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Wilhelm Oefele * 1910

Bleicherstraße 19 (Hamburg-Mitte, St. Pauli)


HIER WOHNTE
WILHELM OEFELE
JG. 1910
MEHRMALS VERHAFTET
1941 KZ FUHLSBÜTTEL
1943 NEUENGAMME
TOT AN HAFTFOLGEN

Wilhelm Kurt Oefele, geb. Drommert, geb. 11.1.1910, inhaftiert 1936, 1937, 1941, gestorben am 22.3.1948 im Allgemeinen Krankenhaus Langenhorn in Hamburg, wahrscheinlich an den Spätfolgen der Haft

Bleicherstraße 19 (Bleicherstraße 21)

Wilhelm Oefele wurde als uneheliches Kind der Gertrud Drommert in Hamburg geboren. Durch ihre Ehe mit seinem Stiefvater, dem Heizer Gregor Oefele, erhielt er dessen Nachnamen. Als Wilhelm Oefele 12 Jahre alt war, starb seine Mutter und er kam in ein Waisenhaus in Oberhausen. Nach der Schulentlassung absolvierte er eine vierjährige Bäckerlehre und arbeitete anschließend als Geselle. 1929 zog er nach Hamburg, wo er von Gelegenheitsarbeiten lebte.

1936 flog die Kameradschaftsehe zwischen Irma Fischer (1908–2001) und Adolf Großkopf (1906–1975) auf, weil dieser vermutlich durch einen Strichjungen in kriminalpolizeiliche Ermittlungen geraten war und wegen Vergehens gegen § 175 RStGB verhaftet wurde. Die beiden wollten durch die Ehe ihre gleichgeschlechtlichen Neigungen vor der Umwelt verborgen halten, was nicht nur in diesem Fall nicht funktionierte.

"Sie [Irma Fischer] habe seine homosexuelle Veranlagung gekannt, und wegen ihrer ebenfalls anormalen geschlechtlichen Veranlagung habe sie die Ehe lediglich als ‚Kameradschaftsehe‘ betrachtet. Bald nach der Eheschließung erhielt Großkopf ein Ehestandsdarlehen in Höhe von 700,–, das ihm wegen der Scheinehe unter ganz falschen Voraussetzungen gewährt worden war. Für das Darlehen wurden unbedingt notwendige Mobilien ... angeschafft", so die Feststellung der Gerichtshilfe für Erwachsene.

In die polizeilichen Ermittlungen gegen Fischer/ Großkopf wurde auch Wilhelm Oefele verwickelt. Er hatte Großkopf Anfang 1930 in dem beliebten einschlägigen Lokal "Zu den drei Sternen" in Hütten 60 (Neustadt) kennengelernt und mit ihm bis Mai 1931 ein sexuelles Verhältnis unterhalten. Zu Großkopfs Bekannten gehörte auch Fritz Meincke (geb. 11. Januar 1912 Hamburg, gest. 27. Juli 1941 Sloboda bei Smolensk/Sowjetunion; Stolperstein: Schäferkampsallee 56).

Allen drei Männern sowie Irma Großkopf (geb. Fischer) wurde am 7. September 1936 der Prozess vor dem Landgericht Hamburg gemacht. Gegen Wilhelm Oefele wurde das Verfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft und auf der Grundlage des Straffreiheitsgesetzes vom 7. August 1934 eingestellt. Die sexuellen Kontakte mit Großkopf waren bereits verjährt. Und für eine weitere homosexuelle Handlung aus jüngster Zeit war "angesichts der Unbescholtenheit des Angeklagten und des verhältnismäßig geringen Grades seiner Schuld eine höhere Strafe als 6 Monate nicht zu erwarten".

Der Bäcker Fritz Meincke dagegen wurde mit 18 Monaten Gefängnis wegen fortgesetzten Vergehens nach § 175 RStGB bestraft. Irma und Adolf Großkopf wurden wegen einfachen Betrugs verurteilt.

Landgerichtsdirektor Gernet in seinem Urteil: "Anfang 1935 entschloß sich Grosskopf zu heiraten, um durch die Berufung auf die Ehe den Gerüchten über seine homosexuelle Einstellung in seinem Bekanntenkreise entgegenzutreten und trotzdem sein Verhältnis mit Meincke ungehindert fortsetzen zu können. ... Beide Angeklagten sind geständig, vor der Eheschließung, die die Angeklagte nur einging, um eine wirtschaftlich gesicherte Existenz und ein bequemeres Leben zu haben, vereinbart zu haben, daß geschlechtliche Beziehungen zwischen ihnen nicht in Frage kämen, sondern jeder von ihnen seinen anormalen Neigungen nachgehen wolle ... Das erhaltene Geld in Form von Bedarfsdeckungsscheinen haben die Angeklagten zunächst zur Anschaffung von Möbeln verbraucht, es dann aber größtenteils zurückgezahlt."

Wegen der homosexuellen Handlungen mit Oefele und Meincke wurde Adolf Großkopf zu einer Gesamtstrafe von 30 Monaten Gefängnis verurteilt. Irma Großkopf erhielt drei Monate Gefängnis.

