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Mary Mengers (geborene Goldschmidt) * 1872

Steinwegpassage 1 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
MARY MENGERS
GEB. GOLDSCHMIDT
JG. 1872
FLUCHT 1939
HOLLAND
INTERNIERT WESTERBORK
DEPORTIERT 1943
ERMORDET IN
SOBIBOR

Weitere Stolpersteine in Steinwegpassage 1:
Will(y)i Krügel, Erna Strüßmann

Mary Mengers, geb. Goldschmidt, geb. am 11.2.1872 in Hildesheim, 1939 Flucht in die Niederlande, deportiert am 20.7.1943 aus dem Durchgangslager Westerbork nach Sobibor, dort ermordet am 23.7.1943

Steinwegpassage 1

Mary Mengers wurde als Margarethe Goldschmidt in Hildesheim geboren. Ihr Vater Moritz Goldschmidt (geb. 1835, gest. 1899), im Bergdorf auf dem Moritzberg geboren, zog 1855 nach Hildesheim, wo er es vom Lotteriecollecteur zum Bankier brachte. Im Januar 1863 hatte er Georgine Feldstein (geb. 4.12.1840) aus Kassel geheiratet. Das jüdische Ehepaar Goldschmidt wohnte in der Almsstraße 34 in Hildesheim. Es hatte sieben Kinder, von denen drei das Erwachsenenalter nicht erlebten. Der einzige Sohn Adolf und auch die Töchter erhielten gute Schulausbildungen. Die Schwestern absolvierten die Städtische Höhere Töchterschule, die erste öffentliche in Hildesheim, die Mary 1888 mit der Prima abschloss. Im Alter von 25 Jahren kam Mary nach Hamburg und heiratete am 15. Juni 1897 den zwölf Jahre älteren Carl Mengers (geb. 2.3.1860). Carl stammte aus einer gut situierten Kaufmannsfamilie und hatte erst Anfang des Jahres das 1853 gegründete Traditionsgeschäft für Manufaktur- und Modewaren "Blusen-Paradies Falk & Mengers", Alter Steinweg 30–32 von seiner verwitweten Mutter Mine Mengers, geb. Falk, übernommen. Sein Vater Georg Mengers stammte aus Lehe und war bereits am 19. Mai 1889 in Hamburg verstorben. Mine Mengers starb am 1. September 1906 im Alter von 77 Jahren.

Neben dem Geschäftshaus im Alten Steinweg 30–32 befanden sich auch die angrenzenden Häuser Steinwegpassage 1 und 3 und Alter Steinweg 29 seit vielen Jahren im Familienbesitz. Mary und Carl Mengers bezogen zunächst eine eigene Wohnung in der Fuhlentwiete 119 und lebten dann in Carls Elternhaus in der Steinwegpassage 1. Ihr erstes Kind, Tochter Gertrud, wurde am 16. April 1898 geboren, Schwester Käthe folgte am 14. August 1902. Sohn Georg, benannt nach seinem Großvater, kam am 27. Dezember 1906 zur Welt.

Die Töchter erhielten ebenfalls gute Schulausbildungen, sie besuchten das Lyzeum für Mädchen, die Emilie-Wüstenfeld-Schule. Die ältere Gertrud begann zunächst ein Medizinstudium und widmete sich dann der Nationalökonomie. Sie studierte in München, Heidelberg und Kiel. In Jena legte sie 1927 die Diplomprüfung für Volkswirte ab. 1929 promovierte sie und heiratete in Berlin-Zehlendorf den promovierten Erich Zachau (geb. 1.11.1902 in Elbing). Ihre Dissertation schrieb sie 1930 zum Thema "Subventionen als Mittel moderner Wirtschaftspolitik". Nach den Angaben der Volkszählung 1939 lebte sie in Berlin-Lichterfelde.

