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Luise Kleimann in der Wohnung Isestraße 8
© Staatsarchiv Hamburg

Luise Kleimann * 1858

Isestraße 8 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
LUISE KLEIMANN
JG. 1858
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
TOT 1.11.1942

Luise Kleimann, geb. 24.9.1858 in Hamburg, am 15.7.1942 deportiert nach Theresienstadt, dort am 1.11.1942 verstorben

Luise Kleimann wohnte mit ihrem Bruder Paul Alexander Kleimann in der Isestraße 8. Von dem ehemaligen Nachbarkind Claus Argenton, dessen Großeltern ein sehr gutes nachbarschaftliches Verhältnis zu den Kleimanns hatten, wissen wir etwas über ihr Leben. 1924 übernahm Claus Argentons Vater mit seiner jungen Familie die Wohnung seiner Eltern.

Der einjährige Claus wurde von den Geschwistern Kleimann wie ein eigenes Familienmitglied aufgenommen. Gab es daheim Kummer, fand er Geborgenheit bei der Nachbarin, die mit ihm sang oder eine Geschichte vorlas. Claus Argenton erinnerte sich, dass sie eine sehr zarte kleine Person war. Im Wohnzimmer stand ein Konzertflügel, da Luise Kleimann ihren Lebensunterhalt als Klavierlehrerin verdiente. Ihr Bruder, dessen Beruf im Adressbuch von 1913 mit "Journalist" angegeben wurde, war für den kleinen Jungen der "Zauberer", denn er er­freute ihn immer wie­der mit kleinen Kunststücken und Tricks.

Noch vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten trennten sich die Wege der beiden Familien. Die Kleimanns zogen aus der herrschaftlichen Wohnung, in der sie auch eine Dienstbotin beschäftigten, in eine kleine Neubauwohnung in einem Laubengang­haus in der Thielengasse in der Jarrestadt. Bald darauf starb Paul Alexander Kleimann und Luise Kleimann lebte allein in der neuen Wohnung. Soweit sich Claus Argenton erinnert, hatte sie ihren Flügel in die neue Wohnung mitnehmen können.

Familie Argenton zog fast zeitgleich nach Braunschweig. Aber wenn sich Claus in den Ferien bei seinen Großeltern in der Rutsch­bahn aufhielt, besuchte er die geliebte "Tante" in der Thielengasse. Auch wenn die Besuche des Jungen mit zunehmendem Alter seltener wurden, riss die Verbindung nicht ab, selbst dann nicht, als Claus der Reiter-HJ beitrat. Im April 1942, bereits zur Wehrmacht eingezogen, musste er Luise Kleimann im Jüdischen Altersheim in der Bogenstraße besuchen, in einem finsteren Zimmer mit wenigen Möbeln, wie er sich erinnerte.

Ein bewegendes Zeugnis über ihre letzte Zeit in Hamburg legen die erhaltenen Firmenakten des "Konsulenten" Ernst Kaufmann ab. Einsamkeit, Hilflosigkeit und Verzweiflung bestimmten den Kontakt Luise Kleimanns zu Dr. Kaufmann. Zunächst ging es im Mai 1941 "nur" um die Abfassung des Testaments der 82-jährigen alten Dame, die keine nahen Angehörigen hatte. Ihren Besitz wollte sie auf zwei Nichten in Dresden und ein Ehepaar, das mit ihr in der Bogenstraße wohnte, verteilen. Die letzten geretteten wertvollen Gegenstände aus der Woh­nung sollte Grethe Bruns bekommen, vielleicht eine frühere Haushaltshilfe. Luise Kleimann wollte eingeäschert und neben ihrem Bruder bestattet werden. Nicht einmal dieser letzte Wunsch sollte ihr erfüllt werden.

Im Laufe des Jahres stellte sich heraus, dass der "Konsulent" mit großem Einfühlungsvermögen alle behördlichen und finanziellen Angelegenheiten für Luise Kleimann regelte. Am 22. Oktober schrieb sie an Ernst Kaufmann: "Lieber Herr Doktor, Sie wissen natürlich, was augenblicklich geschieht, hier aus dem Stift sind Viele betroffen, und jeder zittert, ob der Brief nicht morgen kommt. Meine Nachbarin … machte mich durch ihr exaltiertes Verhalten ganz elend, während ich versuche, den Kopf oben zu behalten, ob es irgendein Mittel gibt, z. B. mein Alter, der Evakuierung zu entgehen? Verzeihen Sie meine Belästigung, ich musste mein Herz erleichtern, und vielleicht wissen Sie Trost und Rat! Ihre Luise Kleimann."

Ganz offensichtlich bezog sich Luise Kleimann auf den "Evakuierungsbefehl" nach Lodz. Ob­wohl in ihrem Stift nur drei Bewohner betroffen waren, muss die Nachricht sich wie ein Lauffeuer verbreitet haben. Fünf Tage später, als der Zug schon abgefahren war, antwortete Ernst Kaufmann: "Liebes Fräulein Kleimann! Infolge der Ereignisse der letzten Tage komme ich erst heute zur Beantwortung Ihrer Anfrage vom 22. ds. Mts. Ich kann nur erwidern, dass nach allem, was ich gehört habe, Sie in Ihrem Alter nichts zu befürchten haben. Behalten Sie daher weiter den Kopf oben und lassen Sie sich nicht durch andere Leute beeinflussen. Wir können alle nichts weiter tun, als in möglichster Ruhe abwarten, was die Zukunft bringt."

Am 8. Dezember hatte Luise Kleimann Schwierigkeiten, ein Formular auszufüllen. "Dieser neuen Qual stehe ich ganz ratlos gegenüber" leitete sie ihre Bitte um Hilfe ein und schloss: "Ich habe keinen Ratgeber außer Ihnen und bin ganz alleine allen Schwierigkeiten ausgeliefert. Bleiben sie bitte so gütig wie bisher."

30 RM Miete wurden im Mai 1942 zum Problem, weil Luise Kleimann lediglich eine Rente von 71,30 RM bezog. Der "Konsulent" übernahm es, für sie die Summe von ihrem Konto, das er verwaltete, an den Jüdischen Religionsverband zu überweisen. Sie hatte so wenig Vermögen, dass keine Sicherheitsanordnung erlassen worden war.

Das letzte Dokument in diesem Aktenbestand ist die Mitteilung, dass Ernst Kaufmann 406 RM für den "Heimeinkaufsvertrag für Gemeinschaftsunterbringung", d. h. für das Getto in Theresienstadt, gezahlt hatte. Das war am 18. Juli 1942. Drei Tage vorher war Luise Kleimann, nun fast 84 Jahre alt, dorthin deportiert worden.

Claus Argenton erfuhr davon erst, als er von Luise Kleimann eine Postkarte aus Theresienstadt erhielt. Da er der Propagandalüge vom Vorzeigegetto glaubte und die Karte natürlich keine Einzelheiten über das Leben in Theresienstadt enthielt, wähnte er sie in Sicherheit.

Die traurige Wahrheit ist, dass Luise Kleimann, alt und gebrechlich, wie sie geschildert wird, den Strapazen im Lager nicht gewachsen war und wie die meisten alten Menschen dort schon nach kurzer Zeit starb.

Ihr Anwalt, Ernst Kaufmann, wurde am 16. Juni 1943 nach Theresienstadt deportiert und von dort am 9. Oktober 1944 in den Tod nach Auschwitz geschickt.

© Christa Fladhammer

Quellen: 1; 3; 5; 8; StaH, 621-1 Firmen, Konsulent Ernst Kaufmann; mündliche Auskunft Claus Argenton, Hamburg, 3.10.2007.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

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