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Claus Salig * 1938
Heinrich-Barth-Straße 11 (Eimsbüttel, Rotherbaum)
HIER WOHNTE
CLAUS SALIG
JG. 1938
EINGEWIESEN 1940
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 7.8.1943
KALMENHOF / IDSTEIN
"KINDERFACHABTEILUNG"
ERMORDET 7.9.1943
Weitere Stolpersteine in Heinrich-Barth-Straße 11:
Anna Arendar, Mendel Arendar, Edith Philipp, Ludwig Philipp
Claus Salig, geboren am 24.12.1938 in Hamburg, aufgenommen in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 26.7.1940, "verlegt" in die Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof in Idstein am 7.8.1943, dort gestorben am 7.9.1943
Heinrich-Barth-Straße 11, Rotherbaum
Claus Salig und sein Zwillingsbruder Günther wurden am 24. Dezember 1938 in der Geburtsklinik Finkenau in Hamburg-Uhlenhorst geboren. Sie hatten einen älteren Bruder, den im Oktober 1934 geborenen Edgar, dessen genaues Geburtsdatum wir nicht kennen, und einen jüngeren Bruder, den am 25. Februar 1944 geborenen Michael Lothar Schwerdtfeger. Von diesem Kind haben wir Kenntnis durch eine Notiz auf dem Geburtsregistereintrag seiner Mutter Elvira Schwerdtfeger.
Die Jungen wurden in sozial und psychisch stark belastete Familienverhältnisse hineingeboren. Ihre Mutter, die am 5. September 1903 in Hamburg geborene Elvira Schwerdtfeger, wurde im Oktober 1925 nach einem Suizidversuch "wegen Schwermuts" im Allgemeinen Krankenhaus Barmbek aufgenommen und nach einem Monat "als geheilt" entlassen. Nach einem erneuten Suizidversuch Ende 1927 wurde bei ihrer Aufnahme in der Psychiatrischen und Nervenklinik Kiel notiert, die junge Frau habe ihre Arbeitsstellen jeweils nach kurzer Zeit wieder verlassen und sei auf der Suche nach anderen Arbeitsstellen viel umhergereist.
Kurz nach der Geburt des ersten Kindes Edgar heirateten Elvira Schwerdtfeger und der am 28. November 1904 geborene Friseur Martin Heinrich Karl Salig am 6. Oktober 1934. Beide wohnten bei der Eheschließung in der Grindelallee 15, wahrscheinlich zur Untermiete.
Während Claus Saligs Zwillingsbruder Günther zunächst bei seiner Mutter lebte und im Januar 1940 in eine Pflegestelle in Sasel gegeben wurde, kam Claus sofort in die Klinik des Hamburger Säuglingsheim e.V. in der Hochallee 1, Ecke Hallerstraße. In einem Fürsorgebericht wurde Claus Saligs Situation wie folgt beschrieben: "Der Junge ist zwar noch sehr zart und bedarf ganz besonderer Pflege und Ernährung, er muss aber am 1.6.1939 aus dem Säuglingsheim entlassen werden, da er nicht mehr direkt als krankenhausbedürftig anzusprechen ist und außerdem im Heim Platz geschaffen werden muss. Eine Entlassung dieses Kindes zur Mutter kann nicht verantwortet werden. […] Schon die Entlassung des Kindes aus der Entbindungsanstalt war ein Experiment. Frau Salig liegt an der Rückkehr des Kindes auch gar nichts, sie sieht selbst ein, dass sie nicht fertig wird, wenn besondere Maßnahmen nötig sind."
Claus Saligs Vater wurde in dem Bericht als Trinker und Spieler beschrieben. Er war aufgrund einer Anzeige seiner Ehefrau in das Versorgungsheim Farmsen eingewiesen worden. Hier wurde seine Entmündigung herbeigeführt und seine Sterilisation eingeleitet. Es ist nicht ersichtlich, ob dieser Eingriff auch durchgeführt wurde.
Elvira Salig lebte nun zur Untermiete bei der Witwe C. Hocher in der Heinrich-Barth-Straße 11 im Stadtteil Rotherbaum. Wie es in dem Bericht einer Fürsorgerin heißt, war sie "völlig auf öffentliche Hilfe angewiesen. Sie macht zur Zeit wieder einen sehr unruhigen Eindruck. Ihr Zimmer wird immer in einer heillosen Unordnung angetroffen und nur mäßig sauber vorgefunden. Die frühere Sammelwut von Gegenständen aller Art hat sich etwas gegeben, da die Vermieterin diese Ansammlungen nicht duldet. Frau Salig läuft oft stundenlang von zu Hause fort. Die Betreuung ihres Säuglings Günther überlässt sie ohne weiteres ihrer Vermieterin. Am liebsten würde es Frau Salig sehen, wenn sie auch das zweite Kind noch loswerden könnte und so lediglich und bar aller Verpflichtungen ihr Leben nach ihrer Einteilung leben könnte.
Frau Salig gibt immer an, sie möchte lieber arbeiten als sich den Kindern widmen. Das im Hause befindliche Kind Günther wird immer noch einigermaßen versorgt. Die Mahlzeiten erhält das Kind zwar unregelmäßig, und in viel zu großen Mengen, sonst aber wird es sehr sauber und ordentlich gehalten. Da es nebenbei gut gedeiht und voran kommt, möchte ich bei diesem Kind nichts unternehmen.
