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Rose Gertrud Markiel * 1888

Rothenbaumchaussee 229 (Eimsbüttel, Harvestehude)

1941 Lodz
1942 Chelmno ermordet

Rose Gertrud Markiel, geb. am 29.8.1888 in Hamburg, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert, am 10.5.1942 im Vernichtungslager Chelmno ermordet

Rothenbaumchaussee 229

Ein aufmerksamer, neugieriger Junge sah im Oktober 1941 in dem Gang zwischen seinem Wohnhaus und dem Nachbarhaus in der Rothenbaumchaussee eine unauffällige Nachbarin mit einem Koffer. Sie stand vor ihrer Kellerwohnung. Er fragte sie, ob sie verreisen wolle, und sie erklärte dem Jungen, sie werde umgesiedelt. Die Bedeutung dieses Satzes erschloss sich ihm erst sehr viele Jahre später.

Wer war diese Frau?

Rose Gertrud Markiel war am 28.9.1888 in Hamburg geboren worden. Nach ihrer eigenen Schulzeit, über die uns nichts bekannt ist, besuchte sie vom 1. April 1905 bis zum 7. Februar 1908 das Lehrerinnen-Seminar der Unterrichtsanstalt des Klosters St. Johannis zu Hamburg, eine halbstaatliche Einrichtung. Von den sechsundzwanzig Schülerinnen des Seminars ihres Jahrgangs waren eine Person katholisch, zwei jüdisch, die anderen evangelisch. Rose Markiel legte Lehrproben, schriftliche Prüfungsarbeiten und eine mündliche Prüfung in zweiundzwanzig Fächern ab (ohne evangelische Religion), erzielte gute Resultate und erhielt damit die Lehrbefähigung für untere und mittlere Klassen der Volksschule.

Am 15. Juni 1909 trat sie in den Hamburger Schuldienst ein. Zu dieser Zeit waren Volksschullehrerinnen nicht besonders angesehen, der Unterricht verlief schematisiert, die Lehrkräfte waren streng an Vorgaben gebunden und die Frauen durften nicht heiraten.
An den Elementarschulen war christlicher Religionsunterricht obligatorisch. Jüdische Lehrkräften war es erschwert, eine feste Stelle im Schuldienst zu erhalten. So arbeitete Rose Markiel in ungesicherter Position bis nach dem Ersten Weltkrieg.

In Hamburg beschloss eine neu gewählte Bürgerschaft im Jahr 1919 ein Gesetz über die Einheitsschule. Die wichtigsten Entscheidungen betrafen die Einführung der 4-jährigen Grundschule, die Beseitigung der autoritativen Schulleitung, die Selbstverwaltung der Schulen und die Mitbeteiligung der Elternschaft. Am 1. April 1920 wurde Rose Markiel als Lehrerin fest angestellt. Sie trat der "Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens" bei, die eine Verbesserung der materiellen Versorgung und der Rechte der Lehrkräfte anstrebte und sich für die Fortbildung der Mitglieder einsetzte.
Rose Markiel lehrte von 1920-1921 an der Volksschule Bachstraße 94 und wechselte dann zur Volksschule in der Humboldtstraße 30a.

Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung wurde sie auf Grund des am 7. April 1933 in Kraft getretenen "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums " ab Juni 1933 aus dem hamburgischen Staatsdienst entlassen. Sie erhielt nur eine geringfügige Pension.

Wohl auch deshalb gab sie ihre Wohnung in der Alsterdorferstr. 110 auf und bezog in der Rothenbaumchaussee 229 die erwähnte Kellerwohnung. Ob sie über eine Auswanderung nachdachte, ist uns nicht bekannt.

Nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 verschärfte sich die Lage der jüdischen Bevölkerung nochmals deutlich. Beispielsweise durften sie ihre Lebensmittel sie nur noch in besonderen Geschäften einkaufen, ein Ausgehverbot nach 8 Uhr abends wurde erlassen, der Besitz von Rundfunkgeräten wurde verboten und Juden, die irgendeiner Anweisung nicht sofort nachkamen, konnten sofort verhaftet und in ein Konzentrationslager verschleppt werden. Die Maßnahmen gipfelten ab Oktober 1941 in den Deportationen, euphemistisch als "Umsiedlung" der jüdischen Bevölkerung bezeichnet.

