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Bereits verlegte Stolpersteine



Porträt Emanuel Kaletta, 1917
Emanuel Kaletta, 1917
© Privatbesitz Rolf Mico Kaletta

Emanuel Kaletta * 1896

Lindenallee 44 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)


HIER WOHNTE
EMANUEL KALETTA
JG. 1896
VERHAFTET
KZ NEUENGAMME
ERMORDET 24.7.1942

Weitere Stolpersteine in Lindenallee 44:
Jacob (Jakob) Ries

Emanuel Friedrich Karl Kaletta, geb. am 26.12.1896 in Grabow/Lüchow-Dannenberg, gestorben am 24.7.1942 im KZ Neuengamme

Lindenallee 44

Rolf Mico Kaletta, Besitzer der ältesten Schwulensauna Deutschlands, dem Vulkan in Hannover, erfuhr erst sehr spät von der Existenz seines homosexuellen Onkels, über den die Familie jahrzehntelang geschwiegen hatte: "Erst im hohen Alter berichtete meine Mutter von dem Bruder meines früh verstorbenen Vaters Hermann. Sie sagte: ‚Der Emanuel war so wie Du, der gehörte auch zu Eurem Club. Der ist in Hamburg umgekommen. Die Nazis haben ihn geholt.’ Sie hat das Wort homosexuell nicht benutzt. Meine Großeltern hatten ihren Sohn Emanuel verstoßen, er und sein Freund durften ihre Wohnung und ihren Garten nicht betreten. Diese Erzählung meiner Mutter war für mich ein einschneidendes Erlebnis. An diesem Tag nahm ich mir vor, das Schicksal meines Onkels zu erforschen." Seine Großeltern hatten alle Spuren ihres Sohnes vernichtet, leugneten dessen Existenz. Es gab keine Fotos, nicht einmal eine Geburtsurkunde. Lediglich zwei Anschriften Emanuel Kalettas im Adressbuch seines Stiefvaters haben die Zeit überdauert. 2006 entdeckte Rolf Mico Kaletta den Namen seines Onkels auf der Internetseite der Hamburger Initiative "Gemeinsam gegen das Vergessen – Stolpersteine für homosexuelle NS-Opfer" und konnte so ein lange gehütetes Familiengeheimnis lüften. Erst wenige Monate vor Veröffentlichung dieser Biographie fand die Familie auf einem alten Speicher ein Familienalbum mit verloren geglaubten historischen Fotos, auf denen auch Emanuel Kaletta abgebildet ist.

Dieser kam 1896 im Dorf Grabow in Lüchow-Dannenberg zur Welt und war das älteste von vier Kindern (zwei Mädchen und zwei Jungs) des aus Schlesien stammenden katholischen Oberförsters in der Göhrde, Jacob Kaletta, und Anna, geb. Lembke. Die Familie lebte später in Lüneburg. Wenig ist aus dem Leben des 1,83 Meter großen, schlanken und blonden Mannes überliefert. Das lag nicht nur am Auslöschen von Erinnerungsstücken durch die Familie, sondern vor allem an der Vernichtung seiner Hamburger Strafjustiz- und Gefangenenakten. Bekannt ist lediglich, dass er das Handwerk des Konditors oder Bäckers erlernte und am Ersten Weltkrieg teilnahm.

Am 9. April 1930 wurde Emanuel Kaletta unter der Adresse "Hbg. 4, Jägerstraße 29, II. [Stock] bei Meierdicks" und nach einer undatierten Änderung unter der Anschrift "Hamb. Barmbeck, Fuhlsbüttelerstr. Nr. 175" im Adressbuch des Stiefvaters eingetragen. 1939 wohnte er dann in der Eimsbütteler Lindenallee Nr. 44 bei Hansen.

