße 6 (bei Jürgen Rößler), 20.9.1912–12.8.1913 Albrecht-Dürer-Straße 3, 12.8.1913–2.8.1916 Albrecht-Dürer-Straße 6, 3.8.1916–16.8.1916 in Freudenstadt, 17.8.1916–21.8.1939 Albrecht-Dürer-Straße 6 in Baden-Baden. Offensichtlich lebten Johanna Kohn und Clara Kaiser spätestens seit 1910 zusammen.

Johanna Kohn gab als Religion israelitisch an, als Familienstand "ledig" und als Beruf "privat" (wahrscheinlich betrachtete sie sich als "Privatiere", d.h. von eigenen Mitteln lebend). Sie erhielt die Kennkarte am 28. Juni 1939. Parallel beantragte sie am 9. Mai 1939 die Ausstellung eines Reisepasses und begründete dies mit ihrer geplanten Auswanderung nach Bombay im damaligen Britisch-Indien. Schiffskarten, sowie der Nachweis über die Zusicherung eines Einwanderungs-visums für Indien seitens des britischen Konsulats vom 6. Januar 1939 befanden sich lt. der amtlich anerkannten, öffentlich gemeinnützigen Auswanderer-Beratungsstelle in ihrem Besitz.

Auch hatte das Finanzamt Baden-Baden bereits mit Unbedenklichkeitsbescheiden vom 21. April 1939, 25. April 1939 und 13. Mai 1939 erklärt, dass "die Genannte weder Reichssteuern, noch `Reichsfluchtsteuern´ bzw. eine Judenvermögensabgabe zu entrichten habe" und dass "bezüglich der Ausfuhr ihrer Möbel und der Mitnahme von Bedarfsgegenständen keine steuerlichen Bedenken seitens der Stadtkasse Baden-Baden" bestünden.

Ferner hatten am 17. Mai 1939 sowohl das Kreispersonalamt der NSDAP-Kreisleitung Rastatt als auch die Gestapo-Leitstelle Karlsruhe bescheinigt, dass "in politischer Hinsicht keine Bedenken gegen eine Auswanderung" vorlägen.

Zeitgleich beantragte auch Clara Kaiser einen Reisepass. Ledig, israelitischen Glaubens und nicht berufstätig wie Johanna, stellte sie ebenfalls einen Auswanderungsantrag nach Bombay. Auch bei ihr bestanden seitens der Behörden keine Bedenken gegen eine Ausreise, so dass ihr die obligaten Dokumente ausgehändigt wurden.

Am 21. August 1939 verließen Johann Kohn und Clara Kaiser Baden-Baden mit dem Ziel Hamburg, wo sie nach sieben Tagen eintrafen. Hier wollten sie sich nach Bombay einschiffen. Doch der Beginn des Zweiten Weltkriegs vereitelte ihr Vorhaben, ihre Einreisegenehmigung verfiel, die zivile Schifffahrt wurde eingestellt.

So blieben sie in Hamburg und fanden am 14. September 1939 vorübergehend eine Unterkunft in der Isestraße 69, bevor sie gemeinsam ein Zimmer zur Untermiete bei der jüdischen Vermieterin Ella Lange, geb. am 24.2.1878 in Hamburg, in der Hallerstraße (Ostmarkstraße) 42 bezogen. Sie meldeten sich bei der Jüdischen Gemeinde an.

Aus einem Schreiben Clara Kaisers vom 28. Juli 1940 an die Devisenstelle Hamburg geht hervor, dass sie den Lebensunterhalt für beide bestritt. Sie bat darum, über den Erstattungsbetrag der Baden-Badener Spedition J.G. Devant für den obsolet gewordenen Lift ihres Mobiliars nach Indien in Höhe von 1127 RM – die bereits geleisteten Kosten des Auftrags beliefen sich ursprünglich auf 2000 RM – verfügen zu dürfen, da sich ihr Barvermögen nicht länger auf einem "Auswandererguthabenkonto", sondern auf einem per "Sicherungsanordnung" gesperrten Konto befand.

