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Olga Lavy, Passbild für Visum Mai 1941
Olga Lavy, Passbild für Visum Mai 1941
© StaH

Olga Lina Lavy (geborene Klemperer) * 1879

Hochallee 106 (Eimsbüttel, Harvestehude)

1941 Riga

Weitere Stolpersteine in Hochallee 106:
Dora Dina Abraham


Olga Lavy, geb. Klemperer, geb. 3.6.1879 in Hamburg, deportiert 6.12.1941 nach Riga

Hochallee 106 (Harvestehude)

Olga Lina Lavy wurde 1879 als Tochter des Kaufmanns Ludwig Klemperer (geb. 19.8.1839 in Prag) und Helene Sara Klemperer, geb. Gaudchau (geb. 5.5.1846 in Berlin) in Hamburg in der Grindelallee 109 (Rotherbaum) geboren. Es ist anzunehmen, dass, wie bereits bei der Geburt der älteren Schwester, auch hier der Arzt und Geburtshelfer Henry Windmüller (Neust. Fuhlentwiete 95) anwesend war, dessen Honorar privat beglichen wurde.
Olga hatte zwei ältere Schwestern: Jenny (geb. 15.4.1876) und Rosa (geb. 7.7.1873). Die Eltern hatten im Februar 1872 in Berlin, dem Wohnort der Braut, geheiratet. 1870 hatte Ludwig Klemperer zusammen mit seinem Bruder Simon die Firma "S. & L. Klemperer Kaufleute" in Hamburg in der Neuen Gröningerstraße (Altstadt) gegründe., 1881 erwarb Ludwig Klemperer das Hamburger Bürgerrecht (auch dessen Brüder, Nathan Klemperer geb. 28.7.1846 in Prag und Simon Klemperer geb. 21.3.1847 in Prag, erhielten in der Hansestadt das Bürgerrecht). Als Ludwig Klemperer im November 1902 mit 63 Jahren in seiner Wohnung starb, hatte er sich bereits seit über zehn Jahren aus dem Berufsleben zurückgezogen; er wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf beigesetzt.

