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Bereits verlegte Stolpersteine



Elsa Meyer * 1895

Hallerstraße 76 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
ELSA MEYER
JG. 1895
GEDEMÜTIGT/ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
6.11.1941

Weitere Stolpersteine in Hallerstraße 76:
Alice Baruch, Sara Carlebach, Charlotte Carlebach, Dr. Joseph Zwi Carlebach, Noemi Carlebach, Ruth Carlebach, Margarethe Dammann, Gertrud Dammann, Charlotte Dammann, Dina Dessau, Felix Halberstadt, Josabeth Halberstadt, Margarethe Meyer, Alice Rosenbaum, Julius Rothschild, Jente Schlüter

Elsa Meyer, geb. am 14.4.1895 in Soest/Westfalen, Flucht in den Tod am 6.11.1941
Margarethe Meyer, geb. am 29.11.1890 in Soest/Westfalen, deportiert nach Auschwitz am 11.7.1942

Hallerstraße 76

Die Schwestern Margarethe (geb. 29.11.1890) und Elsa Meyer (geb. 14.4.1895) wurden in Soest i. Westfalen als erstes bzw. viertes Kind von insgesamt neun Geschwistern geboren.

Die Eltern, der Kaufmann Julius Meyer (geb. 17.1.1860 in Soest) und seine Ehefrau, die Putzmeisterin Martha, geb. Bernstein (geb. 13.2.1864 in Walldorf-Meiningen), waren selbstständige Geschäftsleute. Im Jahr 1888 gründeten sie in Soest eine "Putzhandlung", d.h. einen Handwerksbetrieb, in dem sie Damenhüte anfertigten und verkauften, mit Sitz in der Brüderstraße 29 und spätestens ab 1900 in der Rathausstraße 5, einer bevorzugten Lage in der Stadtmitte. Dort wohnte die Familie auch.

Neben Margarethe und Elsa gehörten die Kinder Alfred (geb. 1892), Irene (geb. 1893), Ruth (geb. 1896), Hugo (geb. 1898), Edith (geb. 1900), Charlotte Viktoria (geb. 1902) und Max Siegmund (geb. 1906) zur Familie.

In der westfälischen Stadt Soest lebten seit Mitte des 13. Jahrhunderts Juden in geringer Zahl. Um 1669 ging Soest in den Besitz des Kurfürsten von Brandenburg über, der zwei jüdischen Familien, vermutlich gegen ein Entgelt, Schutzbriefe ausstellte und ihnen damit das Recht zum Siedeln und den Handel in gewissen Grenzen erlaubte. Erst in der napoleonischen Zeit (1794–1815) stieg die Zahl der jüdischen Einwohner kontinuierlich an, bis sie um 1880 mit ca. 300 Personen ihren Höhepunkt erreichte. Soest hatte zu diesem Zeitpunkt etwa 14.800 Einwohner. Im Jahr 1819 konstituierte sich eine Kultusgemeinde, drei Jahre später löste eine Synagoge den bisherigen Betraum ab und um 1860 ergänzte ein neues Schulhaus für die "Israelitische Volksschule" die Gemeinde. In dieser Schule wurden auch die Kinder der Familie Meyer unterrichtet, bevor sie auf weiterführende Schulen wechselten.

Margarethe, die Älteste der Geschwister, besuchte nach Beendigung der Israelitischen Volksschule das Städtische Lyzeum in Soest, eine Oberschule für Mädchen. Sie erlernte das Putzmacherhandwerk wie ihre Mutter und erwarb den Meisterbrief. Damit war sie in der Lage, den elterlichen Betrieb zu leiten. Sie nahm auch in der Handwerkskammer zu Arnsberg Prüfungen ab. Das setzte umfassendes Fachwissen und handwerkliches Können voraus.

Im März 1920 starb der Vater Julius Meyer 60-jährig. Margarethe übernahm die Verantwortung für die Familie und wurde Inhaberin des Geschäftes. Sie kümmerte sich um eine Mitgift für ihre Schwester Ruth, zahlte das Schulgeld für den jüngsten Bruder, führte den Haushalt. Die Haupteinnahmequelle der Familie blieb das Putzgeschäft, das sie mit großem Engagement betrieb. Die Soester Damen wussten, wo sie gut bedient wurden. Margarethe Meyer arbeitete hart, um das Geschäft, das weiter den Namen "Julius Meyer" trug, auf dem gewohnt hohen Niveau zu halten. Dies gelang bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme.

