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Edith Sandner * 1919

Großneumarkt 38 (vormals Schlachterstraße) (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
EDITH SANDNER
JG. 1919
SEIT 1934 AUFENTHALT
IN VERSCHIEDENEN
HEILANSTALTEN
DEPORTIERT 1943
THERESIENSTADT
ERMORDET 22.3.1944

Edith Sandner, geb. am 23.11.1919 in Hamburg, eingewiesen am 12.7.1934 in die damaligen Alsterdorfer Anstalten, verlegt am 18.9.1940 in die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn, deportiert am 15.10.1943 über Berlin nach Theresienstadt, dort gestorben am 22.3.1944

Großneumarkt 38 (Schlachterstraße 46/47)

Der Vater von Edith Sandner, der Schneidermeister Anton Karl Sandner (geb. 3.9.1887), stammte aus "Sossen in Deutsch Böhmen" aus einer katholischen sudetendeutschen Familie. Der Ort gehörte bis zum Ende des Ersten Weltkrieges zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie. (Sosenˇ ist heute ein Stadtteil von Jesenice in der Tschechischen Republik.)

Kurz vor der Geburt seiner Tochter war Anton Sandner zum jüdischen Glauben konvertiert und hatte am 19. August 1919 die Schneiderin Röschen Oppenheim (geb. 8.5.1891) geheiratet, die älteste Tochter des jüdischen Händlers Manasse/Martin Oppenheim (geb. 13.3.1856) und dessen zweiten Ehefrau Rahel, geb. Steinfeld (geb. 7.2.1863). Das Ehepaar Oppenheim hatte, als Tochter Röschen geboren wurde, im Neuen Steinweg 73 gewohnt. Sie zogen noch mehrfach um, bevor sie 1916 in der Bundesstraße 35a eine Wohnung im Samuel-Levy-Stift erhielten.

Anton und Röschen Sandner zogen nach der Eheschließung in die Bundesstraße 18, wo sie im Keller des Hauses eine Damen- und Herrenschneiderei eröffneten. Edith kam am 23. November 1919 zur Welt, ein weiteres Kind, Tochter Ilse, wurde am 15. Oktober 1922 geboren und starb als Kleinkind am 28. Mai 1925 an einem "plötzlichen Herztod" im Bethanien-Krankenhaus in der Martinistraße 46. Im selben Jahr ereignete sich ein weiteres Unglück. Edith erlitt im Alter von sechs Jahren einen Schädelbruch. Ihr musste infolge der schweren Kopfverletzung das rechte Schädeldach entfernt werden. Sie überlebte, litt jedoch seitdem unter epileptischen Anfällen, die sich mit der Zeit verschlimmerten.

Nach Unterlagen der Oberschulbehörde konnte Edith Ostern 1926 in die "unterste Grundschulklasse" der Israelitischen Töchterschule in der Carolinenstraße eingeschult werden. Im Alter von 14 Jahren, am 12. Juli 1934, kam Edith in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf). Offenbar konnte ihre Mutter Röschen Sandner ihre Tochter nicht mehr angemessen versorgen. Beide lebten seit 1932 im jüdischen Lazarus-Gumpel-Stift, Schlachterstraße 46/47, Haus 5 und bezogen vom Wohlfahrtsamt Fürsorgeleistungen. Bei der Einweisung ihrer Tochter in Alsterdorf ließ Röschen Sandner im Aufnahmeprotokoll vermerken, ihr sei der Aufenthalt von Ediths Vater zu diesem Zeitpunkt unbekannt.

Laut der Hamburger Adressbücher wohnte Anton Sandner im Stadtteil Barmbek, seit 1929 bis 1931 im Harzenweg 18, dann in der Hamburger Straße 23. Die Ehe wurde am 7. Juli 1937 geschieden, im Anschluss trat Anton Sandner wieder aus der Deutsch-Israelitischen Gemeinde aus.

Edith blieb nach ihrer Aufnahme die nächsten vier Jahre in Alsterdorf. Am 31. Oktober 1938 wurde sie mit vierzehn weiteren jüdischen Personen ins staatliche Versorgungsheim Oberaltenallee verlegt. Der Alsterdorfer Anstaltsleiter Pastor Friedrich Lensch hatte zuvor in einem Schreiben an die Gesundheitsbehörde um die umgehende Verlegung der "jüdischen Zöglinge" gebeten, "die wir nicht mehr in unserer Anstalt beherbergen können, ohne die Anerkennung als gemeinnützige Anstalt zu verlieren".