Die Familie wohnte Schlump 49/Eimsbüttel (1872), Schlump 48/Eimsbüttel (1873–1877), Schäferkampsallee 28/ Eimsbüttel (1878), Grindelallee 109/ Rotherbaum (1879–1881), Schäferkampsallee 37b/Eimsbüttel (1882) und Schäferkampsallee 32 (1883–1907). Über die Kindheit, Schulzeit und eventuelle Ausbildung der drei Töchter ist uns nichts bekannt.
Olgas Schwester Rosa Klemperer (1873–1928) hatte 1892 den Kaufmann Julius Ephraim (geb. 6.2.1860 in Hamburg) geheiratet. Auch ihr Ehemann besaß seit 1891 das Hamburger Bürgerrecht und war von 1892 bis 1895 Mitinhaber der Firmen Friedrich Hundt und F. Grube Nachfolger (Häute und Felle) und gründete 1895 eine Firma unter seinem eigenen Namen. Firma Julius Ephraim war im Hamburger Adressbuch von 1897 bis 1899 als "Fabrik von Photographie= u. Luxuskarten, Kunstdruckerei und lithograph. Anstalt" mit Geschäftsräumen in der Großen Reichenstraße 45 (Altstadt) notiert worden, im Jahr 1900 stand im Adressbuch hinter dem Firmennamen nur noch Kaufmann, die Geschäftsausrichtung hatte sich vermutlich verändert. Später befanden sich die Büroräume in der Kaiser-Wilhelm-Straße 19 (Neustadt).
Die Wohnadressen des kinderlosen Ehepaares Ephraim lauteten Eimsbütteler Chaussee 182 (1892), Schlump 86 (1892–1898), Hansastraße 48 (1898–1900) und durch geänderte Nummerierung Hansastraße 62 (1901–1909). Nachdem sich Julius Ephraim als Rentier aus dem Geschäftsleben zurückgezogen hatte, lebten die Eheleute in der Oderfelderstraße 22 (1909–1919). Der Tod ihres Mannes bedeutete für Rosa Ephraim auch einen Umzug in eine kleinere Wohnung im Jungfrauenthal 20 (1920–1928), wo von 1921 bis zu ihrem Tod 1924 auch ihre Mutter Helene Klemperer wohnte.
Olga Klemperer heiratete im April 1900 den Kaufmann Robert Lavy (1866–1925), der seit 1905 Mitglied der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg war. Der aus dem preußischen Harburg/Elbe gebürtige Robert Lavy (Eltern: Sally Lavy 1828–1898 u. Johanne Lavy geb. Heiliger, Brüder: James Lavy 1862–1942 und Albert Lavy 1863–1932) war 1893 Mitbegründer der auf den Chinahandel spezialisierten Exportfirma Robert Fricke, Lavy & Co, die auch Niederlassungen im chinesischen Canton und im russisch-sibirischen Wladiwostok unterhielt. Hierfür unternahm er lange Geschäftsreisen, wie der 1903 für Brasilien ausgestellte Reisepass zeigt. 1912 avancierte er zum Prokuristen des 1894 gegründeten Agentur- und Kommissionsgeschäfts Max Marx, das er im April 1915 als Alleininhaber von Theodor Marx übernahm. Das Geschäft war auf französische "Kurz- u. Galanteriewaren" spezialisiert und wandelte sich nach dem Eigentümerwechsel in eine Vertretung deutscher und ausländischer Industrieunternehmungen bei Hamburger und Bremer Exporteuren sowie Platzhalter für Hamburger Grossisten und Einzelhändler um (u.a. Vertretung für Pyrophor Metallgesellschaft in Werden/ Ruhr, Rota-Apparate & Maschinenbau Felix Meyer KG in Aachen, Carl Willms in Solingen, Holbe & Müller in Nürnberg).
Die Firmenadressen lauteten Kaiser-Wilhelm-Straße 82 (bis 1915), Kaiser-Wilhelm-Straße 19 (1916–1924), Kaiser-Wilhelm-Straße 41 (1925–1926), Mönckebergstraße 19 (1927–1932) und Steinstraße 10/ Karstadthaus (1933–1937), das in den 1920er Jahren für die Hauptverwaltung des Karstadt-Konzerns errichtet worden war. Olga Lavy war ab Juni 1923 für die Firma Max Marx als Prokuristin im Handelsregister eingetragen.

Die Eheleute Lavy hatten zwei Kinder: Ludwig (geb. 11.2.1901 in Hamburg) und Charlotte "Lotte" (geb. 28.4.1906 in Hamburg). Die Familie wohnte in der Hansastraße 70 III. Stock (1901–1906) ganz in der Nähe der Schwester Jenny Ephraim, anschließend Klosterallee 49 (1907–1909), Woldsenweg 12 Parterre (1910–1928), Jungfrauenthal 20 (1929–1933), wo bis zu ihrem Tod 1928 ihre verwitwete Schwester Rosa Ephraim gewohnt hatte, und Hochallee 106 (1934–1941).
Die Tochter Lotte Lavy (1906–2003) absolvierte die "Höhere Töchterschule E. de Fauquemont & A. Lühring" in der Eppendorfer Landstraße, danach ein Jahr eine Haushaltsschule in der Tesdorpstraße und einen Kurs bei der Handelsschule Grone. 1923 begann sie in der väterlichen Exportagentur Max Marx als Sekretärin zu arbeiten; auch nach dem Tod des Vaters 1925 war sie in der Firma als Sekretärin und Büroleiterin tätig. Im Sommer 1928 beantragten Charlotte und Olga Lavy einen Reisepass für einen Urlaub in Tirol, die Pässe waren bis zum 17. Juni 1933 gültig. Nach dem Machtantritt der NSDAP entschied sie sich laut Kultussteuerkartei am 30. Oktober 1934 nach Spanien zu emigrieren. Mit ihrem Ehemann Heinz Ascher (geb. 3.2.1904 in Berlin), den sie im Dezember 1934 geheiratet hatte, lebte sie nun in Barcelona im Exil. Dort "arbeitete ich gemeinsam mit meinem Ehemann und half ihm bei seinem Versuch, eine neue Existenz aufzubauen", schrieb sie in den 1960er-Jahren im Wiedergutmachungsantrag.

