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Harald Tachau, 1930
Harald Tachau,1930
© Archiv des HSV Museums

Fritz Harald Tachau * 1904

Oberstraße 14 (Eimsbüttel, Harvestehude)

1942 Auschwitz
ermordet 30.1.1943

Harald Tachau, geb. 21.10.1904 in Hamburg, deportiert 19.11.1942 nach Auschwitz

Oberstraße 14 (Harvestehude)

Harald Fritz Tachau wurde 1904 in Hamburg als vierter Sohn des Rechtsanwalts Albert Tachau (geb. 21.12.1865 in Ribe/Dänemark, Eltern: Charles Adolph Tachau gestorben 10.5.1867 u. Jenny Israel, gest. 30.10.1929) und der Hamburgerin Else Tachau, geb. Rosenblum (1872–1934, Eltern: Albert Rosenblum u. Agnes Schiff) geboren.

Der Vater Albert Tachau hatte sich 1894 nach seiner zweiten juristischen Prüfung in der Hansestadt als Anwalt niedergelassen (Große Bleichen 5) und eine Zulassung für das Hanseatische Oberlandesgericht sowie das Landgericht und das Amtsgericht von Hamburg erhalten. Im August 1895 heiratete er in Hamburg. Er führte seit 1919 eine Gemeinschaftskanzlei mit Paul Tentler (1871–1958) und Alfred Kauffmann (1879–1949), die wenige Jahre später vom Hamburger Hof (Jungfernstieg 26–33) zur nahegelegenen Esplanade 1a verlegt und um die Rechtsanwälte Wilhelm Kersten, Hans Scherzberg und James G. Kauffmann (1880–1967) erweitert wurde. Die Veröffentlichungen von Rechtsanwalt Albert Tachau in der Hanseatischen Gerichtszeitung 1915 ("Ist ein Räumungsanspruch abtretbar") und in der Hanseatischen Rechts- u. Gerichtszeitung 1928 ("Untersuchungsrecht des Käufers beim Kauf Kassa gegen Dokumente") lassen vermuten, dass sein Arbeitsschwerpunkt auf dem Wirtschaftsrecht lag.

Harald Tachau hatte drei ältere Brüder: Walter Julius Tachau (geb. 30.4.1897 in Hamburg) und Hans Tachau (geb. 31.1.1901 in Hamburg), beide studierten und wurden promoviert. Der ältere Bruder Walter etablierte sich als Rechtsanwalt in Hamburg wie der Vater, der Bruder Hans wurde Arzt. Der älteste Bruder Carl Rudolph Tachau (geb. 30.4.1896 in Hamburg) starb 1916 als Soldat in Rumänien.

Harald Tachau besuchte die Vorschule der Eppendorfer Oberrealschule und danach von Oktober 1914 bis 1922 das Heinrich Hertz-Gymnasium bis zur Obersekundareife. 1922 begann er eine zweijährige Lehre beim Bankgeschäft Alexander Levy (gegr. 1897, Neuer Wall 10). Aufgrund eines massiven Personalabbaus (150 Mitarbeiter als Folge der Hyperinflation) wurde auch Harald Tachau im September 1925 entlassen. Er besuchte nun zeitweilig die Berlitz-School in Hamburg, um seine englischen Sprachkenntnisse zu verbessern. Von Januar 1927 bis 1930 arbeitete er als Börsenvertreter und Effektenmakler im renommierten Hamburger Bankgeschäft L. Behrens & Söhne, wurde aber auch hier im Zuge eines Personalabbaus entlassen – möglicherweise im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise. Er versuchte sich nun als Provisionsreisender in verschiedenen Branchen, allerdings nur mit mäßigem Erfolg.

Seit 1917 war Harald Tachau Mitglied des Hamburger Sportvereins (HSV), dort aktiv in den Sparten Leichtathletik und Hockey. Er erhielt verschiedene sportliche Auszeichnungen. Neben seinem Beruf hatte der schlanke, 171 cm große Harald Tachau 1925 eine Prüfung als Sportlehrer für Gymnastik und Leichtathletik abgelegt und war danach sechs Jahre lang ehrenamtlicher Trainer und Jugendleiter beim HSV in den Bereichen Leichtathletik, Handball und Fußball tätig. Er musste den Verein 1930 wegen Diebstahlsvorwürfen verlassen.

