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Isidor Karger mit seiner Frau Rea und Sohn Werner
Isidor Karger mit seiner Frau Rea und Sohn Werner
© Privatbesitz

Isidor Karger * 1883

Grindelhof 68 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
ISIDOR KARGER
JG. 1883
VERHAFTET 1938
KZ FUHLSBÜTTEL
DEPORTIERT 1941 MINSK
ERMORDET 3.12.1944
KZ FLOSSENBÜRG

Weitere Stolpersteine in Grindelhof 68:
Bella Philip, David Philip, Denny Philip, Senta Philip

Isidor Karger, geb. am 3.3.1883 in Czarnikau, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert, am 3.12.1944 im KZ Flossenbürg ermordet

Grindelhof 68

Isidor Karger wurde als Sohn des Zigarrenfabrikanten Abraham Karger und dessen Frau Dora, geborene Dworesohn, geboren. Er hatte sieben Geschwister: Natalie (geboren 18. August 1879), Martha (geboren 29. März 1881), Jack (geboren 3. Juni 1884), Max (geboren 22. August 1885), Leo (geboren 2. März 1890), Meta, verheiratete Lindenberg (geboren 9. Mai 1894), sowie die schon als Kleinkind an einer Krankheit verstorbene Alice (geboren 17. August 1895, gestorben 6. Mai 1896).

Die Familie lebte in Czarnikau in Westpreußen, einer Kleinstadt an der Netze mit damals rund 7000 Einwohnern, die bis nach dem Ersten Weltkrieg zum Deutschen Reich gehörte. Auch Isidors spätere Ehefrau Rea, geborene Crohn, wurde dort am 20. Juli 1883 geboren. Isidor Karger nahm am Ersten Weltkrieg teil, erhielt das Eiserne Kreuz 1. und 2. Klasse sowie ein von Generalfeldmarschall Hindenburg persönlich unterschriebenes Belobigungsschreiben für Tapferkeit vor dem Feind.

1919 heirateten Isidor und Rea Karger. Im Versailler Vertrag wurde 1920 der größte Teil von Czarnikau Polen zugesprochen, nur wenige Häuser nördlich des Flusses Netze lagen weiterhin auf deutschem Territorium. Isidor Karger fühlte sich Deutschland offenbar näher als Polen und zog 1923 mit seiner Frau und dem Sohn Werner Dagobert (geboren 9. Februar 1920) nach Hamburg. Dort übernahmen sie ein Geschäft für Putz- und Modewaren, die Firma Emma Pieper in der Grindelallee 131. Rea Karger führte den Laden, während ihr Mann als Vertreter für Wäschefabriken tätig war.

Auch Isidors Brüder Jack und Leo waren nach Hamburg gezogen. Isidor, Rea und Werner Dagobert wohnten in der Grindelallee 148 und konnten offenbar gut von den Einkünften leben. Auch Ferienreisen und eine Haushaltshilfe waren nach Werner Kargers späterer Aussage gegenüber dem Amt für Wiedergutmachung finanzierbar. Rea Karger besaß demnach auch mehrere wertvolle Schmuckstücke und der Sohn eine Konzertgeige im Wert von 600 Reichsmark – diese und alle anderen Einrichtungsgegenstände waren nach dem Krieg für die Familie verloren. Ungefähr 1932 wurde das Geschäft in der Grindelallee umbenannt in "Isidor Karger, Modewaren" und die Familie zog in die Grindelallee 117 um. Wahrscheinlich hat die ursprüngliche Eigentümerin die Firma zurückerhalten, denn im Hamburger Adressbuch von 1932 findet sich der Eintrag: "Pieper, Frau Emma, Putz- und Modewaren, Tel. 340189, Fehlandstraße 43".

Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten trafen die Firma Isidor Karger die umgehend eingeleiteten Repressalien gegen "jüdische" Geschäfte: Boykottaufrufe, Schikanen durch Behörden und SA, Behinderung der Geschäftskontakte etc. Nach Aussage des Sohnes Werner konnte auch der Vater nicht mehr ungehindert als Vertreter arbeiten, sodass sich die wirtschaftliche Lage der Familie rapide verschlechterte. Werner Karger besuchte seit 1926 die Talmud Tora Schule, die er 1936 mit der Mittleren Reife verließ. Bald darauf wanderte er über Österreich und Italien nach Palästina aus, wo er sich am Aufbau eines Kibbuzes beteiligte.

