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Bereits verlegte Stolpersteine



Erich Stein * 1927

Hansastraße 21 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
ERICH STEIN
JG. 1927
EINGEWIESEN 1938
HEILANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
"AKTION T4"

Weitere Stolpersteine in Hansastraße 21:
Adolf Coutinho, Arnold Stein

Arnold Abraham Stein, geb. am 7. 11. 1923 in Hamburg, ermordet am 23. 9. 1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel
Erich Elieser Stein, geb. am 3. 9. 1927 in Hamburg, ermordet am 23. 9. 1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Hansastraße 21

Die Brüder Arnold Abraham und Erich Elieser waren die Söhne des am 18. Juli 1890 in Berlin geborenen Kaufmanns Siegbert Awieser Stein und der am 24. April 1893 im heutigen Frankfurter Stadtteil Fechenheim zur Welt gekommenen Hilde Stein, geborene Hammerschlag.

Der Vater Siegbert Stein hatte nach der Mittleren Reife eine Lehre in einer Firma der Lederbranche in seiner Geburtsstadt absolviert. Einige Jahre später übernahm er eine Stelle als Reisender in Kopenhagen, bis er in die Zentrale seiner Firma in Hamburg wechselte und für Deutschland und die nordischen Staaten zuständig wurde. Bei Beginn des Ersten Weltkrieges meldete sich Siegbert Stein freiwillig zum Militär, wurde aber als untauglich eingestuft. Während des Krieges arbeitete er in einem Getreidegeschäft in Posen, das einem Schwager gehörte. Als die Stadt in der Folge des Versailler Vertrages Polen zugeschlagen wurde, kehrte Siegbert Stein nach Hamburg zurück und arbeitete als Börsenvertreter mit Prokura in einer Hamburger Bank.

Am 17. Mai 1922 heirateten Siegbert Stein und Hilde Hammerschlag in Altona. Siegbert Stein wohnte zum Zeitpunkt der Eheschließung in Hamburg-Rotherbaum, Grindelhof 64, seine Braut in Frankfurt a. M. Hilde Stein siedelte nach der Heirat nach Hamburg über. 1927 zog die Familie in die Hansastraße 21 in Harvestehude.

1923, etwa zeitgleich mit dem Einsetzen der Hyperinflation, gründete Siegbert Stein einen Großhandel für Zigarren. Seine Ehefrau besorgte den Haushalt. Das jüdische Ehepaar bekam drei Söhne: Arnold Abraham, geboren am 7. November 1923, Siegmund Werner, geboren am 31. März 1925, und Erich Elieser, geboren am 3. September 1927.

Die Söhne Arnold und Erich wurden im Alter von vier bzw. drei Jahren in das Erziehungs- und Pflegeheim im Lübecker Stadtteil Vorwerk aufgenommen.

Arnold Stein, der ältere der beiden Jungen, lebte seit dem 10. April 1927 auf Antrag der Eltern im Erziehungs- und Pflegeheim Vorwerk. Sie hatten bei Arnold im Alter von neun Monaten Krankheitssymptome bemerkt. Die Diagnose lautete "angeborener Schwachsinn". Auch bei Erich Stein wurde diese Diagnose gestellt. Er lebte seit dem 26. Januar 1930 in Vorwerk.

Nach der Machtübergabe an Adolf Hitler hatten sich Siegbert Steins überwiegend nichtjüdische Kunden von ihm abgewendet, so dass er die Grundlage für seinen Lebensunterhalt verlor und den Zigarrengroßhandel bis zu seiner Auswanderung aus Deutschland nur mit Mühe aufrechterhalten konnte. Er emigrierte im Dezember 1933 zunächst allein an Bord des Dampfers "Thermopyla" nach Kapstadt. Dort wollte er zunächst klären, ob er eine neue Existenz würde aufbauen können. Hilde Stein folgten ihm im Juli 1934 gemeinsam mit ihrem Sohn Siegmund Werner. Sie ließ die Wohnung ungekündigt mit allen Möbeln und übrigen Einrichtungsgegenständen zurück.

Vermutlich war es nicht möglich, auch für die an einer Behinderung leidenden Söhne Arnold und Erich eine Einreiseerlaubnis für Kapstadt zu bekommen.

1935 oder 1936 sollen die Eheleute Stein in Kapstadt einen weiteren Sohn bekommen haben.

Aus Briefen des Leiters des Erziehungs- und Pflegeheimes Vorwerk, Paul Burwick, ergibt sich, dass Siegbert und Hilde Stein von Südafrika aus bemüht waren, für die Unterbringungskosten ihrer Söhne aufzukommen. Anfangs gelang das wohl auch, denn Siegbert Stein hatte eine Anstellung bei einem Tabakunternehmen bekommen. 1936 wurde das Unternehmen jedoch liquidiert, und für Siegbert Stein begannen finanzielle Schwierigkeiten, die auch zu Rückständen gegenüber dem Heim Vorwerk führten. Paul Burwick schrieb im April 1936 nach Südafrika, dass die finanziellen Probleme vorerst geregelt seien. Er schrieb weiter: "Ueber Arnold und Erich können wir nur berichten, dass sie noch so sind wie vor ca. 2 Jahren, sie sind noch beide Objekte der Pflege und leider nur der Pflege. Ein geistiges Wachsen lässt sich nicht feststellen. Wir bedauern es mit Ihnen, aber Tatsachen muss man als Tatsachen werten."

