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Bereits verlegte Stolpersteine



Sara Lennhoff * 1893

Eppendorfer Landstraße 18 (Hamburg-Nord, Eppendorf)

1941 Lodz
ermordet

Weitere Stolpersteine in Eppendorfer Landstraße 18:
Erna Fischer, Hermann Fischer, Adolph Hammerschlag, Meta Hammerschlag, Alexander Joel

Sara(h) Anne Lennhoff, geb. 11.3.1893 in Plettenberg, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert

Eppendorfer Landstraße 18

Von Sarah Anne Lennhoff sind in Hamburg nur wenige Spuren geblieben. Im Staatsarchiv waren lediglich zwei Dokumente zu finden, die von ihrem Leben Zeugnis ablegen – ihre Kultussteuerkartei der Jüdischen Gemeinde sowie die Hauskartei des Wohnhauses Eppendorfer Landstraße 18.

In Plettenberg, Sarahs Geburtsort, wurde am 1. Juni 2010 auf dem Jüdischen Friedhof eine Stele zum Gedenken an die während des Nationalsozialismus ermordeten jüdischen Einwohnerinnen und Einwohner aufgestellt. Sie erinnert auch an Sarah Anne Lennhoff.

Plettenberg liegt im Westen des Sauerlandes. 1871 lebten ungefähr 2000 Menschen in dem Ort, 40 Jahre später, im Jahr 1910, waren es schon knapp 6000. Während der Industrialisierung hatten sich metallverarbeitende Betriebe angesiedelt, später entwickelte sich Schwer­industrie.

Welche Berufe Sarahs Eltern Isaak und Lina Lennhoff, geborene Thalberg, ausübten, ist nicht bekannt. Der Großvater Jacob Lennhoff war Metzger und "Handelsmann". Vielleicht arbeitete Isaak, geboren am 10. September 1866 in Plettenberg, in derselben Branche. Und vielleicht lernte er seine Frau durch geschäftliche Beziehungen kennen. Lina, Jahrgang 1865, stammte aus Wetzlar und war die Tochter des Viehhändlers Meyer Thalberg und dessen Ehefrau Emma, geb. Simon. Lina starb 1896 einige Monate nach der Geburt ihrer jüngsten Tochter Emilie. Sie hatte in drei Jahren drei Kinder bekommen – Sarah 1893, Sigmund 1894, er verstarb 1908, und eben Emilie. Zwei Jahre nach ihrem Tod heiratete Isaak die Haushälterin Regina Franziska Thalberg, Linas ältere Schwester. Regina war zu diesem Zeitpunkt hochschwanger. Es ist also anzunehmen, dass sie schon seit längerem in der Familie gearbeitet und bei den drei kleinen Kindern die Mutterstelle vertreten hatte. Eine Großmutter, die hätte helfen können, gab es nicht. Isaaks Mutter war bereits 1892 verstorben.

Isaak hatte sechs Geschwister, drei Schwestern und drei Brüder. Einer der Brüder, Simon, ge­nannt Sally, lebte seit 1899 in Soltau und führte dort ein Textilgeschäft. Seine Frau und er hatten zwei Töchter, Paula und Selma. Von den anderen Geschwistern Isaaks lebten mindestens drei in Plettenberg. Sarah ist jedenfalls in einem großen Familienverband sowie mit zwei leiblichen und drei Halbgeschwistern aufgewachsen. Über Schulzeit, Ausbildung und Berufstätigkeit gibt es keine Informationen.

Zumindest 1928 muss Sarah Anne Lennhoff in Soltau gelebt haben – wahrscheinlich bei ihrem Onkel Sally – denn auf der Meldekartei des Amtes Plettenberg steht "zugezogen von Soltau am 3.10.1928, Beruf Verkäuferin". Vielleicht hat sie auch in Sallys Geschäft gearbeitet. Sechs Monate später machte sie sich wieder auf, laut derselben Meldekarte ist sie "verzogen am 19.3.29 nach (unleserlich)"
Sarahs Vater Isaak Lennhoff verstarb am 12. August 1932 in Plettenberg-Böddinghausen.

Im Februar 1936 zog die unverheiratete Sarah nach Hamburg, um bei Familie Fischer in der Eppendorfer Landstraße 18 als Hausangestellte unterzukommen. In der Vierzimmerwohnung im zweiten Stock lebten außer Hugo Fischer und dessen Frau Erna noch deren 26-jähriger Sohn Maximilian Kurt sowie der Untermieter Ernst Bendix. Hugo Fischers Firma "Assekuranz, Schadensexperte" firmier­te ebenfalls unter dieser Adresse.

Auf Sarahs Kultussteuerkartei wurde im April 1936 "nur besuchsweise hier" vermerkt. Ende April trat ihre Soltauer Cousine Selma im Schrammsweg 6 "bei Cohen" ebenfalls eine Stelle als Hausangestellte an – auf Vermittlung von Sarah? Lange hielt es sie allerdings nicht dort – schon nach drei Monaten zog sie zurück nach Soltau. Später soll ihr die Auswanderung nach England gelungen sein, während ihr Vater Sally im Getto Theresienstadt starb.