1937 nannte ein Strichjunge im Verhör Wilhelm Oefele als einen seiner ehemaligen Sexualpartner. Dieser wurde daraufhin festgenommen und vom 21. Mai bis zum 15. Juni 1937 im KZ Fuhlsbüttel und anschließend in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg-Stadt inhaftiert. Am 30. Juni 1937 wurde er vom Amtsgericht Hamburg zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis nach § 175 RStGB verurteilt. Die Haft verbüßte er im Strafgefängnis Fuhlsbüttel.

Wieder in Freiheit, heuerte Wilhelm Oefele im Januar 1939 bei der Reederei Reinecke an und fuhr als Koch auf dem Dampfer Lotte zur See. An Bord kam es zwischen ihm und dem Messejungen sowie dem Steward zu gleichgeschlechtlichen Handlungen. Im September 1941 erkannte einer seiner ehemaligen Sexualpartner ihn anhand der Lichtbildkartei der Polizei. Nach seiner Festnahme wurde Oefele vom 9. bis zum 16. Oktober 1941 im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert. Anschließend wartete er in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg-Stadt auf sein Gerichtsverfahren. Während des Verhörs in der Verhandlung am 10. April 1942 vor dem Amtsgericht Hamburg unter Vorsitz des Amtsgerichtsdirektors Erwin Krause gab Oefele zu, in den Jahren 1940 bis 1941 sich "der Unzucht schuldig gemacht zu haben" und zwar in fünf Fällen.

Einen seiner Partner hatte er im Herbst 1940 in dem Lokal "Zum Anker" in der Taubenstraße 12, einen anderen in der öffentlichen Bedürfnisanstalt am Millerntor kennengelernt. Oefele wurde zu zwei Jahren und zwei Monaten Gefängnis wegen Vergehens nach § 175 RStGB in fünf Fällen verurteilt. Krause: "Der Angeklagte ist kein unbeschriebenes Blatt. ... [Er] ist eine Persönlichkeit, die sich kaum ändern wird. Der Angeklagte ist darauf hingewiesen, dass ihm nun wohl nichts weiter übrig bleibe, sich zu entscheiden, ob er sich entmannen lassen will, oder ob er im Falle eines nochmaligen Rückfalles die Strafe der Sicherungsverwahrung riskieren will."

Landgerichtsdirektor Krause bezog sich in seinem Urteilsspruch auf die "freiwillige Entmannung", ein seit dem 26. Juni 1935 existierendes weiteres Instrument zur Verfolgung homosexueller Männer aufgrund des "Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses". Danach bestand eine vage Chance für kastrierte Männer, deren Sexualtrieb erloschen war, dem Vollzug der Sicherungsverwahrung nach verbüßter Strafhaft zu entgehen. Die "Entscheidung" sollten die Verurteilten ohne äußeren Zwang oder die Ankündigung einer möglichen Strafaussetzung treffen. Dagegen hatte Krause mit seinem Urteil verstoßen. Von "Freiwilligkeit" konnte ohnehin keine Rede sein, da sich die Betroffenen in der Regel nicht in Freiheit befanden, wenn sie sich für diesen Eingriff entschieden hatten. Vielmehr handelte es sich um eine bei Verhören bzw. in Urteilen nahegelegte oder in Strafhaft getroffene "Wahl" zwischen dem völligen Verlust des Sexualtriebes und der weiteren Kriminalisierung.

Offenbar hatte sich Wilhelm Oefele gegen die operative Verstümmelung seines Körpers entschieden, denn nach Verbüßung der Haft im Gefängnis Wolfenbüttel wurde er ins KZ Neuengamme verbracht. Am 13. März 1943 ist dort sein Zugang unter der Häftlingsnummer 27105 und dem Zusatz "Homo" vermerkt. Für den 1. Juni 1945 liegt eine polizeiliche Anmeldung von Oefele in Hamburg vor, mit dem Hinweis "von KZ". Am 19. Februar 1946 wurde er vom Amtsgericht Hamburg wegen Schwarzhandels zu drei Wochen Gefängnis verurteilt. Am 22. März 1948 starb Wilhelm Oefele an "Lungentbc" im Allgemeinen Krankenhaus Langenhorn in Hamburg, vermutlich als Spätfolge der langen KZ-Haft.

© Bernhard Rosenkranz (†)/Ulf Bollmann

Quellen: StaH 213-8 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Verwaltung, Abl. 2, 451 a E 1, 1 b; StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 9180/36 und 3710/42; StaH 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Abl. 13 und 16; 331-1 II Polizeibehörde II, Abl. 15, Band 1; StaH 332-5 Standesämter, B 3 1948 Standesamt Hamburg-Fuhlsbüttel, Nr. 665; StaH 332-5 Standesämter B 3 1941 Standesamt 2 Nr. 501; Bundesarchiv Berlin, NS 3/1755, Hollerith-Vorkarteikarte des SS-Wirtschafts-Verwaltungs-Hauptamtes Amtsgruppe D. Konzentrationslager vom Sommer bis Herbst 1944; Grau, Homosexualität, 2004, S. 306f.

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