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Bereits verlegte Stolpersteine



Recha Nathan * 1887

Brahmsallee 16 (Eimsbüttel, Harvestehude)

1941 Lodz
ermordet 08.02.1942

Weitere Stolpersteine in Brahmsallee 16:
Charlotte Bravo, Ruth Isaak, Hanna Isaak, Michael Isaak, Pauline Isaak, Daniel Isaak, Betty Jacobson, Helene Rabi, Max Warisch

Recha Nathan, geb. am 21.1.1887 in Hamburg, am 25.10.1941 deportiert nach Lodz, am 7. oder 8.2.1942 dort gestorben

Brahmsallee 16

Recha Nathan lebte in Hamburg zusammen mit ihrer ebenfalls unverheirateten älteren Schwester Martha, geb. am 18.10.1884, in der Hoheluftchaussee 115, später in der Wrangelstraße 27. Die Eltern der beiden Schwestern, der Fleischer Anton Nathan, geb. 29.6.1860, und Bianca, geb. Michelsen, wohnten in der Parkallee und waren Mitglieder der Jüdischen Gemeinde. 1935 schied Anton Nathan aus der Gemeinde aus durch "Fortzug an unbekannten Ort". Er war in Wiesbaden gemeldet und starb am 1.8.1939 in Frankfurt am Main (Mitteilung von Beate Meyer nach: Bundesarchiv Residentenliste).

Die Tochter Martha wurde Lehrerin, ab 1. April 1906 im Hamburger Volksschuldienst, ab 1909 fest angestellt in der Schule Altonaer Straße 58 und ab 1923 in der Schule Laeisz Straße 12, bis ihr als Jüdin Anfang 1933 die Arbeit in ihrem Beruf verboten wurde. Auch Recha Nathan wird auf ihrer Kultussteuerkarteikarte als Lehrerin bezeichnet. Im Hamburger Lehrerverzeichnis taucht sie jedoch nicht auf. Laut Auskunft ihrer Schwester Martha war sie seit 1928 krank und erwerbsunfähig. Beide waren ab 1933 ohne jegliche Einkunft und müssen kärglich gelebt haben. 1936 verstarb Martha. Recha erhielt Fürsorgeunterstützung durch die Jüdische Gemeinde. Sie zog als Untermieterin in die Brahmsallee 16. Dort lebte schon seit Jahren die Familie Isaak; 1940 weist das Adressbuch weitere drei alleinstehende jüdische Frauen aus. Anders als die übrigen jüdischen Bewohner des großen Hauses erhielt Recha Nathan die Aufforderung, sich am 24. Oktober 1941 zur Aussiedlung an der Moorweidenstraße 36 einzufinden. Unerfindlich bleibt, warum auf die 1034 Namen zählende Transportliste der ersten Hamburger Massendeportation ausgerechnet der ihrige geraten war. Mitnehmen durfte jede Person 100 Reichsmark, einen 50 Kilo schweren Koffer, Bettzeug mit Decke und Verpflegung für mehrere Tage. Sammelplatz war die ehemalige Provinzialloge für Niedersachsen. Im dortigen Luftschutzkeller wurden die Ankommenden registriert, nach der Gepäckkontrolle erhielten sie Stempel in ihre Ausweispapiere. Für die Nacht hatte der Religionsverband Doppelstockbetten aufstellen lassen. Helfer und Helferinnen aus der Gemeinde kümmerten sich um die Verpflegung und medizinische Versorgung der Ausreisenden. Betroffene berichteten später, wie brutal manche der Gestapobeamten mit den Aussiedlern verfuhren.

