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John Dan Taeger * 1939

Osterstraße 111 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)

1941 Minsk

Weitere Stolpersteine in Osterstraße 111:
Kurt Lipinski, Gertrud Taeger, Rudi Taeger

John Dan Taeger, geb. am 20.1.1939 in Hamburg, deportiert am 18.11.1941 nach Minsk, dort ermordet
Gertrud Taeger, geb. Rosenblum, geb. am 26.9.1916 in Oldenburg/Holstein, deportiert am 18.11.1941 nach Minsk, dort ermordet
Rudi Louis Taeger, geb. am 26.5.1915 in Hamburg, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk, dort ermordet

Osterstraße 111

Rudi Louis Taeger war anderthalb Jahre jünger als sein Bruder Kurt, der mit vollem Namen Karl Rudi Kurt hieß. Wie dieser besuchte er die Volksschule für Knaben in der Schwenckestraße und wechselte anschließend an die Talmud Tora Schule am Grindelhof. Rudis und Kurts Vater, Hermann Karl Louis Taeger, kam aus Weverlingen in Sachsen-Anhalt und war evangelisch; die Mutter Beatrice Betty, geborene Rittlewski, stammte aus Hamburg und war jüdisch. Als beide Ende April 1911 in Hamburg heirateten, zählte er 26 und sie 19 Jahre.

Karl Taeger hatte Kellner und Koch gelernt und bis 1914 als Kellner gearbeitet – unter anderem in Nizza, Monte Carlo und der Schweiz. Im Ersten Weltkrieg diente er als Infanterist und erhielt nach dem Verlust eines Ringfingers als einer von rund fünf Millionen deutschen Heeresangehörigen das Eiserne Kreuz II. Klasse. Nach dem Krieg arbeitete er zunächst sechs Jahre als Finanzangestellter. Dann zog es ihn erneut in die Welt. Er ließ seine Frau mit dem elfjährigen Kurt und dem neunjährigen Rudi in Hamburg zurück und heuerte 1924 für vier Jahre als Barsteward an, unter anderem auf der Hamburg-Amerika-Linie. 1928 wurde er als Geschäftsführer des Alsterpavillons in Hamburg sesshaft, geriet jedoch mit Gästen des Lokals in so heftigen Streit, dass er 1932 entlassen wurde.

Beatrice Taeger erzog ihre Söhne nach den Geboten des Judentums. Beide wurden nach der Geburt beschnitten und im Alter von 13 Jahren Bar Mitzwa, mussten also von da an die jüdischen Gebote eigenverantwortlich einhalten. Mit 15 beendeten sie die Schule. Während Rudi anschließend eine Schlosser- bzw. Feinmechanikerlehre begann, arbeitete Kurt zunächst für zwei Jahre als Bote. Dann absolvierte er eine Ausbildung zum Rundfunkelektroniker und spezialisierte sich später auf Hochantennenbau; in seiner Freizeit fuhr er begeistert Motorrad.

Im Juli 1929 ließen sich Rudis und Kurts Eltern scheiden, die Jungen blieben bei der Mutter. Im Jahr darauf heiratete Karl Taeger erneut und bekam zusammen mit seiner zweiten Frau noch zwei Töchter. Der Kontakt zu Beatrice und den gemeinsamen Söhnen blieb jedoch bestehen. Nach seiner Entlassung aus dem Alsterpavillon arbeitete er als Aushilfskellner im Hotel Atlantik. 1938 kehrte er als Finanzangestellter in die Behörde zurück.

Im selben Jahr gerieten sowohl Beatrice Taeger als auch ihr Sohn Kurt in die Fänge von Gestapo und NS-Justiz. Beatrice wurde am 1. März 1938 wegen "außerehelichem Verkehr mit einer Anzahl deutschblütiger Männer" verhaftet und wegen "Rassenschande" ohne Gerichtsverfahren ins KZ Lichtenburg eingeliefert. Bis dahin hatte sie als Verkäuferin gearbeitet und in der Margarethenstraße gewohnt. Das KZ Lichtenburg war von 1933 bis 1939 das einzige Frauen-KZ im Deutschen Reich. Nach seiner Auflösung brachte man die dort inhaftierten 947 Frauen im Mai 1939 ins KZ Ravensbrück, unter ihnen Beatrice Taeger.