Aus Sarahs "Besuch" in Hamburg wurden 5½ Jahre. In der Zeit, die sie in Hamburg verbrachte, konnte sie der Israelitischen Gemeinde keine Beiträge zahlen, so gering war ihr Einkommen. Im Februar 1938 ist "verdient mtl. brutto 35 RM" eingetragen, später bekam sie 30 RM monatlich sowie freie Wohnung und Verköstigung. Unter dem Datum "9.10.40" steht "muss Mutter und Schwester unterstützen". Wie sie das geschafft haben soll, ist kaum vorstellbar. Bei der erwähnten Schwester handelte es sich um die Halbschwester Hedwig, geb. 14. August 1900, denn die wohnte seit 1936 zusammen mit der Mutter in der Steinbrinkstraße 1 in Plettenberg. Im Januar 1941 mussten die beiden Frauen, die anscheinend völlig mittellos waren, auf Druck der Deutschen Arbeitsfront nach Altena umziehen. In einem Schreiben des Plettenberger Bürgermeisters an den Bürgermeister von Altena hieß es: "Beide Personen sind nicht erwerbstätig. Vermögen ist nicht vorhanden. Die Miete in Höhe von 30,- RM wird von dem jüdischen Verein gezahlt. Den sonstigen Unterhalt, etwa 40,- RM monatlich, bestreitet die Tochter Sara Anna, die angeblich in Hamburg in Stellung ist.”

Die Mutter Regina Franziska Lennhoff wurde am "29.7.1942 auf Anordnung der Staatspolizeistelle Dortmund mittels Sammeltransport nach Dortmund überführt". Von Dortmund aus wurde sie am nächsten Tag nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 5. August 1942 starb.

Hedwig verliess Altena bereits am 29. April des Jahres mit unbekanntem Ziel. Auf die Frage, wohin sie deportiert wurde und wo sie wann zu Tode kam, wissen wir ebenso wenig eine Antwort wie darauf, wovon die beiden Frauen zuletzt lebten. Sarah war ja bereits im Oktober von Hamburg aus deportiert worden. Das bedeutete für Mutter und Schwester, dass ihre finanzielle Unterstützung seither weggefallen war.

Auch Sarah und die anderen Bewohnerinnen und Bewohner in Fischers Eppendorfer Wohnung müssen ein armseliges Leben geführt haben. Dem Sohn Maximilian Kurt gelang im März 1940 noch die Auswanderung in die USA. Sarah war die erste der vier Verbliebenen, die den Deportationsbefehl erhielt. Hugo und Erna Fischer wurden am 15. Juli 1942, Ernst Bendix vier Tage später nach Theresienstadt und von dort 1944 nach Auschwitz abtransportiert. Keiner von ihnen hat überlebt.

Sarah wurde nach ihrer Ankunft im Getto "Litzmannstadt" in der Blattbindergasse 23, Wohnung 1 untergebracht. Im Mai 1942 wurde die Hälfte der im Herbst 1941 eingetroffenen deutschsprachigen Jüdinnen und Juden "ausgesiedelt”.

Gegen die "Aussiedelung" konnte reklamiert, also ein Gesuch auf Zurückstellung vom Transport gestellt werden. Ein Großteil dieser verzweifelten "letzten Briefe aus Litzmannstadt" sind erhalten geblieben, so auch der von Sarah Anne Lennhoff. Sie schrieb am 1. Mai 1942: "Hiermit möchte ich Sie höfl. bitten, mich auf die Liste derjenigen zu setzen, die nicht zur Aussiedelung gelangen, und begründe ich meinen Antrag damit, dass ich seit Beginn unseres Aufenthalts hier im Getto ständig im sozialen Hilfsdienst und zur Betreuung der Hilflosen zu jeder Zeit und Stunde ohne jegliches Entgelt für den Hamburger Transport, dem ich angehöre, tätig bin. Ich hoffe daher gern, dass mein Gesuch bei Ihnen Berücksichtigung findet, und keine Fehlbitte getan zu haben." Ihr Gesuch wurde abgelehnt, denn sie hatte keine offizielle Arbeitsstelle im Getto. So musste sie am 7. Mai mit der ersten Gruppe "Litzmannstadt" verlassen und wurde in Chelmno/Kulmhof ermordet.

© Sabine Brunotte

Quellen: 1; 4; StaH 332-8 Meldewesen, A 51/1; StaH 522-1 Jüd. Gemeinden, 992e2 Band 1; Wikipedia.org/wiki/ Plettenberg vom 4.10.2009; Auskunft Martina Wittkopp-Beine, Stadt­­archiv Plettenberg, E-Mails vom 22.5.2010 und 25.5. 2010 sowie schriftliche Aufzeichnungen; Meldekarte Amt Plettenberg von 1929; Stadtarchiv Altena D10/191/226; URL bundesarchiv.de/gedenkbuch/directory,html, Zugriff vom 23.5.2010; Auskunft Fritz Neubauer, Universität Bielefeld, E-Mail vom 7. Juni 2010, USHMM, RG 15.083 Nr. 300/144.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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