Die Familie wohnte, entsprechend der wirtschaftlichen Stellung von Rechtsanwalt Albert Tachau in Harvestehude, einer gehobenen Wohngegend der Hansestadt. Die dortigen Adressen der Tachaus lauteten Hochallee 41 (1896–1901), Hochallee 27 (1902–1919) und Oberstraße 14 I. Stock (1920–1934). 1930 wohnten laut Einträgen im Hamburger Adressbuch die Witwe Else Tachau und der Rechtsanwalt Walter Tachau in der Oberstraße 14; in den Adressbüchern der Jahre 1932 und 1933 war nur noch die Geschäftsadresse von Walter Tachaus Rechtsanwaltspraxis abgedruckt (Mönckebergstraße 8, Barkhof Haus 3). Harald Tachau war bereits 1927 nach Unstimmigkeiten zu Hause ausgezogen.

Das Amtsgericht Hamburg verurteilte Harald Tachau und Herbert Schulz (geb. 1911 in Pritzwalk) im Oktober 1931 wegen gemeinschaftlicher Erpressung zu je vier Monaten Gefängnis. Sie hatten dem Kaufmann und HSV-Mitglied Karl Rave einen anonymen Erpresserbrief geschickt und 200 Mark verlangt, andernfalls würden sie seine homosexuellen Neigungen öffentlich machen. Dem bislang unbestraften Harald Tachau wurden nach einem Gnadengesuch im März 1932 die restlichen 53 Tage zur Bewährung ausgesetzt.

Vor der Verurteilung hatte Harald Tachaus Wohnadresse Klaus-Groth-Straße 56 III. Stock bei Ingenieur Curt Arthur Schmidt (Hamburg-Borgfelde) gelautet. Möglicherweise im Zusammenhang mit dem Prozessbeginn wohnte er von Herbst 1931 bis Sommer 1933 bei dem Generalvertreter und fördernden HSV-Mitglied Paul Benthien, der an seine Unschuld glaubte, in der Rothenbaumchaussee 22. Benthien hatte über seine Söhne, die ebenfalls beim HSV aktiv waren, erfahren, dass Tachau sich das Leben nehmen wollte. Daraufhin bot er Tachau an, ihn als Angestellten in seiner Firma zu beschäftigen, vorausgesetzt die im Raum stehende Homosexualität Tachaus würde sich als Gerücht herausstellen. Doch, warum auch immer, das Arbeitsverhältnis währte nur kurz.

1934 erhielt Harald Tachau eine Stellung beim Bankhaus Simon Hirschland Zweigniederlassung Hamburg, zuerst als Bote und später als Bankangestellter, die aber im Juni 1936 gekündigt wurde, als seine Vorstrafe bekannt wurde. Danach soll der 31jährige Harald Tachau den ersten Selbstmordversuch unternommen haben, im September 1937 unternahm er mit Tabletten einen zweiten, wurde noch rechtzeitig gefunden und blieb für drei Wochen im Krankenhaus. Er blieb weiterhin arbeitslos und erhielt wöchentlich 11 Mark Unterstützung vom Arbeitsamt.

Der unverheiratete Harald Tachau war laut Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde, der er seit Januar 1937 als eigenständiges Mitglied angehörte, erwerbsloser Bankangestellter. Die Jüdische Gemeinde vermerkte dort zwei (teilweise schwer entzifferbare) Adressen, Untermietverhältnisse: in der Ludwigstraße 2 III bei Behre und später in der Drehbahn 27 (Neustadt).

Das NS-Regime hatte kurz nach der "Machtergreifung" eine Reihe von Gesetzen erlassen: Ausgehend von einer rassisch homogenen "Volksgemeinschaft", die moralisch und politisch entsprechend der NS-Vorgaben lebte, wurden Abweichler ausgegrenzt, verfolgt und ermordet. Bereits ab 1933 trug die Richterschaft mit entgegenkommenden Urteilen der nationalsozialistischen Sichtweise Rechnung. Am 28. Juni 1935 wurde der § 175 Reichsstrafgesetzbuch verschärft. Statt "widernatürliche Unzucht" stand im Gesetz nur noch "Unzucht", was den Gerichten einen größeren Ermessensspielraum bot.

Aufgrund seiner jüdischen Herkunft und der Homosexualität geriet Harald Tachau zwangsläufig in Konflikt mit den NS-Verfolgungsorganen. Ab Sommer 1937 weitete das 24. Kriminalkommissariat im Stadthaus die systematische Verfolgung Homosexueller aus. Die Zahl verurteilter Homosexueller war in Hamburg bereits vorher massiv angestiegen: von 103 (1932) über 370 (1933) auf 1.095 (1936) Personen.

