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Bereits verlegte Stolpersteine



Betty Kurzynski * 1875

Hochallee 75 (Eimsbüttel, Harvestehude)

Freitod 04.12.1941

Weitere Stolpersteine in Hochallee 75:
Olga Beer, Dr. Hermann Gerson, Dr. Ernst Kaufmann, Käthe Kaufmann

Betty Kurzynski/Kurzinsky, geb. 19.9.1875 in Löbau/ Westpreußen, Suizid am 4.12.1941 in Hamburg

Hochallee 75

Betty Kurzynski wurde 1875 im westpreußischen Löbau (polnisch Lubawa) als vierte Tochter des Kaufmanns Jacob Kurzynski (1830–1903) und der aus Tilsit stammenden Hedwig Kurzynski, geb. Salinger (1838–1921) geboren. Ihre Schwestern Fanny Kurzynski (geb. 4.2.1868), Martha Kurzynski (geb. 21.8.1870) und Helene Kurzynski (geb. 15.5.1873) wurden ebenfalls in Löbau geboren. Löbau, eine Kreisstadt mit rund 4.600 Einwohnern an der Grenze zu Ostpreußen war im Zuge der "polnischen Teilung" von Preußen annektiert worden.

Die Eltern verzogen um 1891 mit ihren Kindern nach Hamburg. 1892 tauchte der Vater erstmals im Hamburger Adressbuch auf, allerdings mit der abweichenden Schreibweise Kurzinsky, die bis zu seinem Tod beibehalten wurde. Die Wohnadressen – alle im Stadtteil Rotherbaum – lauteten 2. Durchschnitt 5 (1892–1893), Rutschbahn 22 (1894–1895), Rutschbahn 23 (1896–1899), Bornstraße 8 (1900) und Dillstraße 6 (1901–1903). Bettys jüngste Schwester Helene war im Dezember 1895 mit 22 Jahren als Gouvernante nach Berlin-Charlottenburg verzogen.
Nach dem Tod von Jacob Kurzynski im Jahr 1903 zog die verwitwete Hedwig Kurzynski in den folgenden 18 Jahren mehrfach um; ob die auf ihrer Einwohnermeldekarte angegebene Tochter Martha jeweils zusammen mit ihr wechselte, ist nicht bekannt. Die Adressen der Mutter lauteten nach der Dillstraße 6 Königstraße/Groß Borstel (1903–1905), Osterbekstraße 9/Barmbek-Süd (1905–1908), Bahnstraße 21/Bergedorf (1908), Hasselbrookstraße 138/Eilbek (1909–1910), Groß Flottbek (1910–1916) und Dorotheenstraße 180/Winterhude (1916–1921), wo sie einen Fernsprechanschluss angemeldet hatte. Hedwig Kurzynski starb 1921 in der Abteistraße 47 (Harvestehude) in der Wohnung von Semmy Kurzynski, 1879 in Löbau geboren, vielleicht ihr Sohn, doch das Verwandtschaftsverhältnis konnte bislang nicht mit Sicherheit rekonstruiert werden.

Semmy Kurzynski zeichnete seit 1919 als Mitinhaber der Firma "Sally Fries. Fabrik für alkoholfreie Getränke und Spirituosen" (1921 in der Dorotheenstraße 180), in der er vorher als Prokurist angestellt gewesen war. Die Firma war bereits 1856 als "Louis Fries & Co" gegründet worden, wurde 1901 in "Sally Fries" umfirmiert und besaß u.a. die Generalvertretung für Bilz-Sinalco mit einem Lager in der Süderstraße 83. 1925 übernahm Semmy Kurzynski die Firma unter der Bezeichnung "Sally Fries Nachfolger", dessen Konkursantrag im April 1928 mangels Masse abgelehnt wurde. Nur wenige Tage später änderte sich seine Berufsangabe, er war nun Geschäftsführer der "Getränke Industrie GmbH" (Wendenstraße 22), die die Herstellung und den Handel von alkoholhaltigen und alkoholfreien Getränken und Fruchtsäften betrieb, er wohnte im Loehsweg 11 (1923–1933) und in der Hochallee 106 (1934–1936). Die Firma Getränke Industrie GmbH wurde "am 14. Januar 1935 von Amts wegen gelöscht." In den Hamburger Adressbüchern der Jahre 1937 bis 1939 tauchte Semmy Kurzynski, der in Mischehe lebte, nicht mehr auf; die Jüdische Gemeinde verzeichnete ihn und seinen Sohn Peter ab 26. Februar 1940 als emigriert, ohne ein Zielland zu nennen.

