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Bereits verlegte Stolpersteine



Photo Abraham (l.) und Sara
© Schlomo Schwarzschild, Haifa

Sara Schwarzschild * 1938

Bornstraße 22 (Eimsbüttel, Rotherbaum)

1941 Riga

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Weitere Stolpersteine in Bornstraße 22:
Emma Cohen, Jenny Drucker, Minna Drucker, Ursula Geistlich, Selma Isenberg, Alfred Pein, Emmy Pein, Abraham Schwarzschild, Betty Schwarzschild, Ignatz Schwarzschild, Rachel Süss, Clara Weil, Rosa Wolff, Bella Wolff

Familie Schwarzschild — großes Leid und Hoffnung durch engagiertes Handeln

Schlomo Schwarzschild wurde 1925 geboren, er ist einziger Überlebender seiner Familie und lebt seit mehr als 60 Jahren in Haifa, Israel. Er erinnert sich mit vielen Einzelheiten an die Zeit seiner Kindheit und Jugend in Hamburg.

In einem genossenschaftlichen Mietshaus in der Schlankreye lebten die Schwarzschilds offen als religiöse jüdische Hamburger Familie inmitten einer nichtjüdischen Umgebung. Der Vater Ignatz Schwarzschild war Kantor, zunächst in der Synagoge des Vereins Kelilat Jofi, Hoheluftchaussee 25, später bis zu seiner Deportation in einer Synagoge in Altona, wo er auch als Gemeindearbeiter tätig war. Er arbeitete zudem noch als Buchhalter. Die Mutter Kela Schwarzschild verdiente durch haushälterische Arbeiten Geld zum Lebensunterhalt der Familie hinzu. Bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 konnten sie, mit den Kindern Salomon (Schlomo) und Leopold (Poldi), als jüdische Hamburger Familie von den Nachbarn geschätzt ohne Diskriminierung leben. Abgesehen von der Religion, die in ihrem Leben eine wichtige Rolle spielte, unterschied sie nichts von der Nachbarschaft. Viele waren Mitglieder in Gewerkschaften und verfolgten sozialistische Ziele. Auch Ignatz Schwarzschild verstand sich zeit seines Lebens als Sozialist. Ebenso wenig unterschied sich die Familie hinsichtlich des alltäglichen Lebens, z.B. der ausgeprägten Korrektheit und des betonten Ordnungssinns. Schlomo Schwarzschild beschreibt seine Eltern deshalb als "ziemlich deutsch". Dennoch gehörte die Familie Schwarzschild nicht zu den assimilierten Juden, sondern betonte ihre jüdische Identität. Sie sahen sich als in Deutschland lebende Juden und nicht als Deutsche und vermittelten dies ihren Söhnen.

Schlomo wurde 1931 und Poldi 1930 in die Talmud Tora-Schule im Grindelhof eingeschult. Die ersten Jahre ihrer Grundschulzeit konnten sie sich unbehelligt, kindlich vergnügt von der Schlankreye aus den Grindelberg und die Grindelallee hinunter bis zum Grindelhof auf den Schulweg machen. Schlomo war acht Jahre alt, als er mit antisemitistischen Angriffen konfrontiert wurde. Er erinnert sich noch gut daran: "Bald nachdem die Nazis ans Ruder kamen, spürten wir Talmud-Tora-Schüler, was es bedeutete, als Jude im Hitlerdeutschland aufzuwachsen. Auf dem Nachhauseweg wurden wir oft von jungen Nazi-Rowdies angerempelt, sie beschimpften uns, versuchten uns zu Boden zu werfen, traten nach uns und entrissen uns Schultaschen. Erwachsene Passanten mischten sich selten ein, um den Attacken Einhalt zu gebieten."

Den Schulkindern wurde immer dringlicher eingeschärft, sich so unauffällig wie möglich zu benehmen. Nach Schulschluss sollten sie schnellstens jeder für sich und nicht in Gruppen aus der Grindelgegend nach Hause gehen. Anders als seinem Bruder Poldi fiel es Schlomo schwer, den Ratschlägen zu folgen und Angriffe nicht zu erwidern. Im Gegenteil, Schlomo wehrte sich massiv, als ihm einmal ein Hitlerjunge den Ball mit dem Worten wegnahm: "Juden dürfen nicht Ball spielen." So manches Mal prügelte sich Schlomo mit denen, die ihn und seinen Bruder angriffen, weil sie als Schüler der Talmud-Tora-Schule von den aufgehetzten anderen Kindern erkannt wurden.

