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Bereits verlegte Stolpersteine



Julius Pincoffs * 1860

Grindelhof 19 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
JULIUS PINCOFFS
JG. 1860
DEPORTIERT 1942
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Weitere Stolpersteine in Grindelhof 19:
Emma Pincoffs, Helene Pincoffs

Julius Pincoffs, geb. am 20.7.1860 in Stargard/Saatzig/Pommern, deportiert am 11.7.1942 nach Auschwitz, dort ermordet
Helene Pincoffs, geb. Kaphan, geb. am 1.10.1870 in Miloslaw/Wreschen/Posen, deportiert am 11.7.1942 nach Auschwitz, dort ermordet
Emma Pincoffs, geb. am 18.1.1878 in Stargard/Saatzig/Pommern, deportiert am 11.7.1942 nach Auschwitz, dort ermordet

Grindelhof 19

Julius Pincoffs, Sohn von Louis Levy Pincoffs und dessen Frau Eva, geborene Ephraim, besuchte die protestantische Gelehrtenschule, das Grönningsche Gymnasium, in Stargard/Pommern. Über seine weitere berufliche Ausbildung ist nichts bekannt. Vermutlich kam er als 30-Jähriger nach Hamburg. Auf jeden Fall trat er 1890 erstmalig in Hamburg in Erscheinung. Er heiratete die aus Posen stammende Helene Kaphan; am 18. Dezember 1891 wurde die Tochter Margarethe Selma Laura geboren. Zunächst wohnte die junge Familie in der Bismarckstraße 31 (1891 bis 1893), später in der Rutschbahn 11 (1894 bis 1900).

Am 1. April 1890 gründete Julius Pincoffs gemeinsam mit Ernst Moritz die Offene Handelsgesellschaft Moritz & Pincoffs, eine Im- und Export-Firma, die überseeisches Getreide und Futtermittel importierte und Industrieerzeugnisse nach Südafrika, Ostasien und Australien exportierte. In den ersten Jahren wechselte die Firma in der Hamburger Innenstadt häufig ihren Standort, wie aus den Adressbüchern ersichtlich ist: 1891 Alte Gröningerstraße 13, 1892 Große Bäckerstraße 26, 1893–95 Rathausstraße 14, 1896–98 Schauenburgerstraße 11, 1899–1904 Neuer Wall 61, 1905–10 Große Reichenstraße 49/51. Ab 1911 etablierte sie sich in einem renommierten Geschäftshaus, dem Streit’s Hof, Königstraße 14/16 (heute Poststraße), in dem sie bis 1934 ansässig war. Am 13. Januar 1899 erwarb Julius Pincoffs das Hamburger Bürgerrecht.

Unter der Leitung von Ernst Moritz und Julius Pincoffs entwickelte sich die Firma zu einem erfolgreichen Unternehmen, sodass Pincoffs für sich und seine Familie 1901 eine 6-Zimmer-Wohnung im Grindelhof 19, II. Stock, mieten konnte. In dieser Wohnung lebte er bis 1934 zusammen mit seiner Frau Helene, der Tochter Margarethe und seiner 18 Jahre jüngeren Stiefschwester Emma. Letztere war die Tochter aus der zweiten Ehe des Vaters in Stargard mit Henriette Pincoffs, geborene Philipp. Wann Emma ihrem Stiefbruder nach Hamburg gefolgt war, ist unbekannt. Zur Bewirtschaftung der Wohnung beschäftigte Julius Pincoffs eine Hausangestellte. Jedes Jahr trat er mit Frau und Schwester eine Erholungsreise an, oft in den Schwarzwald oder nach Österreich. In den 1920er-Jahren nahmen Pincoffs gelegentlich auch den Enkel Hans mit auf die Reise.

Die Tochter der Pincoffs, Margarethe, heiratete am 22. August 1912 in Hamburg den in Breslau geborenen Kaufmann Richard Theodor Zickel. Aus dieser Ehe ging der Sohn Hans hervor, geboren am 29. November 1916 in Berlin. Familie Zickel lebte zunächst in Berlin und kehrte 1921 nach Hamburg zurück, wo sie in der Oderfelderstraße 15 wohnte. Hans besuchte von 1923 bis 1927 die Bertramsche Privatschule in der Esplanade und anschliepend von 1927 bis 1933 die Heinrich-Hertz-Schule bis zur Obersekunda. Er wollte Nationalökonomie studieren, ging aber vor dem angestrebten Abitur von der Schule ab. Wie er später in seinem Wiedergutmachungsantrag schrieb: "Es wurde unter dem Hitler-Regime sehr bald klar, dass es für einen Juden unmöglich wurde, eine Universitäts-Karriere einzuschlagen, und um keine nutzlose Zeit zu verlieren, entschloss ich mich bereits im April 1933 die Schule aufzugeben." Stattdessen absolvierte er von April 1933 bis März 1936 eine kaufmännische Lehre in der Firma seines Großvaters, bevor er im März 1936 – ein Jahr nach dem frühen Tod seiner Mutter Margarethe am 21. März 1935 – nach Südafrika ausreiste. Dort holte er sein Abitur sowie das angestrebte Studium nach und war später als Wirtschaftsprüfer tätig.