Im Hamburger Adressbuch waren die Schwestern Martha und Fanny Kurzynski u.a. 1922 bis 1925 und 1928 mit dem gemeinsamen Eintrag "Kurzynski, Geschw. F. u. M., Dorotheenstraße 180" vermerkt, 1930, 1932 und 1935 lautete der Eintrag "Kurzynski, Frl. F. u. M., Schedestr. 19". Auch der Eintrag im Adressbuch von 1938 und 1939 mit der Wohnadresse Schedestraße 29 Haus 33 im Julius- und Betty Ree-Stift lag im Stadtteil Eppendorf. Betty Kurzynski war in diesen Adressbüchern nicht mit einem eigenen Eintrag vertreten, was auf ein Untermietverhältnis für den Zeitraum 1922 bis 1939 hindeutet – also seit dem Tod ihrer Mutter.

Das NS-Regime unterstellte die ehemals selbständigen Jüdischen Gemeinden unter der Bezeichnung "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, Bezirksstelle Nordwestdeutschland" der Aufsicht der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) Hamburg und dort dem berüchtigten "Judenreferat". Sofern gemäß der nationalsozialistischen Rassenlehre eine Zuordnung als Jüdin oder Jude vorlag, waren die Mitgliedschaft in der Reichsvereinigung der Juden und auch deren Mitgliedsbeiträge verpflichtend. Ab Oktober 1940 führte die Reichsvereinigung der Juden Betty Kurzynski als Mitglied. Ihre Rente muss sehr gering gewesen sein, sie zahlte für das Jahr 1940 insgesamt 12 Reichsmark Kultussteuer und musste 1941 gar keine Beitragszahlung leisten. Ihre Schwester Martha Kurzynski wurde ebenfalls seit Juli 1940 zwangsweise als Gemeindemitglied geführt und zahlte für die Jahre 1940 und 1942 jeweils 12 Reichsmark, 1941 spendete sie 6 RM an das Jüdische Kinderhilfswerk.

Zur systematischen Ausgrenzungspolitik des NS-Regimes gehörte auch die Wohnortbeschränkung. Ab 30. April 1939 wurde mit dem Gesetz über Mietverhältnisse Juden der Mieterschutz entzogen und mit der Einquartierung in gesondert erfassten und gekennzeichneten Häusern begonnen ("Judenhäuser"). 1940 wohnte Betty Kurzynski in der Isestraße 86 bei den Schwestern Jeanette Ostwald (geb. 16.10.1874 in Wattenscheid) und Sophie Ostwald (geb. 11.12.1882 in Wattenscheid). Dort erhielt sie ihren "Evakuierungsbefehl" für den 25. Oktober 1941. Daraufhin versuchte sich die 66-jährige Betty Kurzynski am 23. Oktober 1941 in der Alster zu ertränken, wurde aber gerettet. Ihre Deportation wurde dadurch hinausgeschoben. Die Schwestern Ostwald und deren Untermieterin Emma Hinrichs, geb. Markus (geb. 1.8.1881 in Lüneburg) wurden am 25. Oktober 1941 ins Getto Litzmannstadt/Lodz im besetzten Polen deportiert.

Betty Kurzynski wurde nun als Untermieterin bei Hermann Gerson (geb. 16.5.1895 in Hamm/Westfalen, Landgerichtsrat a.D.) in der Hochallee 75 II.Stock einquartiert. Hermann Gerson war evangelischer Konfession, wurde aber ebenfalls aufgrund seiner jüdischen Abstammung vom NS-Regime ab Juli 1939 zwangsweise als Mitglied des Jüdischen Religionsverbandes geführt. Das Haus in der Hochallee 75 gehörte dem Vermögensverwalter Ernst Kaufmann (geb. 16.3.1880 in Hamburg), der ebenfalls zur Zwangsmitgliedschaft verpflichtet worden war. Im I. Stock des Hauses wohnte laut Hamburger Adressbuch Walter Bamberger. Zur Hochallee 75 wurde Betty Kurzynski die Mitteilung des neuen Deportationstermins am 6. Dezember 1941 geschickt.

