Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine



Adele Levy * 1875

Heinrich-Barth-Straße 10 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
ADELE LEVY
JG. 1875
EINGEWIESEN 1939
HEILANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
"AKTION T4"

Weitere Stolpersteine in Heinrich-Barth-Straße 10:
Frieda Aron, Sara Aron, Isidor Blankenstein

Adele Levy, geb. am 7.12.1875 in Hamburg, ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Stolperstein Hamburg-Rotherbaum, Heinrich-Barth-Straße 10

Adele Levys Vater, der Lotteriecollecteur (Losverkäufer) Benjamin Samuel Levy, geboren 1829, stammte aus Gelliehausen in der Nähe von Göttingen. Er war in zweiter Ehe mit der 1844 geborenen Friederika Rothstein aus dem damals preußischen Sudheim (heute ein Ortsteil von Northeim/Niedersachsen) verheiratet. Das Paar ließ die Eheschließung am 14. August 1874 in Hamburg und am 1. September 1874 in Hannover registrieren. Benjamin Samuel hatte sich schon Jahre früher in Hamburg niedergelassen und bereits am 16. September 1859 den Bürgerbrief erhalten.

Das Ehepaar Levy bekam zwei Töchter, Adele, geboren am 7. Dezember 1875, und Sabine, geboren am 18. Oktober 1876, beide in Hamburg geboren. Die Familie lebte bei Adeles Geburt in der Hamburger Neustadt am Großen Neumarkt, Hof 57, bei Sabines Geburt in der Straße Kleine Drehbahn 8. Als Friederika Levy im Mai 1879 im Alter von 34 Jahren starb, war Adele noch nicht vier Jahre, Sabine drei Jahre alt.

Benjamin Samuel Levy heiratete erneut. Seine dritte Ehefrau, Helene Schlomann, geboren 1845, stammte aus Malchow in Mecklenburg. Die Eheleute Levy müssen in äußerst beschränkten Verhältnissen gelebt haben. Darauf deutet Helene Levys letzte Adresse hin: Schlachterstraße 40/41, Haus 3, einem von Marcus Nordheim zu seinem siebzigsten Geburtstag errichteten Wohnstift mit 27 Freiwohnungen für arme jüdische Familien.

Adele Levy wurde 1886 im Alter von zehn Jahren in den damaligen Alsterdorfer Anstalten aufgenommen. Vermutlich war sie schon damals stark sehbehindert. Während ihrer Zeit in Alsterdorf starben am 3. Februar 1895 ihre Stiefmutter Helene und am 18. Februar 1900 ihr Vater Benjamin Samuel Levy. Sie hatte nun nur noch ihre Schwester Sabine, die inzwischen Lehrerin geworden war.

Adele Levy blieb bis Mai 1919 in Alsterdorf. Auf Wunsch der Jüdischen Gemeinde wurde sie dann im Israelitischen Siechenheim der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in der Schäferkampsallee 29 einquartiert. Als sie am 5. Dezember 1925 versuchte, sich das Leben zu nehmen, wurde sie in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg eingeliefert. Das Siechenheim verweigerte ihre Wiederaufnahme, so dass sie bis zum 26. Januar 1927 in Friedrichsberg blieb. Es schloss sich ein zweimonatiger Aufenthalt in einem Versorgungsheim (vermutlich Oberaltenallee) an, aus dem sie auf eigenen Wunsch mit Unterstützung der Jüdischen Gemeinde entlassen und in private Pflege gegeben wurde.

