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Bereits verlegte Stolpersteine



Gertrud Weidner (geborene Wagner) * 1898

Dillstraße 16 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
GERTRUD WEIDNER
GEB. WAGNER
JG. 1898
DEPORTIERT 1942
IN AUSCHWITZ
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Dillstraße 16:
Julius Cohn, Paula Cohn, Walter Horwitz, Else Horwitz

Gertrud Weidner, geb. Wagner, geb. 28.5.1898, nach 1939 in ein "Judenhaus" zwangseinquartiert, am 11.7.1942 nach Auschwitz deportiert, ermordet.

Dillstraße 16, Rotherbaum

Gertrud Weidner, geborene Wagner, wurde am 28. Mai 1898 in Hamburg als fünftes von sechs Geschwistern geboren. Die Eltern waren Moritz und Mary Wagner, geborene Nathan. Ihr Vater betrieb die Firma "M. Wagner & Co. Bücherrevisoren und Konkursverwalter". Im Hamburger Adressbuch finden sich zu Moritz Wagner von 1903 bis 1927 Einträge. Seine Firma war von 1906 bis 1917 als Fa. "Wagner und Co." bis 1911 in der Rentzelstraße 5, danach in der Rutschbahn 8 und 1916 bis 1917 in der Kaiser-Wilhelm-Straße 85 verzeichnet. 1903 bis 1905 war der Buchhalter Moritz Wagner in der Glashüttenstraße 78 wohnhaft. 1917 war seine Wohnung zusätzlich zur Firmenanschrift im Grindelberg 10 a und ab 1918 in der Heinrich-Barth-Straße 1 eingetragen.

Die Familie scheint nicht sehr wohlhabend gewesen zu sein. Zur Karteikarte der Jüdischen Gemeinde für Moritz Wagner heißt es in einem Dokument: "Er wurde bis 1918 jährlich zu 15.-- RM Kultussteuern veranlagt, zahlte sie aber nicht. Sie wurden immer wieder in Vortrag gebracht, so dass sich 1918 ein Rückstand von 75.-- RM ergab. 1927 ist er durch Tod ausgeschieden." Auf seiner Karteikarte befindet sich nachstehender Vermerk: "1919 Rückstand bestehen lassen. Kinder später vielleicht in der Lage abzutragen. 23./4.1919 noch nicht in der Lage zu zahlen, sehr leidend, Kinder verdienen nicht viel und müssen Vater unterstützen."

Die Kinder wurden nach "israelitischer Glaubenssitte" erzogen. Wie ihre Schwestern wird Gertrud die "Höhere Israelitische Töchterschule" in der Karolinenstraße besucht haben. Nach Angaben ihrer Geschwister soll sie im Geschäft ihres Vaters mitgearbeitet haben. In einem anderen Zusammenhang wird ihr Beruf als "Haustochter" bezeichnet, d.h. sie erlernte in einem Haushalt die Hauswirtschaft.

Am 27. Oktober 1923 heiratete sie den nichtjüdischen Herbert Max Gustav Theodor Weidner, geboren am 8. September 1896 in Hamburg. Herbert Weidner trat am 8. September 1923 in die Polizei Hamburg ein. Eigene Kinder hatten Herbert und Gertrud Weidner nicht, allerdings hatten Sie einen Pflegesohn, Karl-Heinz Wagner, geboren am 17. April 1926. Er war der uneheliche Sohn von Erna Wagner, später verheiratete Willroth, der Schwester von Gertrud Weidner.

Herbert Weidner, mittlerweile Polizeihauptwachtmeister, wurde auf Grund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.4.1933 mit Ablauf des 31. Oktober 1937 in den Ruhestand versetzt, da seine Frau Jüdin war. Herbert Weidner verstarb am 23. September 1938. Gertrud Weidner erhielt nach seinem Tod eine Witwenrente von der Polizei. Nach den nationalsozialistischen Gesetzen musste sie der Zwangsorganisation der "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" angehören. Sie ist auf der Mitgliedskarte von 1940 bis zum 11. Juli 1942 eingetragen.

Laut Hamburger Adressbuch hatten Gertrud und Herbert Weidner 1931 bis 1933 in der Meerweinstraße 8, sowie 1934 und 1935 in der Großheidestraße 32 gewohnt, beide im Stadtteil Winterhude. Für die Jahre 1936 bis 1938 ist kein Eintrag verzeichnet. 1939 lautet der Eintrag: "- Herb., Pol.-Btr., Ericastr. 89a". Nach 1939 ist kein Eintrag im Hamburger Adressbuch zu finden. In einem Schreiben der Polizei vom Januar 1951 wird als letzte Anschrift für Gertrud Weidner die Dillstraße 16 im Grindelviertel, angegeben.

Bei diesem Haus Dillstraße 16 handelt es sich um ein sogenanntes Judenhaus: Anfang 1939 hatte die Hamburger Jüdische Gemeinde auf Weisung der Sozialbehörde damit begonnen, jüdische Bewohner und Bewohnerinnen aus ihren bisherigen Wohnungen in Häusern zusammenzulegen, die sich in ihrem Besitz befanden (bzw. befunden hatten, die sie aber zur Konzentration der jüdischen Bevölkerung weiter nutzen musste). Die Lebensbedingungen in den "Judenhäusern" waren extrem schlecht, denn die dort eingewiesenen Menschen mussten sich Zimmer und Wohnungen teilen und lebten so in räumlicher Enge mit anderen jüdischen Verfolgten. In der "qualvollen Enge mussten jüdische Funktionäre so manchen Streit unter den Bewohnern schlichten. Die Belegungsdichte wurde ständig erhöht, die vorgesehenen 8 qm pro Person oft unterschritten," heißt es in einer späteren historischen Studie.