Der Bruder Max berichtete später über den Boykott jüdischer Geschäfte in Soest am 1. April 1933: Vor dem Putzgeschäft befanden sich SA-Männer, aus Protest gegen diese Maßnahme kam eine Stammkundin in den Laden, lies sich drei Verkaufstüten mit alten Hüten aushändigen und ging damit auf der Rathausstraße demonstrativ spazieren. Trotzdem blieb sie unbehelligt, sie war die Witwe eines früheren Bürgermeisters von Soest. Anfangs kauften auch andere Stammkundinnen weiter ihre Hüte bei Margarethe. Doch nach und nach gingen die Einnahmen zurück. Hinzu kam der Verkauf des Hauses Rathausstraße 5. Die Kündigung der Geschäfts- und Wohnräume durch die neue Eigentümerin folgte umgehend.

Margarethe und ihre Mutter Martha Meyer beschlossen, in Hamburg einen Neuanfang zu wagen. In Soest kursierte die Information, dass es in Hamburg eine liberalere Einstellung gegenüber den Juden gäbe. So wollten sie sich hier eine neue geschäftliche Existenz aufbauen. Am 5. Januar 1937 zogen sie in die Eppendorfer Landstraße 18 ein. Dort hatten sie im Erdgeschoss eine Wohnung und einen Geschäftsraum gefunden. Margarethe Meyer erhielt am 21. Januar 1937 einen Gewerbeschein für das "Gewerbe als Putzmacherin", der am 20. April 1937 erweitert wurde auf "Inhaberin einer Damenschneiderei".

Grund für die Erweiterung des Gewerbes war die Mitarbeit der Schwester Else, die mit nach Hamburg gezogen war. Else hatte in ihrem Heimatort Soest die gleichen Schulen wie ihre Schwester Margarethe besucht, war dann bei einem Schneider in die Lehre gegangen und hatte die Gesellenprüfung abgelegt. Weitere berufliche Stationen in Kassel und Berlin schlossen sich an. Vor der Handwerkskammer in Soest legte sie ihre Meisterprüfung ab. Aufgrund ihrer beruflichen Qualitäten stellte das Kaufhaus Althoff in Essen (gehörte zur Rudolf Karstadt AG) sie als Direktrice ein. Dort arbeitete sie, bis die Kündigung der jüdischen Angestellten im Jahr 1933 auch sie traf. So lebte sie in den folgenden Jahren wieder in ihrer Heimatstadt bei ihrer Familie, bis sie mit nach Hamburg umzog.

Margarethe, Else und ihre Martha Meyer konnten sich mit den Einnahmen aus dem Hamburger Geschäft durchaus ernähren. Aber auch hier setzten sich die antijüdischen Maßnahmen weiter durch. Am 31. Dezember 1938 erlosch die Gewerbegenehmigung gemäß "Artikel II §5 der Verordnung zur Durchführung der Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 23.11.1938". Der Paragraph 5 besagte: "Jüdische Inhaber von Handwerksbetrieben sind zum 31. Dezember 1938 in der Handwerksrolle zu löschen." Gewerbebetriebe und Einzelhandelsgeschäfte mussten aufgegeben werden.

Das folgende Jahr 1939 wurde für die Frauen zu einer weiteren Belastungsprobe. Sie gaben die Räume in der Eppendorfer Landstraße auf und zogen im September 1939 in die nun in "Ostmarkstraße" umbenannte Hallerstraße, in die Hausnummer 76 zur Untermiete bei Rothschild. Else Meyer war vermutlich lungenkrank, zum Zeitpunkt der Volkszählung vom 17. Mai 1939 befand sie sich in der "M.A. (= Medizinische Anstalt) von Rothschildsche Lungenheilstätte in Nordrach/Baden", einem Sanatorium für jüdische weibliche Lungenkranke im Besitz der Rotschildstiftung in Frankfurt/Main.

Im Dezember 1939 trennten sich die Wege der Mutter und ihrer Töchter. Martha Meyer verließ Deutschland per Zug, reiste nach Genua und von dort mit einem Schiff nach Brasilien, wo sich bereits ihr jüngster Sohn Max Siegmund befand. Warum lediglich die Mutter ausreiste, ist nicht bekannt. Möglicherweise reichten die finanziellen Mittel nicht für die beiden Töchter oder Elses Gesundheitszustand erlaubte nicht, eine so weite Reise anzutreten.

Über das Leben der Schwestern in den Jahren 1940/Anfang 1941 wissen wir nichts, vielleicht wurden sie von der großen Hausgemeinschaft in der Hallerstraße 76 mit getragen.

Am 22. September 1941 sandte das Israelitische Krankenhaus in der Johnsallee 68 ein Schreiben an die Polizeibehörde in Hamburg mit folgendem Inhalt: "Heute wurde Frl. Else Sara Meyer, geb. 14.4.1895, wohnhaft Ostmarkstraße 76 Pat, bei Rothschild infolge eines Suizid-Versuchs hier aufgenommen. Diagnose: Veronalvergiftung." Else Meyer starb am 6. November 1941 im Israelitischen Krankenhaus, jedoch nicht unmittelbar an den Folgen ihrer Veronalvergiftung, sondern an der Lungentuberkulose. Sie wurde auf dem jüdischen Friedhof Ilandkoppel in Hamburg Ohlsdorf beerdigt.