Mitte Oktober erhielten mehr als 1030 jüdische Einwohnerinnen und Einwohner Hamburgs einen Einschreibebrief, in dem ihnen mitgeteilt wurde, dass sie sich einen Tag vor ihrer "Evakuierung nach Litzmannstadt" in der Provinzialloge für Niedersachsen, Moorweidenstraße, einfinden sollten. Ihr Vermögen wurde eingezogen und die Wohnungsschlüssel mussten bei der Polizei abgegeben werden. Lediglich 50 kg Gepäck und ein niedriger Geldbetrag durften mitgenommen werden. Rose Gertrud Markiel war eine der Betroffenen. Am 25. Oktober 1941 (einen Tag, nachdem der Junge sie mit ihrem Koffer gesehen hatte) erfolgte ihr Abtransport mit dem Lastauto zum Hannoverschen Bahnhof in Hamburg, von wo aus der Zug planmäßig um 10.10 Uhr Richtung Osten abfuhr.

Am Ziel der Deportation, dem Getto in Lodz (nach der deutschen Besetzung umbenannt in "Litzmannstadt") wurden die Neuankömmlinge in beengte Sammelunterkünfte eingewiesen. Möbel oder Betten gab es nicht, auch kein fließendes Wasser, funktionierende sanitäre Anlagen waren rar, die Lebensmittelzuteilung ungenügend. Rose Markiel wurde in die Hohensteiner Straße 49 einquartiert.

Etwa ein halbes Jahr später, am 10. Mai 1942, erhielt sie den "Aussiedlungsbefehl" in das 60 km entfernte Vernichtungslager Chelmno. Die dorthin Verschleppten wurden umgehend in Lastwagen getrieben und mit Autoabgasen ermordet.

Rose Gertrud Markiel wurde auf den 8.Mai 1945 (Kapitulation Deutschlands) offiziell für tot erklärt.

Was wissen wir über Rose Gertrud Markiels Familie?

Ihr Vater, Josel Moses Markel (geb. 16.3.1852, gest. 18. Februar 1937 in Hamburg), war 1873 mit seinen Eltern und Geschwistern aus seinem Geburtsort Wierzbolow, heute Litauen, nach Hamburg übergesiedelt. Von seinem 14. Lebensjahr an hatte Josel die Gelehrtenschule des Johanneums besucht, dort sein Abitur bestanden und ein Medizinstudium in Würzburg und Freiburg angeschlossen. 1880 wurde er promoviert. Zurück in Hamburg, bat er um Aufnahme in den Hamburgischen Staatsverband und wurde dann mit offiziell in "Markiel" geändertem Namen in die Liste der in Hamburg zugelassenen Ärzte aufgenommen. Er arbeitete als Armenarzt, Wundarzt (Chirurg) und Geburtshelfer.

Am 21. November 1887 heirateten Josel Markiel und die aus Fulda stammende Flora Hesdoerffer (geb. 30.5.1875 in Fulda, gest. 19.12.1921 in Hamburg) und bekamen zwei Kinder. Nach der erstgeborenen Rose Gertrud kam am 9.9.1891 Helene Dobra zur Welt. Der Lebens- und Arbeitsmittelpunkt der Familie war die Wexstraße 2, bis sie um 1905 in eine Wohnung mit Praxis in der Schlüterstraße 74 umzogen.

1914 heiratete Helene Dobra den Physiker Paul Hertz (geb. 29.7.1881), der u.a. mit Albert Einstein in Kontakt stand. Sie zogen nach Göttingen, Paul Hertz lehrte an der Universität Göttingen. Das Paar bekam drei Kinder. Helene Dobra studierte von 1927-1931 an der Universität von Göttingen Pädagogik, Psychologie und Nationalökonomie , wurde 1932 promoviert und arbeitete in Göttingen als Fürsorgerin.

Durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten verloren sie und ihr Ehemann ihre Anstellungen. Mit Hilfe eines bescheidenen Auslandsstipendiums konnte die Familie Hertz kurze Zeit in Genf, später dann in Prag leben. Sie erhielten 1938 ein Visum in die USA und konnten mit ihren drei Kindern (Hans Georg, geb. 8.8.1915, Rudolf Heinrich, geb. 4.2.1917, Elisabeth Flora, geb. 21.8.1924) dorthin fliehen. Paul Hertz starb bereits 1940. Helene Hertz konnte erst 1948 nach einer in den USA anerkannten Ausbildung zur Sozialarbeiterin beruflich wieder Fuß fassen.