Am 29. Mai 1941, wohl weil Ella Lange ihre Wohnung in der Hallerstraße aufgeben musste, zogen Johanna Kohn und Clara Kaiser gemeinsam nach Altona in das "Judenhaus" Sonninstraße 16 E(rdgeschoss) um. Ella Lange wurde am 6. Dezember 1941 nach Riga-Jungfernhof deportiert.
Mit dem zweiten "Alterstransport" wurden die beiden Frauen deportiert, "Abwanderung 19.7.1942 nach Theresienstadt", vermerkte die Jüdische Gemeinde auf ihrer Kultussteuerkarte. Zusammen mit weiteren 769 anderen fuhren sie vom Hannoverschen Bahnhof am Lohseplatz ins Getto Theresienstadt. Einen Tag später traf der Zug mit der Bezeichnung "VI/2" dort ein. Zwei Monate später, am 21. September 1942, wurden sie zusammen mit weiteren 178 Personen mit dem Transport Bp. 873 in das Vernichtungslager Treblinka überstellt und dort vermutlich noch am selben Tag ermordet.

Von ihrem Hamburger Transport wurden 1943 und 1944 weitere 207 Menschen nach Auschwitz transportiert. Lediglich 93 mit "VI/2" Deportierte überlebten den Holocaust.

Johanna Kohns Besitz blieb in Hamburg zurück: eine verchromte Damenarmbanduhr und fünf Silbermünzen. Am 12. August 1942 wurden diese Teile der "zugunsten des Deutschen Reichs eingezogenen Wohnungseinrichtung" vom Gerichtsvollzieher Bobsien in "freiwilliger Versteigerung" verkauft. Der Versteigerungswert von 25 RM erbrachte abzüglich der vom Fiskus erhobenen Gebühren in Höhe von 23,95 RM einen Erlös von 1,05 RM, der ebenfalls dem "Reich" zukam, akribisch erfasst durch die NS-Administration.

Am 19. August 1948 fragte Dr. Hedwig Kohn bei amerikanischen Behörden nach dem Schicksal ihrer Cousine Clara Kaiser. Sie erhielt die Antwort, es lägen keine offiziellen Dokumente vor, die den Tod von Clara bestätigten, es habe sich aber bei den Transporten um Todestransporte gehandelt. Hedwig Kohn, geb. 5.4.1887 in Breslau, promovierte und habilitierte Spezialistin für optische Physik, hatte ihre Stelle als Privatdozentin an der Universität Breslau 1933 verloren, war im Sommer 1940 nach Schweden emigriert und über Russland, Sibirien, Japan, Hawaii nach San Francisco gelangt; sie arbeitete ab 1942 am renommierten Wellesley College in Massachusetts, erhielt 1945 eine Professur und 1946 die amerikanische Staatsangehörigkeit. Sie starb 1964 ledig und kinderlos.

Stand: März 2017
© Michael Steffen

Quellen: 5; StaH, 522-1, Jüdische Gemeinde, 992b, Kultussteuerkarte Nr. 23798 u. 23695; StaH 314-15 R 1940/644; StaH 214-1 405; StaH Preußenkartei; Bibliothek IGDJ, Quellen zur Geschichte der Juden in polnischen Archiven, Bd. 2, ehemalige Provinz Schlesien; Archivum Pànstwowe w Katowicach, Oddzial w Pszczynie, Akta miasta Pszczyny, signature: 1394, pages: 47_48; Gottwaldt/Schulle, "Judendeportationen", S. 266, 299; Auskunft Staatsarchiv Breslau; Auskunft Stadtarchiv Baden-Baden; VEJ, (Aly u.a.), Bd. 1, "Deutsches Reich 1933–1937", S. 199; Auskunft USHMM; Auskunft Archiv Wellesley College, Mass./USA., Wellesley Magazine Dezember 1947.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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