Am Morgen des 26. Oktober 1941 fuhr der Zug vom Hannoverschen Bahnhof ab und kam am nächsten Tag auf dem Weg über Lüneburg, Stendal, Berlin, Bentschen, Posen, Kutno auf dem Bahnhof Radegast in Lodz an. Die Ankommenden versanken beim Aussteigen fast im Schlamm der öden Herbstlandschaft. Schon das nahm ihnen die Hoffnung auf eine erträgliche Zukunft. Lodz, mit 700.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt des einstigen Polen, lag in dem von den Deutschen annektierten "Reichsland Warthegau". Der als Reichsstatthalter und Gauleiter eingesetzte Arthur Greiser verfolgte den ehrgeizigen Plan, ein "germanisches Musterland" zu schaffen. Alle Juden der Stadt – über 30 Prozent ihrer Bevölkerung – mussten aus ihren zum Teil vornehmen Häusern in das verkommene Sanierungsviertel Baluty umziehen. Am 20. April 1940 wurde dieser Stadtteil als Getto abgesperrt und darin eine Produktionsstätte für kriegswichtige Artikel eingerichtet. Die Arbeitseinteilung sowie alle Verwaltungsbereiche des Gettos oblagen jüdischer Selbstverwaltung. Als Ältester des Judenrats wurde Chaim Rumkowski eingesetzt. Er hatte die schwere Aufgabe einer rigorosen Mangelbewirtschaftung. In das ohnehin überfüllte Getto strömten nun zusätzlich 23.000 Juden aus verschiedenen Städten des "Altreichs". Für die ortsansässigen, selbst so schrecklich diskriminierten polnischen Juden waren "die Deutschen" Fremde. Deutsch war nun auch der neue Name der Stadt. Seit Mai 1940 hieß sie offiziell "Litzmannstadt" nach dem deutschen General, der Lodz im Ersten Weltkrieg erobert hatte. Die deutschen jüdischen Ankömmlinge fühlten sich hier erst recht fremd. Zunächst mussten sie auf dem nackten Boden eines geschlossenen Schulhauses nächtigen, bis die Gettobehörde ihnen eine primitive Wohnung zuwies, in der es weder fließendes Wasser noch Heizung gab. Recha Nathan bekam einen Wohnplatz in der U-Straße 2 zugewiesen. Eine Arbeit wurde ihr nicht zugeteilt. Da sie schon früher kränklich gewesen war, wird nach den Strapazen des Transports und bei der misslichen Unterkunft nicht mehr viel Lebenskraft in ihr gewesen sein. Der Kalorienwert der zugeteilten Ernährung lag unter dem Existenzminimum, zum Beispiel wurde einmal die tägliche Brotration von 33 Gramm auf 28 Gramm reduziert. Hinzu kam die ungenügende Hygiene. Viele Menschen starben an Hunger, Schwäche oder Seuchen. Aber nicht nur diese Todesart bedrohte die Juden von "Litzmannstadt". Sie mussten ihre Weiterdeportation befürchten. Reichsstatthalter Greiser erwarb sich unter Nationalsozialisten traurigen Ruhm damit, dass er in dem nahen Ort Chelmno (Kulmhof) Gaswagen zur Vernichtung von 9035 Juden in Gang setzte. Eine vom Judenrat gebildete "Aussiedlungskommission" traf die Auswahl der zu Deportierenden. Die erste Vernichtungswelle lief vom 16. bis 29. Januar 1942, die zweite vom 22. Februar bis 2. April 1942. Zahlreiche Gesuche um Zurückstellung wurden meist ignoriert. Recha Nathan verfasste kein solches Gesuch. Ihr Herz hielt dem Elend nicht mehr stand. Sie starb zwischen den beiden Mordaktionen am 2. Februar 1942 im Spital an "Myocarditis chr."

Stand: September 2016
© Inge Grolle

Quellen: 1; 4; 5; Gottwald/Schulle, "Judendeportationen", S. 76; Meyer (Hrsg.), Verfolgung, S. 58f.; Bundesarchiv Gedenkbuch; Peter Landé, Lodz Hospital, der Hamburger Gesellschaft für jüdische Genealogie zur Verfügung gestellt, 2009, USHMM Washington, bearbeitet von Margot Löhr; Löw, Juden; Eichengreen, Von Asche zum Leben.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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