Adele Levys Sehbehinderung hatte sich verstärkt, bis 1932 das linke Auge völlig erblindet war. Am rechten Auge erfolgte eine Staroperation. Adele galt nun als hochgradig schwachsichtig. Sie lebte weiterhin in privaten Pflegestellen, in denen es zu Zwistigkeiten kam. Adele behauptete, geschlagen und mit Wasser übergossen worden zu sein. Eine Fürsorgerin berichtete nach einem Hausbesuch im Oktober 1932, Adele Levy werde als unverträglich und böswillig geschildert. Ihre Beschwerden seien unbegründet, und Adele Levy sei für eine Unterbringung in einer Familie nicht geeignet. Auf Fürsprache der Jüdischen Gemeinde wurde dennoch von einer Anstaltseinweisung abgesehen. 1935 erfolgte erneut eine Augenoperation, über deren Erfolg nichts überliefert ist. In den folgenden Jahren lebte Adele Levy anscheinend weiterhin in verschiedenen Pflegefamilien, bis Anfang 1939 erneut über eine Heimunterbringung verhandelt wurde. Adele wollte gern bei ihrer Wirtin bleiben, bei der sie seit drei Monaten wohnte. Sie fühlte sich in dem jüdischen Haushalt gut aufgehoben, benötigte jedoch Hilfe im Straßenverkehr. Adeles Wirtin, Gertrud Levin, Heinrich-Barth-Straße 10, äußerte sich positiv über sie. Sie könne "Fräulein Levy" durchaus bei sich behalten, Adele sei ruhig und geordnet, störe in keiner Weise und mache ihr auch sonst keine wesentliche Mühe. Von Unruhe habe sie nichts bemerkt, auch nicht von Wahnvorstellungen. Adele lebte im Haushalt von Gertrud und Meta Levin, möglicherweise Schwestern.

Das Untermiet- und Betreuungsverhältnis endete 1939, nachdem Meta Levin im Februar 1939 nach England geflüchtet war und Gertrud ihr im Juni folgte. Damit stellte sich erneut die Frage nach Adele Levys Unterbringung. Am 3. August 1939 wurde sie in der Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn aufgenommen.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen.

Nachdem diese in Langenhorn eingetroffen waren, wurden sie am 23. September 1940 zusammen mit den bereits länger in Langenhorn lebenden Patienten jüdischer Herkunft, unter ihnen Adele Levy, mit einem Transport von 136 Patienten nach Brandenburg an der Havel gebracht. Noch am selben Tag wurden sie in dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses mit Kohlenmonoxyd ermordet. Nur Ilse Herta Zachmann entkam zunächst diesem Schicksal (siehe dort).

Wir wissen nicht, ob und ggf. wann Angehörige Kenntnis von Adele Levys Tod erhielten. In allen dokumentierten Mitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Cholm (polnisch Chelm) östlich von Lublin verstorben sei. Auf Adele Levys Geburtsregistereintrag wurde als Sterbedatum der 30. Januar 1941 notiert. Ihr Tod sei vom Standesamt Cholm II im Generalgouvernement unter der Nummer 333/1941 registriert worden. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Cholm/Chelm. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es dort kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Auch Sabine Levy, Adeles Schwester, kam im Holocaust ums Leben. Sie wurde am 11. Juli 1942 in einem Transport von 300 jüdischen Menschen nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Für sie liegt ein Stolperstein in der Isestraße 21 in Hamburg-Harvestehude.


Stand: März 2019
© Ingo Wille

Quellen: 1; 4; 5; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 332-3 Zivilstandsaufsicht A 217 Geburtsregister Nr. 9202/1875 Adele Levy, B 63 Heiratsregister Nr. 1929/74 Benjamin Samuel Levy/Friederika Rothstein; 332-5 Standesämter 377 Sterberegister Nr. 192/1895 Helene Levy, 465 Sterberegister Nr. 283/1900 Samuel Levy, 1887 Geburtsregister Nr. 4927/1876 Sabine Levy, 7764 Sterberegister Nr. 903/1879 Friederika Levy; 351-14 Arbeits- und Sozialbehörde – Sonderakten 1470 Adele Levy; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26.8.1939 bis 27.1.1941; UKE/IGEM, Archiv, Patienten-Karteikarte Adele Levy der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg; Stadtarchiv Hannover, Neue Abteilung Bücher (NAB) Nr. 20566 aus 1974, Heiratsregister Benjamin Samuel Levy/Friederike Rothstein.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

druckansicht  / Seitenanfang