Am 18. September 1940 kam Edith in die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn. Bis auf Edith wurden alle jüdischen Patientinnen und Patienten fünf Tage später in das ehemalige Zuchthaus der Stadt Brandenburg an der Havel abtransportiert und dort noch am Tage ihrer Ankunft mit Giftgas ermordet. Offenbar genoss Edith als "Mischling ersten Grades" zunächst noch einen relativen Schutz, sie wurde für fast drei weitere Jahre in der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn versorgt.

In ihrer dortigen Krankenakte, der erste Eintrag datierte vom 21. September 1940, wurde sie als ruhige und geordnete, zeitlich und örtlich orientierte, immer freundliche Patientin beschrieben, die sich gern mit den "Schwestern" unterhielt. Wenn es ihr gut ging, vertrieb sie sich die Zeit mit der Abschrift von Gedichten. Obwohl ihr linker Arm und ihre Hand "gebrauchsunfähig" waren und sie beim Gehen Hilfe benötigte, versorgte sich Edith selbst. Sie trug einen Kopfschutz und erhielt, da sie fast täglich epileptische Anfälle bekam, das Beruhigungsmittel Luminal.

Für Edith Sandner wurde erst spät eine Kultussteuerkarte angelegt. Ein Vermerk besagte "nicht Mitglied der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland", als deren Bezirksstelle der Jüdische Religionsverband in Hamburg galt, wie der Name der ehemaligen Jüdischen Gemeinde seit Juli 1939 lautete. Dieser Vermerk wurde, wie auch auf der Kultussteuerkarte -ihrer Mutter, gestrichen, als sie zur Zwangsmitgliedschaft in der Reichsvereinigung verpflichtet wurden. Eine weitere Notiz "Tschechei" bedeutete, dass Edith aufgrund der Geburt ihres Vaters in Böhmen die tschechische Staatsangehörigkeit besaß und nicht den Zwangsnamen "Sara" tragen musste.

Am 7. April 1943 wurde Edith aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn als "ungeheilt entlassen". Sie kam in die letzte medizinische Einrichtung für jüdische Patientinnen und Patienten nach Berlin in das Israelitische Krankenhaus in der Iranischen Straße. Am 15. Oktober 1943 wurde Edith Sandner zusammen mit 53 Personen von Berlin in das Getto nach Theresienstadt deportiert. Möglicherweise kam sie dort noch einmal mit ihrer Mutter zusammen, Röschen Sandner war wenige Monate zuvor am 23. Juni 1943 von Hamburg aus der Rutschbahn 25a nach Theresienstadt deportiert worden.

Edith Sandner starb am 22. März 1944, vermutlich aufgrund der unzureichenden Ernährung und der schlechten medizinischen Versorgung, im Alter von 24 Jahren.

Ihre Mutter wurde am 8. Mai 1945 in Theresienstadt von sowjetischen Truppen befreit. Röschen Sandner starb am 23. November 1972 in Hannover.

Für ihren Bruder Friedrich/Fritz Oppenheim (geb. 1.9.1896), dessen Ehefrau Irma, geb. Stöhlker (geb. 12.8.1903), und Sohn Hermann (geb. 26.11.1927) gab es keine Rückkehr. Sie wurden in Minsk ermordet (s. Rosa Weinberg).


Stand: August 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: 1; 3; 4; StaH 351-11 AfW 18076 (Oppenheim, Friedrich); StaH 332-5 Standesämter 2255 u 1969/1891; StaH 332-5 Standesämter 2405 u 3008/1896; StaH 332-5 Standesämter 8729 u 404/1919; StaH 332-5 Standesämter 9814 u 1037/1925; StaH 352-5 Todesbescheinigung 1925, St. 3a 1037; StaH 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 2/1995, 183; 352-8-7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1-1995, 27796; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Abl. 1993/01 A41; StaH 361-2 II Abl. 01/07, 331; Ebbinghaus/Kaupen-Haas/Roth: Heilen, S. 63 (Dokumente II); Meyer: "Jüdische Mischlinge"; Silver: Überleben; diverse Hamburger Adressbücher.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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