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Helene Mainz (geborene Hirsch) * 1873

Hochallee 11 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
HELENE MAINZ
GEB. HIRSCH
JG. 1873
FLUCHT 1934
HOLLAND
INTERNIERT WESTERBORK
DEPORTIERT 1944
BERGEN-BELSEN
ERMORDET 29.2.1944

Weitere Stolpersteine in Hochallee 11:
Ludwig Moritz Mainz

Helene Mainz, geb. Hirsch, geb. 14.11.1873 in Halberstadt, aus Holland über Westerbork am 11.01.1944 deportiert ins KZ Bergen-Belsen, dort am 29.02.1944 verstorben

Am 3. April 1908 erschien Ludwig Moritz Mainz auf dem Standesamt Nr. 3 in Hamburg, um anzuzeigen, dass seine Frau Helene am 1. April um sieben Uhr morgens in seiner Wohnung in der Hochallee 2 eine Tochter, Anita, zur Welt gebracht hatte. Anita hatte schon vier Geschwister: Dorothea, zwölf Jahre alt und die Brüder, Arnold elf, Helmuth acht und Franz vier Jahre alt. Die Familie war dreimal umgezogen, bis sie in der Hochallee anlangte. Auch die Wohnung dort wurde wohl für eine Familie mit fünf Kindern zu klein, und so kaufte Ludwig Mainz im Sommer 1909 das Haus Hochallee 11 schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite. Die Stelle, an der die Mesusa, eine kleine Kapsel mit Sprüchen aus dem Alten Testament, am Türpfosten befestigt war, und die für die koschere Ernährung nach Milch und Fleisch getrennten Küchen konnte man noch lange Zeit im Haus erkennen.

Helene Mainz stammte in der vierten Generation aus der großen Halberstädter Kaufmanns- und Unternehmerfamilie Hirsch.

Aus kleinen Anfängen entwickelte sich seit 1805 der Großbetrieb "Hirsch Kupfer und Messingwerke AG" zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem "fast unüberschaubaren Konzern", in dem "wohl rund 50 000 Personen ihren Lebensunterhalt" fanden. Die Familie setzte sich aktiv in der jüdischen Gemeinde ein, sowohl in der Armen- und Wohlfahrtspflege, als auch für Probleme der jüdischen Auswanderer aus den osteuropäischen Städten und bei Fragen zur Besiedelung Palästinas. Ebenso engagierte sie sich im öffentlichen Leben der Stadt. Helene Mainz war die Tochter von Esther Hirsch, geb. Hirsch und Aron Joseph Hirsch. Ihr Vater wird als begabter Kaufmann geschildert, mit Interesse an der Volkswirtschaft allgemein und besonders an Fragen des Transportwesens und der Eisenbahn. Er gehörte der Halberstädter Handelskammer und dem Landes- Eisenbahnrat an. Als er 1880, nur 35 Jahre alt, starb, hinterließ er Frau und vier Töchter. Helene war die zweitgeborene.

Ihr Ehemann Ludwig Mainz, von Beruf ursprünglich Einzelhandelskaufmann, war seit 1895 persönlich haftender Gesellschafter des Bankhauses John M. Meyer. Im Dezember 1908 ging die Bank ganz in seinen Besitz über. Alle drei Söhne hielten bis 1933 unterschiedliche wichtige Positionen in der Bank. Die Bank, mit guten Verbindungen besonders im Devisengeschäft, brachte der Familie so viel ein, dass sie in Wohlstand lebte.

Helene Mainz führte den Haushalt und versorgte die Kinder. Wir wissen nur von Franz, wo er zur Schule ging. Er besuchte die Oberrealschule Eppendorf und schloss sie mit dem "Einjährigen" ab. Danach absolvierte er eine kaufmännische Lehre. Man kann vermuten, dass auch die Geschwister staatliche Schulen besuchten.