Schlomos Eltern ließen sich scheiden, als er elf Jahre alt war. In dieser schwierigen familiären Situation wurde er für ein Jahr zu Verwandten in die Schweiz geschickt. 1937 kam er zurück nach Hamburg, ging wieder in die Talmud-Tora-Schule und wohnte zusammen mit seiner Mutter in einem Zimmer in der Hansastraße. Sein Vater war inzwischen mit seiner zweiten Ehefrau Betty, dem Sohn Poldi und dem im Juli 1937 geborenen Abraham in eine kleine Wohnung in das Louis-Levy-Stift, Bornstraße 22, eingezogen. Betty und Ignatz Schwarzschild wohnten mit ihren Kindern beengt, doch unter noch freiwillig hier lebenden Nachbarn. Im September 1938 kam Sara auf die Welt, in eine Umgebung, in der bereits in mehreren hundert Gesetzen, Verordnungen, Erlassen und Verfügungen ihre Diskriminierung und Verfolgung als Jüdin beschlossen war.

Seit dem Morgen des 10. November 1938, nach der Zerstörung und Zerschlagung von Synagogen, Geschäften und Wohnungen jüdischer Bürger und der Ermordung vieler von ihnen, war die physische Gewalt gegen Juden öffentlich bekannt. Schlomo Schwarzschild erinnert sich: "Als ich atemlos am Bornplatz ankam, sah ich das Schreckliche. Eine angesammelte Menschenmenge. Die Jüngeren schienen amüsiert. Die anderen standen meist schweigend mit ernsten Mienen herum. Einige grinsten schadenfroh. Dicker, schwarzer Rauch quoll aus den Fensterruinen. Zerfetzte Thorarollen und Gebetbücher lagen in den Scherbenhaufen. Dieser Moment bedeutete für mich das traumatische Ende meiner Kindheit. Es war mir klar, dass es hier in Deutschland für uns Juden keine Zukunft geben könne."

Sofort am nächsten Tag versuchten Schlomos Mutter Kela und ihr zweiter Mann Max Bundheim alles, um zusammen mit ihrem Sohn zu Verwandten ins Ausland fliehen zu können. Trotz aller Bemühungen gelang ihnen die Flucht nicht mehr. Im November 1941 wurden Kela und ihr Mann nach Minsk deportiert und dort ermordet. Die Familie von lgnatz Schwarzschild wurde mit einem der ersten Transporte 1941 aus ihrer Wohnung in der Bornstraße 22 deportiert und in Riga umgebracht. Schlomos Bruder Poldi war 17 Jahre alt, sein Bruder Abraham vier Jahre alt und seine Schwester Sara drei Jahre.

Schlomo Schwarzschilds Eltern und Geschwister gehörten zu den 3162 jüdischen Hamburgern, die in weniger als zwei Monaten zwischen dem 25. Oktober 1941 und dem 6. Dezember 1941 in die Tötungslager deportiert und ermordet wurden.

Schlomo erlebte die Deportation seiner beiden Familien nicht mehr, ihm gelang es, nach Palästina zu entkommen. Nach Abschluss der Talmud-Tora-Realschule 1939 setzte er gegen den Willen seiner Eltern durch, den mehrmonatigen Vorbereitungslehrgang für Jugendliche zur Auswanderung nach Palästina besuchen zu dürfen. Nicht nur die handfeste landwirtschaftliche Ausbildung, sondern auch die Schulung an Waffen zur Verteidigung reizten Schlomo, auch der Gedanke, seine jugendliche Energie in ein Aufbauprojekt stecken zu können. Seiner Mutter fiel es sehr schwer, ihren 14-jährigen Sohn allein gehen zu lassen. Sie wusste aber, dass sie ihm damit die Chance gab, der lebensbedrohlichen Situation in Deutschland zu entkommen.

