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Bereits verlegte Stolpersteine



Will(y)i Krügel * 1907

Steinwegpassage 1 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
WILLY KRÜGEL
JG. 1907
VERHAFTET 1938
SACHSENHAUSEN
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
20.6.1942

Weitere Stolpersteine in Steinwegpassage 1:
Mary Mengers, Erna Strüßmann

Willi Krügel, geb. am 9.8.1907 in Hamburg, gestorben am 20.6.1942 im KZ Sachsenhausen (angeblich Suizid)

Steinwegpassage 1

Willi Krügel war am 9. August 1907 in Hamburg geboren worden. Er hatte mehrere Geschwister, von denen die älteren in Leipzig und Köln zur Welt gekommen waren. Seine Mutter Helene (Chenia Slota), geb. Michlowitsch (andere Schreibweisen Mischlowitz und Mitchlowitsch, geb. 22.6.1867, gest. 17.11.1932), stammte aus Neu-Minsk bei Warschau und war Jüdin russischer Herkunft. Der Vater Julius Ludwig Krügel (geb. 29.7.1869) war 1894 bei der Eheschließung in Leipzig konvertiert. Er war in Beneckenstein geboren worden und Schneider von Beruf.

Familie Krügel lebte in der Hamburger Neustadt, die längste Zeit in der Marienstraße 17 (ab 1940 Jan-Valkenburg-Straße), wo Julius Krügel als Kutscher, später als Hafenarbeiter tätig war.

Von Willi Krügels älterem Bruder Marcus (geb. 12.11.1899) ist bekannt, dass er die in der Nähe der elterlichen Wohnung gelegene Volksschule am Holstenwall besuchte. Auch Willi könnte dort seine Schulzeit verbracht haben. Er wurde dann Schiffbauhelfer auf der Werft von Blohm & Voss. Am 21. Dezember 1928 heiratete er Lisbeth Rosa Auguste Fenz (geb. 18.8.1908). Lisbeth war die Tochter des Hamburger Schiffskochs Friedrich Wilhelm Emil Fenz (geb. 3.6.1882) und der Arbeiterin Mathilde Rosalie, geb. Sommer (geb. 3.3.1882 in Danzig). Sie war im katholischen Glauben erzogen worden und arbeitete seit ihrem 15. Lebensjahr als Packerin. Ihre Eltern, die am 30. März 1907 in Hamburg geheiratet hatten, lebten getrennt, der Vater in Bremerhaven, die Mutter in der Hamburger Mühlenstraße 29 (heute ein Teil der Gerstäckerstraße).

Willi und Lisbeth Krügel bekamen zwischen 1928 und 1937 sechs Kinder, vier Töchter und zwei Söhne. Sie lebten in geordneten, aber wirtschaftlich ungesicherten Verhältnissen, da Willi Krügel in der Zeit der Weltwirtschaftskrise trotz guter Arbeitszeugnisse über kein geregeltes Einkommen in Hafen verfügte. Zudem war ein Sohn an Kinderlähmung erkrankt. Zwischenzeitlich bezog die Familie Fürsorgeleistungen und eine Beihilfe für "Kinderreiche". Ihre Kinder wurden als "ordentlich und wohlerzogen" geschildert.

Nach zwei kurz aufeinanderfolgenden Arbeitsunfällen im Jahre 1937 blieb Willi Krügel für mehrere Wochen arbeitsunfähig. Ein zunächst gezahltes Krankengeld von 17,80 Reichsmark (RM) und eine "Hafenhilfe" von 9 RM reichten zum Lebensunterhalt des achtköpfigen Haushaltes nicht aus. Um nicht weiter in Mietrückstand zu geraten, der Vermieter drohte bereits mit einer Räumungsklage, versuchte das Ehepaar Krügel eine kurz zuvor auf Raten erworbene Nähmaschine zu verpfänden. Da es sich in seiner Not selbst eine Bescheinigung ausstellte, die Nähmaschine sei bereits abbezahlt, brachte der Pfandleiher die Sache zur Anzeige.

Am 16. November 1937 verurteilte das Hamburger Amtsgericht Willi Krügel wegen Betrugs zu einer sechswöchigen Gefängnisstrafe. Lisbeth konnte ihre zweiwöchige Haftstrafe durch ein Gnadengesuch vermeiden. Ihre Wohnung in der Marienstraße 17 (ab 1940 Jan-Valkenburg-Straße) wurde ihnen noch vor Ende des Jahres gekündigt. Sie zogen in die zweite Etage der Steinwegpassage 1. (s. Mary Mengers).

Am 14. Januar 1938 trat Willi Krügel seine Haftstrafe an. Lisbeth Krügel, ebenso wie ihre Kinder als sehr zart beschrieben, nahm, um den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie zu sichern, wieder eine Beschäftigung als Packerin auf. Ihre älteste Tochter, die damals 10-jährige Ingeborg (geb. 4.7.1928), führte den Haushalt und versorgte die jüngeren Geschwister. Wie ihr Onkel Leopold Krügel (geb. 24.5.1902), der bis zum Berufsverbot 1934 als Kammersänger und Kapellmeister in Rostock tätig gewesen war, besaß sie eine musikalische Begabung, die sie allerdings nicht mehr durch eine Ausbildung entfalten konnte.

Willi Krügel wurde am 25. Februar 1938 aus der Haft entlassen und geriet im Juni desselben Jahres als "Vorbestrafter Nichtarier" im Rahmen der sogenannten Juni-Aktion mit etwa 200 jüdischen Männern, unter ihnen auch sein Bruder Marcus Krügel und der Schwager Siegfried Neumann (s. dort), in "Schutzhaft". Mit der Häftlingsnummer 006195 wurde Willi Krügel am 23. Juni 1938 ins KZ Sachsenhausen in den Block 16 überstellt. Auf seiner Haftkarte wurde vermerkt: "Arbeitsscheuer Jude" und "glaubenslos, früher mosaisch".