Seine Eltern blieben in Hamburg und erlebten, wie ihr wirtschaftlicher Spielraum immer weiter eingeschränkt wurde, bis sie vollkommen mittellos waren. 1936 mussten sie das Ladenlokal in der Grindelallee aufgeben und Rea Karger versuchte, von der kurz zuvor bezogenen 5-½-Zimmer-Wohnung Bogenstraße 11a aus weiter Damenhüte zu verkaufen. Die Wohnung lag im 1. Stock, was die Geschäfte nicht gefördert haben dürfte. Am 2. November 1936 schrieb Rea Karger an ihren Sohn in Palästina: "Sonnabend Abend zogen wir mit dem Geschäft in die Wohnung. Onkel Jack schickte uns Günther und den Hausdiener Alfred. Am Donnerstag wurden schon von hinten diverse Schränke und Sommerware in die Wohnung gebracht. Unser Schlafzimmer haben [wir] durch Portieren an beiden Seiten der Betten geteilt, den weißen großen Schrank vor die Betten gestellt. Wo unser großer Kleiderschrank stand, kam die Chaiselongue aus dem Erker. Die Waschkommode kam, wo die Wäschebank stand, am Ofen, und dorthin der große Spiegel mit Marmorkonsole. Im Erker steht aus dem Laden der Glasschrank, wo die Chaiselongue stand und am Eckfenster ein Spiegel mit Marmortisch. Am Fenster kamen drei Damen, am Fenster habe ich Hüte dekoriert. Vor der Tür am Sockel kommt die Tage ein modernes Reflexschild, das gut auffällt. [...] Heute habe [ich] einen neuen Hut verkauft und eine Umarbeitung angenommen." Das Geschäft ging jedoch immer weiter zurück und in die eng gewordene Wohnung zogen mehrere Untermieter ein.

Aus einem Brief Reas vom 9. August 1937 wurden die finanziellen Sorgen des Ehepaares deutlich: "[…] wenn das Geschäft wieder lebhafter wird brauche ich für zwei Betten Bezug, ein Haushalt verlangt immer wieder Anschaffungen … Tante Toni gab uns 5 Mark von den Tanten u. legte ich noch 5 dazu u. sandten Dir 10 Mark am Donnerstag ab. Ach wie gern würden wir Dir jeden Monat Geld schicken […] Juli u. August sind die stillsten Monate, durch Herrn Frenkel bekamen wir 120 Mk u. somit konnten wir unseren Verpflichtungen nachkommen. […] Vaters Vertretungen werden durch die Rohwarenbeschaffung immer schlechter […] Annemarie [das "Lehrmädchen"] arbeitet schon seit kurz nach Pfingsten auf dem Steindamm [also wohl im Geschäft Jack Kargers]. Solange Onkel Jack hier wohnt, unterstützt er uns mit Ware u. ich kann das Putzwarengeschäft halten, wenn es auch leider nicht viel von der Etage aus ist […] Rudolfs wohnen noch bei uns, wo wir pünktlich die Miete haben, nun möchte ich evtl. Dein Zimmer noch vermieten, evtl. 1–2 junge Leute in Pension nehmen […] Im April hat Annemarie ausgelernt, dann nehme ich kein Lehrmädchen mehr, auch darf ich als Jüdin kein chr. Lehrmädchen mehr ausbilden."

Jack Karger war seit 1932 Alleininhaber des von seinem Schwiegervater gegründeten Putz- und Modegeschäfts Sam Meyer, Steindamm 35. Zum Geschäft gehörte ein Großhandel, über den er auch das Geschäft seiner Schwägerin Rea belieferte. Er musste seine Firma und den ihm gehörenden Anteil am Haus Steindamm 35 unter Wert verkaufen. Mit seiner Frau Toni, geborene Meyer (geboren 22. November 1887), sowie den drei Kindern Hans (geboren 4. Januar 1912), Alfred (geboren 15. Oktober 1921) und Lotte (geboren 7. Juni 1923) ging er am 27. Juni 1938 an Bord des Dampfers "General Osorio" und konnte in Argentinien ein neues Leben beginnen. In den letzten Wochen vor der Auswanderung lebte auch Jack mit seiner Familie in der Bogenstraße 11a. Mit ihnen ging auch Meta Lindenberg, geborene Karger, mit ihrem Mann Hugo und den Kindern Günter und Hans nach Argentinien. Jack Karger verstarb am 25. November 1957, seine Schwester Meta Lindenberg am 15. Dezember 1964.