In der Firma Moritz & Pincoffs arbeitete neben zwei Angestellten auch Emma Pincoffs, Julius’ Stiefschwester, die 1934/35 Procura erhielt. Die Firma litt erheblich unter dem Boykott jüdischer Geschäfte und Unternehmen ab April 1933, insbesondere war der Export betroffen. Als Folge davon schied der Mitinhaber Ernst Moritz 1934 aus. 1935 traten Helene und Emma Pincoffs als Gesellschafterinnen in die Firma ein.

Am 20. Dezember 1940 schloss Pincoffs, um den Betrieb zu retten, einen Übernahmevertrag mit Robert Barthmann, wohnhaft Werderstraße 8, vermutlich ein Geschäftsfreund von ihm. Dieser Vertrag wurde vom Hamburger Reichsstatthalter Karl Kaufmann nicht genehmigt. Stattdessen musste Julius Pincoffs am 31. Oktober 1941 im Rahmen der "Arisierung" zwangsweise einen Vertrag mit dem Kaufmann Walter Burose schließen, der im Januar 1942 rechtskräftig wurde. Warum die Firma erst so spät "arisiert" wurde, wo doch die generelle "Arisierung" jüdischer Unternehmen im Herbst 1938 begann und mit Kriegsbeginn 1939 so gut wie abgeschlossen war, ist unbekannt. Eine Verzögerung mag durch die totale Beschränkung der Exportgeschäfte zustande gekommen sein: So hieß es in einem Vermerk im Prüfungsbericht des Unternehmens vom 10. Oktober 1939, "[Es] ist anzunehmen, dass sich im Augenblick keine arische Firma finden würde, die die Fa. Moritz & Pincoffs übernimmt."

Julius Pincoffs hatte trotz der zunehmend schwierigen Lage für Jüdinnen und Juden keine Auswanderungsabsichten. Wie er im November 1938 mitteilte, kam es für ihn vor allem wegen seines hohen Alters – er war inzwischen 78 Jahre – nicht in Betracht, Deutschland zu verlassen. Pincoffs lebten von 1935 bis 1939 in einer kleineren Wohnung am Hallerplatz 1 (3 Zimmer), und zogen dann in den Mittelweg 31 (1940/41). Die Firmenräume im Streitshaus hatte Julius Pincoffs 1934 räumen müssen, sodass er die ihm noch möglichen Geschäfte von seinen Privaträumen aus abwickelte.

Für den ehemals gutbürgerlich lebenden Julius Pincoffs mit Frau und Schwester wurde die Lebenssituation zunehmend schwieriger. 1939 bat er seinen Schwiegersohn Richard Zickel, der gerade nach Amerika ausgewandert war, um Geld. So fragte Alfred Kriegel, dem Zickel die Generalvollmacht für sein zurückgebliebenes Vermögen gegeben hatte, beim Hamburger Oberfinanzpräsidenten nach, ob Julius, Emma und Helene jeweils 1000 Reichsmark (RM) zum Lebensunterhalt ausgezahlt werden dürften. Er bekam die Erlaubnis. Auch 1940 erreichte es Alfred Kriegel erneut, Julius Pincoffs 500 RM aus dem Zickel-Vermögen zukommen zu lassen.

Die letzte Adresse der Pincoffs war Agathenstraße 3, ein "Judenhaus", in dem das betagte Ehepaar – Julius Pincoffs war mittlerweile 81, Helene 71 Jahre alt – vermutlich sehr beengt die letzten Monate vor ihrer Deportation 1942 verlebten. Nach den Richtlinien des Reichssicherheitshauptamtes hätten sie in das "Altersgetto" Theresienstadt deportiert werden müssen. Doch das beachtete die Hamburger Gestapo nicht und teilte sie dem Transport ins Vernichtungslager Auschwitz zu, wo sie sofort nach der Ankunft ermordet wurden.

Stand: Juli 2017
© Ute Harms

Quellen: 1; 2; 5; StaH 314-15 Oberfinanzpräsident R 1938/3443; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 41285; StaH Bürger-Register 1899–1905; StaH 332-5 Standesämter 9073 u. 3116; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden Nr. 992e 2 Bd. 4 Transport nach Auschwitz am 11. Juli 1942; Hamburger Adressbücher 1891–1942; Bajohr: "Arisierung".
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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