Nach Ende des Spanischen Bürgerkriegs, der mit dem Sieg des NS-freundlichen Putschistengenerals Franco endete, verlegten sie ihr Exil im Februar 1939 nach Paris. Von dort wurden sie nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich im Mai 1940 im Lager Gurs am Fuß der Pyrenäen inhaftiert. Bis August 1940 blieben sie im Lager, danach konnten sie sich in Montauban (Departement Tarn-et-Garonne), rund 300 km nordöstlich des Lagers, mit Hilfe von Franzosen verstecken. Sie wechselten immer wieder ihr Quartier und lebten einige Zeit lang versteckt in einem Fabrikgebäude.
Der Ehemann erinnerte sich später an diese entscheidende Zeit: "Kurz nach meiner Entlassung vom Arbeitsdienst erhielt ich durch die Gendarmerie in Montauban/ Frankreich eine Aufforderung, mich zwecks Übersiedlung in ein Sammellager zu melden. Dieser Aufforderung habe ich nicht Folge geleistet aus Angst, abtransportiert zu werden (…). Etwa eine Woche danach erschien die Polizei bei uns in der Wohnung. Dies war im August 1940. Wir mussten uns verstecken bevor unser Freund, ein Franzose, mit dem wir zusammen wohnten, die Tür öffnen konnte. Der Gendarm zeigte einen Einberufungsbefehl und fragte nach mir. (…)". Am 14. Oktober 1942 flüchteten die Eheleute Ascher in die Schweiz, wo sie bis Kriegsende in einem Lager interniert wurden. Sie emigrierten mit Hilfe des ausgewanderten Bruders Lawrence (Ludwig) Lavy in die USA, wo sie am 13. August 1946 in New York ankamen und später den Buchstaben c aus ihrem Familiennamen strichen. 2003 starb Charlotte Asher.

Der Sohn Ludwig Lavy (1901–1964) hatte das Heinrich Hertz-Realgymnasium (Winterhude) 1919 mit dem Reifezeugnis abgeschlossen, ein Semester Naturwissenschaften an der neu gegründeten Hamburger Universität und danach von Oktober 1919 bis April 1920 Chemie an der Technischen Hochschule Aachen studiert. Von Juli 1922 bis November 1924, also auch in der Zeit der Hyperinflation in Deutschland, arbeitete er bei der Dresdner Bank in Frankfurt/ Main als Händler in der Börsenabteilung, in der Wechselstube und in der Dokumentenabteilung. Im April 1925 trat er als Gesellschafter in die Firma seines Vaters ein und führte sie nach dessen Tod Ende Oktober 1925 als Alleininhaber fort.
Die Firma Max Marx wurde im Zuge der "Arisierung" der Wirtschaft entsprechend einer Verfügung des Hamburger Polizeipräsidenten im August 1938 ins Verzeichnis der jüdischen Firmen eingetragen. Die "Dritte Verordnung zum Reichsbürgergesetz" vom 14. Juni 1938, die die Definition und Kennzeichnung jüdischer Gewerbetriebe regelte, bildete die Grundlage hierfür. Die nach Richtlinien des NS-Regimes arbeitende Hamburger Zollfahndungsstelle benutzte im Dezember 1938 eine Zeugenvorladung als Vorwand, um Ludwig Lavy wegen angeblicher Zeugenbeeinflussung und Fluchtverdachts in das Gefängnis Hütten zu überführen. Erst am 4. Januar 1939 wurde er entlassen. Über die Haftbedingungen musste er Stillschwiegen bewahren, wollte er nicht Gefahr laufen erneut verhaftet zu werden. Danach bemühte er sich intensiv um seine Emigration, die vermutlich auch Zweck der Inhaftierung und Voraussetzung seiner Haftentlassung gewesen war.

