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Bereits verlegte Stolpersteine



Ursula Westphal als junge Frau, 1921
Ursula Westphal als junge Frau, 1921
© Privatbesitz

Ursula Westphal * 1906

Große Theaterstraße 25 (Hamburg-Mitte, Neustadt)

1943 Euthanasieanstalt Wien-Steinhof
ermordet 05.05.1944

Weitere Stolpersteine in Große Theaterstraße 25:
Otto Westphal

Ursula Ortrud Gerda Westphal, geb. am 25.6.1906 auf Spiekeroog, Todesdatum 5.5.1944 in der Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien
Otto Christian Friedrich Westphal, geb. am 28.5.1883 in Hamburg, inhaftiert am 10.7.1944, gestorben am 13.4.1946 in Hamburg an den Spätfolgen der Haft

Große Theaterstraße 25 (Große Theaterstraße 22)

Ursula Westphal kam im Sommer 1906 während eines Urlaubs ihrer Eltern auf der Nordseeinsel Spiekeroog zur Welt. Sie war das zweite Kind des Ehepaares Otto Westphal und Friederike, geb. Bruns. Das Ehepaar hatte am 16. August 1904 in Mühlhausen, im Elsass, geheiratet. Das erste Kind war Ursulas Bruder Otto, der später wie sein Vater Zahnarzt und promoviert wurde.

Ursulas Vater führte seine Praxis in einem Etagenhaus, in der Großen Theaterstraße 22 in Hamburg, wo die Familie auch wohnte. Das Haus hatte er seiner Mutter Catharina abgekauft. Sein Vater Hans, der seine zahnärztliche Praxis in der Neustädter Neustraße 49 (heute Neustädter Straße), in der Nähe vom Großneumarkt, eingerichtet hatte, war schon früh gestorben.

Ursulas Mutter war 1876 im niedersächsischen Syke als erste von vier Schwestern geboren worden. Ihr Vater, Karl Bruns, zog mit seiner Familie nach Hamburg, wurde Journalist und arbeitete für den "Hamburger Correspondenten".

1916 und 1919 starben Ursulas jüngere Schwestern, Ruth und Christa, an einer Erkältungskrankheit. 1919, während Christa erkrankt war und schließlich starb, erwartete ihre Mutter das achte und letzte Kind. Ursula Westphal musste ihrer Mutter im Haushalt und bei der Versorgung ihrer Geschwister helfen. Außerdem besuchte sie die Klosterschule St. Johannis am Holzdamm, ein Realgymnasium für Mädchen.

Ihre Nichte, Roswitha Klau-Westphal, hielt 1998 auf einem Symposion "Zur Geschichte der NS-Euthanasie in Wien" einen Vortrag über den Leidensweg ihrer Tante Ursula, und beschrieb sie als schöne Frau mit vollen roten Haaren, die wie eine Löwin um Selbstbestimmung und persönliche Freiheit gekämpft habe. Sie habe kritisiert, dass sie ihrer Mutter ständig helfen müsse, während ihr älterer Bruder im Hinterzimmer gemütlich über seinen Büchern gesessen und sich von ihr auch noch habe bedienen lassen. Dafür wurde sie hart gezüchtigt. Die Eltern sahen vermutlich in ihrer Not keine andere Möglichkeit, den Alltag zu bewältigen.

Nach der Mittleren Reife besuchte Ursula die Berufsschule und nahm 1924 ein Studium an der Kunstgewerbeschule am Lerchenfeld, der heutigen Hochschule für bildende Künste, auf. 1929 mietete der Maler und Grafiker Karl Kluth (geb. 1898, gest. 1972), einer der führenden Köpfe der "Hamburgischen-Sezession", das Atelier im Dachgeschoss von Ursulas Elternhaus. Dort malte er ein Bild von ihr, als Akt, auf einem roten Sofa liegend. Dieses Gemälde befindet sich heute in der Hamburger Kunsthalle und galt nach nationalsozialistischer Auffassung als "Entartete Kunst". Es zählte zu den Gründen, warum die 12. Sezessionsausstellung der Künstlergruppe im März 1933 vorzeitig geschlossen wurde. Vermutlich verliebte sich Ursula in diesen Mann und hoffte, er würde sie in die Künstlergruppe einbeziehen. Kluth war jedoch verheiratet, und als er von der Stadt ein kostenloses Atelier erhielt, zog er um und kümmerte sich nicht mehr um sie.

Vielleicht fühlte sich Ursula zum ersten Mal frei und unabhängig, als sie nach Düsseldorf ging, um zur Probe in einem grafischen Betrieb zu arbeiten. Doch die Anstellung kam nicht zustande. Dadurch geriet sie in finanzielle Not, wurde obdachlos und wegen ihres auffälligen Verhaltens in die Anstalt Grafenberg eingewiesen. Auf Betreiben ihrer Familie wurde sie im Sommer 1932 in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg in Hamburg-Eilbek verlegt, von dort holte sie ihre Mutter nach Hause.

Ursula Westphals eigentlicher Leidensweg begann in der Silvesternacht 1932, als sie nach einem erneuten psychischen Zusammenbruch in die Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) eingewiesen wurde, wo sie elf Jahre blieb.

Am 16. August 1943 kam sie zusammen mit 228 behinderten Frauen und Mädchen in die Wagner-von-Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt "Am Steinhof" nach Wien. Die Begründung lautete, die Anstalt sei durch Fliegerangriffe zerstört. Die Angehörigen wurden von der Verlegung nicht benachrichtigt. Als ihre Mutter sie besuchen wollte, war Ursula plötzlich verschwunden.

