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Dr. H. Richard Mindus * 1882

Oderfelder Straße 42 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
DR. H. RICHARD
MINDUS
JG. 1882
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
30.3.1942

Weitere Stolpersteine in Oderfelder Straße 42:
Leopold Falk, Frieda Falk, Denny Falk, Sarah Frank, Elise Katz

Dr. Richard Hermann Mindus, geboren am 28.7.1892, gedemütigt/entrechtet, Flucht in den Tod am 30.3.1942

Oderfelder Straße 42 (Harvestehude)

Richard Hermann Mindus wurde als erstes von drei Kindern des jüdischen Kaufmanns Wolff Ruben Mindus und seiner ebenfalls jüdischen Ehefrau Hermine, geb. Sohr, am 28.7.1892 in Oskarström/ Malmo geboren.

Vier Jahre später lebte er mit seinen Eltern, den Geschwistern Margrit (geb. 27.7.1893) und Felix (geb. 10.11.1895) in der Grindelallee 17/ Eimsbüttel im Parterre zur Untermiete bei Brede.

Sein Vater Wolff Ruben Mindus war als Kaufmann im Exportgeschäft tätig. Er übte diese Tätigkeit sowohl in Schweden als auch in Hamburg aus. Deshalb hielt die Familie Mindus neben ihrem Wohnsitz in Hamburg auch einen solchen in Schweden.

Richard Mindus wuchs in Hamburg auf. Wenn die Eltern sich berufsbedingt in Schweden aufhielten, ließen sie die Kinder in der Obhut eines Kindermädchens zurück. Außerdem beschäftigte die Familie ein Dienstmädchen.

Richard Mindus besuchte das Wilhelm Gymnasium am Klosterstieg 17 in Harvestehude und legte dort das Abitur ab. Sein Jurastudium absolvierte er in Leipzig, Halle, Berlin und Rostock. Hier legte er das 1. Juristische Staatsexamen am 24. April 1914 ab und exmatrikulierte am 10. Mai 1914.

Ca. ein Jahr später wurde er von der Universität Rostock am 25. Juni 1914 promoviert. Seine Doktorarbeit über "Das Vorflutrecht" wurde 1915 im Hamburger Verlag Berngruber & Hennig publiziert und ist bis heute in vielen deutschen Bibliotheken erhältlich. In dem Buch befasst er sich mit den rechtlichen Aspekten von Wasser-Zu- und abflüssen benachbarter Grundstücke. Am 22. Juni 1914 trat er sein Referendariat an, das er offensichtlich kriegsbedingt abbrach. Auch fiel er am 6. Oktober 1924 wie am 4. April 1927 durch das Zweite juristische Staatsexamen. Offensichtlich versuchte er 1933 einen dritten Anlauf, die juristische Ausbildung abzuschließen. Doch das greift vor.

Bis 1916 war Richard Mindus unter der Adresse seiner Eltern gemeldet, die inzwischen in der Parkallee 5/ Harvestehude lebten. Als sie 1917 in die Höltystraße 6/ Uhlenhorst wechselten, wohnte er weiter mit ihnen zusammen in ihrer Erdgeschosswohnung, in die später (1922) auch sein Bruder Felix Mindus einzog.

Im Anschluss an sein Studium trat Richard Mindus freiwillig zum Kriegsdienst an. Er diente 1916 bei den Pionieren und wurde als Telefonist bei einer Feldkompanie eingesetzt. Im September 1917 wurde er in Pirmasens verschüttet. Nach diesem vermutlich traumatischen Erlebnis war er dann ab 1917 Hoboist (Hoboisten arbeiteten im Ersten Weltkrieg als Träger für den Sanitätsdienst).

Ob die Kriegsbeschädigung außer den psychischen Folgen auch mit einer körperlichen Beeinträchtigung verbunden war, wissen wir nicht. Er erhielt eine monatliche Militärrente in uns unbekannter Höhe, die Kriegsversehrten vorbehalten war. Später konnte er dank einer Ausnahmebestimmung für Frontkämpfer bei der Landesjustizverwaltung sein Referendariat absolvieren.

Anfangs diagnostizierten die Ärzte die Folgen seiner Verschüttung als "Nervenleiden": Am 23. Dezember 1917 wurde Richard Mindus in das Krankenhaus Eppendorf eingeliefert und zwei Wochen später in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg überwiesen. Auch diese entließ ihn am 15. Mai 1919 mit der Diagnose "Nervenleiden".
Aus den Akten lässt sich entnehmen, dass Richard Mindus in dieser Zeit von seinen Eltern finanziell und besonders von seiner Mutter auch emotional unterstützt wurde, wenn er "seelische Tiefs" durchlitt.

Richard Mindus‘ Bruder Felix hatte am 4. Januar 1918 eine Exportfirma als offene Handelsgesellschaft gegründet, deren Geschäfte gut liefen. Sein Kompagnon war der nichtjüdische Kaufmann Eduard Friedrich Charles Otersen. Die Firma handelte mit Jute, Kurzwaren, Steingut, Porzellan, Glas und Haushaltsartikeln. Exportiert wurden die Artikel nach Argentinien, Chile, Finnland und Skandinavien. In diesem Unternehmen arbeitete Richard Mindus von 1923 bis 1932 als Rechtsberater. Die Firma befand sich von 1923 bis 1934 in der Hohe Bleichen 9/ Neustadt.

