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Das Kind Uwe Oswald wird aufrecht gehalten für das Foto.
Uwe Oswald
© Ev. Stiftung Alsterdorf, Archiv

Uwe Oswald * 1939

Elsastraße 67 (Hamburg-Nord, Barmbek-Süd)


HIER WOHNTE
UWE OSWALD
JG. 1939
EINGEWIESEN 1941
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 7.8.1943
HEILANSTALT KALMENHOF
ERMORDET 9.11.1943

Uwe Oswald, geb. 20.12.1939 in Hoisbüttel, aufgenommen Alsterdorfer Anstalten 16.1.1941, verlegt 7.8.1943 Kalmenhof/Idstein, ermordet 9.11.1943

Elsastraße 67 (li. vor dem Park) (früher: Mesterkamp 24)

Uwe Oswald kam am 20. Dezember 1939 in Hoisbüttel, Kreis Stormarn, in seinem Elternhaus als Frühgeburt zur Welt und wurde umgehend ins Kinderkrankenhaus in der Baustraße (heute: Hinrichsenstraße) in Hohenfelde eingeliefert, der Kinderabteilung des Allgemeinen Krankenhauses St. Georg. Dort verbrachte er die ersten fünf Monate seines Lebens im "Brutkasten".

Uwes Vater Ernst Oswald, geb. 10.4.1913 in Eickhof in Mecklenburg, hatte zunächst die Volksschule und danach eine Schmiedelehre abgeschlossen. Die Mutter Erna, geb. Minck, geb. 31.12.1917 in Hoisbüttel, war nach dem Besuch der Landschule in Hoisbüttel keiner weiteren Ausbildung nachgegangen. Sie heirateten am 4. Juli 1936 und lebten zunächst in Hoisbüttel. Ernst Oswald bezeichnete sich als gottgläubig, seine Ehefrau gehörte der evangelischen Kirche an. Sie ließen ihren Sohn Uwe nicht taufen. Uwe hatte einen ein Jahr älteren Bruder.

Ernst Oswald trat am 23. Februar 1940 eine Anstellung bei der Hamburger Hochbahn AG als Straßenbahnschaffner an und zog mit seiner Familie von Hoisbüttel nach Hamburg-Barmbek in den Mesterkamp 24. Dorthin wurde Uwe entlassen. Bereits zwei Monate später, am 11. Juli 1940, musste die Mutter zu einer stationären Behandlung das Krankenhaus St. Georg aufsuchen. Da der Vater die Pflege des Sohnes nicht übernehmen konnte, wurde Uwe im Kleinkinderhaus der Hamburger Jugendbehörde am Winterhuder Weg untergebracht. Nach nur sechs Tagen kam er wegen einer Leistenbruchoperation wieder ins Kinderkrankenhaus in der Baustraße. Die Operation verlief ohne Komplikationen, doch danach kehrte Uwe nicht wieder nach Hause zurück. Grund dafür war, dass die Ehe der Eltern zerrüttet war und am 20. November 1940 rechtskräftig geschieden wurde. Der Vater erhielt das alleinige Sorgerecht und wollte Uwe adoptieren lassen. Bis dahin sollte er im Kinderheim verbleiben.

Uwe war und blieb für sein Alter klein, hatte aber einen auffallend großen Kopf, einen Hydrocephalus. Er litt außerdem an einer schweren Rachitis und einer Anämie. Die Rachitis wurde durch die Behandlung mit Vigantol zum Stillstand gebracht, die Anämie mit Eisenpräparaten gebessert. Der Umfang seines Kopfes nahm jedoch in geringem Maße zu.
Uwe aß gut. Trotz der Besserungen seines Gesundheitszustandes zeigte er jedoch keine Fortschritte beim Sitzen, überhaupt bei Bewegungen und bei Reaktionen auf die Umwelt. Er schrie viel, lachte aber nie.
Deshalb veranlasste das Jugendamt Hamburg am 29. November 1940 eine psychiatrische Untersuchung mit dem Ziel, festzustellen, wo Uwe künftig untergebracht werden solle. Das Ergebnis der Untersuchung lautete: "Es handelt sich um einen Schwachsinn bei Frühgeburt mit schwerer körperlicher Unterentwicklung und Hydrocephalus." Das entsprechende Gutachten wurde am 2. Dezember 1940 erstellt und enthielt eine Empfehlung für seine Aufnahme in den damaligen Alsterdorfer Anstalten.
Zu dem Zeitpunkt gehörte ein Hydrocephalus bereits zu den beim "Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden" (RA) meldepflichtigen Behinderungen. Es erfolgte jedoch keine Meldung. Andernfalls wäre Uwe nicht in die Alsterdorfer Anstalten gekommen, sondern in die "Kinderfachabteilung" (KFA) des Kinderkrankenhauses Rothenburgsort eingewiesen worden, die einzige, die zu dem Zeitpunkt in Hamburg bestand.