Am 3. März 1939 wurde auf Ludwig Lavys Geburtsurkunde der zusätzliche Zwangsvorname "Israel" eingetragen, "gemäß § 2 der II. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung der Familien- und Vornamen vom 17. August 1938". Am 13. März 1939 wurde er nach entsprechender Verfügung des Hamburger NSDAP-Reichsstatthalters zur Schließung seiner Firma aufgefordert (die am 3. November 1939 endgültig im Handelsregister gelöscht wurde). Seine für April 1939 geplante Emigration nach England scheiterte kurzfristig wegen eines Motorschadens des gebuchten Flugzeugs. Trotz der umgehenden Fahrt per Zug nach Hoek van Holland, per Nachtboot nach Harwich und per Eisenbahn nach London traf er nicht mehr rechtzeitig zur Abfahrt des Schiffes ein. Der Beginn des Zweiten Weltkrieges im September 1939 und die Einstufung von Ludwig Lavy als feindlicher Ausländer, machten eine weitere Emigration zeitweilig unmöglich. Erst am 11. Juni 1940 konnte Ludwig Lavy mit der "S.S. Britannic" der Cunard Line von Liverpool nach New York weiterreisen; für ihn bürgte in den USA sein Cousin Kurt Ephraim. Seine große Transportkiste (Lift) und einige Koffer waren bei der Hamburger Spedition verblieben und wurden auf Anordnung der Hamburger Staatspolizei 1941 versteigert und der Erlös vom NS-Staat einbehalten.

Olgas Schwester Jenny Marie Klemperer (1876–1959) war seit 1895 mit dem Kaufmann James Ephraim (geb. 29.11.1862 in Hamburg, gest. 1931), dem Bruder von Julius Ephraim, verheiratet. James Ephraim (Eltern: Samuel Ephraim u. Sophie geb. Arnthal) war Inhaber der 1890 von ihm mitgegründeten Firma für Häute und Felle F. Grube Nachfolger in Hamburg (Trommelstraße 22 und 22a); Jenny Ephraim hatte am 10. August 1914, wenige Tage nach Beginn des Ersten Weltkriegs, Prokura für die Firma erhalten. James und Jenny Ephraim lebten mit ihren drei Söhnen zuerst in Hamburg in der Eimsbütteler Chaussee 182 (1895), Eimsbüttelerstraße 45 (1895–1900) und Parkallee 12 (1900–1904). Im September 1904 meldeten sie sich nach Nienstedten ab. In den folgenden Jahren lebten sie in Hamburgs noch preußischer Nachbarstadt Altona in der Strandpromenade/Gemeinde Klein-Flottbek (u.a. 1920–1924), Elbchaussee 21/Gemeinde Klein-Flottbek (1925–1927), Elbchaussee 174/Stadt Altona (1928–1930), Am Strand 3/Stadt Altona (1931–1933).

Im Altonaer Adressbuch von 1933 wurde Witwe Jenny Ephraim als Firmeninhaberin von F. Grube Nachfolger genannt, die Firma wurde im September 1939 im Handelsregister gelöscht. Um 1934 verzog Jenny nach Hamburg und trat im September 1936 in die Deutsch-Israelitische Gemeinde Hamburg ein. In der Hansestadt lebte sie in wechselnden Untermietverhältnissen, laut Einträgen auf der Kultussteuerkartei für 1936 bis 1939 am Alsterufer 19 (Pension Frau Dr. S. Gilg), Haynstr.? 40 und Hochallee 106 (vermutlich bei Olga Lavy). Zwischenzeitlich soll sie im Dezember 1938 noch in der Geffckenstraße 6 (Eppendorf) gewohnt haben (Mieter dort waren laut Hamburger Adressbuch 1938 der Handelsvertreter Carl Bornheim, Hans Blum in Firma Adolf Blum & Popper und Paul Hertz Universitätsprofessor a.D.), wie das Standesamt Hamburg beim Eintrag ihres zusätzlichen Zwangsvornamens notierte.

Im Juli 1939 wurde Jenny die Emigration gestattet, nachdem sie im Januar 1939 ihre Immobilien verkauft und rund 220.000 Reichsmark Judenvermögensabgabe, Reichsfluchtsteuer und Auswandererabgabe an das Deutsche Reich gezahlt hatte. Jenny Ephraim starb 1959 in Lima/ Peru. Auch ihren drei Söhnen Kurt Ephraim (1897–1973) mit Ehefrau Irma geb. Wertheim (geb. 5.4.1907 in Hamburg), Eduard "Edu" Ephraim (geb. 1899) mit Ehefrau Jenny sowie Hans (Juan) Ephraim (1901–1978) mit Ehefrau Irma geb. Honig (geb. 1907) gelang noch rechtzeitig die Emigration aus dem nationalsozialistischen Deutschland. Alle drei Söhne waren Anfang der 1930er Jahre in Hamburg als selbständige Kaufleute tätig, Kurt und Eduard hatten nach dem Abitur am Realgymnasium Königstraße (Altona) die Technische Hochschule in Hannover besucht.