Am 2. Dezember 1941 besuchte Betty Kurzynski ihre Schwester Martha Kurzynski im Mendelsohn-Israelstift (Kurzer Kamp 6), die dort Zimmer 17 bewohnte. Das Wohnstift war von den Nationalsozialisten zum "Judenhaus" erklärt worden, in dem ausschließlich Juden wohnen durften. Sie erhielten dort die Deportationsbefehle in die Gettos und Lager in den besetzten Ostgebieten. Am Morgen des 4. Dezember war Betty Kurzynski im Zimmer ihrer Schwester umgefallen und hatte über Unwohlsein geklagt. Sie legte sich ins Bett und wurde von ihrer Schwester mittags tot aufgefunden. Im Polizeibericht lautete die Formulierung bezüglich der anstehenden Deportation lapidar: "auch jetzt wieder sollte sie mit dem nächsten Transport abgeschoben werden." Ihre Leiche wurde auf Anweisung der Polizei ins Hafenkrankenhaus überführt. Das Ergebnis der Obduktion ergab als Todesursache eine Vergiftung. Betty Kurzynski wurde auf dem Jüdischen Friedhof Hamburg-Ohlsdorf neben ihrer Schwester Fanny begraben.

Ihre Schwester Martha Kurzynski wurde am 19. Juli 1942 ins Getto Theresienstadt deportiert; sie starb dort am 15. Mai 1943. An sie erinnert ein Stolperstein in der Straße Kurzer Kamp 6 (Fuhlsbüttel).

Für die Vermieterinnen Jeanette Ostwald und Sophie Ostwald wurden Stolpersteine in der Isestraße 86 (Harvestehude) verlegt.

Hermann Gerson wurde am 19. Juli 1942 ins Getto Theresienstadt deportiert, wo er am 22. Juni 1944 starb. An ihn erinnert ein Stolperstein in der Hochallee 75.

Ernst Kaufmann und seine zweite Ehefrau Käthe Kaufmann, verwitwete Eggerling wurden am 9. Juni 1943 ins Getto Theresienstadt deportiert. Von dort wurde Ernst Kaufmann am 9. Oktober 1944 ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert, seine Ehefrau war bereits am 9. Juni 1943 in Theresienstadt verstorben. An beide erinnern Stolpersteine vor dem Haus Hochallee 75.

Stand: Februar 2018
© Björn Eggert

Quellen: Staatsarchiv Hamburg (StaH) 331-5 (Polizeibehörde – unnatürliche Sterbefälle), 1941/1918 (Betty Kurzynski; StaH 332-5 (Standesämter), 9790 u. 914/1921 (Sterberegister 1921, Hedwig Kurzynski geb. Salinger); StaH 332-8 (Meldewesen), Alte Einwohnermeldekartei (1892–1925), K 6471 (Hedwig Kurzynski, Helene Kurzynski); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden), 992b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg), Betty Kurzynski, Martha Kurzynski, Dr. Hermann Gerson, Dr. Ernst Kaufmann; Jüdischer Friedhof Hamburg-Ohlsdorf (Grablage A10-490 Jacob Kurzynski, A10-491 Nanne Kurzynski, M3-106 Betty Kurzynski, M3-106 Fanny Kurzynski); Handelskammer Hamburg, Handelsregisterinformationen (S. Fries & Co, HR A 15233; Sally Fries Petroleum en gros, HR A 7239); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1910, S. 106 (Sally Fries, Prokuristen Semmy Kurzynski und Bruno Otto Fries); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1926, S. 301 (Sally Fries Nachfolger, Inhaber Semmy Kurzynski); Adressbuch Hamburg (J. Kurzynski) 1892–1896, 1898–1902; Adressbuch Hamburg (Frau H. Kurzynski, Hasselbrookstr. 138) 1910, 1914; Adressbuch Hamburg (Semmy oder S. Kurzynski) 1921–1925, 1928, 1932, 1933, 1934, 1936; Adressbuch Hamburg (F. u. M. Kurzynski) 1922–1925, 1928, 1930, 1932, 1935, 1937, 1939; Adressbuch Hamburg (Hochallee 75, Isestraße 86) 1940; Telefonbuch Hamburg 1914, 1920 (Firma S. Fries, Vertreter für Bilz-Sinalco, Fabrik alkoholfreier Getränke, Wendenstr. 22 Hinterhaus); Telefonbuch Hamburg (Witwe Hedwig Kurzynski) 1920; Meyers Lexikon, Band 7, Leipzig 1927, S. 110 (Löbau); www.stolpersteine-hamburg.de (Jeanette u. Sophie Ostwald); www.tracingthepast.org (Volkszählung 1939, Gerson, Kaufmann, Kurzynski).

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