Seinen ersten Geburtstag, Weihnachten und den Jahreswechsel erlebte Uwe noch im Kinderheim. Sein Verhalten hatte sich leicht gebessert, er spielte mit seinem Spielzeug und schaute verständnisvoller in die Welt, konnte allerdings immer noch nicht sitzen. In diesem Zustand und gut ausgestattet mit Kleidung wurde er am 16. Januar 1941 in die Obhut der damaligen Alsterdorfer Anstalten gegeben. Die Sozialverwaltung Hamburg übernahm die Kosten für seine Unterbringung zunächst bis zum 31. Dezember 1941.

Wie bei Neuaufnahmen üblich, wurde Uwe auf der Krankenstation aufgenommen. Er wog 6,7 kg. Dass im Krankheitsbericht bei einem einjährigen Jungen festgehalten wurde, dass er gefüttert werden und schwer trocken gehalten werden konnte, überrascht heutige Leser und Leserinnen.
Offenbar besuchten Uwes Mutter und ihre Verwandten den Jungen, denn der Vater erklärte gegenüber der Anstaltsleitung wie gegenüber den Verwandten ausdrücklich, dass nur ihm das Besuchsrecht zustehe und er es der Mutter und ihren Angehörigen untersage.

Ernst Oswald wollte wieder heiraten und im Interesse der Schwiegerfamilie wissen, welches die Ursachen für Uwes Zustand seien, um kein weiteres Kind mit derartigen Behinderungen zu zeugen. Oberarzt Gerhard Kreyenberg erstellte aufgrund der Angaben des Vaters einen Stammbaum über vier Generationen, der aber keine Anhaltspunkte für eine erblich bedingte Behinderung Uwes bot, was ja auch dem psychiatrischen Gutachten entsprach. Dennoch erbat er bei Erna und Uwe Oswalds Geburtshelfer Auskunft über den Verlauf der Geburt, der war jedoch als Oberstabsarzt bei der Marine nicht zu erreichen.

Uwe Oswald erkrankte an Nasendiphtherie, einer häufig bei Kleinkindern auftretenden Form der Diphtherie, weniger tödlich als die Rachendiphtherie, bis zur Einführung der verpflichtenden Diphtherie-Schutzimpfungen als "Würgeengel der Kinder" gefürchtet, aber gleichwohl gefährlich. Uwe war wegen seiner allgemeinen Schwäche noch nicht geimpft. Deshalb spielt das Thema Diphtherie in dieser Biographie eine so große Rolle. Nach einem diphtheriebakterienpositiven Nasenabstrich vom 11. März 1941 erhielt Uwe ein Diphtherie-Serum gespritzt und es begann die Behandlung der Nasenschleimhäute mit Einpinselungen mit Zitrone. Nach dem ersten negativen Befund wurde zeitweilig die Therapie durch Brustwickel unterstützt. Der nächste Abstrich war negativ, doch dann folgten mehrere positive. Uwe erlitt Fieberspitzen von über 40°. Nach dem vierten positiven Nasenabstrich wurde die Therapie geändert und Prontosil gegeben. Dabei handelte es sich um ein kurz zuvor entwickeltes Sulfonamid, dessen Bedeutung als antibakterielles Heilmittel durch die Verleihung des Medizin-Nobelpreises 1939 bekannt wurde. Bei Uwe verschlimmerte sich die Krankheit zunächst, das Fieber stieg wieder auf 40°, doch dann klang sie ab, und nach drei weiteren negativen Abstrichen wurde die Behandlung am 17. Mai 1941 beendet.