Der Freundes- und Verwandtenkreis von Olga Lavy war so immer kleiner geworden, wie sich auch aus Briefen des Sohnes Ludwig aus den USA vom Oktober und November 1941 rekonstruieren lässt. Wie andere Zurückgebliebene musste auch Olga im April 1939 beim Standesamt Hamburg in der Geburtsurkunde den zusätzlichen Zwangsvornamen "Sara" eintragen lassen.

Zum Zeitpunkt der Volkszählung im Mai 1939, bei der die Angaben der jüdischen Einwohner separat erfasst wurden, wohnte die nun 60jährige Olga Lavy in der Hochallee 106 im 1.Stock. Hier hatte auch ihr Sohn Ludwig Lavy bis zu seiner Emigration im März 1939 gewohnt sowie Dora Abraham, geb. Heiligen (geb. 5.8.1872 in Braunschweig), die am 15. Juli 1942 ins Getto Theresienstadt deportiert wurde.

Olga Lavys Vermögen, das sich 1935 noch auf 60.000 RM belaufen hatte, war 1940 auf 40.000 RM geschrumpft. Aufgrund der "Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden" vom 26. April 1938 musste Olga Lavy ihr Vermögen bei der Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten offenlegen. Die Anschreiben der versandten Fragebögen enthielten bereits eine unmissverständliche Drohung: "Ich weise darauf hin, dass Sie zur richtigen und vollständigen Abgabe der geforderten Erklärung verpflichtet sind, und dass eine Nichterfüllung dieser Auflage mit hohen Strafen bedroht ist." Am 9. März 1939 musste Olga Lavy – wie andere Juden auch – aufgrund einer Verordnung vom 21. Februar 1939 sämtliche Schmuckstücke und Silbersachen bei der Ankaufstelle der "Öffentlichen Leihanstalt" im Bäckerbreitergang 73 (Neustadt) gegen einen geringen Geldwert abgeben. Im September 1939 musste sie auch ihr Radiogerät ersatzlos abgeben.

In den Unterlagen des nur noch als "jüdischer Rechtskonsulent" zugelassenen ehemaligen Rechtsanwalts Ernst Kaufmann (1880–1944) sind einige Dokumente von Olga Lavys Ausreisebemühungen erhalten geblieben: Duplikate von Standesamtsunterlagen vom Februar 1941, Passbilder vom Mai 1941 sowie der am 11. Juni 1941 von Ernst Kaufmann ausgefüllte und von ihr unterschriebene "Fragebogen für Auswanderer" mit dem Emigrationsziel USA. Ernst Kaufmann schrieb am 11. Juni 1941 an Olga Lavy: "Ich habe soeben mit Herrn Dr. Bachmann gesprochen, und er hat mir gesagt, daß der Sonderdampfer, für den Sie vorgemerkt sind, laut einem soeben eingetroffenen Telegramm aus Lissabon aller Wahrscheinlichkeit nach Anfang August von Lissabon abgeht. (…) Sonst würden Sie erst im Oktober 1941 Aussicht auf Passage haben. Eine Ausreise im Juni würde schon deshalb nicht möglich sein, weil das Visum für Lissabon, wie Herr Dr. Bachmann mir sagte, etwa 3 Wochen erfordert."