Die Historikerin Angela Schwarz wies einen Zusammenhang zwischen Wohnungsmangel und Deportationen in ihrer Arbeit über die Wohnstifte nach, die zu "Judenhäusern" umfunktioniert wurden: Die bis zum 30. September 1941 durch Bomben zerstörten 1000 Hamburger Wohnungen sollten in den voraussichtlich 900 bis 1000 Wohnungen einen Ersatz finden, die durch die Deportationen der Juden frei würden.

Eine Bescheinigung der Jüdischen Gemeinde Hamburg weist aus, dass Gertrud Weidner am 11. Juli 1942 auf Anordnung der Gestapo-Leitstelle Hamburg mit unbekanntem Ziel deportiert wurde. In mehreren Schreiben des Wirtschaftsamtes der Polizei und des Personalamtes wird verharmlosend von einer "Evakuierung nach Theresienstadt" gesprochen, derentwegen die Zahlung des Witwengeldes Ende Juli 1942 eingestellt wurde.

Tatsächlich ging am 11. Juli 1942 ein Transport mit 1002 Juden aus Norddeutschland, darunter 294 Hamburger Juden, von Hamburg nach Auschwitz (abweichende Zahlen: 1005/299 aus Hamburg), wobei aufgrund besonderer Geheimhaltungsmaßnahmen die Deportierten selbst, wie auch die jüdischen Organisationen über den Bestimmungsort im Unklaren gelassen wurden. Das Internationale Rote Kreuz bestätigte am 7. Oktober 1958, dass Gertrud Weidner am 11. Juli 1942 nach Auschwitz deportiert wurde. Wie – soweit bekannt – sämtliche Teilnehmer dieses Transportes wurde auch sie dort ermordet.

Nach dem Krieg wurde Gertrud Weidner auf Antrag ihres Bruders für tot erklärt.

Die Ausstellung "Juden brauchen wir hier nicht - Hamburgs jüdische Polizeibeamte-verdrängt, verfolgt, vergessen (1918-1952) würdigte u.a. das Schicksal Gertrud Weidners.


Gertrud Weidners Geschwister Hugo Wagner, Bella Homann, Martha Schmidt und Erna Willroth überlebten den Krieg. Sie lebten in sogenannten privilegierten Mischehen. Erna Willroth wurde am 14. Februar 1945 nach Theresienstadt deportiert, wo sie durch alliierte Truppen befreit wurde.

Ihr Bruder Gustav Wagner, geb. 28. März 1896 wurde im August 1939 wegen Hörens ausländischer Sender gemeinsam mit seiner Frau festgenommen und am 20. April 1940 zu einer Zuchthausstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Während seine Frau, eine Nichtjüdin, nach sieben Monaten entlassen wurde, deportierte man Gustav Wagner nach Verbüßung seiner Strafe nach Auschwitz. Er verstarb dort am 11. November 1943. Für ihn wurde in der Fraenkelstraße 6 ein Stolperstein verlegt (Biographie siehe www.stolpersteine-hamburg.de).

Stand: Januar 2023
© Martin Bähr

Quellen: Hamburger Adressbuch, Jg. 1903 – 1939; StaH 242-1 II Gefängnisverwaltung II 1696 Gefangenenakte Frieda Wagner; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 10398 Hugo Friedrich Wagner, 11735 Auguste Wagner, 12273 Bella Homann, 13134 Martha Schmidt, 19119 Gustav Wagner, 23426 Erna Willroth, 48105 Karl-Heinz Wagner, 14368 Frieda Wagner; zu Herbert Weidner StaH 331-1 I Polizeibehörde I 142 Maßnahmen zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums; zu den "Judenhäusern": Meyer, Beate: Die Deportation der Hamburger Juden 1941 - 1945. in: Meyer, Beate (Hrsg.): Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933 - 1945. Hamburg 2006. S. 50 u. 51 und Lorenz, Ina: Verdrängung und Vernichtung der Juden unter dem Nationalsozialismus. In Zusammenarbeit mit Saskia Rohde. Hamburg 1992. S, 215 f; Christopher Browning beschreibt den erzwungenen Umzug in Judenhäuser als "eine Art Ghettoisierung" im Rahmen der Strategie der Separierung der Juden in einer Zwangsgemeinschaft. (Browning, Christopher: Die Entfesselung der "Endlösung". München 2003, S. 255); Schwarz, Angela: Von den Wohnstiften zu den "Judenhäusern". in: Ebbinghaus, Angelika; Linne, Karsten (Hrsg.): Kein abgeschlossenes Kapitel. Hamburg im "Dritten Reich". Hamburg 1997. S. 238, 240, 242;zur Diskussion über den tatsächlichen Bestimmungsort des Deportationszuges s.: Sielemann, Jürgen: Der Zielort des Hamburger Deportationszuges vom 11. Juli 1942. In: ZHG, Bd. 95 2009. S. 91 – 102; https://www.pamatnik-terezin.cz/prisoner/te-willroth-erna (26.02.2020); http://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_nwd_420711.html (17.04.2019); https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_nwd_420711.html, Zugriff 10.1.2023.

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