1933 lebte nur noch Franz im Elternhaus. Arnold war 1927 durch Freitod aus dem Leben geschieden. Die anderen waren verheiratet und ausgezogen. Helmuth hatte mit seiner Frau, Lore Bacharach aus Frankfurt, zwei Töchter, Eva Renate, geboren am 22. Juli 1930 und Marianne Susanne, geboren am 28. August 1933. Anita, die 1928 in die Familie Oettinger einheiratete, hatte 1929 ihren Sohn Martin zur Welt gebracht (siehe Claire und Hans-Norbert Oettinger: Claire Oettinger Dorothea, die älteste, war mit dem Juristen Otto Julius Eisner aus Frankfurt verheiratet, das Ehepaar hatte keine Kinder.

Ludwig Mainz, und vor allem sein Sohn Helmuth erkannten 1933 die Zeichen der Zeit schnell. Helmuth ging im Dezember 1933 mit der ganzen Familie und seinen Schwiegereltern, dem Ehepaar Bertha und Hugo Bacharach nach Amsterdam und gründete dort ein neues Bankhaus, das schnell florierte. Ludwig und Helene Mainz folgten ihrem Sohn im Herbst 1934 nach Holland, während Franz Mainz versuchte, die Bank in Hamburg weiterzuführen. Aber zwei Jahre später wurde die Firma aus dem Handelsregister gelöscht. 1936 verkaufte Franz Mainz das Haus an der Hochallee. Er emigrierte ebenfalls nach Holland, ging von dort aus aber 1939 in die USA.

1934 folgten Anita und Norbert Oettinger sowie Sohn Martin der Schwiegermutter, der Witwe Claire Oettinger, nach Amsterdam. Sie war dort schon 1933 mit ihrem Sohn Fritz angekommen. 1934 gründeten Mutter und Söhne eine Tabakshandelsfirma.

Helmuth Mainz ließ sich nach kurzem Aufenthalt in Amsterdam in Heemstede nieder, einer Nachbargemeinde von Harlem. Seine Schwiegereltern folgten der jungen Familie dorthin, während Helene und Ludwig Mainz sowie seine Schwester Anita mit ihrer Familie in Amsterdam blieben. 1944 schrieb er einen ausführlichen Bericht über das Leben seiner Familie nach der Auswanderung. Darin bezeichnet er die sechs Jahre bis zur Besetzung Hollands durch die Deutschen als die schönsten Jahre seines bisherigen Lebens. Die Familie lebte sich gut ein und Kinder und Eltern schlossen Freundschaften mit Holländern, ohne dass die Religion eine Rolle spielte. Die Verbindung zu den Eltern, bzw. Großeltern in Amsterdam blieb eng.

Helmuth Mainz war inzwischen in den Vorstand der Jüdischen Gemeinde Harlem gewählt worden, und konnte dadurch, sowie durch seine geschäftlichen Verbindungen viele vor allem auch für die Zukunft wichtige Kontakte knüpfen.

Am 10. Mai 1940 marschierten deutsche Truppen in die Niederlande ein, am 14. Mai bombardierte die deutsche Luftwaffe Rotterdam. Am 16. Mai kapitulierten die Niederlande.

Gleich nach der Kapitulation fuhr Helmuth Mainz nach Amsterdam, um nach der Familie zu sehen. Er beobachtete unter den Juden dort große Panik. Seine Eltern waren wohlbehalten, aber der Schwager seiner Schwester nahm sich mit Frau und zwei kleinen Kindern am Tag der Kapitulation das Leben. (siehe: Dr. Friedrich Oettinger, Friedrich Oettinger).

Schlag auf Schlag kamen die gleichen Isolations- und Verfolgungsmaßnahmen, wie im "Reich": Juden wurden aus dem öffentlichen Dienst entlassen, Radios mussten abgegeben werden, Juden durften nicht mehr ins Theater oder ins Kino gehen, keine Schwimmbäder besuchen, keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, sie mussten eine Ausgangssperre einhalten, jüdische Kinder durften nicht mehr auf nichtjüdische Schulen gehen, wer älter als sechs Jahre war, musste den "Judenstern" tragen. Wie in Deutschland wurde jüdisches Vermögen auf Sperrkonten festgelegt. Die Juden aus dem ganzen Land wurden nach und nach in Amsterdam konzentriert.

