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Senta Gertrud Joseph * 1902

Pastorenstraße 7 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
SENTA GERTRUD
JOSEPH
JG. 1902
DEPORTIERT 1943
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET

Senta Gertrud Joseph, geb. am 14.12.1902 Hamburg, deportiert am 23.6.1943 nach Theresienstadt, weiterdeportiert am 12.10.1944 nach Auschwitz

Pastorenstraße 7 (Pastorenstraße 23)

"Ich wurde am 14.12.1902 in Hamburg als außereheliches Kind des Louis Fritz Heinrich Brammer, geb. 13.6.1876 in Hamburg, und der ledigen Julia Joseph, geb. 17.3.1885 in Hamburg, geboren. Meine Mutter, welche am 1.3.1939 verstarb, war Volljüdin, wohin [gegen] mein Erzeuger rein arischer Abstammung ist. Da meine Mutter zur See fuhr und somit nur vorübergehend in Hamburg weilte, wurde ich in die Obhut meiner Großeltern mütterlicherseits überlassen. Meine Großeltern waren keinesfalls gläubige Juden, was schon die Tatsache beweist, dass sie ihre Kinder eine christliche Schule besuchen ließen. Meine Großeltern, die in ärmlichen Verhältnissen lebten und beide, trotzdem sie 10 Kinder hatten, erwerbstätig waren, konnten sich auf die Dauer nicht mit meiner Erziehung befassen und übergaben mich schon vor meinem schulpflichtigen Alter dem christlichen Waisenhaus. Aus Gründen, die mir nicht bekannt sind, wurde ich aber nach einer gewissen Zeit in ein jüdisches Waisenhaus gebracht, was zur Folge hatte, dass ich eine jüdische Schule besuchen musste", erklärte Senta Joseph am 30. Juni 1941 in einem Schreiben an das Amtsgericht Hamburg. Sie hatte sich strafbar gemacht, weil sie nicht rechtzeitig die vorgeschriebene "Judenkennkarte" beantragt und dem zuständigen Standesamt den Zwangsnamen Sara nicht gemeldet hatte. Der Kennkartenzwang für Juden war am 23. Juli 1938 eingeführt worden. Die Kennkarte, mit einem großen "J" gestempelt, musste bei Anträgen unaufgefordert vorgelegt oder im Schriftverkehr erwähnt werden. Für die nicht fristgemäß beantragte Kennkarte drohte ihr eine Geld- oder im schlimmsten Fall eine Gefängnisstrafe.

Senta Joseph erklärte abschließend: "Mir war nicht bekannt, dass ich als Tochter meines arischen Vaters eine Judenkennkarte beantragen muss, da mein Vater deutschblütiger Abstammung ist."

Der Vater von Senta, der Maschinist Louis Brammer, lebte seit 1910 in Baltimore in den USA. Ihre Mutter Julia war vor der Geburt ihrer Tochter als Dienstmädchen beschäftigt gewesen. Diese Tätigkeit gab sie auch an, als am 28. August 1904 ihr zweites Kind Paul Friedrich Wilhelm Joseph zur Welt kam.

Julia Joseph heiratete am 20. Juli 1911 den Kellner Erich Ernst Alexander Sauer, da fuhr sie noch als Stewardess zur See.

Senta verbrachte die ersten Lebensjahre bei ihren jüdischen Großeltern im Neuen Steinweg 94. Der Großvater Louis Joseph (geb. 29.4.1853, gest. 20.9.1936), ein Schuhmachermeister, war in London geboren, seine Ehefrau Auguste, geb. Herzfeld (geb. 4.2.1855, gest. 2.8.1924), stammte aus einer Brüeler Kaufmannsfamilie in Mecklenburg. Die Großeltern hatten am 21. August 1876 in Altona geheiratet (s. Emma Schniek und Celine Wenkel).

Senta wuchs im Paulinenstift im Jüdischen Waisenhaus für Mädchen am Laufgraben 37 heran. Dieser Umstand bewirkte vermutlich, dass sie später als "jüdisch" galt. Nach dem Ende ihrer Schulzeit muss Senta Joseph eine kaufmännische Ausbildung erhalten haben, da sie als Stenotypistin oder auch als Auslandskorrespondentin tätig war. Nach eigenen Angaben stand sie seit ihrem 17. Lebensjahr auf eigenen Füßen.