Im Mai 1937 hatten Willi Krügel, wie auch sein Vater und zwei seiner Brüder, den Austritt aus der Jüdischen Gemeinde erklärt. Jedoch galten die Brüder nach den Ausführungsverordnungen der Nürnberger Gesetze als "Geltungsjuden" und wurden nicht wie "Mischlinge" behandelt. Allein dem Bruder Hermann Krügel gelang 1941 die Anerkennung als "Mischling 1 Grades".

Willi Krügel sollte erst aus Sachsenhausen entlassen werden, wenn er auswanderte. Um seine Freilassung zu erwirken, übernahm die Jüdische Gemeinde die Kosten für eine mögliche Emigration nach Shanghai, wo kein Visum verlangt wurde. Nach Angaben von Lisbeth Krügel wurde jedoch ihr Entlassungsgesuch von Reichsstatthalter Karl Kaufmann im Januar 1939 abgelehnt. Im Juni setzte man sie unter Druck, die Scheidung einzureichen. Die "Kinderbeihilfe" war ihr bereits gestrichen worden und auch die Wohnung in der Steinwegpassage hatte sie verlassen müssen. Um den ihr angedrohten Sorgerechtsentzug und die Unterbringung ihrer Kinder in einem Heim zu vermeiden, unterschrieb sie eine "Ehe-Aufhebungserklärung". Willi Krügel erteilte aus der Haft in einem Schreiben vom 1. August 1939 an das Landgericht Hamburg seine Einwilligung: "In der Frage betreffs meiner Kinder möchte ich meiner Ehefrau völlig freie Hand gewähren, denn ich hätte gern den Kindern die Mutter erhalten, oder eine eventuelle Trennung der Geschwister vermieden." Als am 17. August 1939 die Ehe aufgehoben wurde, galt für Willi Krügel der Schutz einer "Mischehe" nicht mehr.

Am 14. Januar 1941 befand sich Willi Krügel im "Krankenbau" des KZ Sachsenhausen und wurde dann, zu einem unbekannten Zeitpunkt, in eines der Außenlager des KZ Sachsenhausen, ins Klinkerwerk zwischen Grabow- und Lehnitzsee verlegt, wo die Häftlinge für den SS-Betrieb "Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH" Aufbauarbeit für ein Ziegelwerk leisteten. Dort kam Willi Krügel am 20. Juni 1942 ums Leben. Lisbeth Krügel wurde von einem Gestapobeamten, der eines Tages bei ihr erschien, mitgeteilt, ihr geschiedener Mann habe sich in Sachsenhausen erhängt.

Sie lebte mit ihren Kindern in "menschenunwürdigen und sehr dürftigen Verhältnissen". Nachbarliche Hilfe blieb ihnen als "jüdisch versippt" verwehrt. Am 25. Juli 1943 wurde Lisbeth Krügel in der Mühlenstraße 23 (heute ein Teil der Gerstäckerstraße) ausgebombt. Ihre Mutter starb während der Luftangriffsserie der "Operation Gomorrha" in einem Luftschutzkeller am Neuen Steinweg 12 an einem Herzschlag. Lisbeth Krügel wurde mit ihren Kindern nach Bayern evakuiert, wo sie sich erneut der Verfolgung durch einen ebenfalls aus Hamburg evakuierten Lehrer ausgesetzt sahen.

Nach dem Krieg wünschte sich Lisbeth Krügel: "trotzdem ich mit meinen Kindern alleine bin, dass sie alle sechs zu ordentlichen Menschen erzogen werden und ihre Lehrjahre durchhalten. Damit ich die eine Freude habe, es richtig gemacht zu haben. Was sicher auch im Sinne meines Mannes gewesen wäre."

Lisbeth Krügel starb, schwer erkrankt, am 8. Mai 1958 in Hamburg.

Willi Krügels Schwester Fanny Neumann (s. dort) wurde mit ihrer Familie deportiert und ermordet. Die übrigen Geschwister überlebten das NS-Regime, trotz Haft, Zwangsarbeit und, kurz vor Kriegsende, der drohenden Deportation nach Theresienstadt, geschützt durch ihre "Mischehen".


Stand: Juli 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: 1; 8; StaH 351-11 AfW 35859 (Krügel, Hermann); StaH 351-11 AfW 22236 (Krügel, Marcus); StaH 351-11 AfW 32178 (Krügel, Willy); StaH 351-11 AfW 33753 (Krügel, Lisbeth Auguste Rosa); StaH 351-11 AfW 26369 (Krügel, Leopold); StaH 351-11 AfW 42086 (Neumann, Kurt); StaH 331-5 Polizeibehörde – Unnatürliche Sterbefälle 8 Akte F 603; StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht-Strafakten 00594/38; StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht-Strafakten 5676/41; StaH 332-4 Aufsicht über die Standesämter 612; StaH 332-5 Standesämter 9860 u 1233/1932; StaH 332-5 Standesämter 6457 u 111/1907; StaH 332-5 Standesämter 1202 u 172/1943; Auskünfte von Herbert Diercks, Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Bestände der VVN; Auskunft aus der Gedenkstätte Sachsenhausen von Monika Liebscher, E-Mail vom 2.8.2013; diverse Hamburger Adressbücher; Totenbuch KZ Sachsenhausen 1936–1945, http://www.stiftung-bg.de/totenbuch/main.php (Zugriff am 15.10.2014).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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