Aussagen aus einem anderen Ermittlungsverfahren belasteten Harald Tachau wegen Vergehen gegen § 175. Am 4. Dezember 1937 erfolgte morgens eine Durchsuchung von Tachaus Untermietzimmer bei Emma Behre, geb. Bluhm in der Ludwigstraße 2 III.Stock (St. Pauli), wo er seit Ende 1936 wohnte. Als Belastungsmaterial wurden u.a. Fotografien sichergestellt. Im Anschluss wurde er zum 24. Kriminal-Kommissariat mitgenommen, wo Kriminal-Oberassistent Karl Conrad (geb. 1899 in Friedrichstadt, seit 1925 im Polizeidienst, seit 1931 bei der Kripo/Sitte, seit 1937 NSDAP-Mitglied) ihn verhörte. Neben Tachaus eigenen Straftaten versuchte Conrad von ihm auch strafrechtlich relevante Taten anderer Männer zu erfahren. Nach dem Verhör wurde Harald Tachau ins Polizeigefängnis Fuhlsbüttel überstellt, wo er in "Schutzhaft" genommen wurde. Der dafür erforderliche Befehl war von dem Gestapo-Mitarbeiter Baumann ausgestellt worden.

Zehn Tage später wurde Harald Tachau zum zweiten Verhör geholt, wieder saß ihm Conrad gegenüber. Diesmal ging es um die Lokale, in denen Tachau Männer getroffen hatte. Zwar nannte er die "Porterstuben" (Rostocker Straße), "Zu den drei Sternen" (Hütten 60), "Tuskulum" (Baumeisterstraße 17/Hansaplatz) und "Schwarzes Meer" (Bleichenbrücke 10) sowie die "Marienburg" (Marienstraße) und das "Kolibri", gab aber an, die Männer, mit denen er dort Kontakt hatte, nicht gekannt zu haben. Er betonte, diese Lokale im Zeitraum Ende 1929 bis Oktober 1931 aufgesucht zu haben. Für kürzer zurückliegende Treffen gab er nur vage die Gegend "am Millerntor" an.

Wie aus parallel geführten Befragungen von Zeugen bekannt wurde, besuchte Harald Tachau daneben auch das "Deutschlandhaus", den "Alsterpavillon", das "Tanzkaffee Faun" und die Staatsoper. Auch beim dritten Verhör am 5. Januar 1938 nannte er keine Namen von männlichen Sexualpartnern. Entlastung erhoffte er sich von einer ehemaligen Freundin, die am 13. Januar von Conrad verhört wurde.

Am 17. und 22. Januar 1938 führte Kriminal-Assistent Adolf Lenuck (geb. 1906 in Bad Oldesloe, 1930 von der Handelsmarine zur Polizei gewechselt, seit 1935 NSDAP-Mitglied, seit 1937 Kripo Hamburg) das Verhör mit Harald Tachau und legte dabei Lichtbilder aus der Homosexuellenkartei der Polizei vor, um so an die Namen weiterer Männer samt belastender Aussagen von Tachau zu gelangen. Vergebens. Conrad zog nach einer erneuten Konfrontation mit der Lichtbilderkartei am 2. Februar 1938 ein Zwischenfazit: "Tachau dürfte jetzt die Wahrheit gesagt haben, wenn man auch Zweifel haben kann, ob er seine Mittäter tatsächlich nicht kennt. Huppertz ist nicht vernommen worden, da seine Tat bereits im Jahre 1930 geschehen ist." Hubert Huppertz war der einzige Name den Harald Tachau preisgegeben hatte und wohl nicht zufällig war die Tat bereits verjährt.

Richter Joachim Lohse (seit 1933 Mitglied der NSDAP und der SA) vom Amtsgericht Hamburg erließ, nachdem er den Angeklagten vernommen hatte, am 17. Februar 1938 einen Haftbefehl wegen Verdunkelungsgefahr und zu erwartender neuer Straftaten. Gleichzeitig wurde Harald Tachau von der Schutzhaft in die Untersuchungshaft übernommen. Das Schnellgericht bzw. das abgekürzte Verfahren durch ein Schöffengericht sprach am 12. März 1938 das Urteil. Amtsgerichtsrat Joachim Lohse (1901–1997, Vorsitzender), Karl Wahl (Schöffe) und Nikolaus Wedemeyer (Schöffe) verurteilten Harald Tachau wegen "Unzucht mit Männern" im Zeitraum 1933 bis 1937 zu einem Jahr Haft und zur Übernahme der Kosten. Von der "Aufstellung einer Kostenrechnung" wurde jedoch abgesehen, da Harald Tachau völlig mittellos war. Der Staatsanwalt Nicolaus Siemssen (geb. 1901 in Futschau/China, seit 1933 Mitglied der NSDAP und der SA) hatte eine sechs Monate höhere Strafe gefordert. Doch schon die Höhe der ausgesprochenen Strafe konnte nur durch eine recht weitgehende juristische Interpretation erreicht werden: "Die Einzelhandlungen des Angeklagten fallen teilweise noch unter die Herrschaft des § 175 StGB alter Fassung. (…) Im übrigen ist, da es sich um eine einzige Tat im Rechtssinne handelt, das Strafmaß aus § 175 StGB neuer Fassung zu entnehmen."