Michael Wunder, leitender Mitarbeiter der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, über sie: "Sie [Ursula] galt in Alsterdorf immer als lebenslustig, aber auch als wild und unruhig, was wahrscheinlich auch der Grund ihres Abtransportes war. Sie wog 45 Kilo, als sie in Alsterdorf selektiert wurde. Wenige Monate später heißt es in der Wiener Akte: ‚Liegt im Bett, ängstlich, unrein, zupft Wäsche‘. Ein halbes Jahr später: ‚Ganz pflegebedürftig, spricht nicht, liegt immer unter der Decke, immer ruhig.‘ Kurz vor ihrem Tod wird eingetragen: ‚reagiert nicht auf Ansprache. Gewicht 33 Kilo.‘"

Die Tötungsmethode der Wiener Anstalt bestand in einer raschen Entkräftung durch Unterernährung, gezielte Unterkühlung und Verabreichung von Medikamenten wie z. B. Luminal, das die Bronchien angreift. Ursula starb am 5. Mai 1944, als Todesursache wurde eine Lungenentzündung angegeben.

Durch die Bemühungen ihrer Mutter konnte Ursulas Urne im Familiengrab der Großeltern, auf dem Friedhof in Bergedorf, beigesetzt werden. Dort wurde am 8. Mai 2001 auf Initiative von Roswitha Klau-Westphal und mit Unterstützung der Evangelischen Stiftung Alsterdorf sowie der Geschwister-Scholl-Stiftung, ein Gedenkstein eingeweiht, der an das Schicksal Ursula Westphals erinnert. Das Glas mit ihrem entnommenen Gehirnpräparat wurde bis heute nicht aufgefunden.

Ursulas Vater Otto Westphal hatte nach seiner Ausbildung am Lehrinstitut der RVB, der "Deutschen Dentisten in Berlin", einige Jahre in der Schweiz und Österreich als Assistent und Techniker gearbeitet, bevor er eine eigene zahnärztliche Praxis eröffnete. Er war überzeugter Anthroposoph. Schon vor seiner Teilnahme am Ersten Weltkrieg, im Herbst 1911, hatte er ein "Zentrum" innerhalb der deutschen Sektion der "Theosophischen Gesellschaft" gegründet. Am 12. Juni 1912 wurde dieses "Zentrum" unter dem Namen "Christian-Rosenkreutz-Zweig" eingeweiht.

Der Begründer der Anthroposophie war Rudolf Steiner (geb. 1861, gest. 1925). Dieser entwickelte seine Erkenntnistheorie in der Auseinandersetzung mit Goethes naturwissenschaftlichen Schriften, die er herausbrachte, und weiteren philosophischen Einflüssen seiner Zeit. Die Nationalsozialisten verboten die Anthroposophische Gesellschaft 1935. Otto Westphal traf sich dennoch weiterhin heimlich mit Gleichgesinnten in seiner Wohnung oder in extra dafür angemieteten Räumen. Nach einer anonymen Anzeige wegen "Verstoßes gegen das Heimtücke Gesetz", stand er unter Beobachtung. Zwei als Patienten getarnte Gestapoagenten versuchten, zu den "illegalen" Zusammenkünften eingeladen zu werden.

Am 10. Juli 1944 wurde Otto Westphal wegen verbotener anthroposophischer Betätigung festgenommen und in das Polizeigefängnis Fuhlsbüttel gebracht. Am 12. April 1945, als sich alliierte Truppen der Stadt näherten, wurde das Gefängnis geräumt. Ein Teil der Gefangenen, unter ihnen Otto Westphal, gelangte auf einem Fußmarsch ins "Arbeitserziehungslager Nordmark" in Kiel-Hassee. Zwei Tage vor der Befreiung durch englische Truppen wurde er dort vom Lagerkommandanten aufgrund seines Alters und seiner Erkrankung entlassen. Er kehrte, zum Skelett abgemagert, nach Hamburg zurück.

Der Anthroposoph Otto Westphal starb am 13. April 1946 an den Spätfolgen der unmenschlichen Inhaftierung.

Friederike Westphal, Zahntechnikerin, die den "Christian-Rosenkreutz-Zweig" ihres Mannes, als Kaffeekränzchen getarnt, weitergeführt hatte, verstarb am 4. Dezember 1958.


Stand: August 2018
© Roswitha Klau-Westphal/Susanne Rosendahl

Quellen: StaH 332-5 Standesämter 2055 u 2604/1883; StaH 332-5 Standesämter 1258 u 137/1946; StaH 351-11 AfW 7676 (Westphal, Frieda); StaH 351-11 AfW 6836 (Westphal, Otto); StaH 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 2/1995, 33722; Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf, Patientenakten der Alsterdorfer Anstalten, V214 Ursula Westphal; Roswitha Klau-Westphal, Symposion zur Geschichte der NS-Euthanasie in Wien, gehalten am 30.1.1998; Garbe/Michelsen/Richenberger: Gedenkstätten, S. 15; Wunder/Genkel/Jenner: schiefen Ebene; Kosemund: Spurensuche, S. 40; Bruhns: Kunst, Band 2, S. 235; www.akens.org (Zugriff 16.4.2016); http://www.christian-rosenkreutz-zweig.de/Seiten/Geschichte_f.html (Zugriff 16.4.2016).

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