Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine



Erna Strüssmann, 1939
Erna Strüssmann, 1939
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Erna Strüßmann * 1921

Steinwegpassage 1 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
ERNA STRÜSSMANN
JG. 1921
EINGEWIESEN 1943
"HEILANSTALT"
AM STEINHOF WIEN
ERMORDET 3.12.1944

Weitere Stolpersteine in Steinwegpassage 1:
Will(y)i Krügel, Mary Mengers

Erna Strüßmann, geb. am 8.6.1921 in Hamburg, eingewiesen am 3.4.1939 in die damaligen Alsterdorfer Anstalten, verlegt am 16.8.1943 in die Wagner-von-Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien, gestorben am 3.12.1944

Steinwegpassage 1

Erna war als jüngstes Kind des Ehepaares Friedrich Adolf Strüßmann (geb. 10.12.1889) und Appolonia, geb. Przyjemski (geb. 2.2.1881), in Hamburg zur Welt gekommen. Ihre Eltern, die am 28. Februar 1911 in Hamburg geheiratet hatten, hatten noch zwei Söhne und eine Tochter. Ein weiteres Kind, ein Mädchen, war bei einer Zwillingsgeburt im Jahre 1915 verstorben, ein Sohn 1924 kurz nach seiner Geburt. Die Familie wohnte erst in der Stresowstraße 103, dann in der Reginenstraße 11 im Billwerder Ausschlag (heute Rothenburgsort). Ernas Vater, ein Arbeiter, stammte aus Greste, Kreis Lippe, und gehörte der lutherischen Kirche an. Dagegen war Ernas Mutter, Appolonia Strüßmann, in einem sehr religiösen katholisch-polnischen Elternhaus aufgewachsen. Deren Eltern, der Zimmermann Joseph Przyjemski und Marianne, geb. Filipowicz, waren Ende des 19. Jahrhunderts von Stolpe (heute Słupia) nach Hamburg übergesiedelt.

Als Appolonia Strüßmann im Juni 1928 aufgrund eines "Verwirrungszustandes" in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg in Hamburg-Eilbek eingewiesen wurde, kam ihre Tochter Erna im Oktober übergangsweise in ein katholisches Waisenhaus nach Bergedorf. Ostern 1929 wurde sie ins 1887 gegründete "St.-Vincenzhaus", eine Einrichtung, die von den "Schwestern unser Lieben Frau", einer Ordensgemeinschaft in der katholischen Kirche in Cloppenburg, geleitet wurde, aufgenommen.

Zwischenzeitlich war ihre Mutter mit der Diagnose "Schizophrenie" ins Versorgungsheim Oberaltenallee in Hamburg-Barmbek untergebracht worden. Erna konnte deshalb nicht nach Hause zurückkehren. In einem Auszug aus der Fürsorgeakte der Familie Strüßmann wurde Erna als "schwer schwachsinniges" Mädchen bezeichnet. "Unterrichtserfolge sind bisher kaum zu verzeichnen." Im Alter von 14 Jahren wurde Erna im Peter-Friedrich-Ludwig-Hospital in Oldenburg, aufgrund des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" zwangssterilisiert.

Ende 1938 versuchte die Leitung des "St.-Vincenzhauses", Erna loszuwerden: "Sie passt nicht mehr in den Rahmen unseres Heimes, da sie die Schule nicht mehr besuchen kann und es wegen ihrer geringen geistigen Fähigkeiten keinen Zweck hat, sie der Haushaltsgruppe zuzuweisen. Eine Pflegeabteilung haben wir nicht, und deshalb wäre es das Beste, sie in ein geeignetes Heim zu überweisen." Aus einem Schreiben an die Sozialverwaltung geht hervor, dass ihr Vater Adolf Strüßmann die Entlassung seiner Tochter beantragt hatte. Sein Wunsch, die Tochter wieder zu sich zu nehmen, wurde als "ganz unmöglich" abgewiesen. "Sie leidet an hochgradiger geistiger Minderwertigkeit, kennt keine Gefahren und kann sich in keiner Weise nützlich machen. Würde sie im Haushalt ihres Vaters allein gelassen werden, könnte sie aus Unkenntnis den größten Schaden, etwa Brand und dergleichen anrichten."

So kam Erna nach längeren Verhandlungen zwischen dem "St.-Vincenzhaus" und der Hamburger Sozialverwaltung am 3. April 1939 in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf). Zwei Monate zuvor war die Ehe ihrer Eltern geschieden worden. Adolf Strüßmann ging am 28. Juni 1940 eine zweite Ehe ein. Er war schwer erkrankt und verstarb kurz darauf am 11. Juli 1940.

Erna wurde in Alsterdorf zunächst als freundlich und gefällig beschrieben, allerdings störte sie nachts, da sie oft -ohne erkennbaren Grund schrie. In ihrer letzten Beurteilung am 15. September 1942 hieß es: "Pat.(ient) ist in der Körper-pflege unselbstständig, verwechselt dauernd ihre Schuhe. Sie ist ein Spielkind, läuft immer mit gesenktem Kopf herum. Sie lässt sich nichts sagen. Wird ihr etwas verboten, so sagt sie stets, Ich sag es meiner Mutter, die beschwert sich."

Erna Strüßmann wurde wie andere Patientinnen und Patienten am 16. August 1943 mit der standardisierten Begründung, die Anstalt sei durch Fliegerangriff schwer beschädigt, nach Wien verlegt. In der Wagner-von-Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien wurde sie als "in jeder Hinsicht desorientiert" beschrieben. Wegen eines Sprachfehlers galt sie zudem als schwer verständlich. Drei Monate nach ihrer Verlegung wurde vermerkt: "Im Tagraum, sitzt in einer Ecke herum, fängt zeitweise ohne Grund zu schreien an, gibt keine Antwort." Kurz vor ihrem Tod wurde sie auf die "Pflegestation" verlegt. Am 20. Oktober 1944 hieß es dann: "schwach, verfällt, nimmt keine Nahrung mehr zu sich".

Erna Strüßmann starb am 3. Dezember 1944. Gezielte pflegerische Vernachlässigung, Nahrungsentzug und die Ausbreitung von Infektionskrankheiten erwiesen sich als verhängnisvoll. Erna soll an Tuberkulose gestorben sein.

Ihre Mutter Appolonia Strüßmann wurde am 25. oder 26. März 1941 aus dem Versorgungsheim in die Landesheilanstalt Meseritz-Obrawalde nach Pommern verlegt. Dort hingen die Überlebenschancen von der Arbeitskraft der Patientinnen und Patienten ab. Appolonia Strüßmann hatte somit keine Chance. Die Tötungen erfolgten meist durch Verabreichung von Medikamenten wie Morphium oder Luminal, vom Pflegepersonal in tödlicher Dosis gespritzt oder aufgelöst und eingeflößt. Die Sterbeurkunden erhielten falsche Todesursachen und Todesdaten. Appolonia Strüßmanns Todeszeitpunkt wurde mit dem 29. September 1943 vom Standesamt Meseritz-Obrawalde amtlich beurkundet.


Stand: August 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: StaH 332-5 Standesämter 3186 u 62/1911; StaH 332-5 Standesämter 735 u 158/1915; StaH 332-5 Standesämter 885 u 343/1924; StaH 332-5 Standesämter 1126 u 1771/1940; Archiv der Evangelischen Stiftung Alsterdorf V 228 Erna Strüßmann; Wunder/Genkel/Jenner: schiefen Ebene; Rönn: Langenhorn im Krieg, in: Böhme/Lohalm (Hrsg.): Wege in den Tod, S. 71.

druckansicht  / Seitenanfang