Margarethe Meyer blieb allein in Hamburg zurück. Vier Wochen nach Elses Tod, am 6. Dezember 1941, wurden ihre Nachbarn, Familie Carlebach, Mutter und Töchter Dammann und das Ehepaar Halberstadt nach Riga deportiert und in das Behelfslager Riga-Jungfernhof eingewiesen. Insgesamt zwölf vertraute Nachbarn lebten plötzlich nicht mehr im Haus. Für Margarethe gab es noch eine kleine Frist bis zum 11. Juli 1942, dem Tag ihrer Deportation nach Auschwitz. Wie ihre Leidensgefährten wurde sie dort ermordet.

Von Margarethe und Else Meyers Geschwistern ist überliefert:
Alfred Meyer, der älteste der drei Söhne, fiel im Ersten Weltkrieg 1916 bei dem Ort Soissons in Nord-Frankreich.
Irene Mahler, geb. Meyer, verheiratet mit Josef Mahler (geb. 1884 in Hörde), wohnhaft in Krefeld-Uerdingen am Rhein, wurde mit ihrem Ehemann am 22. April 1942 von Düsseldorf in das Durchgangsgetto Izbica deportiert. Mit diesem Transport wurden über 1000 Menschen aus der Region verschleppt. Bekannt ist, dass die Menschen aus diesem Transport noch etwa ein halbes Jahr lebten. Vermutlich wurden sie im Oktober 1942 in das Vernichtungslager Sobibor transportiert. Von dort kamen sie nicht zurück. Irene und Josef Mahler hinterließen ihre in die USA emigrierte Tochter Hannelore (geb. 1923 in Krefeld), die dort überlebte und heiratete.
Ruth Meyer hatte am 17. November 1929 den Uhrmacher Berthold Block (geb. 1893 in Wolfshagen) geheiratet. Das Ehepaar entkam dem Holocaust durch eine rechtzeitige Auswanderung in die USA.
Hugo Meyer war unverheiratet und kinderlos geblieben, er starb im Jahr 1921 in seiner Heimatstadt Soest.
Edith Meyer war ihren Schwestern und ihrer Mutter im Mai 1937 nach Hamburg gefolgt. Sie übte ihren Beruf als Krankenschwester aus und entrichtete von August 1937 bis Mitte 1938 Kultussteuer an die jüdische Gemeinde. Im Januar 1939 verließ sie Deutschland in Richtung England und reiste von dort aus in die USA. Sie starb unverheiratet und kinderlos an ihrem letzten Wohnsitz in Seattle im Staate Washington im Jahr 1945.
Charlotte Viktoria Meyer blieb ebenfalls unverheiratet und kinderlos. Sie starb, erst 22-jährig, im Jahr 1924.
Max Siegmund Meyer, der Jüngste, hatte die Israelitische Volksschule und das Gymnasium in Soest besucht, ab 1925 eine Lehre im Kaufhaus Alsberg in Hamm absolviert und danach in Kaufhäusern in Recklinghausen, Hildesheim, Kassel, Osnabrück gearbeitet. Er flüchtete über die holländische Grenze bei Gronau und reiste über Frankreich nach Brasilien. In Sao Paulo fand er eine Unterkunft und schlug sich mit unterschiedlichen Arbeiten durch. Seine Mutter Martha Meyer zog zu ihm. Im Jahr 1946 verließen beide Brasilien in Richtung USA. Martha Meyer starb dort am 18. April 1948 im Alter von 84 Jahren. Max ließ sich einbürgern, legte den zweiten Vornamen Siegmund ab und lebte an verschiedenen Orten der US-Westküste. Er arbeitete als Innendekorateur. Er starb am 24. Oktober 1975.

Stand: September 2016
© Christina Igla

Quellen: 1; StaH: 331-5 Unnatürliche Todesfälle 3 Akte 1941/1721; 332-8 Hausmeldekartei Film 2351; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 797, _12791, _17361; Auskunft Stadtarchiv Soest, E-Mail v. 9.7.2015; Köhn, Die jüdische Gemeinde Soest, S. 253–257; Gottwaldt/Schulle, "Judendeportationen", S. 195f.; www.ancestry.de (eingesehen am 18.1.2016); http://bbf.dipf.de (eingesehen am 17.1.2016), www.jüdische-gemeinden.de; www.soest.de; www.wikipedia.de Stichwort: Synagoge (Soest) (jeweils eingesehen am 18.1.2016). Informationen von Frau Astrid Louven zu Elsa Meyer (Juni 2015).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen."

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