Am 6. April 1938 wurde Harald Tachau ins Gefängnis überstellt; auf den 9. Dezember 1938 war die Entlassung aus dem Gefängnis Glasmoor bei Glashütte festgesetzt. Die Vermerke der Gefängnisverwaltung zu schriftlichen Gesuchen des Gefangenen Tachau geben Aufschluss über dessen Wünsche und Anliegen (und die Reaktion der Gefängnisbürokratie): im Februar 1938 stellte er den Antrag die Zeitung "Hamburger Anzeiger" bestellen zu dürfen ("genehmigt"), erbat Verlegung in Einzelhaft wegen Schlaflosigkeit und Erregungszuständen ("belehrt"), im März 1938 Besuchserlaubnis für den Rabbiner ddes liberalen Tempelverbandes, Bruno Italiener, ("genehmigt") sowie einen Rasierapparat ("genehmigt"). Abgelehnt wurden die Verlegung aus der Gemeinschaftszelle und Rabbiner Italieners Gesuch im April 1938, eine Geldspende an Tachau geben zu dürfen. Von Mai bis Juli 1938 bemühte sich Tachau mehrfach, ein dänisches Lehrbuch bestellen zu dürfen ("abgelehnt").

Im September und Oktober 1938 bat er Bruno Italiener um Unterstützung bei seiner Emigration ("genehmigt"), im November 1938 wurde seine Zivilkleidung nach Prüfung seines Bargeldbestandes auf Privatkosten ausgebessert. Möglicherweise wurden die zum Haftende häufiger werdenden Genehmigungen durch Tachaus "Aufrückung in Stufe II", nach positiver Einschätzung durch den Werkmeister und den Aufsichtsbeamten, begünstigt. Am 9. Dezember 1938 wurde Harald Tachau entlassen. Bruno Italiener emigrierte selbst im Januar 1939 mit Ehefrau und Kindern nach England, konnte Harald Tachau nicht weiter unterstützen.

Im Zuge der Zwangsarbeit für arbeitslose Juden im Deutschen Reich wurde Harald Tachau im Juli 1939 zu Erdarbeiten und Straßenarbeiten im "jüdischen Arbeitslager Sprakebüll, Kreis Südtondern" verpflichtet. Die Abteilung Arbeitsfürsorge der Hamburger Sozialverwaltung schickte Juden zur "Unterstützungsarbeit", in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt Nordmark, auch in Sonderlager außerhalb Hamburgs.

Dabei lernte Harald Tachau die nichtjüdische Ehefrau eines jüdischen Kaufmanns aus Neumünster kennen, der im Januar 1939 vom Arbeitsamt Neumünster in das Lager eingewiesen worden war. Am 3. Oktober 1939 wurde er deshalb erneut in Untersuchungshaft genommen. Er hatte bis dahin zur Untermiete bei Frau von Walther in der Neuen ABC-Straße 12a (Neustadt) gewohnt. In der Untersuchungshaft verschlechterte sich sein Gesundheitszustand, ein Magengeschwür wurde diagnostiziert, im März 1940 musste er zweimal ins Gefängnislazarett verlegt werden.

Die neue Anklage lautete auf "Rassenschande". Wer die "arische" Ehefrau eines Juden und Harald Tachau denunziert hatte bzw. woher die Information über ihr Verhältnis stammte, konnte weder der Akte noch der Urteilsbegründung entnommen werden. Harald Tachau bestritt seine jüdische Abstammung (schon, um seinen Bruder Walter zu schützen, der im April 1940 verhaftet worden war und seine jüdische Herkunft nicht angegeben hatte.) Zwar ergaben die Ermittlungen nur ein paar beiderseitige körperliche Annäherungen, doch verhängte das Landgericht Hamburg, Strafkammer 6 unter Landgerichtsrat Hermann Wehlen (Vorsitzender), Landgerichtsrat Bernhard Behr (Beisitzender Richter) und Landgerichtsrat Werner Roscher (Beisitzender Richter, nicht Mitglied der NSDAP) am 21. Juni 1940 eine Strafe von drei Jahren Freiheitsentzug.