Mit dem Mann steht Frau Salig in fester Verbindung. Es tut ihr jetzt schon leid, dass sie Anzeige gemacht hat aufgrund derer er nach Farmsen gekommen ist. In ihrer indolenten, kritiklosen Art möchte sie ihn jetzt wieder entlassen haben, sie hat auch schon einen derartigen Antrag gestellt. Für den Mann soll jetzt die Sterilisationsfrage aufgerollt werden. Die Ehefrau kommt für eine solche nach Aussage des Gesundheitsamtes nicht infrage, da es sich bei ihr nicht um eine Erbkrankheit handelt."
Claus Salig wurde vom Säuglingsheim zunächst in das städtische Kleinkinderhaus im Winterhuder Weg verlegt und am 26. Juli 1940 in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) aufgenommen. Sein älterer Bruder Edgar befand sich zu dieser Zeit im Waisenhaus des Jugendamtes in der Averhoffstraße im Stadtteil Uhlenhorst.
Claus Saligs Aufnahme in Alsterdorf wurde damit begründet, dass er unter "Schwachsinn und angedeutetem Hydrocephalus" leide. Der heute nicht mehr verwendete Begriff "Schwachsinn" bezeichnete eine Intelligenzminderung bzw. angeborene Intelligenzschwäche. Hydrocephalus wird mit Wasserkopf übersetzt. Der eineinhalb Jahre alte Claus konnte bei seiner Aufnahme "angedeutet sitzen", er stütze sich nicht ab, greife nicht, halte aber fest, reagiere auf Licht und Gegenstände, sei ruhig und freundlich, lasse alles mit sich geschehen ohne zu schreien.
Claus Salig machte mehrere Kinderkrankheiten durch, u.a. Masern. Im September 1942 konnte er schließlich allein laufen. Er wurde nun als ein anhänglicher freundlicher Junge wahrgenommen, der es gern habe, wenn man sich mit ihm beschäftige. Oft sei er recht eigensinnig gewesen, wenn er seinen Willen nicht bekommen habe. Dann habe er anhaltend geschrien.
Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg im Sommer 1943 (Operation Gomorrha) erlitten auch die damaligen Alsterdorfer Anstalten in der Nacht vom 29./30. Juli 1943 und dann noch einmal vom 3./4. August 1943 Schäden. Der Anstaltsleiter, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, bat die Gesundheitsbehörde um Zustimmung zur Verlegung von 750 Patientinnen und Patienten, angeblich um Platz für Verwundete und Bombengeschädigte zu schaffen. Mit drei Transporten zwischen dem 7. und dem 16. August wurden insgesamt 468 Mädchen und Frauen, Jungen und Männer in die "Landesheilanstalt Eichberg" in der Nähe von Wiesbaden, in die "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" bei Idstein im Rheingau, in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" bei Passau und in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" in Wien (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof") verlegt.
Im ersten Transport am 7. August 1943 befanden sich 128 Jungen und Männer, darunter 52 Jungen im Alter zwischen zwei und zwölf Jahren, unter ihnen Claus Salig. Ihr Ziel war der Kalmenhof bei Idstein.
Ursprünglich war die 1888 gegründete Anstalt Kalmenhof eine fortschrittliche, pädagogisch orientierte Einrichtung für Menschen mit geistigen Behinderungen. 1939 wurde sie in das "Euthanasie"-Programm der "Aktion-T4" (eine Tarnbezeichnung nach dem Sitz der Berliner Euthanasiezentrale in der Tiergartenstraße 4) einbezogen. Die Patientinnen und Patienten wurden von dort in die benachbarte Tötungsanstalt Hadamar verlegt und ermordet. Nach dem offiziellen Stopp der Euthanasiemorde im August 1941 richtete die zur Berliner "Euthanasie"-Zentrale gehörende Tarnorganisation "Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden" im Kalmenhof eine "Kinderfachabteilung" ein, in der Kinder durch überdosierte Medikamente wie Luminal, Skopolamin oder Morphium getötet wurden.
Claus Salig überlebte den Abtransport aus Hamburg nur einen Monat. Laut Sterbeurkunde des Standesamtes Idstein starb er am 7. September 1943 angeblich an "Idiotie, Hydrocephalus, Marasmus". Der Begriff Marasmus bezeichnet einen Auszehrungs- und Entkräftungsprozess. Es ist anzunehmen, dass Claus Salig keines natürlichen Todes starb.
Wir wissen nicht, ob Claus Salig je bei seinen Eltern bzw. bei seiner Mutter gelebt hat. Bei seiner Aufnahme in den damaligen Alsterdorfer Anstalten wurde als Adresse seiner Mutter Heinrich-Barth-Straße 11 bei Hocher in das Aufnahmebuch eingetragen. Deshalb wurde der Stolperstein zu seiner Erinnerung an dieser Stelle verlegt.
Edgar Salig kam nach seinem Aufenthalt im Waisenhaus Averhoffstraße in eine Pflegestelle in Grevesmühlen in Mecklenburg. Das Schicksal von Claus‘ Zwillingsbruder Günther kennen wir ebenso wenig wie das des jüngeren Bruders Michael Lothar, der als Nachnamen den Geburtsnamen der Mutter trug, deren Ehe mit Ablauf des 3. September 1951 rechtskräftig geschieden wurde.
Stand: September 2022
© Ingo Wille
Quellen: StaH 332-5 Standesämter 13334 Geburtsregister Nr. 1535/1903 Elvira Lüring/Schwerdtfeger, 14208 Heiratsregister Nr. 1535 Martin Salig/Elvira Schwerdtfeger; Standesamt Idstein Sterberegister Nr. 146/1943 Claus Salig; Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, V 079 (Claus Salig). Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 35, 283 ff., 331 ff.