Auch gegen Kurt erhob die NS-Justiz den Vorwurf der "Rassenschande" und leitete ein Gerichtsverfahren ein. Pfingsten 1933 hatte er auf dem Hamburger Fischmarkt eine nichtjüdische Frau kennengelernt. Beide verliebten sich ineinander und anderthalb Jahre später wurde die junge Frau, die als Arbeiterin in der Füllhalterfabrik Mont Blanc in der Schanzenstraße beschäftigt war, schwanger. Sie ließ die Schwangerschaft jedoch im zweiten Monat abbrechen; die Kosten für den Eingriff übernahm Kurt Taeger. 1936 wurde sie erneut schwanger. Mittlerweile waren beide verlobt. Aber auch diesmal wollte sie das Kind nicht bekommen und löste kurz nach der erneuten Abtreibung die Verlobung. Jetzt galten bereits die NS-Rassegesetze. Zwei Jahre später, am 28. April 1938, wurde Kurt Taeger wegen dieser Beziehung zu einer "deutschblütigen" Frau verhaftet. Das Urteil des Landgerichts Hamburg erging ein halbes Jahr später. Wegen "Rassenschande" kam er für ein Jahr und sechs Monate ins Polizeigefängnis Fuhlsbüttel. Die Strafe endete am 7. Dezember 1939. Unmittelbar danach verbüßte er wegen zweimaliger Beihilfe zur Abtreibung vier weitere Monate Haft im Strafgefängnis Hamburg-Glasmoor. Ein entsprechendes Verfahren hatte vor dem Schwurgericht des Landgerichts stattgefunden, das für besonders schwere Straftaten zuständig war. Ende März 1940 beantragte Kurt Taeger aus der Haft heraus beim Oberfinanzpräsidenten eine "Unbedenklichkeitserklärung" für eine Auswanderung nach Palästina. Außerdem füllte er den erforderlichen Fragebogen für die Versendung von Umzugsgut aus. Nur zwei Handkoffer wollte er mitnehmen. Sie sollten außer Kleidung und Hygieneartikeln auch seinen Schulatlas, ein Petschaft (eine Art Stempel, in den ein Siegel eingraviert ist), einen Fotoapparat und eine Waldzither (ein gitarreähnliches Zupfinstrument) enthalten. Die Behörde informierte die Gestapo umgehend über den Antrag. Diese entgegnete lapidar, dass mit Kurt Taegers Entlassung "in absehbarer Zeit nicht zu rechnen" sei. Denn seit 1938 verhängte die Gestapo für verurteilte männliche "Rassenschänder" nach Verbüßung der Haftstrafe generell "Schutz­haft" in einem Konzentrationslager. Für Kurt Taeger bedeutete dies, dass er am 9. Mai 1940 aus Glasmoor direkt ins KZ Sachsenhausen transportiert wurde. Von dort kam er vier Monate später ins KZ Dachau. Weitere zehn Monate später, am 5. Juli 1941, brachte ihn die Gestapo ins KZ Buchenwald.

Für die Gestapo handelte es sich bei Kurt und Rudi Taeger um "Geltungsjuden". Sie selbst entwickelten eigene Vorstellungen über ihre Zugehörigkeit zum Judentum. Während Kurt 1936 aus der Deutsch-Israelitischen Gemeinde ausgetreten war, eine nichtjüdische Frau heiraten und sich freiwillig zum Dienst bei der Luftwaffe melden wollte, wählte Rudi einen anderen Weg. Er lehnte es ab, in der Wehrmacht zu dienen, und trat 1937 in die Deutsch-Israelitische Gemeinde ein. Im Jahr darauf, am 22. November 1938, heiratete er die Jüdin Gertrud Rosenblum. Da war er 23 Jahre alt, seine Frau anderthalb Jahre jünger. Gertrud Rosenblum stammte aus Oldenburg in Holstein, ihre Eltern hießen Siegfried und Minna, geborene Horwitz, das Ehepaar hatte insgesamt zehn Kinder.

Vor ihrer Heirat war Gertrud Rosenblum als Arbeiterin in der Wollkämmerei in Hamburg-Bahrenfeld beschäftigt gewesen und zum Zeitpunkt der Eheschließung hochschwanger. Fast genau zwei Monate später, am 20.1.1939, kam ihr Sohn Dan zur Welt. Im selben Jahr musste Rudi Taeger zweimal eine Geldstrafe entrichten, weil er den jüdischen Zwangsnamen "Israel" nicht benutzt hatte. Zu der Zeit wohnte die Familie in der Osterstraße 111, Haus 6, wo Gertrud und Rudi Taeger kurz vor der Hochzeit eingezogen waren. Es sollte ihr letzter freiwillig gewählter Wohnort sein. Am 18. November 1941 wurden Gertrud und Rudi Taeger zusammen mit ihrem zweieinhalbjährigen Sohn Dan nach Minsk deportiert.