Dass Uwe bei seiner allgemeinen Schwäche die Krankheit überlebte, ist außer auf die Therapien auf seine im Übrigen gute Pflege und Versorgung zurückzuführen. Er blieb vorerst auf der Krankenstation, wurde aber im Oktober von der eigentlich fälligen Diphtherie-Schutzimpfung bis Dezember 1942 zurück gestellt.

Ernst Oswald erhielt für Uwe von der Hamburger Hochbahn AG ein monatliches Kindergeld von 20 RM. Auf Veranlassung der DAF, der Deutschen Arbeitsfront, trat er es ab 1. Dezember 1941 an die Sozialverwaltung zugunsten von Uwes Unterbringung ab.

Ein Jahr nach seiner Aufnahme in den damaligen Alsterdorfer Anstalten hatte Uwe ein Gewicht von 10,3 kg erreicht. Die Sozialverwaltung forderte wegen der Fortsetzung der Unterhaltszahlungen einen Bericht über Uwe an. Gerhard Schäfer, der damalige ärztliche Leiter der Einrichtung, begründete die Notwendigkeit der Fortsetzung des Anstaltsaufenthalts so: "Der Pat[ient] leidet an Hydrocephalus mit Schwachsinn. Er reagiert, wenn er angesprochen wird, kann aber nicht richtig spielen. Er wird mit Breikost gefüttert, lässt seine Bedürfnisse unter sich." Einen weiteren Bericht nach diesem vom 15. April 1942 gab es nicht.

Am 9. März 1942 wurde Uwe Oswald zum ersten Mal gegen Diphtherie geimpft, am 17. April erfolgte die zweite Impfung. Am 1. Mai 1942 zeigte Uwe die ersten Anzeichen für eine Windpockenerkrankung. Sie wurde durch Pudern gelindert und war am 15. des Monats ohne Komplikationen ausgestanden. Am 21. August des Jahres wurde er von der Krankenstation auf die Abteilung 10, eine Kinderabteilung, verlegt. Dort erhielt er am 11. November eine weitere Diphtherie-Impfung, die erste erfolgreiche, womit "der gesetzlichen Pflicht genügt" war, wie es hieß, und womit auch die Einträge über Uwes Befinden und Verhalten enden bis auf die Gewichtsangabe am Anfang 1943: 11,5 kg, nachdem er im Juli des Vorjahres fast ein Kilogramm mehr gewogen hatte.

Bei den großen Luftangriffen der Allierten auf Hamburg im Juli/August 1943 wurden auch die damaligen Alsterdorfer Anstalten beschädigt. Dies nahm Pastor Friedrich Lensch, der damalige Anstaltsleiter, zum Anlass, über 450 Patienten und Patientinnen in "luftsichere" Gebiete zu verlegen, um Spielraum für eine andere Nutzung der Anstalt zu erreichen. Mit Genehmigung der Hamburger Gesundheitsbehörde und in Zusammenarbeit mit der "Euthanasiezentrale" in der Tiergartenstraße 4 in Berlin organisierte er diese Abtransporte. Der erste Transport umfasste 128 Kinder und Männer und verließ Hamburg am 7. August 1943 mit dem Ziel zweier Anstalten im Rheingau. Uwe Oswald wurde ihm zugewiesen, offensichtlich weil er schwerstpflegebedürftig war und in seiner geistigen Entwicklung kaum einen Fortschritt gemacht hatte.

Der Transport wurde zunächst, begleitet von Pastor Lensch, in Bussen der GeKrat, der Gemeinnützigen Krankentransport-GmbH der "Euthanasiezentrale" in Berlin mit ihren verdunkelten Fenstern, zum Güterbahnhof Langenhorn gebracht, wo die Betroffenen in einen Zug umsteigen mussten, d.h., Uwe Oswald und andere Kinder wurden getragen, viele von ihnen in "Schutzjacken", umgangssprachlich Zwangsjacken genannt. In Limburg an der Lahn wurde der Transport aufgeteilt: 76 Personen, die für die Landesheil- und Pflegeanstalt Eichberg bestimmt waren, verblieben im Zug, der Wagen mit den für den Kalmenhof bei Idstein am Taunus bestimmten Kindern wurde abgekoppelt. Er erreichte seinen Bestimmungsort am frühen Morgen des 8. August 1943. Zu dieser Gruppe von 52 Jungen und Mädchen zwischen zwei und zwölf Jahren gehörte auch der inzwischen drei Jahre und acht Monate alte Uwe Oswald.