Die Auswanderung schlug fehl, Gründe sind nicht in der Akte vermerkt. Zusätzlich schaltete Olga Lavy jetzt auch den in Hamburg "amtlich zugelassenen Auswandererhelfer" Erich Riesenfeld (geb. 20.6.1897 in Zawodzia/Oberschlesien), Büro Großer Burstah 11, ein. Der Sohn Ludwig (mittlerweile in Lawrence umbenannt) schickte am 5. September 1941 ein Telegramm aus New York: "Papiere fertig zwecks Weiterbearbeitung erforderlich dass Hilfsverein Nacomref New York bezugnehmend Fall 25106 kabelt dass Ausreise möglich und bei welchem Konsulat Visum abholen kannst." Henry Chassel (geb. 28.1.1876 in Brody/Galizien), 1928 bis 1939 Vorsitzender der Dammtor-Synagoge und hauptamtlicher Mitarbeiter in der Hamburger Zweigstelle des Hilfsvereins der Juden in Deutschland legte das Telegramm so aus, dass Frau Lavy eine Ausreisegenehmigung ins neutrale Ausland bekommen müsste und dort die Weiterbearbeitung ihres Falles bei Nacomref abwarten müsste. Der Hilfsverein in Berlin schlug ein Telegramm an Nacomref New York vor, dass auch für 32,60 RM abgeschickt wurde. Bei der Hilfsorganisation Nacomref könnte es sich um das im Juni 1934 in New York gegründete "National Coordinating Committee for Aid to Refugees and Emigrants coming from Germany (NCC)" gehandelt haben.

Das NS-Regime hatte Ende 1941 seine Politik gegen die Juden mit dem Ziel der Vertreibung geändert und mit den Vorbereitungen für die Deportationen in die von der Wehrmacht im Osten eroberten Gebiete begonnen. Ein geheimer Erlass des Reichssicherheitshauptamtes vom 23. Oktober 1941 verbot die weitere Auswanderung von Juden aus Deutschland. Die Ausreisewilligen waren währenddessen mit Verzögerungen, Kommunikationsschwierigkeiten und ausufernden Regularien konfrontiert, deren Hintergründe sie nicht kannten.
Da die Ausreise in die USA stockte, versuchte Olga Lavy für Cuba ein Visum zu bekommen. Am 24. November 1941 schrieb Ludwig Lavy an seine Mutter, dass das Cubavisum bei der Gesandtschaft in Berlin bereit liegen würde, die Gesandtschaft schickte aber erst am 3. Dezember 1941 einen Vordruck an Olga Lavy ab, dass die cubanische Einreisegenehmigung eingetroffen sei. Am 4. Dezember wurde der Brief in Berlin-Charlottenburg abgestempelt, zu spät, die Ausreise war ohnehin nicht mehr gestattet und zwei Tage später wurde Olga Lavy von der Gestapo deportiert.

Der NS-Staat beschlagnahmte und versteigerte ihren Hausrat (Erlös 2.000 RM) und ihr anscheinend bereits eingelagertes Umzugsgut (Erlös 6.500 RM), wobei die Versteigerungserlöse nur einen Bruchteil des realen Werts betrugen. Zu den im Umzugsgutverzeichnis 1941 angegebenen Gegenständen, die von Olga Lavy bei einer Emigration ausgeführt werden sollten (und damit teilweise auch einer zusätzlichen Steuer unterlagen) gehörten u.a. ein Pelzmantel und ein Muff, Wanderschuhe, ein Opernglas, das die Eheleute Lavy 1900 als Hochzeitsgeschenk bekommen hatten, ein Teewagen, eine Lesebrille und eine Fernbrille, die damals modernen Spangenschuhe, eine Reiseuhr sowie eine Armbanduhr als Ersatz für die wertvollere Uhr, die sie im März 1939 bei der Öffentlichen Ankaufstelle hatte abgeben müssen.

Olga Lavy wurde am 6. Dezember 1941 ins besetzte Lettland in das Außenlager Jungfernhof (Jumpravmuiža) des Getto Riga deportiert. Das heruntergekommene Gut Jungfernhof bestand aus einem Gutshaus, fünf kleineren Häusern, drei sehr großen Holzscheunen und einigen Viehställen. Viele Lagerinsassen erfroren in den ungeheizten Unterkünften oder starben an Hunger und Typhus, Kranke wurden außerhalb des Gutes ermordet. Am 26. März 1942 wurden rund 1800 Lagerinsassen, die aufgrund ihres Alters oder von Krankheiten keine Zwangsarbeit verrichten konnten, in den umliegenden Wäldern erschossen (Tarnbezeichnung "Aktion Dünamünde").