Marys jüngere Tochter Käthe gab ihren Berufswunsch, Kindergärtnerin zu werden, auf, als ihr Vater schwer erkrankte; Carl Mengers starb am 2. April 1920 an einem Magenleiden. Nach einem Volontariat und dem Besuch der Handelsschule Peters erhielt Käthe 1924 von ihrer Mutter Prokura. 1928 heiratete sie und schied aus der Firma aus. Ihr Ehemann Paul Lissauer (geb. 26.11.1900 in Wandsbek) hatte bei seinem Vater Marcus Lissauer Rohprodukte, Im- und Export, eine kaufmännische Ausbildung erhalten. Die Leimfabrik in der Kirchenallee 43–45, die er gemeinsam mit seinem Bruder Moritz (geb. 13.6.1892) übernommen hatte, geriet 1933 gleich zu Beginn der Boykottmaßnahmen gegen jüdische Unternehmen in Konkurs.

Um ihren Lebensunterhalt weiterhin zu sichern, eröffnete Käthe Lissauer 1933 im Haus ihrer Mutter, in der Steinwegpassage 3, unter dem Namen "Billig & Fesch" ein Geschäft für Damenmoden, das auch gut lief, bis es im Zuge des Novemberpogroms 1938 behördlich geschlossen wurde. Paul Lissauer konnte sich, rechtzeitig gewarnt, einer Verhaftung entziehen. Versteckt in der Werkzeugkiste eines Autos, flüchtete er am Abend des 13. November über die holländische Grenze, wo sein Bruder Moritz seit 1934 lebte. Erst im Juni 1939 konnte Käthe ihrem Ehemann folgen. In Marseille schlossen sich beide einem illegalen Transport nach Palästina an.

Marys Sohn Georg Mengers hatte 1928 die Prokura erhalten, als seine Schwester Käthe aus dem Familienunternehmen ausgeschieden war. Im April 1930 wurde Georg Alleininhaber. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage sah er sich jedoch Ende 1931 gezwungen, das Geschäft aufzugeben. Im selben Jahr, am 6. März, hatte er Ruth Levy (geb. 28.1.1909), die Tochter von Joseph Levy (geb. 25.9.1869, gest. 31.12.1950) und Martha, geb. Levy, geheiratet. Joseph Levy war Inhaber des Schuhwarengeschäftes "M. Rieder" im Neuen Steinweg 1–3. Mithilfe seines Schwiegervaters eröffnete Georg Mengers 1932 am Neuen Steinweg 20 erneut ein Modewarengeschäft. Ein großes Schaufenster und zwei Schaukästen boten Textilien und Strümpfe an. Später wurden auch Konfektionswaren geführt. Er beschäftigte eine Verkäuferin und ein Lehrmädchen, um die Vierzimmerwohnung der Familie am Holstenwall 13/Ecke Enckeplatz kümmerte sich eine Hausangestellte, denn auch Ruth Mengers, als offizielle Firmeninhaberin, arbeitete im Geschäft. Am 2. September 1932 wurde Tochter Susanne geboren.

Als die NSDAP am 1. April 1933 zum reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte aufrief, standen auch zwei SA-Posten vor dem Geschäft der Mengers und es hieß "Kauft nicht bei Juden". Trotz dieser Bedrohung ließ sich Georg Mengers an diesem Tag nicht von einem Friseurbesuch "im Steinweg" abhalten. Dort wurde er von einem Fremden in ein Gespräch über die Regierung verwickelt, und eine Bemerkung, die er machte, führte kurz darauf zu seiner Festnahme. Seine Familie blieb drei Wochen über seinen Aufenthaltsort im Ungewissen, bis es seiner Mutter und seinem Schwiegervater gelang, ihn gegen Zahlung einer Kaution aus der Untersuchungshaft freizukaufen. Georgs Anwalt Henry Neuhaus konnte jedoch am 16. Mai 1933 im Verfahren "Vergehens der Heimtückeverordnung" vor dem Hanseatischen Sondergericht einen Freispruch erwirken. Aber, wie Ruth Mengers berichtete, sahen sie sich infolge dieser Ereignisse gezwungen, ihr Geschäft aufzugeben. Ein im Anschluss unternommener Versuch, Deutschland zu verlassen, scheiterte an der niederländischen Grenze. Sie waren gezwungen, ihr Umzugsgut zurückzulassen und acht Tage später nach Hamburg zurückzukehren. Georg Mengers fand zunächst als Textilvertreter für verschiedene zumeist Berliner Firmen ein neues Betätigungsfeld, bis es ihm mit seiner Familie unter großen Schwierigkeiten im August 1938 gelang, über Rotterdam in die USA zu emigrieren. Das Schuhgeschäft seines Schwiegervaters Joseph Levy wurde "arisiert".