Der Kalmenhof war eine ehemals gut beleumundete Einrichtung, die in zweifacher Weise in das Euthanasieprogramm eingebunden wurde: als Durchgangsstation zur "Tötungsanstalt" Hadamar und ab Ende 1941 mit der Einrichtung einer "Kinderfachabteilung" des "Reichsausschusses zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden". Unter Umgehung des komplizierten bürokratischen Verfahrens, das mit ihm verbunden war, wurden dort sowohl Kinder als auch Erwachsene getötet.

Nach ihrer Ankunft auf dem Kalmenhof wurden die 52 Kinder aufgeteilt: 20 kamen in das "Altenheim", die übrigen 32 in das gegenüberliegende "Krankenhaus" am Rand der Anstalt, an das sich ein Acker, der als Anstaltsfriedhof diente, anschloss. Im Krankenhaus wurden die Kinder nach und nach mit überdosiertem Morphium/Skopolamin oder Luminal ermordet und anschließend auf dem Anstaltsfriedhof beerdigt.

Welcher der beiden Gruppen Uwe Oswald zugeteilt wurde, ist nicht bekannt. Am 11. November 1943 waren bereits 48 der 52 "Alsterdorfer" Kinder ermordet. Nur ein Junge überlebte Dank des Einsatzes der Hausmutter Loni Franz vom Altenheim. Es war Hans Gerhard Meiners, geb. 1932, der 1947 als Zeuge im Prozess gegen den ehemaligen Anstaltsleiter Wilhelm Großmann auftrat.

Im März 1944 wandte sich Ernst Oswald erneut an die Leitung der damaligen Alsterdorfer Anstalten, nachdem er auf Schreiben vom Dezember 1943 und Januar 1944 ohne Antwort geblieben war. "Ich bin der Meinung, dass meine Schreiben durch Feindeinwirkung verloren gingen. Denn die Züge müssen vom Südosten zur deutschen Heimat immer durch serbisches Bandengebiet. … Ich bitte Sie höflichst, … mir doch über den Befund und evtl. Verbleib meines Sohnes Uwe Nachricht zu geben. Da wir nicht mit Urlaub rechnen können, werden Sie mir meinen Wunsch nicht abschlagen.
Hochachtend
Ernst Oswald als Vater und gesetzlicher Vormund"

Die Antwort fiel sehr nüchtern aus:
12.4.44
Soldat Ernst Oswald, Feldpostnr. 425 65 D
"In Erledigung Ihres Schreibens vom 21.3.44 teilen wir Ihnen mit, dass Ihr Sohn Uwe am 7.8.1943 infolge starker Beschädigung unserer Anstalten durch Feindeinwirkung, in die Heil- und Pflegeanstalt Idstein im Taunus über Eltville, verlegt worden ist.
Heil Hitler!"

Ernst Oswald kehrte nach dem Krieg nach Hamburg zurück. Die Abtretungserklärung für das Kindergeld zog er am 8. Mai 1946 zurück.

Nach seinem Tod am 30. Oktober 1970 stellte die Nachlasspflegerin Nachforschungen nach Uwes Verbleib an. Seitens der Leitung der damaligen Alsterdorfer Anstalten gab es keine Auskunft, die über die Verlegung Uwe Oswalds am 7. August 1943 in das Heilerziehungsheim Kalmenhof hinausging. Erst in den 1980er Jahren wurden die Vorgänge nach den Verlegungen bekannt.

Stand: März 2017
© Hildegard Thevs

Quellen: Ev. Stiftung Alsterdorf, Archiv, V 72; Meyers Enzyklopädie in 25 Bänden, Mannheim 1972; Wunder et al.: Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr, 3. Aufl. Hamburg 2016.

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