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Bereits verlegte Stolpersteine



Richard Levy * 1885

ohne Hamburger Adresse


ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Weitere Stolpersteine in ohne Hamburger Adresse :
Dr. Hans Bloch, Felix Cohn, Moraka Farbstein, Erland Walter Friedmann, Richard Guth, Martha Havelland, Albert Hirsch, Auguste Hirschkowitz, Sophie Kasarnowsky, Ernestine Levy, Hannchen Lewin, Bronislawa Luise Dorothea Mattersdorf, Karl Friedrich Michael, Lucie Rothschild, Dorothea Dorthy Silberberg, Wilhelm Süsser, Anna Luise (Louise Hedwig) Weimann, Salo Weinberg

Richard Levy, geb. am 2.11.1885 oder 2.2.1885 in Wollstein, (heute Wolsztyn, Polen), ermordet in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel am 23.9.1940

Ohne Stolperstein

Bei seiner Aufnahme in der damaligen Großherzoglichen Irrenanstalt Gehlsheim bei Rostock am 23. August 1915 erzählte Richard Levy, er habe seine Familie und seinen Geburtsort Wollstein nach Schulbesuch und Friseurlehre schon mit jungen Jahren verlassen.

Die Eltern, der Händler Isidor Levy und Caroline, geborene Cohn, lebten in Richards Geburtsort. Der Vater soll 1898, die Mutter 1908 verstorben sein. Richard Levy berichtete von drei Schwestern und einem Bruder, deren Namen und Geburtsdaten wir nicht kennen.

Richard Levy wandte sich nach seinen Aussagen zunächst nach Doberlug, einem sorbischen Ort am Fuße des Zisterzienserklosters Dobrilugk im heutigen Bundesland Brandenburg. Dort arbeitete er als Friseurgehilfe, bis er 1900 nach Dresden übersiedelte. Später war er ein Jahr in Hamburg tätig, dann in Berlin und in der damals noch selbstständigen Stadt Spandau (1920 nach Groß-Berlin eingemeindet).

1909 wanderte Richard Levy nach Amerika aus. Er verdiente seinen Lebensunterhalt anfangs als Friseur, dann in einem Bekleidungsgeschäft in Chicago. Schon 1913 kehrte er nach Europa zurück, zunächst nach Kopenhagen und anschließend nach Lübeck. Anscheinend waren seine finanziellen Mittel sehr knapp, denn er war darauf angewiesen, dass eine seiner Schwestern, die in Posen lebte, ihn bei einem Besuch mit etwas Geld unterstützte. Nach einem erneuten Aufenthalt in Dresden blieb Richard Levy bis 1915 im Arbeitsasyl Wilhelmsthal bei Spremberg im heute brandenburgischen Landkreis Spree-Neiße.

Die unter dem Namen "Brandenburgisches Arbeitsasyl Wilhelmsthal" geführte Einrichtung nahm ab 1912 Arbeits- und Obdachlose auf, die von sich aus um Aufnahme baten, noch arbeitsfähig waren und sich "kontraktlich zu einem dreimonatlichen Aufenthalt gemäß der Hausordnung" verpflichteten. Sie erhielten Unterkunft, Verpflegung und Wäsche sowie 20 bis 50 Pfennige (heute etwa zwei bis fünf Euro) Arbeitslohn pro Tag.

1915 "glückte" es ihm, wie Richard Levy formulierte, über Berlin nach Hamburg zu fahren. Hier habe er sich einen Pass nach Dänemark "gekauft". Ein Passantrag ist in Hamburg nicht auffindbar. In Kopenhagen schlug der Versuch fehl, erneut nach Amerika auszuwandern. Richard Levy wurde mittellos festgenommen und auf Veranlassung des Deutschen Konsulats im August nach Warnemünde ausgewiesen. Hier überstellte die Kriminalpolizei ihn dem militärischen Bezirkskommando, um seine Wehrdienstpflicht zu prüfen. Es bestand die Vermutung, dass er sich der Dienstpflicht entziehen wollte. Die Tauglichkeitsuntersuchung für den Militärdienst führte jedoch zu der Feststellung, er sei "geistig erkrankt".

Am 23. August 1915 wurde Richard Levy in die "Irrenanstalt Gehlsheim" im heutigen Rostocker Stadtteil Gehlsdorf eingeliefert. Seitdem hielt er sich bis zu seinem Lebensende in "Anstaltsbewahrung" auf, bis 7. April 1916 in Gehlsheim und danach bis September 1940 in der Heilanstalt Sachsenberg bei Schwerin. Richard Levy galt als ein meist ruhiger, im Laufe der Jahre zunehmend in sich zurückgezogener Patient. Er übte auch in der Anstalt seinen Lehrberuf aus. Seinen Mitpatienten schnitt er die Haare und rasierte sie.

Auf Antrag der Anstalt Sachsenberg beschloss das Amtsgericht Schwerin am 30. August 1940 Richard Levys Entmündigung. Warum gerade zu diesem Zeitpunkt seine Entmündigung betrieben wurde, ist nicht ersichtlich, denn Richard Levy befand sich schon 25 Jahre in einer Heilanstalt.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen.

Richard Levy wurde am 17. September 1940 aus Schwerin-Sachsenberg in die Sammelanstalt Langenhorn gebracht. Er war völlig in sein Schicksal ergeben und ging ruhig auf den Transport.

Am 23. September 1940 wurde er mit weiteren 135 Patienten aus den norddeutschen Anstalten nach Brandenburg an der Havel transportiert. Der Transport erreichte die märkische Stadt noch an demselben Tag. In dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses trieb man die Patienten umgehend in die Gaskammer und tötete sie mit Kohlenmonoxyd. Nur Ilse Herta Zachmann entkam zunächst diesem Schicksal (siehe dort).

Wir wissen nicht, ob und ggf. wann Richard Levys Angehörige Kenntnis von seinem Tod erhielten. In allen dokumentierten Mitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch) östlich von Lublin verstorben sei. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm/Cholm. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es in Chelm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Richard Levy hatte in Hamburg keine frei gewählte Adresse, so dass kein individueller Ort bestimmt werden kann, an dem seiner mit einem Stolperstein gedacht werden könnte.

Stand: November 2017
© Ingo Wille

Quellen: 5; 9; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26.8.1939 bis 27.1.1941; Landeshauptarchiv Schwerin 5.12-7/11. Haack, Kathleen/Kasten, Bernd/Pink, Jörg, Die Heil- und Pflegeanstalt Sachsenberg-Lewenberg 1939–1945, Schwerin 2016. http://www.lr-online.de/regionen/spremberg/Was-wird-aus-Wilhelmsthal;art1050,3904070 (Zugriff 22.5.2015).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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