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Bereits verlegte Stolpersteine



Ella Marvanykö (geborene Italiener) * 1899

Martin-Luther-Straße 25 (Hamburg-Mitte, Neustadt)

1941 Riga
ermordet

Weitere Stolpersteine in Martin-Luther-Straße 25:
Ilonka Rebecca Marvanykö, Mariza Eva Marvanykö

Ella Marvanykö, geb. Italiener, geb. am 29.11.1899 in Hamburg, deportiert am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof
Ilonka Rebecca Marvanykö, geb. am 2.9.1922 in Hamburg, deportiert am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof
Mariza Eva Marvanykö, geb. am 30.12.1927 in Hamburg, deportiert am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof

Martin-Luther-Straße 25

Ella Marvanykö stammte aus einer seit Langem in Hamburg ansässigen jüdischen Familie, deren Vorfahren gegen Ende des 16. Jahrhunderts ihres Glaubens wegen von der Iberischen Halbinsel vertrieben worden waren. Die Sepharden, wie sie wegen ihrer Herkunft genannt wurden, unterhielten in Hamburg ihre eigene Jüdische Gemeinde und pflegten verwandtschaftliche Beziehungen.

Die Urgroßeltern von Ella Marvanykö waren der Sprachlehrer Jehuda Cassuto (geb. 4.9.1808 in Amsterdam, gest. 10.3.1883) und Lea, geb. Rocamora (gest. 30.7.1883), sowie Jacob Moses Italiener (gest. 28.8.1857) und Jette, geb. Rothenburg (gest. 20.12.1884).

Deren Kinder Salomon Italiener (geb. 14.6.1831, gest. 28.5.1910) und Rebecca Cassuto (geb. 5.5.1840, gest. 26.11.1918) hatten im Jahre 1862 in Hamburg geheiratet. Das Ehepaar Salomon und Rebecca Italiener war in den Neuen Steinweg 66 gezogen, wo sie eine Schirmfabrik gründeten, die sie während der nächsten Jahrzehnte betrieben. Ihre Enkeltochter Ella, am 29. November 1899 geboren, wuchs bei ihrer Mutter, der Schneiderin Henriette/Henny Italiener (geb. 15.6.1876) im Haushalt ihrer Großeltern auf.

Neun Tage vor ihrem 22. Geburtstag, am 20. November 1921, heiratete Ella den dreizehn Jahre älteren Kaufmann Elek Marvanykö, der Alex genannt wurde. Er war erst kurz vor der Heirat von München nach Hamburg gezogen. Er stammte aus Zolnok (Szolnok) in der Nähe von Budapest, wo er am 24. April 1886 geboren worden war. Seine Eltern waren aus Rumänien nach Ungarn eingewanderte Juden. Und wie es damals üblich war, erhielt Ella Marvanykö mit der Eheschließung auch die ungarische Staatsbürgerschaft ihres Ehemannes.

Das Ehepaar Marvanykö bekam zwei Töchter: Ilonka Rebecca wurde am 2. September 1922 geboren, Mariza Eva am 30. Dezember 1927. Die Familie wohnte in der Bundesstraße 14 und im Oktober 1927 in der Martin-Luther-Straße 25. Elek Marvanykö betrieb in Barmbek eine "Süddeutsche Bürsten und Pinselfabrik" in der Hamburgerstraße 5–9 (heute Hamburger Straße), spezialisiert auf Ringpinsel und Deckenstreicher. Eine Filiale eröffnete er in der Volksdorferstraße 5. Als ein Stammkunde seine Aufträge stornierte, musste die Produktion in Zeiten der Weltwirtschaftskrise jedoch wegen fehlender Absatzmöglichkeiten eingestellt werden. Familie Marvanykö geriet in finanzielle Not und stellte einen Antrag auf Fürsorgeleistungen. Zwei Umzüge folgten. Die Familie lebte zur Untermiete in der Osterstraße 98 und in der Brüderstraße 38. Ab Anfang Juni 1929 war das Ehepaar im Stadtteil St. Georg, Rostocker Straße 44 gemeldet, wo auch Ellas Mutter Henriette Italiener mit im Haushalt lebte. In der Hoffnung auf Arbeit ging Elek Marvanykö 1930 nach Berlin. 1931 nach Hamburg zurückgekehrt, fand er eine Beschäftigung bei der Firma Franz Mettner, "Herren und Jünglingskleidung", Große Bleichen 67. Einen weiteren Versuch, sich "anderen Ortes" in seiner Branche eine neue Existenz aufzubauen, unternahm er im August 1934. Seine Familie sollte ihm folgen, sobald er sich etabliert hatte. Doch Ella Marvanykö sah ihren Mann nie wieder. Mitte 1935 war er in Berlin in der Lützowstraße als Untermieter gemeldet. Eine Zeitlang hielt er sich auch in Leipzig auf. Eine Nürnberger Firma, der er ein Patent verkauft hatte, blieb ihm die Lizenzgebühren schuldig. 1936 strebte er in Dresden einen Prozess an. In Bodenbach, Nordböhmen (heute Deˇcˇín, Tschechische Republik), war er als Provisionsreisender mit Büchern unterwegs. In Prag lebte er dann ohne Verdienstmöglichkeit und war nicht länger in der Lage, Geld nach Hause zu schicken. Ella Marvanykö wusste zu diesem Zeitpunkt nicht mehr genau, wo sich ihr Mann aufhielt. Sie schrieb ihm postlagernd nach Dresden und Bodenbach und sorgte sich, er könne staatenlos werden.