Helmuth Mainz zog mit seiner Familie zu den Eltern nach Amsterdam. Die Schwiegereltern wurden bei Anita, Helmuths Schwester, und ihrer Schwiegermutter, Claire Oettinger, untergebracht. Für beide Generationen war das Zusammenleben in einer Stadtwohnung nicht immer einfach. Die vielen Einschränkungen, wie zum Beispiel die abendliche Ausgangssperre, das Einkaufsverbot, bis auf drei Stunden am Nachmittag und das Verbot, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, erschwerten das tägliche Leben zusätzlich.

Die Schikanen nahmen zu. Am 75. Geburtstag von Ludwig Mainz, dem 4. Juli 1942, kamen unangemeldet Beauftragte der Sicherheitspolizei zur so genannten Inventarisierung des jüdischen Hausrats und durchsuchten die Wohnung einen Tag lang. Der Schock für Ludwig Mainz war so groß, dass er wenig später einen Herzanfall erlitt. Helene Mainz pflegte ihren Mann zusammen mit der Schwiegertochter bis zu seinem Tod am 17. August. So blieb ihm der schlimmste Teil der Verfolgung erspart. Er musste aber noch erleben, dass die "Inventariseure" ein zweites Mal kamen, diesmal mit einem Möbelwagen, um die wertvolleren Einrichtungsgegenstände abzutransportieren.

Noch während der Krankheit des Vaters tauchte Anita mit ihrem Mann Hans Norbert Oettinger und ihrem Sohn Martin unter, um einem Aufruf " zum polizeilichen Arbeitseinsatz in Deutschland" zu entgehen.

Die Angst vor willkürlichen Verhaftungen begann das tägliche Leben zu beherrschen, Kontakt zu Untergetauchten wurde lebensgefährlich. "Die Hiobsberichte aus Freundes- und Bekanntenkreis kamen täglich und stündlich ... ich erinnere mich, dass man allabendlich in Spannung zu Hause saß und nach der Türglocke lauschte…", schrieb Helmuth Mainz zwei Jahre später. Am 2. September 1942 wurden die Schwiegereltern Berta und Hugo Bacharach und Anitas Schwiegermutter Claire Oettinger, wahrscheinlich als Reaktion auf das Untertauchen der Kinder, nach Westerbork deportiert. Von den Eltern Bacharach erhielten die Kinder kein Lebenszeichen mehr. Heute wissen wir, dass sie sofort nach ihrer Ankunft nach Auschwitz weiter deportiert und dort ermordet wurden, während Claire Oettinger, nach Bergen-Belsen gebracht wurde und dort im März 1945 starb.

Helmuth Mainz, der durch seine Mitgliedschaft in der Jüdischen Gemeinde Kontakte zum 1941 gegründeten "Joodschen Raad" hatte, konnte im Oktober 1942 noch einmal verhindern, dass seine Mutter deportiert wurde.

Aber im März 1943 wurde Helene Mainz im Zuge einer abendlichen Razzia in die "Schauburg", eine ehemals populäres Theater, gebracht. Junge und alte Menschen, Ledige und Familien mit Kindern, Waisenkinder, die man in ihren Verstecken aufgespürt hatte, alle wurden hier genau registriert. Viele mussten länger als einen Tag eingepfercht in einer Klappstuhlreihe in dem völlig überfüllten Theatersaal sitzen, bevor es ins Ungewisse weiter ging. Helene Mainz verbrachte nur eine Nacht dort. Am nächsten Tag ging die Fahrt erst mit einer bewachten Straßenbahn zum Bahnhof und dann mit dem Zug weiter nach Westerbork. Sie erreichte das Lager deutlich geschwächt, physisch und psychisch zusammengebrochen. Ihre Tochter Anita Oettinger, die einen Monat später mit ihrer Familie dort ankam, musste ihre Mutter schon im Lagerkrankenhaus besuchen. Die Untergetauchten Anita, Hans Norbert und Martin waren entdeckt, zunächst in ein Gefängnis in Amsterdam eingeliefert und kurz darauf weiter deportiert worden.