Leo Karger lebte mit seiner Frau Elsa, geborene Masur, in der Kielortallee 15, wo sich auch ihr gemeinsames Schneideratelier befand. Sie wanderten über Schweden in die USA aus; Leo verstarb 1974 in Montclair, New Jersey.

Rea Karger starb am 23. März 1938 im Israelitischen Krankenhaus.

Danach bemühte sich ihr Mann Isidor ebenfalls um eine Auswanderung, wahrscheinlich nach Venezuela, die aber nicht mehr zustande kam. Er hatte offenbar kaum noch Einkommen und musste die Wohnung in der Bogenstraße aufgeben. Gegenüber seinem Sohn klagte er in einem Brief vom 15. Februar 1939: "Mit dem Verkauf der Sachen hält es sich sehr schwer, denn die Leute wollen, sobald es aus jüdischem Besitz ist, nichts dafür bezahlen am liebsten alles geschenkt. […] Mitte März gebe ich, was ich noch habe, zur Auktion und was es dann bringt, bringt es." Er zog im März 1939 in ein Zimmer am Eppendorfer Baum 34. An dieser Adresse wohnte auch der Lehrer Gustav Kron mit seiner Frau Selma, es ist wahrscheinlich, dass Isidor Karger ihr Untermieter wurde, da "Arier" keine jüdischen Mieter mehr aufnehmen durften.

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde Isidor Karger verhaftet und über das KZ Fuhlsbüttel ins KZ Sachsenhausen gebracht, wo er bis zum 17. Dezember 1938 inhaftiert blieb. Am 25. Oktober 1941 wurde das Ehepaar Kron nach Lodz deportiert. Als Untermieter verlor Isidor Karger damit seine Bleibe. Das würde den Umzug an seine letzte Adresse erklären: Grindelhof 68. Von dort wurde er am 8. November 1941 nach Minsk deportiert.

Das Minsker Getto wurde im Oktober 1943 "liquidiert" und fast alle dort Eingeschlossenen wurden ermordet.

Kurz zuvor waren ungefähr 1000 Männern auf eine Odyssee durch mehrere Konzentrationslager geschickt worden, von der einer der wenigen Überlebenden, Heinz Rosenberg, später berichtete. Diese Gruppe verließ Minsk am 14. September 1943. Mit Zwischenaufenthalten von wenigen Tagen bis einigen Wochen in den Lagern Treblinka, Budszyn und Reichshof gelangten die Häftlinge Ende Juni 1944 in das KZ Plaszow bei Krakau. Von dort gelangten noch 650 Männer ins Konzentrationslager Flossenbürg.

Dort endeten Isidor Kargers Qualen. Das Internationale Rote Kreuz teilte mit, er sei am 4. August 1944 von Plaszow dorthin gebracht worden und habe die Häftlings-Nr. 15143 erhalten. Am 3. Dezember 1944 kam er ums Leben. Seine Leidensgenossen wurden weiter in ein Lager im Elsass und, als letzte Station, ins KZ Bergen-Belsen gebracht.

Isidor Kargers Bruder Max gelang 1939 die Flucht nach Shanghai, er verstarb im dortigen Getto am 6. Oktober 1940. Die Schwestern Natalie und Martha starben nach Angaben ihres Nachfahren Ken Karger Ende 1939, mehr ist über ihr Schicksal nicht bekannt.

Stand: Oktober 2022
© Ulrike Sparr

Quellen: 1; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 43511, 7046 u. 12024; Hamburger Adressbücher 1930, 1931, 1932, 1933; Randt: Talmud-Tora-Schule; Rosenberg: Jahre; Koser/Brunotte (Hrsg.): Stolpersteine in Hamburg-Eppendorf und Hamburg-Hoheluft-Ost, Hamburg 2011; Ohne Autor: Meyers Konversationslexikon, 6. Aufl., Bd. 4, Leipzig 1905; E-Mail von Ken Karger v. 10.06.2019; https://de.wikipedia.org/wiki/Czarnków (letzter Aufruf: 24.10.2014); http://de.wikipedia.org/wiki/Netzedistrikt (letzter Aufruf: 24.10.2014); http://en.wikipedia.org/wiki/Ma%27ale_HaHamisha (letzter Aufruf: 24.10.2014).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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