1938 schrieb Burwick: "Die grosse Frage sei vorweg genommen: Wie geht’s den Kindern? Leider müssen wir schreiben: Unverändert geht’s ihnen, körperlich werden sie grösser und grösser. Erich zeigt manchmal Beobachtung für seine Umgebung, aber von einem geistigen Weiterkommen ist nicht die Rede. Sie sind die Pfleglinge, die sie waren, wie Sie sie verliessen, ja, so ist es heute noch. Erich wird von Schwester Anna betreut, und Arnold ist bei Margarete. Es sind beide Mitarbeiter, die seit vielen Jahren in unserm Heim sind und beide die Kinder gut kennen."

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Jüdinnen und Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in Zwischenanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Zwischenanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Jüdinnen und Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen.

Arnold und Erich trafen am 16. September 1940 zusammen mit acht weiteren jüdischen Bewohnerinnen und Bewohnern aus dem Heim Vorwerk in Langenhorn ein.

Am 23. September 1940 wurden der knapp 17-jährige Arnold und der 13-jährige Erich Stein mit weiteren 134 Jüdinnen und Juden aus norddeutschen Anstalten nach Brandenburg an der Havel transportiert. Noch am selben Tag wurden die Menschen in dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses in die Gaskammer getrieben und mit Kohlenmonoxyd ermordet. Nur Ilse Herta Zachmann entkam zunächst diesem Schicksal (siehe dort).

Auf dem Geburtsregistereintrag von Erich Elieser Stein wurde notiert, dass das "Standesamt Chelm II” seinen Tod unter der Nummer 404/1941 am 20. Januar 1941 registriert hat. Für Arnold Stein fehlt ein entsprechender Vermerk. In allen anderen dokumentierten Mitteilungen über den Tod der in Brandenburg Ermordeten wurde behauptet, dass die Betroffenen in Chełm (polnisch) oder Cholm (deutsch) verstorben seien. Sie waren jedoch nie in Chełm/Cholm, einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patientinnen und Patienten ermordet hatten. Auch gab es dort kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Eineinhalb Jahre später wandte sich das Heim Vorwerk an die Deutsche Bank in Hamburg und teilte mit:
"Lübeck, den 21. April 1942
An die Deutsche Bank Für das Erziehungsheim Vorwerk gehen monatlich regelmäßig Kostgeld ein für die Kinder Arnold und Erich Stein, Kontonummer [...].
Wir teilen Ihnen mit, dass die Kinder seit dem 16. 9. 1940 nicht mehr im Erziehungsheim Vorwerk sind. Sie wurden von hier auf Anordnung in die Heilanstalt Langenhorn Hamburg überführt. Von dort sollen sie in eine andere Anstalt gekommen sein, wohin, ist uns unbekannt geblieben. Die seit der Zeit eingezahlten Beträge stehen selbstverständlich dem Einzahler zur Verfügung. Verbindungen dorthin waren nicht möglich und wir bitten in Zukunft die Zahlung nicht mehr zu leisten."

Die zumindest bis April 1942 fortgesetzten Zahlungen zugunsten des Heimes Vorwerk deuten darauf hin, dass die Eheleute Stein bis dahin nicht vom Tod ihrer Söhne in Kenntnis gesetzt worden waren.

Siegbert Stein starb am 10. Juni 1964 in Kapstadt. Hilde Stein verließ Kapstadt und ließ sich in Israel nieder. Sie starb am 1. Februar 1971 im Kibbuz Afikim südlich des Sees Genezareth. Über das Schicksal des mit den Eltern ausgewanderten Sohnes Siegmund Werner und eines in Kapstadt geborenen Sohnes ist nichts bekannt.

Für die Brüder Arnold und Erich Stein liegen Stolpersteine auch im Eingangsbereich der Vorwerker Einrichtung in Lübeck, Triftstraße 139-143.

Stand: Januar 2020
© Ursula Häckermann/Ingo Wille

Quellen: 1; 4; 5; 8; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 332-5 Standesämter 60666 Heiratsregistereintrag Nr. 535/1922 Siegbert Stein/Hilde Hammerschlag; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 12542 (Stein), 15440 (Stein); 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1 1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26. 8. 39 bis 27. 1. 1941; Standesamt Hamburg-Mitte, Nr. 583/1923 Geburtsregistersteintrag Arnold Abraham Stein, Nr. 756/1927 Geburtsregistersteintrag Erich Elieser Stein; Akte Arnold und Erich Stein: Archiv Vorwerker Diakonie, Lübeck; JSHD Forschungsgruppe "Juden in Schleswig-Holstein", Datenpool Erich Koch, Schleswig; Harald Jenner: Das Kinder- und Pflegeheim Vorwerk in der NS-Zeit, S. 169-204 in: Strohm/Thierfelder: Diakonie im "Dritten Reich", Heidelberg 1990;
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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