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Bereits verlegte Stolpersteine



Porträt Uwe Hinsch, 1941
Uwe Hinsch, 1941
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Uwe Anton Hinsch * 1936

Eißendorfer Pferdeweg 12 (Harburg, Heimfeld)


HIER WOHNTE
UWE ANTON
HINSCH
JG. 1936
EINGEWIESEN 1940
ALSTERDORFER ANSTALTEN
´VERLEGT` 7.8.1943
´HEILANSTALT` EICHBERG
´KINDERFACHABTEILUNG‘
ERMORDET 17.8.1943

Weitere Stolpersteine in Eißendorfer Pferdeweg 12:
Peter Harms, Ewald Kuhlmann, Alfred Rahnert, Walter Carl Stein, Herbert Thörl

Uwe Hinsch, geb. 7.11.1936 in Hamburg, eingewiesen in die Alsterdorfer Anstalten am 28.3.1940, verlegt in die "Landesheil- und Pflegeanstalt Eichberg" am 7.8.1943, ermordet am 17.8.1943

Eißendorfer Pferdeweg 12,

Uwe Hinsch wurde am 7. November 1936 in Hamburg im Haus der Schwester seiner Mutter geboren. Nicht einmal sieben Jahre später wurde er Opfer der nationalsozialistischen "Euthanasie"-Politik.

Agnes Hinsch und Ewald Flohr, die Eltern des Jungen, waren nicht miteinander verheiratet. Somit galt Uwe als uneheliches Kind. Sein Vater hatte ursprünglich die Absicht gehabt, Agnes Hinsch zu heiraten, dann aber davon Abstand genommen, nachdem er erfahren hatte, dass bereits ein uneheliches Kind neben Uwe existierte. Dieses Kind lebte zu der Zeit bei den Großeltern.

Bereits am 17. November 1936, also zehn Tage nach seiner Geburt, wurde Uwe Hinsch als Säugling aufgrund einer Bindehautentzündung in das Eppendorfer Krankenhaus eingewiesen. Die Ärzte erklärten ihn für blind. Sechs Monate lang versuchten sie vergeblich, sein Augenleiden zu heilen. Als er im Mai 1937 unverändert entlassen werden sollte, wollte Agnes Hinsch ihren Sohn nicht wieder zu sich nehmen, da ihr nächster Verlobter den kleinen Jungen ablehnte. Die restlichen Angehörigen wollten sich ebenfalls nicht um ihn kümmern.

Am 24. Mai 1937 wurde Uwe Hinsch in das Harburger Kinderheim am Eißendorfer Pferdeweg eingewiesen. Dort erkannten die Betreuerinnen und Betreuer auch sehr schnell, dass er "fast nicht sehen" konnte. Trotz seiner dichten Hornhauttrübung konnte er aber immerhin vor ihm auf dem Tisch liegende Gegenstände erkennen und erfassen und zumindest hell und dunkel unterscheiden. Sein Gehör war in Ordnung. Allerdings konnte er sich noch nicht sauber halten, wohingegen er frei laufen und erfreulicherweise auch allein essen und trinken konnte. An den anderen Kindern war er nicht sonderlich interessiert. Er spielte zumeist "in nicht altersgemäßer Weise" für sich, indem er Bauklötze durchs Zimmer warf und dabei schrie. Mit drei Jahren fing er langsam an, Worte nachzusprechen.

Zweieinhalb Jahre später hielt die Heimleitung es für dringend notwendig, Uwe Hinsch einer psychiatrischen Untersuchung zu unterziehen, weil sie meinte, dass er in diesem Haus "nicht mehr tragbar" sei. Daraufhin wurde er zweimal – am 1. und 13. November 1939 – vom Landesjugendamt Hamburg ärztlich untersucht.

In ihrer abschließenden Diagnose am Ende der Untersuchungen stellten Dr. Otto Hülsemann, der Leitende Oberarzt des Jugendamts Hamburg, und sein Stellvertreter Dr. Gräfe fest, dass Uwe unter Imbezillität und einer hochgradigen Sehschwäche litt. Bei seiner Sehschwäche handelte es sich um eine dichte Hornhauttrübung. Bei ihm kam ein "grobschlägiger Dauermystagmus" beider Augen hinzu, der sich als Augenzittern zu erkennen gab. Unter anderem konnte es auch vorkommen, dass die Augen des kleinen Jungen unkontrolliert in verschiedene Richtungen schielten oder ein Schwindelgefühl aufkam.

Während seines Aufenthaltes im Kinderheim wurden bei ihm Varizellen, also Windpocken, und eine Nasendiphterie festgestellt und behandelt. Der Junge war ständig auf Medikamente und eine besondere Betreuung angewiesen. Für sein Augenleiden wurde ihm mehrmals am Tag ein Serum in die Augen geträufelt. Aufgrund dieser Beurteilung wurde Uwe Hinschs Aufnahme in die damaligen Alsterdorfer Anstalten für unumgänglich erachtet.

In der erbbiologischen Wertigkeitsskala der Hamburger Jugendbehörde wurde er der Gruppe B. B. V. zugeordnet, d. h. den Menschen mit "starker geistiger und charakterlicher Unterwertigkeit". In einer erläuternden Bemerkung hieß es, dass in dieser Gruppe Menschen – auch Kinder – seien, "die infolge schweren geistigen und charakterlichen Tiefstands eine Gefahr für die Volksgemeinschaft darstellen und daher frühzeitig abgesondert und in sparsamer Weise verwahrt werden müssen".