1933 muss Emanuel Kaletta erstmals wegen seiner Homosexualität mit den NS-Verfolgungsorganen in Konflikt geraten sein, die genauen Umstände sind bisher unbekannt. Lediglich eine Karteikarte des Untersuchungsgefängnisses am Holstenglacis belegt seinen dortigen Aufenthalt wegen "Sittenverbr[echens]." vom 2. Oktober 1933 bis zum 27. März 1934. Wo er anschließend seine Strafe verbüßte, wurde nicht notiert. Lediglich durch einen Vermerk der Hamburger Innenverwaltung vom Oktober 1935 über Personen, die nach einem Erlass des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern das Ehrenkreuz des Weltkriegs nicht erhalten durften, erfahren wir etwas mehr: Emanuel Kaletta wurde demnach am 19. Januar 1934 wegen "fortgesetzten Sittenverbrechens und wegen fortgesetzter widernatürlicher Unzucht" zu drei Jahren Gefängnis und zu gleichlangem Ehrverlust verurteilt und daher von der Auszeichnung ausgeschlossen.

Vom 15. bis 23. März 1939 veranlasste das 24. Kriminalkommissariat, das für die Verfolgung homosexuellen Verhaltens zuständig war, seine Einweisung ins KZ Fuhlsbüttel. Eine lange Untersuchungshaft wegen "wid[ernatürlicher]. Unzucht" schloss sich an. Am 22. August 1939 wurde Kaletta wegen dieses "Delikts" zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe verurteilt, die er zunächst ab 9. September 1939 in Hamburg und ab 17. Januar 1940 im Emslandlager Neusustrum absaß. Von dort aus wurde er am 26. Juli 1940 in das hessische Strafgefangenenlager Rodgau (Lager Rollwald, Stammlager II) verlegt.

Am Ende seiner regulären Haftzeit am 13. März 1942 wurde er in das Polizeigefängnis Hamburg-Hütten (Hausnummer 40) überstellt, wo statt seiner Entlassung am 15. April 1942 eine Überstellung ins KZ Neuengamme veranlasst wurde. In Neuengamme erhielt er die Häftlingsnummer 7027. Im Lager überlebte er nur drei Monate bis zum 24. Juli 1942. Als Todesursache wurde stereotyp "Versagen v. Herz u. Kreisl[auf]. b. Magen- u. Darmk[atarrh]" vermerkt, seine Urne wurde auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt.

Emanuel Kalettas Bruder Hermann lebte zu diesem Zeitpunkt in Lüneburg, wo einen Monat vor seinem Tod Ende Juni 1942 sein Neffe Rolf Mico Kaletta zur Welt kam. Dieser musste selbst noch 27 Jahre unter dem von den Nationalsozialisten verschärften § 175 als Schwuler seinen Weg finden und thematisierte 2008 in einem Dokumentar-Theaterstück "Die Kümmerer" im Deutschen Schauspielhaus das Schicksal seines Onkels sowie sein Engagement für die Stolpersteine. Fast zeitgleich mit der Entdeckung der Familienfotos erfuhr Rolf Mico Kaletta von der Friedhofsverwaltung in Ohlsdorf, dass bis heute ein Grabstein für seinen Onkel existiert (Grablage Bp 74-44-19).

© Bernhard Rosenkranz(†) / Ulf Bollmann

Quellen: StaH 213-8 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Verwaltung, Abl. 2, 451 a E 1, 1 d; 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Ablieferungen 13 u. 16; 331-1 I Polizeibehörde I, 205 mit Dank an Sybille Baumbach, Hamburg, für den Quellenhinweis; 332-5, 10716 (Eintrag Nr. 752); Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, G 30 Rodgau Nr. 5; Dank an Rolf Mico Kaletta, Hamburg, für die vielfältige Unterstützung; Dank an Rainer Hoffschildt, Hannover, Christian-Alexander Wäldner, Ronnenberg-Weetzen und Dr. Reimer Möller, KZ-Gedenkstätte Neuengamme für ihre Auskünfte; Rosenkranz/Bollmann/Lorenz, Homosexuellen-Verfolgung, S. 119–121 u. 223.

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