Richter Hermann Wehlen (1903–1969), seit 1933 Mitglied der NSDAP und der SA, war seit 1939 zusätzlich auch juristischer Mitarbeiter am Gaugericht der NSDAP (Parteiehrengericht) und wechselte im Juli 1941 als Richter zum Hanseatischen Sondergericht; dort war er u.a. für fünf Todesurteile verantwortlich. Bernhard Behr (geb. 1900), ebenfalls seit 1933 Mitglied der NSDAP und der SA sowie weiterer NS-Organisationen, war seit Juni 1934 wegen eines zu milden Urteils zur Ziviljustiz versetzt worden. Mit stereotypen und parteiischen Formulierungen dokumentierten die Juristen in der Urteilsbegründung ihre sprachliche und moralische Verbundenheit mit dem NS-System: "Der Angeklagte hat es noch im Jahre 1939 gewagt, sich an einer arischen Frau, wenn sie auch mit einem Juden verheiratet war, zu vergehen." Als Staatsanwalt nahm Landgerichtsrat Walter Tyrolf (1901–1971) an der Verhandlung teil, der erst Anfang Juni 1940 von seiner Stelle als Untersuchungsrichter zur Staatsanwaltschaft versetzt worden war.

Am 11. Juli 1940 wurde Harald Tachau in die Strafanstalt Fuhlsbüttel überstellt. Statt einer Entlassung nach dem Ende der Haftzeit im Oktober 1942 wurde jedoch in der Akte vermerkt: "Entlassung über Kripo Hamburg, Überführung in ein Schutzhaftlager". Bereits ab August 1940 hatte sich Harald Tachau mehrfach an den Jüdischen Hilfsverein zwecks Unterstützung bei der geplanten Auswanderung gewandt. Zudem bemühte er sich im September und November 1940 in Schreiben an Carlos Feder (Sao Paulo) um eine Emigrationsmöglichkeit nach Brasilien. Carl Feder (1882–1969), seit 1922 Alleininhaber der Herren-Wäschefabrik Wegner & Co., war 1936 dorthin emigriert. Sein Sohn Erwin Feder (geb. 18.7.1910) war von 1938 bis 1942 wegen "Rassenschande" in Bremen und zuletzt in Hamburg-Fuhlsbüttel inhaftiert, er starb fünf Wochen nach seiner Deportation im Januar 1943 in Auschwitz (siehe www.stolpersteine-hamburg.de). Vermutlich kannten sich Harald Tachau und Erwin Feder aus dem Gefängnis Fuhlsbüttel.

Die Führungsberichte des Stationsbeamten im Gefängnis über Harald Tachau fielen positiv aus ("Führung: sehr gut, Arbeit: Hat stets über sein Pensum geleistet"), wofür ihm zu den Monatsbriefen zusätzliche Briefe aus dem Gefängnis gestattet wurden ("Gewährung oder Widerruf von Erlaubnissen und Vertrauensbeweisen"). Aber all dies nütze ihm nichts, denn Heinrich Himmler, Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, hatte bereits im Juli 1940 angeordnet, verurteilte Homosexuelle seien "nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis in polizeiliche Vorbeugehaft zu nehmen." Auch hatte der NS-Staat die Emigration von Juden aus Deutschland im Oktober 1941 untersagt und ihre Deportation und Vernichtung beschlossen.

Im Mai 1942 schrieb Harald Tachau einen genehmigten Sonderbrief an den Jüdischen Hilfsverein, zwei Monate später einen solchen an die "Auswandererberatung Scharlach" wegen der ihm drohenden "Evakuierung" bei seiner Entlassung im Oktober 1942. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Fritz M. Scharlach (1898–1943) aber bereits im Konzentrationslager Fuhlsbüttel; seine Firma wurde im Juli 1942 zwangsweise im Handelsregister gelöscht. Weder der Hilfsverein noch Scharlach konnten Harald Tachau helfen.