Ella Marvanykö versuchte, ihren Lebensunterhalt durch Zimmervermietung und als Haushaltshilfe zu bestreiten. Im August 1936 aber verweigerte ihr ein Sachbearbeiter beim Arbeitsamt am Holstenwall als "Ausländerin" die Arbeitserlaubnis. Sie wurde zu schwerer Pflichtarbeit in einer Wollkämmerei in Wilhelmsburg herangezogen, die sie nicht leisten konnte. Sie litt unter Mangelerscheinungen, war unterernährt und hatte ein Blasen- und Gallenleiden. Die Wohnung in der Rostocker Straße musste wegen Mietschulden aufgegeben werden. Mit ihrer Mutter Henriette und den Kindern zog sie ins Grindelviertel, wo sie unter verschiedenen Adressen zur Untermiete in äußerst bescheidenen Verhältnissen lebten. Henriette Italiener war 1934 nach fünfjähriger Tätigkeit in der Nähstube der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in der Rothenbaumchaussee 38 wegen Arbeitsmangel entlassen worden. Seitdem unterstützte die Gemeinde sie mit Lebensmitteln. 1938 übernahm die Jüdische Gemeinde die Kosten für einen Stenografie- und Schreibmaschinenkurs für Ella Marvanykö, die auf eine Tätigkeit als Kontoristin in Hamburg oder später bei ihrem Mann in Ungarn hoffte.

Tochter Ilonka besuchte die Volks- und Realschule der Jüdischen Gemeinde in der Carolinenstraße 35. Sie wurde als sehr zarte und gute, strebsame Schülerin beschrieben. Trotz guter Beurteilung wurde der Antrag auf Verlängerung ihrer Schulzeit abgelehnt. Im März 1937 musste Ilonka die Schule verlassen und begann eine Lehre an der Jüdischen Fachschule für Schneiderinnen in der Heimhuder Straße 70. Die zweijährige handwerkliche Ausbildung dort wurde auch als Hachschara anerkannt, als Vorbereitung auf und Voraussetzung für ein Leben in Palästina.

Die jüngere Tochter Mariza war noch Schülerin in der Carolinenstraße, als diese auf Anordnung der Nationalsozialisten mit der Talmud Tora Schule am Grindelhof zusammengelegt wurde. Eine Rückverlegung der gesamten Schule in die Carolinenstraße erfolgte im September 1939, als Reichsstatthalter Karl Kaufmann beschloss, das Schulgebäude am Grindelhof der Hansischen Hochschule für Lehrerbildung zur Verfügung zu stellen. Im Dezember 1939 wurde die Schule in der Carolinenstraße in "Volks- und Höhere Schule für Juden" umbenannt.

Anfang 1939 hatte Ella Marvanykö beim ungarischen Konsulat in Hamburg "Pass Angelegenheiten" zu regeln und erfuhr dabei, dass sie und die Kinder mittlerweile staatenlos waren, d.h., nicht mehr nach Ungarn einreisen konnten. Gut möglich, dass dies der Grund dafür war, weshalb sich Ella Marvanykö, ihre Mutter Henriette Italiener und die beiden Kinder Ilonka und Mariza freiwillig für die "Evakuierung" am 6. Dezember 1941 nach Riga meldeten, obwohl sie noch nicht für die Deportation vorgesehen waren. Vielleicht hofften sie, irgendwie weiter nach Ungarn zu gelangen.

Ella und Ilonka wurden mit der Berufsbezeichnung "Fabrikarbeiterinnen", Henriette Italiener als "Schneiderin" und Mariza als "Schülerin" auf die Liste gesetzt, als Adresse wurde die Grindelallee 184 bei Cohen vermerkt. Mit ihrer Deportation nach Riga-Jungfernhof verloren sich ihre Spuren. Ob Elek Marvanykö das Kriegsende in Ungarn erlebte, ist unbekannt.

Zwei Schwestern von Henriette Italiener befanden sich am 15. Juli 1942 in einem Transport ins Getto nach Theresienstadt, beide waren bereits verwitwet. Jenny Harburg, geb. Italiener (geb. 13.1.1866), wurde am 21. September 1942 im Vernichtungslager Treblinka ermordet. Anita (Annita) Urich-Sass, geb. Italiener (geb.17.7.1863), starb am 18. Dezember desselben Jahres in Theresienstadt (s. Familie Freschel, Stolpersteine in Hamburg-Barmbek).


Stand: August 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: 1; 4; StaH 351-14 Arbeits- und Sozialfürsorge 1529 (Marvanykö, Elek); StaH 351-14 Arbeits- und Sozialfürsorge 1314 (Italiener, Henriette); StaH 332-5 Standesämter 1883 u 2834/1876; StaH 332-5 Standesämter 137 u 3114/1883; StaH 332-5 Standesämter 5179 u 2621/1884; StaH 332-5 Standesämter 340 u 477/1893; StaH 332-5 Standesämter 6589 u 906/1921; StaH 332-5 Standesämter 13176 u 3855/1899; StaH 332-5 Standesämter 789 u 1067/1918; StaH 332-5 Standesämter 636 u 403/1910; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 3; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 4; Hamburger Adressbuch 1925; Meyer: Verfolgung, S. 64; Studemund-Halévy: Sefarden, S. 352; Randt: Talmud Tora Schule, S. 169.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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