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Antonia Westberg im Juni 1938
Antonia Westberg im Juni 1938
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Antonia Westberg * 1897

Stubbenhuk 38 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
ANTONIA WESTBERG
JG. 1897
EINGEWIESEN 1907
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 1943
HEIL- UND PFLEGEANSTALT
AM STEINHOF / WIEN
ERMORDET 3.11.1944

Antonia Franciska Helena Westberg, geb. am 28.12.1897 in Hamburg, eingewiesen am 7.1.1907 in die damaligen Alsterdorfer Anstalten, verlegt am 16.8.1943 in die Wagner-von-Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien, am 3.11.1944 gestorben

Stubbenhuk 3 (Stubbenhuk 42)

Am 7. Januar 1907, kurz nach ihrem neunten Geburtstag, kam Antonia Westberg, Toni genannt, in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf). Ihre Mutter Johanna Maria Henriette Westberg, geb. Nolda (geb. 9.7.1860), war kurz zuvor am 13. November 1906 verstorben und ihr Vater, der Steuermann Anton Carl Westberg (geb. 27.8.1859 in Rönne/Dänemark), konnte sich offenbar nicht allein um seine behinderte Tochter kümmern. Zudem musste er die Wohnung im Stubbenhuk 42 aufgeben. Die alten Häuser im Stubbenhuk, Ecke Schaarsteinbrücke wurden abgerissen, um Platz für das Aztekenkontor zu schaffen.

Zunächst wurde Antonia am 9. Dezember 1906 in der benachbarten Michaeliskirche getauft, wahrscheinlich um in der evangelischen Einrichtung "Alsterdorf" Aufnahme zu finden.

Für die nächsten Jahre bis zum 20. März 1912 blieb sie dort. Nach einer kurzen Rückführung zu ihrer Familie erfolgte ihre endgültige Einweisung am 15. Januar 1913. Der Amtsarzt, der beide Einweisungen veranlasste, bescheinigte ihr eine "gutartige Natur".

Bei Antonia Westberg hatte sich im zweiten Lebensjahr eine Entwicklungsstörung bemerkbar gemacht. Sie war linksseitig gelähmt und lernte erst mit sechs Jahren laufen. In einem handschriftlichen Untersuchungsbericht vom Januar 1909 wurde allerdings vermerkt, dass ihre Entwicklung zu diesem Zeitpunkt "noch ihrem Alter entsprach", jedoch ihre Sprache als "sehr mangelhaft" empfunden wurde. Und obwohl ihre Intelligenz für "gut" befunden wurde, besuchte sie, 12-jährig, keine Schule mehr. Sie wurde als freundlich, gehorsam und gefällig, eben nur als pflegebedürftig beschrieben. Später wurde ihr die Diagnose: "Imbezillität (Schwachsinn mittleren Grades) mit Adipositas (Fettleibigkeit), Zwergwuchs und Halbseitenlähmung" gestellt.

Ihr Vater Anton Westberg heiratete am 11. November 1915, in zweiter Ehe, Bertha Frieling (geb. 28.5.1879) und zog zu ihr an den Alsterdamm 37 (heute Ballindamm). Seine Tochter holte er wie bisher regelmäßig zu Besuchen nach Hause. Auch andere Familienmitglieder kümmerten sich um sie, so auch ihre verwitwete Großmutter Christiana Franziska, geborene Sauerland, und ihr Onkel, der Zahnarzt Franz Otto Nolda (s. Lieselotte Betty Isenberg). Ihr Vater starb am 23. Oktober 1929, drei Jahre später am 26. Mai 1932 auch ihr Onkel.

Antonia wurde auch in den Alsterdorfer Anstalten Toni gerufen, im Laufe ihres 35-jährigen Aufenthaltes versuchte sie sich dort trotz häufiger Erkrankungen nützlich zu machen. So hieß es ab 1933 in ihrer Akte: "[Sie] ist eifrig bemüht, den Kindern zu helfen und ihnen eine Freude zu machen. Geht seit einiger Zeit mit in die Webklasse, hat sehr viel Freude daran, stiftet gerne Frieden zwischen den anderen Kindern. Sehr gewissenhaft und pünktlich." Und: "Sie möchte gerne helfen, versucht auch mit ihrer gesunden Hand kleine Handreichungen zu machen."

Am 14. April 1943, in einem der letzten Einträge in ihrer Patientenakte wurde sie, obwohl bereits 46 Jahre alt, als "sehr ruhiges Kind" beschrieben: "Sie muss gewaschen, gebadet und gekämmt werden, an- und ausziehen kann sie sich alleine. Sie ist an sich sauber und ordentlich. Trotzdem sie selbst ziemlich hilflos ist, ist sie immer bereit, kleine Handreichungen zu tun. Sonst beschäftigt sie sich nur mit Bilder besehen und Perlen aufziehen. Sie kann recht schadenfroh sein, wenn z.B. jemand hinfällt, will sie sich totlachen."

Die letzte Notiz am 16. August 1943 unterschrieb der leitende Oberarzt Gerhard Kreyenberg: "Verlegung wegen schwerer Beschädigung der Alsterdorfer Anstalt durch Fliegerangriff nach Wien."

Bei ihrer Ankunft in der Wagner-von-Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt in Wien wog Antonia Westberg noch 42 Kilo. Sie galt als mangelhaft orientiert und pflegebedürftig.

In einer am 30. Mai 1944 angefertigten karikaturähnlichen Zeichnung wurde festgehalten, dass sie bei einer Körpergröße von 136 cm nur noch 28 Kilo wog, was auf Nahrungsentzug hindeutet.

Antonia Westberg starb ein halbes Jahr später, am 3. November 1944, in der Wiener Anstalt. Als sich die Familie ihres verstorbenen Onkels nach der Todesursache erkundigte, gab der Wiener Anstaltsarzt Wunderer eine "Entartung des Herzmuskels" sowie eine Bronchopneumonie als Todesursache an. Wegen Lungenentzündung und Bronchitis war sie schon in den Alsterdorfer Anstalten oft behandelt worden, und so erschien die Diagnose vermutlich unauffällig. Geld, das ihre Cousine mit der Bitte für einen Grabschmuck nach Wien übermittelte, wurde ihr postwendend nach Hamburg zurückgeschickt.


Stand: August 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: StaH 332-5 Standesämter 2780 u 1144/1891; StaH 332-5 Standesämter 2435 u 4397/1897; StaH 332-5 Standesämter 571 u 1078/1906; StaH 332-5 Standesämter 3265 u 528/1915; StaH 332-5 Standesämter 950 u 1715/ 1929; StaH 332-5 Standesämter 7138 u 585/1932; Archiv der Evangelischen Stiftung Alsterdorf V 215 Antonia Westberg; Wunder/Genkel/Jenner: schiefen Ebene.

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