1933 zogen Richard Mindus, sein Bruder Felix und die Eltern in der Höltystraße 4 in den ersten Stock.

Am 13. Juli 1932 wurde die Rechtsform der offenen Handelsgesellschaft aufgelöst und Felix Mindus als alleiniger Inhaber eingetragen. Offensichtlich wollte Richard Mindus nun sein Referendariat fortsetzen. Doch zwischenzeitlich hatte sich sein Zustand verschlechtert. Am 16. Mai 1933 wurde er erneut in der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg aufgenommen und am 12. August 1933 wieder entlassen. Das "Nervenleiden" wurde nun von den dortigen Ärzten und denen im Universitätskrankenhaus Eppendorf als "Schizophrenie" diagnostiziert.

Nun verstellten sowohl die Krankheit als auch die nationalsozialistische Machtübernahme, die mit der Entlassung (teil)jüdischer Juristen einher ging, wie auch Richard Mindus‘ Prüfungsangst, die sich bereits an der Universität Rostock gezeigt hatte, als er durch das Erste Staatsexamen fiel, eine weitere berufliche Laufbahn als Jurist.

Am 12. September 1933 bat er die Landesjustizverwaltung, ihn im Staatsdienst als Referendar zu belassen. Die Landesjustizverwaltung beanstandete jedoch, dass er die große Staatsprüfung (zweites Staatsexamen) gemäß § 61 der Durchführungsverordnung zur Justizausbildungsordnung, für die er eine zweite Genehmigung erhalten hatte, bis zum 1. Dezember 1934 nicht nachgeholt hatte. Sie entließ ihn zum 1. Dezember 1935.

Die Nationalsozialisten hatten mit dem zum 1. Januar 1934 in Kraft getretenen Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses die Rechtsgrundlage zur zwangsweisen "Unfruchtbarmachung" vermeintlich "Erbkranker" und "Alkoholiker" erlassen. Dieses Gesetz betraf auch Richard Mindus: Seit dem 30. September 1935 hielt er sich in der "Israelitischen Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Gemütskranke" (Jacoby’sche Anstalt) in Bendorf-Sayn bei Koblenz auf.

Mit der Aufnahme dort verfügte das zuständige Erbgesundheitsgericht in Koblenz, dass Richard Mindus sterilisiert werden müsse. Es stützte sich auf die Diagnose "Schizophrenie" als Ursache für sein Nervenleiden und sah den Grund dafür in einer vermuteten genetischen Veranlagung. In den Akten war allerdings festgehalten, dass familiäre Dispositionen nicht bekannt seien.

Am 30. Oktober 1935 legte Richard Mindus Beschwerde beim Erbgesundheitsgericht ein, die jedoch als verspätet und daher nicht zulässig abgewiesen wurde. Am 8. Januar 1936 reichte ein Amtsgerichtsrat Mutz einen Antrag auf Aussetzung der Sterilisation ein. Dem gab das Erbgesundheitsgericht am 20. Januar 1936 statt und zwar solange, wie sich Richard Mindus in der Jakoby’schen Anstalt oder einer gleichartigen Einrichtung befände. Die Gründe, warum das Erbgesundheitsgericht dem Antrag stattgab, sind nicht verzeichnet.

1937 löste die Familie Mindus die gemeinsame Wohnung in der Höltystraße auf. Felix Mindus flüchtete am 28. Februar 1937 nach Schweden. Sein Exportgeschäft wurde am 30. Juni 1939 in Abwesenheit an den nichtjüdischen Kaufmann Eduard Friedrich Charles Otersen als alleinigem Inhaber übertragen. Die Eltern Mindus blieben in Hamburg, sie zogen in die Grindelallee 126.

Am 30. November 1937 erfolgte dann doch die Sterilisation von Richard Mindus, wahrscheinlich in einem Krankenhaus in Koblenz. Am 8. Dezember 1937 wurde er nach der Sterilisation als geheilt entlassen.

Richard Mindus kehrte nach Hamburg zurück und zog nun in die Oderfelderstraße 42/ Harvestehude zur Untermiete. Er zahlte 165 RM Miete bei Gertrud "Gertie" Meier-Ahrens. (Gertrud Meier, geb. Ahrens, geb. 4.8.1894 wurde am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie ermordet wurde, siehe www.stolpersteine-hamburg.de).

In der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 und einer weiteren darauf aufbauenden Verordnung vom 1. Januar 1939 wurde ein Depotzwang für Wertpapiere eingeführt. Deren Eigentümer mussten Aktien und festverzinsliche Wertpapiere binnen einer Woche einer Devisenbank übertragen und konnten über dieses Depot dann nicht mehr frei verfügen. Diese Restriktion hatte nachhaltigen Einfluss auf das Leben von Richard Mindus, zumal er eine "Judenvermögensabgabe", beginnend ab 13. Dezember 1938 in fünf Raten mit jeweils 2.250 RM entrichten musste. Zudem wurde ihm im Frühjahr 1939 seine Militärrente ohne Angabe von Gründen ersatzlos gestrichen.