Am 26. Mai 1943 trafen Helmuth Mainz mit seiner Familie in Westerbork ein Helmuth Mainz hat den Aufenthalt in Westerbork ausführlich beschrieben, allerdings muss man bedenken, das dies erst nach seinem Aufenthalt in Bergen-Belsen geschah und er in diesem Vergleich einiges nachträglich vielleicht zu positiv sah. Zusammenfassend sagt er an einer Stelle: "Wenn nicht beinahe allwöchentlich die Polentransporte fort gegangen wären, so wäre der Aufenthalt in Westerbork durchaus erträglich gewesen. Die meisten Leute, die nach Westerbork kamen, konnten sich bei einigem guten Willen gut einleben." Die Neuankömmlinge wurden in großen Baracken untergebracht, es gab kaum eine Privatsphäre. Aber sie trafen auch viele Freunde und Bekannte. Die Insassen mussten keine Sträflingskleidung tragen und konnten sich im Lager frei bewegen.

Wie Helmuth Mainz erwähnt, fuhr einmal in der Woche, und zwar am Dienstag, ein Zug, aus Viehwagen zusammengestellt, "nach Polen". Jeden Montag war die Furcht groß, dass man zu so einem Transport aufgerufen würde. Etwa 4 000 Insassen des Lagers besaßen allerdings "Zertifikate", Papiere, die sie zu einem Austausch mit Deutschen berechtigten, die im "feindlichen" Ausland interniert waren, zum Beispiel in Palästina, das britisches Mandat war. Oder sie besaßen Einreisepapiere für Länder in Übersee. Zu ihnen gehörten die Familien Mainz und Oettinger.

Die Krankenversorgung, auf die Helene Mainz angewiesen war, beschrieb ihr Sohn als "im Rahmen des Möglichen" gut. Es gab die nötigen Medikamente und "notwendige Operationen wurden von einem erstklassigen Chirurgen in dem modernen Operationssaal täglich ausgeführt".

Für Anitas und Helmuths Mutter Helene reichte die Betreuung im Krankenhaus allerdings nicht aus. Sie hätte intensiver individueller Pflege bedurft, aber die Besuchszeiten waren kurz, und die Kinder mussten arbeiten, hatten also nicht die nötige Zeit, um sie seelisch aufzurichten. Im Winter konnte eine entfernte Verwandte sich intensiv um sie kümmern, ihr Zustand besserte sich ein wenig. Aber dann wurde der Transport nach Bergen- Belsen aufgerufen .Er war für den 26. November 1943 vorgesehen, wurde aber plötzlich abgesagt, obwohl der Zug aus Personenwagen, im Gegensatz zu den Viehwagen, die in den Osten fuhren, schon am Bahnhof bereit stand. Die "Reisenden" mussten mit Sack und Pack in ihre Unterkünfte zurückkehren. So verbrachte Familie Mainz noch den Jahreswechsel in Westerbork.

Am 11. Januar 1944 verließ dann ein Zug mit 1.024 Häftlingen in 11 Personenwagen Holland. Helene Mainz wurde in einem Wagen befördert, der zwar als Krankenwagen deklariert, aber nicht für den Krankentransport eingerichtet war.

Helmut Mainz berichtet, dass er guten Mutes fuhr, weil er vom Zustandekommen des Austauschs überzeugt war. Die Familie seiner Schwester blieb zurück und folgte am 2. Februar mit dem nächsten Transport.