Das Zuchthaus Fuhlsbüttel teilte der Kriminalpolizeileitstelle und der Staatspolizeileitstelle Tachaus Entlassungstermin zwei Monate vorher mit. Am 19. November 1942 wurde er ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Laut Eintrag auf seiner Kultussteuerkarte der Jüdischen Gemeinde starb er am 30. Januar 1943 dort.


Wie erging es seinen Brüdern Walter und Hans?

Harald Tachaus Bruder, der Rechtsanwalt Walter Tachau (1897–1974), hatte im Mai 1915, während eines Lazarettaufenthalts, die evangelisch-lutherische Konfession angenommen. Als Schüler des Heinrich-Hertz-Gymnasiums war er Anfang September 1914 als Kriegsfreiwilliger in das Hamburger Infanterie-Regiment 76 eingetreten. Nach der Demobilisierung im Dezember 1918 schloss er sich Anfang 1919 dem "Freikorps Bahrenfeld" unter Lettow-Vorbeck an. Nach seinem Jurastudium in Heidelberg und Hamburg führte er von 1925 bis 1929 zusammen mit seinem Vater eine Rechtsanwaltskanzlei und nach dessen Tod von 1929 bis 1933 eine Bürogemeinschaft mit Willi Gottberg (1898-1965). Im Zuge eines Konkursverfahrens gegen seinen Vater wurde Walter Tachau als Bürge in Anspruch genommen, was ihn "in einer kaum tragbaren Weise" belastete, wie die Gerichtshilfe für Erwachsene des Amtsgerichts Hamburg 1931 notierte.

Seine jüdische Herkunft hatte Walter Tachau den staatlichen Organen des nationalsozialistischen Deutschland verschwiegen. Bis zu seiner Verhaftung am 12. April 1940 konnte er daher als Rechtsanwalt tätig sein, was ihm sonst zum 30. November 1938 verboten worden wäre. Er lebte in Mischehe mit einer nichtjüdischen Frau.

Im April 1939 verteidigte er den früheren HSV-Präsidenten Emil Martens (1886–1969), der seit 1907 Vereinsmitglied war und von Februar 1928 bis Januar 1934 als Präsident amtiert hatte. Martens war 1934 offiziell wegen Verstoßes gegen das Amateurstatut, das Gelder an Ligaspieler untersagte, von der Sportbehörde als Vereinspräsident abgesetzt worden. 1936 war Martens wegen seiner Homosexualität verurteilt und aus der NSDAP ausgeschlossen worden; 1939 und 1942 folgten weitere Anklagen von Staatsanwalt Nicolaus Siemssen (geb. 1901, seit 1929 Staatsanwalt in Hamburg, seit Mai 1933 NSDAP-Mitglied). Walter Tachau selbst war seit 1910 HSV-Mitglied, in den Sparten Fußball, Leichtathletik und Handball (HFC 88) aktiv und Ende der 1920er Jahre Vorstandsmitglied des Vereins. Zudem gründete er u.a. zusammen mit Emil Martens 1929 den Sportplatz-Verein Ochsenzoll-Norderstedt e.V.

Walter Tachau wurde am 23. April 1940 in das Konzentrationslager Fuhlsbüttel eingeliefert und im Mai 1940 in das Gefängnis Fuhlsbüttel überstellt. Im September 1940 wurde er zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt, die im April 1941 in eine Gefängnisstrafe umgewandelt wurden. Der NSDAP-Sippen-Referent des Kreises 6 erstellte für die rassische Beurteilung des Angeklagten extra eine Stammtafel der Familie Tachau.

Ende August 1942 wurde Walter Tachau von der Haft aus dem Gefängnis Glasmoor beurlaubt, da seine Ehefrau schwer krank war. Er erhielt die Auflage sich zwei Mal pro Woche bei der Polizei zu melden. Im Oktober 1943 wurde der mit Walter Tachau befreundete Generalstaatsanwalt Ernst Drescher, der den Hafturlaub genehmigt hatte und die Strafakte bei sich verwahrte, von der SS verhaftet. Aus Angst vor einer erneuten Verhaftung floh Walter Tachau überstürzt und ohne Papiere nach Süddeutschland und weiter nach Österreich. Dort überlebte er mit falschen Papieren unter dem Namen Dr. Curt Schröder in Wien und Innsbruck, während per Haftbefehl nach ihm gefahndet wurde. Seine Ehefrau Ilse musste sich auf Druck der Gestapo von ihm scheiden lassen.

Im August 1945 erhielt Walter Tachau seine Zulassung als Rechtsanwalt zurück. Der HSV ernannte ihn zum Ehrenmitglied.