Am 17. November 1939 erließ das Finanzamt eine "Sicherungsanordnung" für Richard Mindus und seine Mutter Hermine. Nun konnten sie über ihre Konten nicht mehr frei verfügen und mussten eine Genehmigung einholen, um ihre Lebenshaltungskosten bestreiten zu können.

Zu dieser Zeit, im April 1939, kam Richard Mindus ohne Angabe von Haftgründen in "Schutzhaft" ins Polizeigefängnis Fuhlsbüttel.

Außerdem wurde Richard Mindus zum Zwangsumtausch seiner I.G. Farbenindustrie-Aktien in Höhe von 5000 RM verpflichtet. Diese Aktien hatten ihm bisher eine gute Rendite erbracht. Nun musste er sie innerhalb von zwei Wochen zum Kauf anbieten und dafür Reichsschatzanweisungen mit wesentlich schlechterer Verzinsung erwerben. (Mit den fest verzinslichen Reichsschatzanweisungen finanzierte das Deutsche Reich die Ausgaben für den Krieg.) Die Kosten der Transaktion für den Verkauf seiner Aktien am 26. September 1941 musste er selbst tragen.

Zwischenzeitlich war sein Vater Wolff Ruben Mindus am 19. Juli 1940 an einer Embolie in der Wohnung Grindelallee 126 verstorben (Er wurde auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel beigesetzt). Hermine Mindus verstarb am 14. Januar 1942 an einer Herzinsuffizienz in Hamburg (Auch sie wurde auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel beigesetzt).

Am 27. März 1942 teilte die Oberfinanzdirektion Richard Mindus mit, dass ihm von seinem mit der "Sicherungsanordnung" gesperrten Vermögen nur noch monatlich 250 RM zum Leben zustünde. Er erhob Widerspruch: Durch die Kriegsbeschädigung sei er schwer leidend und benötige viele Medikamente. Aber diese Argumente zählten bei der Oberfinanzdirektion nicht.

Am 30. März 1942 erhielten Richard Mindus und seine Vermieterin Gertie Meier-Ahrens die Anordnung, Mitte April 1942 ins "Judenhaus" Grindelhof 101, ein ehemaliges Altenheim, umzuziehen. Der Mietpreis dort betrug für die 6 qm² Wohnfläche 180 RM. Für Gas, Wasser und Heizung zahlte er schon 95 RM. Für Lebensmittel blieb kein Geld mehr.

Der 49jährige Richard Mindus verlor seinen Lebensmut.

So beging er an einem Montagvormittag gegen 11:20 Uhr des 30. März 1942 einen Selbstmordversuch. Er wollte sich den Lichtschacht des Wohnhauses hinunterstürzen. Es handelte sich um ein 4-Etagenhaus mit Fahrstuhl. Hinter dem Fahrstuhl und dem Treppengeländer befand sich der Lichtschacht. Mehrmals lief Richard Mindus die Treppen hinauf und herunter, bevor er den Mut fand, sich über das Treppengeländer in den Lichtschacht fallen zu lassen.
Er starb jedoch nicht sofort, sondern trug einen Schädelbasisbruch mit einer offenen Wunde am Hinterkopf davon. Besinnungslos wurde er in das Jüdische Krankenhaus in der Johnsallee transportiert und verstarb dort am gleichen Tag.

Seine Beisetzung fand wenige Tage später auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel statt.

Zum Schicksal der Geschwister von Richard Mindus:
Margrit Mindus (geb. 27.7.1893) heiratete Simon, genannt Sidney, Lipert (geb. 5.5.1890). Das Paar ließ sich nach kurzer Zeit scheiden. Sie flüchtete 1939 nach England und heiratete dort John Ambrose (geb. 27.5.1887). Margrit Ambrose verstarb 1976 in Halland/Schweden.

Felix Hermann Mindus (geb. 10.11.1895), der nach Schweden geflüchtet war, verstarb am 24. August 1955 in Stockholm.

Stand: April 2021
© Bärbel Klein

Quellen: StaH, 1; 2 ;4; 5; 8; 9; 213-13_1476; 213-13_4076; 213-13_11367; 213-13_16843; 213-13_17113; 213-13_17114; 213-13_25565; 213-13_27493; 213-13_29055; 241-2_A 1016; 342-1 II_Q 1 Kriegshilfe; 351-11_1569; 351-11_14753; 331-5_3 Akte 533/1942; 352-11_2890; 522-1_390; 332-5_230/1890; 332-5_386/1940; 332-5_20/1942; 332-5_164/1942; Richard Mindus, Das Vorflutrecht, Hamburg 1915; Geburtseintrag Göteborg Felix Hermann Mindus; www.wikipedea.de; www.ancestry.de (Einsicht 20.9.2020).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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