Wann und wie Olga Lavy im Außenlager Jungfernhof zu Tode kam ist nicht dokumentiert. Rechtsanwalt Edgar Haas (1877–1946) notierte am 25. Juni 1943 "Frau Lavy ‚abgewandert‘ und im Juli 1942 verstorben", woher er Kenntnis von diesem Sterbedatum hatte ist nicht bekannt. Das Amtsgericht Hamburg legte den Todeszeitpunkt für das Entschädigungsverfahren der 1950er-Jahre auf den 8. Mai 1945 fest.

Stand: Mai 2018
© Björn Eggert

Quellen: 1; 4; 5; Staatsarchiv Hamburg (StaH) 231-7 (Handelsregister), A 1 Band 26 (HR A 6600 F. Grube Nachfolger); StaH 231-7 (Handelsregister) A 1 Band 46 (A 11197 Max Marx; A 11225 Julius Ephraim); StaH 332-3 (Zivilstandsaufsicht), A 294 (Geburtsregister 1873, Rosa Klemperer); StaH 332-5 (Standesämter), 8914 u. 1189/1876 (Geburtsregister 1876, Jenny Marie Klemperer); StaH 332-5 (Standesämter), 8938 u. 1787/1879 (Geburtsregister 1879, Olga Klemperer); StaH 332-5 (Standesämter), 8558 u. 355/1892 (Heiratsregister 1892, Julius Ephraim u. Rosa Klemperer); StaH 332-5 (Standesämter), 8574 u. 228/1895 (Heiratsregister 1895, James Ephraim u. Jenny Marie Klemperer); StaH 332-5 (Standesämter), 4546 u. 44/1898 (Sterberegister Wandsbek I 1898, Sally Levy); StaH 332-5 (Standesämter), 8605 u. 183/1900 (Heiratsregister 1900, Robert Lavy u. Olga Klemperer); StaH 332-5 (Standesämter), 7960 u. 917/1902 (Sterberegister 1902, Ludwig Klemperer); StaH 332-5 (Standesämter), 8053 u. 3/1919 (Sterberegister 1.12.1918, Julius Ephraim); StaH 332-5 (Standesämter), 8077 u. 187/ 1924 (Sterberegister 1924, Helene Klemperer); StaH 332-7 (Staatsangehörigkeitsaufsicht), A I e 40 Band 9 (Bürgerregister 1876–1896 A-K, Nr. 9834 Ludwig Klemperer); StaH 332-8 (Meldewesen), Alte Einwohnermeldekartei 1892–1925, K 6046 (James Ephraim, Julius Ephraim), K 6378 (Ludwig Klemperer 1839–1902, Simon Klemperer, Nathan Klemperer), K 6493 (Lavy); StaH 332-8 (Meldewesen), A 24 Band 88 (Reisepassprotokoll 1903, Nr. 1564 Robert Lavy); StaH 332-8 (Meldewesen), A 24 Band 362 (Reisepassprotokoll 1928, Nr. 8596 Charlotte Lavy, Nr. 8597 Olga Lavy); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 4470 (Olga Lavy); StaH 351-11 (AfW), 24509 (Lawrence Lavy); StaH 351-11 (AfW), 31451 (Charlotte Asher geb. Lavy); StaH 351-11 (AfW), 3152 (Jenny Ephraim geb. Klemperer); StaH 351-11 (AfW), 19274 (Kurt Ephraim); StaH 351-11 (AfW), 22631 (Eduard Ephraim); StaH 351-11 (AfW), 24757 (Hans/ Juan Ephraim); StaH 351-11 (AfW), 1539 (Max Nathusius); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden), 992b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg), Jenny Ephraim geb. Klemperer, Helene Klemperer, Olga Lavy, Robert Lavy, Erich Riesenfeld, Hillel/Henry Chassel, Clara Memelsdorf geb. Kauer, Martin H. Wertheim; StaH 621-1/84 (Firmenarchiv "Jüd. Konsulent" Ernst Kaufmann), 55 (Vermögensverwaltung Ludwig u. Olga Lavy, 1938–1942, mit Passbild Olga Lavy); Staatsarchiv Hamburg, Hamburger Jüdische Opfer des Nationalsozialismus, Gedenkbuch, 1995, S. 229; Jüdischer Friedhof Ohlsdorf, Gräberverzeichnis, Ludwig