Harald Tachaus Bruder Hans, promovierter Mediziner (1901–1969), hatte nach dem Studium an der Universität München dort 1926 seine medizinische Dissertation ("Die Beeinflussung des eosinophilen Blutbildes durch Infektionskrankheiten mit besonderer Berücksichtigung der Malaria") geschrieben und 1930 in Hollenstedt (Kreis Harburg), ca. 10 km südlich von Buxtehude, für 10.000 RM eine Arztpraxis mit Ausstattung übernommen. Das NS-Regime entzog ihm die kassenärztliche Zulassung sowie das Recht Reichsbahnangehörige zu behandeln. Nach einer Ausschreibung im ärztlichen Mitteilungsblatt zum 1. April 1938 wurde an seiner Stelle Friedrich Lummerich (geb. 1908 in Osnabrück, 1936 Promotion in Freiburg/Breisgau, gestorben 1948) als praktischer Arzt eingesetzt, der ab Oktober 1938 auch Hans Tachaus Wohnung zugewiesen bekam. Für Hans Tachau gab es in der nationalsozialistischen "Volksgemeinschaft" keine Institution mehr, die ihm in dieser Situation zu seinem Recht verhelfen konnte. Er erhielt nicht einmal eine symbolische Entschädigungszahlung für seine Arztpraxis.

Auch Hans Tachau lebte in Mischehe mit seiner nichtjüdischen Ehefrau Elisabeth (1909–2001), die er 1930 geheiratet hatte. Am 4. Mai 1938 zogen das Paar und sein Sohn zu deren Eltern nach Hamburg in die Alsterdorfer Straße und emigrierte ein halbes Jahr später an Bord der "S.S. Bremen" in die USA. Dort trat Hans Tachau im September 1942 als "Private" (Soldat) in die US-Army (Branch Immaterial-Warrant Officers) ein. 1943 nahm er die US-Staatsbürgerschaft an. Ab 1946 praktizierte er in Prattsburg/New York als Arzt.