Die Kinder von Helene und Paul Hertz studierten in den USA studiert und arbeiteten erfolgreich in ihren Berufen: Hans, der Astronom, arbeitete für die NASA. Rudolf, 1941 zur Armee eingezogen, nahm teil an der Befreiung von Paris, seiner Geburtsstadt Göttingen und des Konzentrationslagers Buchenwald. Er studierte und wurde später Direktor der Merchants Bank von New York. Elisabeth (verheiratete Freed) wurde Forschungschemikerin.
Helene Dobra Hertz starb im April 1971 im Alter von 79 Jahren in Pennsylvania.

Auch zwei Brüder Josel Markiels, Gerson und Jacob, verließen Hamburg und lebten in den USA.
Der weitere Bruder Meier Markel, verheiratet mit Jenny Goldschmidt, arbeitete bis zu seinem Tod im Jahr 1929 im väterlichen Geschäft, das seine Tochter Johanna (geb. 1901 in Hamburg) als Geschäftsführerin bis zur Auflösung im Jahr 1938 weiterführte.
Johanna konnte in die USA fliehen, erlitt jedoch Jahr 1945 ein Nervenleiden. Sie lebte bis zu ihrem Tod im Jahr 1972 in der Obhut einer Klinik.

Meier Markels Witwe Jenny zog 1938 nach Berlin in ein jüdisches Altersheim. Von dort wurde sie 1942 im Alter von 70 Jahren zuerst nach Theresienstadt und im September 1942 in das Vernichtungslager Treblinka deportiert. Ihre Tochter Agnes, die als Lehrerin in Berlin gearbeitet hatte, wurde im März 1943 nach Auschwitz verschleppt.

Roses Mutter Flora, geb. Hesdörffer, hatte vier Brüder: Benedict, Emil, Julius und Isidor.
Auch aus diesem Familienzweig gab es Opfer des Holocaust:
Fleury, die Tochter von Julius wurde 1942 in das Konzentrationslager Majdanek deportiert.
Carl Hesdörffer, ein weiteres Familienmitglied, verdanken wir eine Stammtafel und Chronik der Familie Hesdörffer, die in der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel hinterlegt ist. Carl Hesdörffer floh 1939 von Köln aus nach Holland und wurde dort im März 1943 in das Vernichtungslager Sobibor deportiert. Ihm verdanken wir die folgende Beschreibung von Flora Markiel, geb. Hesdörffer, Roses Mutter: "… wie die Mutter eine vollendete Schönheit und glich ihr in allen Tugenden genau."

An Rose Gabriele Markiel erinnert ein Stolperstein vor dem Haus Rothenbaumchaussee 229.


Stand: Januar 2018
© Susan Johannsen/Christina Igla

Quellen: 1; 5; 8; 9; Brief von Herrn Leser an das IGdJ, 2017; StaH: Senatskanzlei; Korrespondenz ehemaliger jüdischer Mitbürger im Ausland:131-1II_3456; Landgericht Hamburg Wiedergutmachung:213-13_85; Personenstandsunterlagen: 332-5_8144/91/1937; 332-5_7014/1223/1921; Staatsangehörigkeitsaufsicht: 332-7 B III/16378, 332-7_B III 14118 (1880); Amt für Wiedergutmachung: 351-11_13326, 351-11_25150, 351-11_46695; Oberschulbehörde: 361-2V_488g3d Band 2; Heiratsregister Mainz Nr.493/1887 Band 2, Hamburger Adressbücher –online- 1892–1941; www.newsday.com/long-island/obituaries; YV viewer 10631453_0327183: Geschichte und Stammtafeln der Familien Hesdörffer und Hess; www.ancestry.de – Registerbücher aus dem Ghetto Lodz 1939–44 USH MM (eingesehen am 16.7.2017); Stoll/Kurtzweil: Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens in Hamburg 1905–1930, Hamburg 1930; Oberschulbehörde HH (Hrsg): Das HH Schulwesen 1914–1924, Hamburg 1925; Meyer, Beate: Deutsche Jüdinnen und Juden in Ghettos und Lagern (1941–1945), Hamburg 2017; Kaplan, Marion: Jüdisches Bürgertum, Hamburg, 1997; Hamburgisches Lehrerverzeichnis, Hamburg (1920–1963); Walk, Joseph: Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat, Heidelberg 2013.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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