Weil er noch nicht 15 war, nur bis zum Alter von 15 Jahren bestand eine Einreisemöglichkeit für Kinder, und weil ein in Palästina lebender Onkel sich um die Formalitäten kümmerte, weil Poldi, für den die Dokumente eigentlich ausgestellt worden waren, die Altergrenze schon überschritten hatte und vielleicht auch weil Schlomo mutig, kämpferisch und abenteuerlustig war und ist und nicht zuletzt weil er auch Glück hatte, kann er heute in Haifa/Israel auf ein Leben zurückblicken, das ihm viel Leid gebracht hat, das aber auch gut war. 43 Jahre bestimmten Schiffe und der Hafen von Haifa sein Berufsleben. Er kämpfte freiwillig bei der Royal Navy gegen Nazideutschland, bereiste die Weltmeere zwei Jahre auf Frachtschiffen und steuerte 35 Jahre lang die Hafenschlepper in Haifa. 1958 heiratete er Aviva, sie bekamen zwei Söhne und eine Tochter und führen ein offenes, lebhaftes Haus, nicht nur, wenn die sechs Enkelkinder zu Besuch kommen.

Schlomo Schwarzschild beobachtet das Geschehen in Deutschland mit großer Aufmerksamkeit, seine Ansprache auf dem Bornplatz 1998, 60 Jahre nach dem 9. November 1938, schloss er mit den Sätzen: "Ich hänge noch an der Stadt, kann allerdings nie wieder ‘heim kommen‘. Damit ergeht es mir ebenso wie denjenigen Menschen, die nach einer Amputation im abgetrennten Körperteil noch vermeintliche Schmerzen empfinden. - Phantomschmerzen. (...) Nur wenn intensiv und konsequent das Wiederaufleben des Nazismus bekämpft wird, besteht Hoffnung auf eine bessere Zukunft."

Autorin: Karin Guth

Quelle: Guth, Karin, Bornstraße 22 – Ein Erinnerungsbuch, S.49 ff., Hamburg – München 2001, Dölling und Galitz Verlag, ISBN 3-935549-06-7

Link to English version:
http://www1.uni-hamburg.de/rz3a035/bornagain.html
Karin Guth, Bornstraße 22 - Ein Erinnerungsbuch. Hamburg/Munich, 2001

Buch und Installation: http://www1.uni-hamburg.de/rz3a035/project.html (German / English)


Auszug aus Beate Meyer (Hrsg.), Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933-1945 – Geschichte. Zeugnis. Erinnerung, Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg 2006, S. 180 ff.