Der Zug war überfüllt, 10 Personen mussten in einem Abteil unterkommen und da sie unbeschränkt Gepäck mitnehmen durften, waren die Gänge mit Gepäck blockiert. Der Zug fuhr in der Nacht. Bei Mondlicht sahen die Passagiere bei der Fahrt durch Bremen die ersten Kriegszerstörungen in Deutschland. In Soltau wurde der Zug bis zum Morgengrauen aufgehalten, fuhr dann weiter auf einem Kleinbahngeleise nach Bergen. Die Gegend um Soltau war den Hamburgern von früheren Ausflügen vertraut.
In Bergen mussten alle in Fünferreihen, von SS-Leuten flankiert, antreten und zwei Stunden lang zu Fuß zum Lager marschieren. Helene Mainz wurde wie alle Kranken und Schwachen auf einem Lastwagen transportiert, der hauptsächlich für das Gepäck vorgesehen war. "Auf unserem Wege passierten wir eine große moderne Kaserne nach der anderen. Die ganze Gegend schien in ein großes Militärlager und Übungsterrain verwandelt zu sein." Der Eindruck entsteht auch heute noch, wenn man sich der Gedenkstätte Bergen-Belsen nähert.

Clara Asscher- Pinkhof nennt in ihrem Buch "Sternkinder", das sie 1946 schrieb, Westerbork "Sternwüste" und Bergen-Belsen "Sternhölle". Damit trifft sie gut den Unterschied zwischen den beiden Lagern, der aus Helmuth Mainz’ Bericht ebenso hervorgeht. Dabei war das so genannte Austauschlager in Bergen-Belsen kein Vernichtungslager, sondern auch als Durchgangsstation gedacht. Aber es gab keine Freiräume mehr wie noch in Westerbork. Die Unterbringung in Baracken, Frauen und Kinder getrennt von den Männern, war wesentlich primitiver, die hygienischen Verhältnisse menschunwürdig. Es musste hart gearbeitet werden. Der Hunger wurde das alles beherrschende Problem und oft das einzige Gesprächsthema. Man rätselte, wonach die nächste Wassersuppe schmecken würde oder erzählte sich von Mahlzeiten in besseren Zeiten. Dazu kam die Winterkälte in den kaum beheizten Baracken.

Die Juden aus Holland brauchten in dem Teil des Lagers, in dem sie untergebracht waren. keine Sträflingsuniformen zu tragen, mussten aber an ihren eigenen Kleidungsstücken den "Judenstern" befestigen. Daher stammt die Bezeichnung "Sternlager" für dieses Teillager.

Morgens, mittags und abends gab es einen Appell. "Antreten!" schallte es laut durch das Lager und die Häftlinge mussten sich in Fünferreihen in einem großen Rechteck aufstellen, dann wurde gezählt, solange bis die Zahl stimmte. Das konnte sich über Stunden hinziehen, bis man völlig entkräftet entweder zur Arbeit oder zurück in die Baracke gehen durfte. Kranke durften in ihrer Baracke bleiben und wurden dort gezählt.

Für Helene Mainz erreichte ihr Sohn mit viel Mühe, dass sie in das "Krankenhaus" gebracht wurde .Er beschreibt das "Krankenhaus", in dem seine Mutter die letzten sechs Wochen ihres Lebens verbringen sollte: "Hat der Erkrankte das große Glück aufgenommen zu werden, so kommt er in einen der großen Säle, wo in 2 Betten übereinander die Kranken ebenso untergebracht sind wie in den Baracken. Die Verpflegung ist ebenfalls die gleiche wie im allgemeinen Lager. Schwerkranke erhalten in Ausnahmefällen etwas Milchbrei oder Suppe. An Pflegemitteln herrscht größter Mangel. Für 80 Kranke gibt es anfänglich nur ein Nachtgeschirr und der Nachtstuhl - eine Krankenbaracke besitzt überhaupt kein W.C. - besteht aus einer Tonne mit Deckel, die von 50 Kranken, Tag und Nacht, Frauen und Männer gemeinsam - benutzt wird! Medikamente waren anfänglich überhaupt nicht, später ebenso wie Verbandstoffe nur äußerst spärlich vorhanden….Die jüdischen Ärzte, die im Krankenhaus arbeiteten, taten ,was sie konnten, aber ihre Hilfsmöglichkeiten waren unter den obwalteten Umständen äußerst beschränkt, zumal der Stabsarzt, ebenso wie der Kommandant, allen Beschwerden gegenüber unzugänglich blieb."