Das Landesfürsorgeamt erklärte sich dazu bereit, als "Verpfleger" zu fungieren und somit alle Kosten für die Unterbringung und Betreuung des Kindes in den Alsterdorfer Anstalten bis zum 1. Januar 1945 zu übernehmen. Für die Krankenversicherung war die AOK Cuxhaven zuständig.

Am 28. März 1940 wurde Uwe Hinsch nach einer gewissen Wartezeit in die damaligen Alsterdorfer Anstalten aufgenommen. Viele Dokumente und Informationen über ihn und seine Familie wurden dort archiviert. Es sind allerdings ausschließlich schriftliche Zeugnisse aus der Feder von Erwachsenen, die keinen Einblick in die Seele des Kindes vermitteln.

Die Alsterdorfer Ärzte bestätigten die Diagnose der beiden Hamburger Amtsärzte. Auch nach ihren Erkenntnissen litt Uwe Hinsch unter Imbezillität Bei seiner Ankunft in den damaligen Alsterdorfer Anstalten machte der Junge "einen ganz lebhaften Eindruck. Er spielte mit Gegenständen, die er erreichen" konnte und "war bei der Untersuchung nur wenig ablehnend". Er konnte auch einige Worte sagen. Alles in allem schien er den untersuchenden Ärzten aber doch recht zurückgeblieben zu sein. Ein weiteres unnormales Verhalten wurde in der Akte als "tickartiges Kopfdrehen" beschrieben.

Sechs Monate später musste er bei den Mahlzeiten noch "vollkommen besorgt" werden. Nach zwei Jahren waren einige Veränderungen in seiner Entwicklung zu erkennen. Er war weiterhin lebhaft, spielte gern für sich und auch mit anderen Kindern, mit denen er allerdings oft Streit hatte, weil er ihnen das Spielzeug wegnahm. Er konnte allein essen, aber sich nicht allein waschen und anziehen. Seine sprachlichen Fähigkeiten hatten sich verbessert, aber er war nicht immer gehorsam. Außerdem "machte [es] ihm viel Spaß, kleine Hilfsleistungen verrichten zu dürfen." Aufgrund seiner verschiedenen Erkrankungen wurde er häufig auf andere Stationen verlegt, auf denen er immer wieder untersucht und behandelt wurde. Sein Gewicht wurde regelmäßig alle zwei Monate in eine Tabelle eingetragen.

Am 7. August 1943 wurde Uwe Hinsch von den Alsterdorfer Anstalten in die "Landesheil- und Pflegeanstalt Eichberg" in Hessen verlegt. Am 17. August 1943, nur zehn Tage nach seinem ''Abtransport'', starb er dort.

Über die Gründe seiner Verlegung nach Eichberg, die Umstände seines plötzlichen Todes an diesem neuen Aufenthaltsort und die Weiterleitung der traurigen Nachricht an die Angehörigen ist in den Akten leider nichts zu finden. Eine spätere Auswertung der Akten aller Abtransportierten führte zu dem Ergebnis, dass für die Verlegungen in die Landesheil- und Pflegeanstalten Eichberg in Eltville und Kalmenhof in Idstein in erster Linie "tiefstehende" Patienten ausgesucht worden waren. Vieles bleibt unklar, da nur die Berichte der Ärzte vorliegen. Der kurze zeitliche Abstand zwischen der "Entlassung" des kleinen Jungen aus den damaligen Alsterdorfer Anstalten und seinem Todestag spricht für die Vermutung, dass er nicht zufällig an einer Krankheit starb, sondern von den Ärzten in Eichberg umgebracht wurde.

Uwe Hinsch gehört zu den 629 körperbehinderten, psychisch kranken, teilweise auch nur verstörten oder verhaltensauffälligen Kindern und Erwachsenen, die in der NS-Zeit aus Alsterdorf deportiert wurden. Für ihn und 549 weitere `Pfleglinge´ war es eine Reise in den Tod. Eine "Stolpersteinschwelle" mit den Zahlen der Deportierten und Ermordeten kennzeichnet seit 2006 in der Dorothea-Kasten-Straße auf dem Gelände der Evangelischen Stiftung Alsterdorf die Stelle, von der die Busse mit den Patientinnen und Patienten damals abfuhren. Mit Rosen gedenken viele Hamburgerinnen und Hamburger seit einigen Jahren jeweils am 8. Mai dieser Alsterdorfer Opfer des nationalsozialistischen "Euthanasie"-Programms.

Stand Dezember 2014

© Johanna Lotz/Klaus Möller

Quellen: Gedenkbuch der Evangelischen Stiftung Alsterdorf; Uwe Hinschs Patientenakte, Archiv der Evangelischen Stiftung Alsterdorf (V029); Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr. Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Hamburg 1987; Ruth Baumann, Charlotte Köttgen, Inge Grolle, Dieter Kretzer, Arbeitsfähig oder unbrauchbar. Die Geschichte der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Beispiel Hamburgs, Frankfurt a. M. 1994.

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