Klemperer (Grablage B 10-116); Handelskammer Hamburg, Handelsregisterinformationen (Max Marx, HR A 11197; Julius Ephraim, HR A 11225; F. Grube Nachfl., HR A 6600; Hundt & Petersen, HR A 20448); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1910, S. 168 (Julius Ephraim), 194 (Robert Fricke, Lavy & Co.), 229 (F. Grube Nachf.), 425 (Max Marx); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1926, S. 673 (Max Marx); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1935, S. 551 (Max Marx); Hamburger Adressbuch (Klemperer) 1870, 1872, 1875, 1877, 1878, 1880–1884, 1886, 1890; Hamburger Adressbuch (Lavy) 1901, 1903, 1905–1910, 1927–1930, 1933–1935, 1941; Hamburger Adressbuch (Firma Max Marx) 1914–1917, 1919, 1922, 1924, 1925, 1927, 1928, 1931–1933, 1937; Hamburger Adressbuch (Julius Ephraim), 1892–1895, 1897–1902, 1908–1910, 1912, 1918–1921, 1925, 1927; Hamburger Adressbuch (James Ephraim), 1895–1897, 1899, 1900, 1902, 1904; Altonaer Adressbuch/ Gemeinde Kleinflottbek (J. Ephraim) 1919, 1920, 1922, 1924, 1925, 1927, 1928; Altonaer Adressbuch/Stadt Altona (J. Ephraim) 1930–1933; Frank Bajohr, "Arisierung" in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933–1945, Hamburg 1998, S. 365 (Firma Max Marx, Mönckebergstr. 5); Naftali Bar-Giora Bamberger, Memor-Buch, Die jüdischen Friedhöfe in Wandsbek, Band 2, Hamburg 1997, S. 97 (Jüdischer Friedhof Wandsbek, Jenfelder Straße, Schlomo Sally Lavy-Levy, gestorben 11.2.1898, Grab Nr. 99, Hanche Johanna Lavy-Levy, kein Geburtsname, gestorben 8.2.1912, Grab-Nr. 98); Friedrich Detlev Hardegen (Hrsg.), Hingesehen – Weggeschaut, Die Novemberpogrome 1938 in Augenzeugenberichten, Stettin 2013, S. 150 (Erlass); Heiko Morisse, Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg, Ausgrenzung und Verfolgung im NS-Staat, Hamburg 2003, S. 132 (Edgar Haas), 139 (Ernst Kaufmann); Wilhelm Mosel, Wegweiser zu ehemaligen jüdischen Stätten in Hamburg, Heft 3, Hamburg 1989, S. 123, 124, 130, 146 (Henry Chassel, mit Abbildung); Bernhard Press, Judenmord in Lettland 1941–1945, Berlin 1988, S. 114–115; Herbert A. Strauss (Editor), Jewish Immigrants of the Nazi Period in the USA, Volume 1 Archival Resources, S. 62/63 (NCC); Anna von Villiez, Mit aller Kraft verdrängt. Entrechtung und Verfolgung ‚nicht arischer‘ Ärzte in Hamburg 1933 bis 1945, München/ Hamburg 2009, S. 363 (Ludwig Mosheim), S. 422 (Joachim Wolff); Auskunft von Dr. Susanne Heim/Institut für Zeitgeschichte München – Berlin; www.tracingthepast.org (Volkszählung Mai 1939), Olga Lavy, Max Nathusius, Edith Nathusius geb. Jessurum, Dora Abraham geb. Heiligen; www.ancestry.de (Charlotte Asher, Kurt Ephraim, eingesehen 3.4.2017); www.ancestry.de (Martin Wertheim: Passagierliste S.S. Washington 1935, US-Sozialversicherungsindex; Lotte Wertheim: Passagierliste 1936, US-Sozialversicherungsidex); www.stolpersteine-hamburg.de (Erich Riesenfeld, Henry Chassel, eingesehen 4.5.2017).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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