Helene Mainz erholte sich nicht wieder. Ihr Sohn schreibt: "29. Februar 1944: Über dem Appellplatz hängen grauschwarze Wolken. Kalter Ostwind pfeift über das Feld und wirbelt Schneeflocken über die weite Fläche. Man sieht keinen Menschen weit umher. Vom Stacheldrahttor des extra eingezäunten Krankenhauses bewegt sich langsam ein Leiterwagen durch den Sand. Ein Soldat, seine Pfeife im Mund, geht, die Pferde antreibend, nebenher. Auf dem Gefährt, das sonst dazu dient, Lagerabfälle zu befördern, steht ein schwarzer Sarg, aus rohen Brettern zusammengezimmert. Mit einem Freund, dem alten Rabbiner de Vries aus Harlem, als einziges Geleit, folge ich diesem traurigen Kondukt. Ich begleite meine Mutter auf ihrem letzten Wege!"

Helmuth Mainz, mit Frau und Töchtern in allerletzter Minute noch auf die Liste gesetzt, gehörte zu den 222 Personen, die am 30. Juni 1944 tatsächlich als Austauschhäftlinge nach Palästina reisen durften. Er beschreibt die zehn Tage lange Fahrt in komfortablen Reisezügen über Land mit Zwischenaufenthalten in Wien und Istanbul bis nach Haifa ausführlich in seinem Bericht.

Seine Schwester Anita und ihr Sohn überlebten ebenfalls. Sie wurden am 23. April 1945 von sowjetischen Truppen aus einem von drei Zügen befreit, die die Austauschhäftlinge unmittelbar vor Kriegsende noch nach Theresienstadt bringen sollten. Ihr Mann, Norbert Oettinger, war im November 1944 gestorben. Er hatte den harten Haftbedingungen nicht standhalten können. Seine Mutter, Claire Oettinger, starb im März 1945, einen Monat vor der Befreiung.

© Christa Fladhammer

Quellen und Literatur: 1; 2; 8; StaH 314- 15 F 1612 und F1616; StaH 351 11 070911 und 150300; StaH 231-7 A1 Bd.46. HR A 1124;StaH 213 – 13 Z384; Wiener Library/Yadvashem P:III.i. (Holland) No. 722 / 02/601, Bericht von Helmuth Mainz (hier insbesondere die Seiten: 3,6,9,20, 22, 24f, 27, 29, 30ff, 36ff, 50ff ,61, 80f); joodsmonument.nl/person/528462/en; joodsmonument.nl/person/543975/en; joodsmonument.nl/person/456968/en; www.bundesarchiv.de/gedenkbuch; www.hollandscheschouwburg.nl/geschiedenis /www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/nl-wissen/geschichte/vertiefung/judenverfolgung/index.html; A.N. Oppenheim, The Chosen People, The Story of the 222 Transport from Bergen-Belsen to Palestine, London/Portland 1996; Clara Asscher- Pinkhof, Sternkinder, Hamburg 2011; Frank Caestecker, Jewish Refugee Aid in Belgium and the Netherlands and the flight from Nazi Germany 1938 – 1940, in: "Wer bleibt, opfert seine Jahre, vielleicht sein Leben" Deutsch Juden 1938 – 1940 Hrsg. Susanne Heim, Beate Meyer und Francis R.Nicosia, Göttingen 2010; Peter Schulze, Die Halberstädter Kaufmanns- und Unternehmerfamilie Hirsch, Bd. 8 der Reihe Juden in Halberstadt, Halberstadt 2004, sowie telefonsiche Auskunft von Peter Schulze; Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, Bergen – Belsen, Katalog der Daueraustellung, Göttingen 2009.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

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