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Bereits verlegte Stolpersteine



Martha Havelland * 1879

ohne Hamburger Adresse


ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Weitere Stolpersteine in ohne Hamburger Adresse :
Dr. Hans Bloch, Felix Cohn, Moraka Farbstein, Erland Walter Friedmann, Richard Guth, Albert Hirsch, Auguste Hirschkowitz, Sophie Kasarnowsky, Ernestine Levy, Richard Levy, Hannchen Lewin, Bronislawa Luise Dorothea Mattersdorf, Karl Friedrich Michael, Lucie Rothschild, Dorothea Dorthy Silberberg, Wilhelm Süsser, Anna Luise (Louise Hedwig) Weimann, Salo Weinberg

Martha Havelland, geb. am 4.10.1879 in Bleicherode (Kreis Nordhausen/Thüringen), ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Ohne Stolperstein

Martha Havelland kam am 4. Oktober 1879 in Bleicherode als jüngstes der fünf Kinder des am 15. Juli 1839 in Nordhausen geborenen Kaufmanns Hermann Havelland und seiner Ehefrau Helene, geborene Adler, zur Welt. Das älteste der Kinder, Paul, wurde am 23. Dezember 1869 in Nordhausen geboren. 1871 zog die noch kleine Familie jüdischen Glaubens nach Bleicherode im heutigen Landkreis Nordhausen in Thüringen. Dort gab es eine große jüdische Gemeinde.

In Bleicherode kamen auch drei von Marthas Geschwistern zur Welt: Siegmund Havelland, geboren am 15. Dezember 1871, Nathan Havelland, geboren am 1. Januar 1873, und Elise Havelland, geboren am 19. Oktober 1874. Die Familie verließ Bleicherode 1891 mit unbekanntem Ziel.

Erst 1933 findet sich wieder eine Spur, als Martha Havelland am 11. Februar in der "Privatanstalt Fräulein Clausen" in Friedrichsfeld in der Gemeinde Prinzenmoor in der Nähe von Rendsburg aufgenommen wurde. Dort war 1883 auf dem Gelände eines früheren Glashüttenwerks eine private "Anstalt für nerven- und gemütskranke Damen" entstanden. Die Bewohnerinnen unterhielten den um das Hauptgebäude angelegten Park und versorgten den weitläufigen Obst- und Gemüsegarten. Die Kranken stammten zumeist aus "besseren" Familien, die sich die gehobene Unterbringung leisten konnten. In einem Prospekt der Einrichtung hieß es: "Die Besitzung Friedrichsfeld, unweit der Eider gelegen, bietet nerven- und gemütskranken Damen, die nicht in eine grosse Anstalt wollen und doch in der Familie nicht bleiben können, einen ruhigen und gesunden Aufenthalt." Zwischen 1910 und 1942 leiteten die beiden Schwestern Margarethe und Cäcilie Clausen ihre Anstalt, die ca. 35 Bewohnerinnen aufnehmen konnte. Nach der Schließung der privaten Anstalt wurden die Patientinnen 1942 nach Schleswig, wahrscheinlich in die dortige psychiatrische Einrichtung in Schleswig-Stadtfeld, und in die diakonische Anstalt in Kropp verlegt. Friedrichsfeld wurde von der Provinzialverwaltung übernommen und nach Umbauten als Erziehungsheim für 40 Kinder eingerichtet. Nach längerem Leerstand, Plünderungen und Verwüstungen brannten die Gebäude ab.

Martha Havelland wurde am 18. September 1940 aus Friedrichsfeld in der Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn aufgenommen. Dieser Verlegung war Folgendes vorausgegangen:

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen.

Am 23. September 1940 wurde Martha Havelland zusammen mit 135 weiteren Patienten aus den norddeutschen Anstalten nach Brandenburg an der Havel transportiert. In dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses wurden die Patienten noch am selben Tag in die Gaskammer getrieben und mit Kohlenmonoxyd ermordet. Nur Ilse Herta Zachmann entkam zunächst diesem Schicksal (siehe dort).

Es ist nicht bekannt, ob und ggf. wann Angehörige Kenntnis von Martha Havellands Tod erhielten. In allen dokumentierten Mitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch) verstorben sei. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm/Cholm, einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es dort kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Das Schicksal der anderen Mitglieder der Familie Havelland liegt weitgehend im Dunkel. Nur von Nathan Havelland wissen wir, dass er in Berlin lebte. Er hatte 1915 in der Kurstraße in Berlin-Mitte eine Knopffabrik gegründet, die 1939 zwangsliquidiert wurde. Er wurde am 14. September 1942 aus Berlin nach Theresienstadt deportiert und kam dort am 10. März 1944 ums Leben. Für Nathan Havelland liegt ein Stolperstein in Berlin-Wilmersdorf, Deidesheimer Straße 9.

Martha Havelland lebte abgesehen von dem fünftägigen unfreiwilligen Aufenthalt in der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn nie in Hamburg. Deshalb konnte kein individueller Ort in Hamburg bestimmt werden, an dem ihrer mit einem Stolperstein gedacht werden könnte.

Stand: November 2017
© Ingo Wille

Quellen: 3; 5; 7; 8; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26. 8. 1939 bis 27. 1. 1941; Kreisarchiv Nordhausen, Mitteilung vom 10. 5. 2016; Gemeinde Friedrichsfeld, A/316 Alphabetisches Verzeichnis zum Melderegister, A/1549 Personenstandsregister; Standesamt Bleicherode, Geburtsregister Nr. 9/1874 Elise Havelland, Geburtsregister Nr. 102/1879 Martha Havelland; Gemeinde Prinzenmoor, Melderegisterauszug Friedrichsfeld 1933; JSHD Forschungsgruppe "Juden in Schleswig-Holstein", Datenpool Erich Koch, Schleswig. Rust, Jürgen (Red.), Prinzenmoor in Geschichte und Gegenwart, Prinzenmoor 2008, S. 124ff.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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