Stand: Februar 2019
© Björn Eggert

Quellen: 1; 4; 5; StaH (Staatsarchiv Hamburg) 213-11 (Staatsanwaltschaft Landgericht), A 11337/32 (gegen Harald Tachau u. Herbert Schulz wegen Erpressung); StaH 213-11 (Staatsanwaltschaft Landgericht), 3124/38 (gegen Harald Tachau wegen Homosexualität); StaH 213-11 (Staatsanwaltschaft Landgericht), 3269/40 (gegen Harald Tachau wegen "Rassenschande"); StaH 213-13 (Landgericht Hamburg, Wiedergutmachung), 9303 (Bruno Italiener); StaH 221-11 (Staatskommissar für die Entnazifizierung), P 17580 (Karl Conrad); StaH 221-11 (Staatskommissar für die Entnazifizierung), P 21031 (Adolf Lenuck); StaH 221-11 (Staatskommissar für die Entnazifizierung), L 1671 (Dr. Bernhard Behr,); StaH 221-11 (Staatskommissar für die Entnazifizierung), Z 2765 (Hermann Wehlen); StaH 221-11 (Staatskommissar für die Entnazifizierung), L 533 (Dr. Joachim Lohse); StaH 221-11 (Staatskommissar für die Entnazifizierung), L 763 (Dr. Werner Roscher); StaH 221-11 (Staatskommissar für die Entnazifizierung), L 1139 (Nicolaus Siemssen); StaH 221-11 (Staatskommissar für die Entnazifizierung), L 1080 (Dr. Walter Tyrolf); StaH 241-2 (Justizverwaltung Personalakten), P 986 (Albert Tachau, 1 Seite Personalbogen); StaH 241-2 (Justizverwaltung Personalakten), A 2968 (Walter Tachau); StaH 241-2 (Justizverwaltung Personalakten), 282 (Walter Tachau); StaH 241-2 (Justizverwaltung Personalakten), A 3246 (Dr. Fritz Walter Tyrolf); StaH 241-2 (Justizverwaltung Personalakten), A 3505 (Hermann Wehlen); StaH 241-2 (Justizverwaltung Personalakten), A 3253 (Dr. Bernhard Friedrich Hinrich Adolf Behr); StaH 242-1 II (Gefängnisverwaltung II), 4140 (Harald Tachau 1940–1942); StaH 332-5 (Standesämter), 8572 u. 352/1895 (Heiratsregister 1895, Albert Tachau u. Else Rosenblum); StaH 332-5 (Standesämter), 9120 u. 799/1896 (Geburtsregister 1896, Carl Tachau); StaH 332-5 (Standesämter), 9131 u. 943/1897 (Geburtsregister 1897, Walter J. Tachau); StaH 332-5 (Standesämter), 13613 u. 317/1901 (Geburtsregister 1901, Hans Tachau); StaH 332-5 (Standesämter), 8098 u. 574/1929 (Sterberegister 1929, Albert Tachau); StaH 332-5 (Standesämter), 1024 u. 500/1934 (Sterberegister 1934, Else Tachau); StaH 332-7 (Staatsangehörigkeitsaufsicht), A I e 40 Band 10 (Bürgerregister 1876–1896 L–Z), Albert Tachau 1890 Nr. 16752; StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 20254 (Dr. Walter Tachau); StaH 351-11 (AfW), 25300 (Dr. Hans Tachau); StaH 351-11 (AfW), 5728 (Carlos-Leo Feder); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden), 992b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg), Albert/Else Tachau (1928), Harald Tachau (1937–1940); StaH 741-2 (Genealogische Sammlungen), 1/6331 (Tachau, u.a. Stammtafel vom NSDAP-Sippen-Referent); StaH 741-4 (Fotoarchiv), A 263 (mikroverfilmter Bestand StaH 242-1 II/ Gefängnisverwaltung II), Harald Tachau, Walther Tachau; HSV-Museum, Archiv (Informationen zu Paul Benthien, Karl Rave, Harald Tachau, Walter Tachau; Gruppenfoto mit Harald Tachau aus: Turnen, Spiel u. Sport Nr. 34, 26.8.1930); Deutsche Nationalbibliothek, Katalog (medizinische Doktorarbeit von Hans Tachau, 1926); Universitätsarchiv München (Studentenverzeichnis 1922/23 und 1924/25, Hans Tachau, Hamburg, Goethestraße 51 bzw. 50); Stadtarchiv Freiburg/ Breisgau, Einwohnermeldekartei (Friedrich Karl Lummerich); Stadtarchiv Neumünster (Zwangsarbeit von H.B. in Sprakebüll); Staatsarchiv Stade/Niedersächisches Landesarchiv, Rep 171 Stade Rückerstattung acc. 2009/056 Nr. 420 (Dr. Friedrich Lummerich, Dr. Hans Tachau); Herbert Diercks, Hamburger Fußball im Nationalsozialismus (Ausstellungskatalog), Hamburg 2016, S. 27 (Gruppenfoto mit Harald Tachau), S. 60 (Emil Martens); Herbert Diercks, Dokumentation Stadthaus. Die Hamburger Polizei im Nationalsozialismus (Ausstellungskatalog), Hamburg 2012, S. 54 (Verfolgung Homosexueller, Verurteilungszahlen 1932, 1933, 1936); Brunhilde Haak, Die Anwaltschaft in Hamburg während der Weimarer Republik, Hamburg 1990, S. 238 (Albert Tachau, Veröffentlichungen 1915 u. 1928); Uwe Lohalm, Fürsorge und Verfolgung, Öffentliche Wohlfahrtsverwaltung und nationalsozialistische Judenpolitik in Hamburg 1933 bis 1942, Hamburg 1998, S. 35; Heiko Morisse, Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg, Ausgrenzung und Verfolgung im NS-Staat, Hamburg 2003, S. 131 (Willi Gottberg), S. 138 (Dr. Alfred Kauffmann), 139 (Dr. James Kauffmann), 162 (Dr. Walter Julius Tachau), 163 (Dr. Paul Tentler); Bernhard Rosenkranz/ Ulf Bollmann/ Gottfried Lorenz, Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919-1969, Hamburg 2009, S. 21, 24/25, 27/28, 49/50 (Emil Martens), 107–108 (Siemsen), 110 (Joachim Lohse); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1910, S. 44 (L. Behrens & Söhne, Bankgeschäft), S. 392 (Alexander Levy, Fonds- u. Wechselmakler); Adressbuch Hamburg (Tachau) 1895–1897, 1899, 1901, 1902, 1904, 1914, 1917, 1919, 1920, 1924, 1930, 1932, 1933; Amtliches Fernsprechbuch für den Reichspostdirektionsbezirk Hamburg, 1939, S. 604 (Hollenstedt, Dr. Friedrich Lummerich); www.tracingthepast.org (Volkszählung Mai 1939), Albert Tachau, Frankfurt/Main; www.stolpersteine-hamburg.de (Erwin Feder).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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