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Hannchen Scholinus (geborene Hartig) * 1897

Heinrich-Barth-Straße 15 (Eimsbüttel, Rotherbaum)

1944 Theresienstadt
ermordet in Auschwitz

Hannchen Scholinus, geb. Hartig, geb. am 9.7.1897 in Hamburg, deportiert am 19.1.1944 nach Theresienstadt, am 15.5.1944 nach Auschwitz, dort ermordet

Heinrich-Barth-Straße 15

Hannchen Scholinus war das dritte von vier Kindern von Philipp Hartig (geb. 1862 in Altona, verst. 1921) und Johanna Hartig, geb. Schwartz (geb. 1866 in Peru, verst. 1936); beide mosaischen (= jüdischen) Glaubens. Sie wurde am 9. Juli 1897 um 12.15 Uhr in der damaligen Wohnung ihrer Eltern in der Seilerstraße 40 in Hamburg geboren. Ihr Vater war im künstlerischen Bereich tätig: So betrieb er Ende des 19. Jahrhunderts eine Annoncen-Expedition und ab der Jahrhundertwende eine "Concert-, Theater- und Künstleragentur" (die Bezeichnung der Agentur wechselte im Laufe ihres Bestehens; sie wurde nach Philipps Tod von seiner Ehefrau Johanna weitergeführt); auch war er wohl als Schriftsteller tätig. Hannchen dürfte mithin in einem künstlerisch geprägten Milieu aufgewachsen sein. Über ihre Geschwister ist bislang nur wenig bekannt: Julius Hartig (geb. 1891) war von Beruf Kontorbote und verstarb 1939 in Berlin; Siegmund Hartig (geb. 1893) wählte 1938 in Berlin den Freitod; Fritz Hartig (geb. 1911) war von Beruf Kaufmann, über seinen weiteren Werdegang ist nichts bekannt.
Die Familie Hartig verzog 1901/02 in die damalige Wilhelminenstraße 40 (heute Hein-Hoyer-Straße). Ab 1913/14 lebte sie in der damaligen Sophienstraße 27 (heute Detlev-Bremer-Straße).

Am 29. April 1922 heiratete Hannchen den evangelischen Kaufmann Carl Wilhelm Eduard Scholinus (geb. 1896). Da dessen Vater, Eduard Theodor Adolf Scholinus, von Beruf Bildhauer war, lernten sich Hannchen und Carl womöglich über ihre Eltern kennen. Am 17. Oktober 1925 gebar Hannchen die gemeinsame Tochter Margot. Da Carl im Sinne der Nürnberger Gesetze "arisch" war und er und Hannchen ihre Tochter evangelisch erzogen, galten sie in dem späteren NS-Deutschland mithin als privilegierte Mischehe.
Die Familie verzog in der nachfolgenden Zeit häufig innerhalb Hamburgs: Bis 1926/27 lebte sie in der Baustraße 32, bis 1932/33 in der Lübeckerstraße 63, danach für kurze Zeit in der Beneckestraße 16, sodann in der Hochallee 25, bis sie 1935/36 schließlich in die Heinrich-Barth-Straße 15 kam.

Per Kindertransport gelangte Margot im August 1939 nach England. "Kindertransport" bezeichnet die organisierte Ausreise von fast 10.000 "nichtarischen" Kindern aus Deutschland bzw. aus Ländern, die vom nationalsozialistischen Regime annektiert waren, zwischen Ende November 1938 und dem 1. September 1939. Den Unterlagen zum Genehmigungsverfahren zur Auswanderung von Margot ist zu entnehmen, dass ursprünglich auch die Auswanderung Hannchens nach England geplant war. So befindet sich in der Akte eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamtes Hamburg für diese zum Zwecke der Auswanderung, datiert vom 17. August 1939. Der Bescheinigung ist zu entnehmen, dass Hannchen über keinerlei Vermögen oder Besitztümer verfügte. Da Großbritannien jedoch bereits wenige Tage später, am 3. September 1939, Deutschland den Krieg erklärte, waren diese Pläne nicht mehr umsetzbar.

Ausweislich der Kultussteuerkarte war Hannchen zumindest 1940 im Jüdischen Gemeinschaftshaus tätig; von wann bis wann die Beschäftigung genau bestand, ist nicht bekannt. Das Gemeinschaftshaus in der Hartungstraße 9–11 beherbergte u. a. ein Theater sowie einen Vortragsraum. Die Vorbesitzer hatten es an eine von jüdischen Honoratioren gegründete GmbH verkauft, die es umbauen ließen und es im Januar 1938 als Gemeinschaftshaus eröffneten. Es sollte als Treffpunkt für alle noch in Hamburg lebenden Juden dienen und Schauplatz für Veranstaltungen des Jüdischen Kulturbundes (Theateraufführungen, Lesungen, Konzerte u. a.) sein. Nachdem der Jüdische Kulturbund in Deutschland durch die Geheime Staatspolizei am 11. September 1941 liquidiert wurde, wurde das Gemeinschaftshaus bereits wenige Wochen später als Proviant- und Versorgungsstelle für jetzt einsetzende Deportationen umfunktioniert bzw. diente auch einmal als Sammelstelle für einen Transport. Welcher Beschäftigung Hannchen in dem Gemeinschaftshaus nachging, ist nicht bekannt. Sie dürfte jedoch eher im Hintergrund stattgefunden haben, da Hannchens Name weder in Programmheften oder Prospekten des Gemeinschaftshauses (in welchen ein Teil der dort Beschäftigten vorgestellt wurde) noch in der Literatur zum Jüdischen Kulturbund bzw. dem Gemeinschaftshaus auftaucht.