Für die Familie Schwarzschild liegen Stolpersteine in der Schlankreye [Anm.: Hausnummer 17] (für den Vater Ignatz, dessen geschiedene erste Ehefrau KeIa und Sohn Leopold) wie auch in der Bornstraße 22 (für die zweite Ehefrau Betty und die Kinder Abraham und Sara) [Anm.: seit März 2007 liegt dort auch ein Stolperstein für Ignatz Schwarzschild]. Der streng religiöse, gleichwohl sozialistisch orientierte lgnatz Sch. wirkte als Kantor in den 1920er und 1930er Jahren - bis November 1938 - an der Synagoge Hoheluftchaussee 25. Er und seine Ehefrau verdienten mit Buchhaltung, Zigarettenhandel, Kochen, Putzen und Einhüten den Lebensunterhalt. Die Söhne Salomon (Schlomo) und Leopold besuchten die Talmud-Tara-Schule. Sch.s waren in ihre Umwelt integriert, begriffen sich jedoch dezidiert als "Juden, die in Deutschland leben". 1936/37 trennten sich die Eheleute. Beide heirateten neue Partner. Dem Sohn Salomon glückte die Auswanderung: Er ging von der Schule ab, absolvierte eine landwirtschaftliche Ausbildung in Blankenese und verließ Deutschland im Dezember 1939. Sein Bruder Leopold, der ebenfalls von 1938 bis 1940 das Vorbereitungslager in Blankenese und von 1940 bis Ende 1941 den Beruf des Gärtners erlernt hatte, scheiterte an der Altersgrenze. Das Palästina-Zertifikat, um das ein emigrierter Onkel sich bemüht hatte, galt nur für Jugendliche bis zum 15. Lebensjahr, Leopold, Jahrgang 1924, war zu alt. Auch die Auswanderungsbemühungen seiner Mutter (jetzt verheiratete Bundheim) [Anm.: wohnhaft Hansastraße 57, Stolpersteine in der Brahmsallee 19] und deren neuen Mannes schlugen fehl, sie wurden zusammen mit dessen Tochter aus erster Ehe nach Minsk deportiert, wo sie ermordet wurden. Ignatz Schwarzschild, seine Frau Betty, Sohn Leopold und die beiden vier- und fünfjährigen Kinder Abraham und Sara erhielten den Deportationsbefehl an ihre letzte Wohnadresse in der Bornstraße 22. Sie kamen auf das Gut Jungfernhof bei Riga, das in keiner Weise dazu hergerichtet war, tausende von Menschen aufzunehmen. Von den 4000 dort zusammengepferchten Juden starben im Winter 1941/42 fast 800 Personen. Doch die Sch.s überlebten bis zum Frühjahr 1942. Unter dem Vorwand, zu einer leichteren Arbeit in einer Fischfabrik gebracht zu werden, wurden am 26. März 1942 dann 1700 -1800 Personen abtransportiert und im Wald von Rumbula erschossen, unter ihnen die Kinder Abraham und Sara und ihre Mutter Betty. Ignatz und Leopold Sch. waren zusammen mit insgesamt 1000 (später noch 500 weiteren) Männern in das zwölf Kilometer weiter gelegene Lager Salaspils gebracht worden, angeblich um ein Lager zu erbauen, in das ihre Familien nachkommen konnten, Irgendwann im Jahre 1942 fielen sie dem Hunger, der Kälte, den mörderischen Arbeitsbedingungen zum Opfer oder wurden in einer der großen "Strafaktionen" ermordet.


Informationen über die Deportationen von Hamburg nach Riga

Insgesamt 20 Transporte von deutschen, österreichischen und tschechischen Juden gelangten zwischen November 1941 und Februar 1942 in das Gebiet um Riga. Aus Hamburg wurde am 6. Dezember 1941 ein Transport mit 753 Personen (von denen 726 umkamen) dorthin geschickt. Im Rigaer Ghetto befanden sich zu dieser Zeit knapp 30000 lettische Juden, von denen 27500 am "Rigaer Blutsonntag" (30.11.1941) und am 8.12.1941 erschossen wurden, um für die Neuankömmlinge "Platz zu schaffen". Als die Hamburger Juden, unter ihnen Oberrabbiner Joseph Carlebach, in Riga eintrafen, war die zweite Erschießungsaktion noch nicht beendet deshalb wurden sie zum sechs Kilometer entfernten Gut Jungfernhof gebracht. Dieses heruntergekommene Anwesen bestand aus einem Gutshaus, drei Holzscheunen, fünf kleinen Häusern und Viehställen, wo knapp 4000 Menschen (außer Hamburgern auch Nürnberger, Stuttgarter und Wiener) zusammengepfercht wurden. 1700 bis 1800 von ihnen wurden im März 1942 in der "Aktion Dünamünde" erschossen, 200 Frauen und ein Teil der Übrigen wurden nach und nach in das Ghetto Riga eingewiesen. Ein Teil der Männer zwischen 16 und 50 Jahren kam in das 18km vor Riga gelegene Zwangsarbeiterlager Salaspils, das nur die wenigsten überlebten.
Ab Sommer 944 wurden die jüdischen Häftlinge aus dem baltischen Raum Richtung Deutschland zurückverlegt, Hauptziel war das KZ Stutthof bei Danzig. Von dort gelangten Frauen nach Neuengamme bei Hamburg, männliche Häftlinge nach Buchenwald, andere nach Auschwitz, Sachsenhausen, Dachau, Mauthausen oder Natzweiler Vereinzelte Häftlinge aus Riga befanden sich dann in den Kolonnen der Todesmärsche, die diese Lager im April 1945 verließen.


© Karin Guth, Beate Meyer

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