Rudi und Kurt Taegers Vater Karl versuchte von Hamburg aus alles, um in Kontakt mit seinen Söhnen zu bleiben. Kurt durfte ihm aus Buchenwald alle drei Monate einen Brief schreiben und im gleichen Abstand einen Brief empfangen. Eins seiner Schreiben ist erhalten geblieben. Mit Datum vom 23. August 1942 bat er seinen Vater, ihm Kleidung und Stiefel für den Winter zu schicken. Da wusste er bereits aus dem vorherigen Schreiben des Vaters, dass seine Mutter nicht mehr lebte. Im Zuge der "Sonderbehandlung 14f13" waren im Frühjahr 1942 rund 1.400 Frauen vom KZ Ravensbrück aus in die NS-Tötungsanstalt Bernburg an der Saale gebracht worden, darunter auch Beatrice Taeger. Sie wurde am 7.5.1942 in Bernburg ermordet.

So schrieb Kurt: "Ich hoffe, dass Du lieber Vater in (sic!) für Mama die letzten Dienste erweisen konntest. Ich danke euch allen (...) dafür." Weiter hinten in dem zweiseitigen Brief fügte er hinzu: "Von Rudi höre ich leider gar nicht!" Einen Monat später war Kurt tot. Am 28.9.1942, so die Nachricht aus dem KZ Buchenwald an Karl Taeger, sei er an einem fiebrigen Magen- und Darmkatarrh verstorben. Daraufhin wandte sich Karl Taeger schriftlich an die Lagerverwaltung. Er bat darum, ihm die Urne mit den sterblichen Überresten seines Sohnes zur Verfügung zu stellen und nach Hamburg zu transportieren. Wenig später informierte ihn die Hamburger Friedhofsverwaltung, dass die Urne in Ohlsdorf beigesetzt sei und er bei ihr die angefallenen Transportkosten zu entrichten habe. Das Grab auf dem Ohlsdorfer Friedhof erschien Karl Taeger jedoch nicht passend. So veranlasste er, dass die Urne auf den Jüdischen Friedhof an der Ilandkoppel umgesetzt wurde. Für diese Umbettung musste er an die Jüdische Gemeinde 300 Reichsmark (RM) entrichten. Auch für Kurts Mutter, Karl Taegers erste Frau Beatrice, befindet sich ein Grab auf dem Jüdischen Friedhof.

Ende Oktober 1942 erhielt Karl Taeger zudem aus dem KZ Buchenwald ein Paket nebst eines Schreibens des Lagerverwaltungsleiters, SS-Sturmbannführer Otto Barnewald: "Anbei erhalten Sie die am 29. v. M. hier eingegangenen Sachen, die Ihrem Sohn nicht mehr ausgehändigt werden konnten, zurück, und zwar: 3 Unterhosen, 3 Hemden, 1 Lungenschützer, 1 Wollschal, 1 Pullover, 1 Seidenschal, 1 P. Strümpfe, 1 P. Lederhandschuhe, 1 P. weiße Strick­handschuhe, 1 Hosenträger, 2 Hosengürtel, 1 Paar Stiefel (Schnürschuhe) und Fußlappen (weiß und blau)." Des Weiteren bat ihn der Verwaltungsleiter, den Eingang der Sachen durch eine unterschriebene Rücksendung der beigefügten Empfangsbescheinigung zu bestätigen. Außerdem erhielt er per Post aus Buchenwald die 81,43 RM zurück, die Kurt zum Zeitpunkt seines Todes noch besessen hatte.

Von seinem jüngeren Sohn Rudi bekam Karl Taeger ebenfalls ein Schreiben, datiert "Febr. 1944": "Meine Lieben, Euer Vertrauen auch in schwerster Stunde hat mich noch nicht verlassen, deshalb danke ich Euch für Euer Bemühen und wünsche Euch alles Gute. Ich bin gesund und zähle die Stunden von meiner Krankheit befreit zu sein. Vergesst bitte nicht, daß ich ein Deutscher bin. In der Hoffnung bald bei Euch zu sein, verbleibe ich mit den Herzlichsten Grüßen für Euch euer Rudi". Das war sein letztes Lebenszeichen. Rudi, Gertrud und Dan Taeger kamen in Minsk ums Leben.

© Frauke Steinhäuser

Quellen: 1; 2 (FVg 2199); 4; 5; 8; StaH 351-11, AfW, 241085 Taeger, Karl; KZ-Gedenkstätte Lichtenburg, Informationen per E-Mail von Herrn Sven Langhammer, 11. u. 12.3.2011.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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