Mit größter Wahrscheinlichkeit verstarb ihr Ehemann Carl Ende des Jahres 1943 bzw. Anfang 1944. Am 19. Januar 1944 wurde Hannchen mit dem Transport VI/9, č. 52 nach Theresienstadt deportiert. Der Status einer jüdischen Ehefrau in einer privilegierten Mischehe hatte sie zuvor vor dem Schicksal der Deportation bewahrt. Wann und unter welchen Umständen Carl verstorben ist, konnte jedoch nicht geklärt werden.
Von Theresienstadt wurde Hannchen Scholinus am 15. Mai 1944 mit dem Transport Dz, č. 2261 nach Auschwitz verbracht, wo sie zu einem unbekannten Zeitpunkt – vermutlich bald nach der Ankunft - ermordet wurde.

Hannchens und Carls Tochter Margot (später Margot Luke) emigrierte im Dezember 1948 nach Australien. Hier studierte sie und erhielt 1967 von der Melbourne University den Titel Bachelor of Arts (in welchem Fach konnte bislang nicht in Erfahrung gebracht werden). Pläne, an der University of Western Australia auch den Master in dem Fach Deutsch zu erwerben, verwirklichte sie jedoch nicht, sondern brach die Arbeit 1979 ab. Sie war sodann unter anderem als Kritikerin und von 1976 bis 1985 als Dozentin für das Fach Deutsch an der Western University of Australia tätig. Am 22. Juni 2005 verstarb sie in Shenton Park in Western Australia.

© Claudia Bühring

Quellen: StaHH 314-15, FVg 2180, Scholinus, Margot; StaHH 332-5, 2411, Geburten Standesamt 22 Hamburg, Nr. 1956, Carl Scholinus; StaHH 332-5, 2431, Geburten Standesamt 2 Hamburg, Nr. 2335, Hannchen Hartig; StaHH 332-5, 3433, Heiraten Standesamt 2a Hamburg, Nr. 340, Carl Scholinus + Hannchen Hartig; StaHH 522-1, 992b, Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde zu Hamburg; IGDJ 09-032, Jüdisches Gemeinschaftshaus; Hamburger Adressbücher (HAB) 1898–1943; Gauch, Richard/Schleip, Torsten, Er war doch nur ein neunjähriger Junge, Hans Richard Levy, Kindertransporte nach England 1938/1939, Leipzig 2010, S. 36; Meyer, Beate: Fragwürdiger Schutz – Mischehen in Hamburg (1922–1945), in: Meyer, Beate (Hg.), Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933–1945, Geschichte. Zeugnis. Erinnerung, Hamburg 2006, S. 79–88; Müller-Wesemann, Barbara, "Mit der Freude zieht der Schmerz treulich durch die Zeiten". Die jüdische Kulturgeschichte des Hauses Hartungstraße 9–11, in: Herzig, Arno (Hg.), Die Juden in Hamburg 1590 bis 1990. Wissenschaftliche Beiträge der Universität Hamburg zur Ausstellung "Vierhundert Jahre Juden in Hamburg", Hamburg 1991, S. 323–332; Wexberg-Kubisch, Anna, Vergiss nie, dass du ein jüdisches Kind bist. Der Kindertransport nach England 1938/39, Wien 2013, S. 40; AJR Special Interest Section: Kindertransport Newsletter January 2006 (Suchanzeige einer Miriam Honig, geb. Marion Friedlander, nach Margot Scholinus, http://www.ajr.org.uk/documents/ktjan06.pdf (Zugriff 31.3.2014); holocaust.cz, Eintrag Hannchen Scholinus, http://109.123.214.108/de/victims/PERSON.ITI.626692 (Zugriff 31.3.2014); http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/directory.html.de?result#frmResults (Zugriff 31.3.2014); Ingolf Goritz, Straßenverzeichnis (zur früheren Bezeichnung von Straßen in Hamburg), http://www.20359hamburg.de/strassenverzeichnis/ausgabe.php?#[0einleitung] (Zugriff 31.3.2014); Telegraph Media Group, Telegraph Announcements – Deaths – Luke (Todesanzeige von Margot Luke, geb. Scholinus), http://announcements.telegraph.co.uk/deaths/23527/luke (Zugriff 31.3.2014); E-Mail von Maria Carvalho im Auftrag der University of Western Australia vom 14.3.2014.

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