Mary Mengers, die kurz vor dem Tod ihres Ehemannes Carl mit ihm in die Hansastraße 60 gezogen war, kehrte über die Zesenstraße 1 in Hamburg-Winterhude um 1933 wieder in die Steinwegpassage 1 zurück. Mit ihrer Tochter Käthe wohnte sie in der ersten Etage ihres Hauses, bis diese ihrem Mann Paul in die Emigration folgte. Anfang 1939 befand sich das fünfgeschossige Etagenhaus noch in ihrem Besitz. Dann wurde es, wie ihr gesamter Grundbesitz, unter "Sicherungsanordnung" gestellt und von der "Hanseatischen Grundstücksverwaltung Gesellschaft von 1938" zwangsverwaltet. Die Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten Hamburg genehmigte am 15. März 1939 den Verkauft der Häuser Alter Steinweg 29/32 und Steinwegpassage 1 und 3. Der Kaufpreis von 86901,46 Reichsmark wurde auf einem Sperrkonto hinterlegt. Ohne Genehmigung konnte Mary Mengers über ihr Vermögen nicht mehr verfügen.

Im November 1938 gelang es ihr, in die Niederlande zu emigrieren, wo sie vorübergehend in Den Haag in der Stadtheuderslaan 8 lebte. Den Haag war ursprünglich als Zwischenstation gedacht, denn von dort wollte sie zu ihrem Sohn Georg in die USA weiterreisen. Vermutlich scheiterte ihr Vorhaben am Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die Niederlande im Mai 1940. Mary Mengers musste als ausländische Jüdin Den Haag verlassen und zog zu ihrer verwitweten Schwester Bertha Cohen-Goldschmidt (geb. 29.1.1870) nach Doorn in den Prinz Hendrikweg 39. Nach Informationen der Webside Digital Monument to the Jewish Community in the Netherlands war dort auch der Bruder Adolf Goldschmidt (geb. 27.1.1868) gemeldet.

Im April 1943 wurde Mary Mengers im Lager Vught (Herzogenbusch) interniert und von dort am 9. Mai 1943 in das Lager Westerbork gebracht. Jede Woche verließ ein Güterzug das von den nationalsozialistischen Besatzern als Durchgangslager für die Deportation der niederländischen Jüdinnen und Juden genutzte Westerbork in die Vernichtungslager Auschwitz und Sobibor. Mary Mengers und ihre Schwester Bertha Cohen-Goldschmidt befanden sich am 20. Juli 1943 in einem Transport nach Sobibor, wo Mary Mengers am 23. Juli 1943 ermordet wurde.

Ihr Bruder Adolf Goldschmidt starb am 25. Oktober 1944 in Auschwitz.

Georg Mengers, der mit seiner Frau Ruth und Tochter Susanne das Ende des "Dritten Reiches" infolge seiner erzwungenen Emigration in den USA erlebte, kam in dem fremden Land nicht zurecht. In einem Hotel am Times Square in New York nahm er sich am 21. September 1946 das Leben.


Stand: August 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: 1; 4; 8; 9; StaH 351-11 AfW 1757 (Mengers, Mary); StaH 351-11 AfW 31494 (Mengers, Georg); StaH 351-11 AfW 26200 (Lissauer, Käthe); StaH 314-15 Abl. 1998/1_M 115; StaH 314-15 OFP, R 1939/213; StaH 314-150 OFP, F 1701; StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgerichte – Strafsachen LO 229/33; StaH 231-7_B 1955-278; StaH 332-5 Standesämter 258 u 1303/1889; StaH 332-5 Standesämter 2457 u 1310/1898; StaH 332-5 Standesämter 8059 u 275/1920; Prauss: Verfolgt, S. 36f.; Bajohr: "Arisierung", S. 369; Digital Monument to the Jewish Community in the Netherlands, www.joodsmonument.nl (Zugriff am 4.4.2012).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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