Ihr Halbbruder Paul Joseph besuchte nach seiner Schulzeit an der Talmud Tora Schule ein Ausbildungsheim in Ahlen bei Hannover und fuhr im Anschluss, wie seine Mutter Julia, als Steward zur See, zuletzt für die Reederei Arnold Bernstein (geb. 1888, gest. 1971) auf dem Dampfer "Hohenstein", da er als Jude auf deutschen Schiffen nicht mehr fahren durfte. Die "Hohenstein" wurde 1935 in "Tel Aviv" umbenannt und beförderte jüdische Auswanderinnen und Auswanderer von Triest nach Haifa. Diese Gelegenheit nahm auch Paul Joseph wahr, er emigrierte mit seiner nichtjüdischen Ehefrau Frieda, geb. Reins (geb. 24.5.1901 in Wesermünde), am 12. Februar 1935 nach Palästina.

Senta Joseph lebte eine Zeitlang in Berlin. Sie kehrte Ende 1936 nach Hamburg zurück und zog kurz darauf zu ihrer Tante Selma Meffert, geb. Joseph (geb. 21.8.1890), die seit 1918 mit dem nichtjüdischen Schriftsetzer Peter Meffert (geb. 2.8.1890 in Köln) verheiratet war. Das Ehepaar Meffert lebte seit 1922 in der Pastorenstraße 23, eigene Kinder hatte es nicht. Sentas Mutter Julia, mittlerweile geschiedene Sauer und seit Dezember 1932 in zweiter Ehe mit dem Konditor und Koch Ernst Kischko (geb. 11.2.1891) verheiratet, wohnte nicht weit entfernt im Wolfgangsweg 10, später zog sie in die Straße Raboisen 58. Julia Kischko starb am 1. März 1939 im Marienkrankenhaus an den Folgen eines Herzleidens. Ihr Grab befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel in Ohlsdorf.

Senta Joseph wurde wegen der nicht fristgerecht beantragten Kennkarte zu einer relativ geringen Geldstrafe von 32,50 Reichsmark verurteilt. Ihr Antrag beim "Reichssippenamt" in Berlin, sie von der "Judenkennkarte" zu befreien, wurde abgelehnt. Wegen der Erziehung in jüdischen Einrichtungen und der Mitgliedschaft in der Jüdischen Gemeinde Berlins wurde sie als "Geltungsjüdin" klassifiziert (diese Gruppe wurde bis 1943 von den Deportationen in die Gettos des Ostens zurückgestellt).

Nach den schweren Bombenangriffen auf Hamburg während der "Operation Gomorrha" wurde Peter Meffert als Ehemann einer Jüdin von der Bauverwaltung zu Aufräumarbeiten herangezogen. Im Juli 1943 wurde das Ehepaar in der Pastorenstraße ausgebombt. Peter Meffert gab in seinem Wiedergutmachungsantrag an, dass seine Nichte Senta schon zuvor, am 23. Juni 1943, aus der Wohnung in der Pastorenstraße abgeholt worden sei. Sie kam mit einem Transport mit weiteren 107 Personen in das "Vorzeige-" oder auch "Altersgetto" Theresienstadt. Neben alleinstehenden "Mischlingen" wie Senta wurden für diese "Evakuierung" Personen über 65 Jahren ausgewählt, Männer die im Ersten Weltkrieg Auszeichnungen erhalten hatten und Ehepartner, deren nichtjüdische "Mischehe" aufgelöst war. Was aber nicht bedeutete, dass die dortigen Lebensbedingungen besser waren als in anderen Gettos oder Konzentrationslagern. Für Senta Joseph bedeutete Theresienstadt nur eine Station auf dem Weitertransport am 12. Oktober 1944 ins Vernichtungslager Auschwitz.

Selma Meffert erlebte das Kriegsende geschützt durch ihre "Mischehe", starb jedoch bereits 1949 in Hamburg. Ihr Neffe Paul Joseph kehrte 1957 aus der Emigration nach Hamburg zurück.


Stand: Juli 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: 1; 9; StaH 351-11 AfW Abl. 2008/1, 141202 Joseph, Senta; StaH 351-11 AfW 25153 (Joseph, Paul); StaH 351-14 AfW 1784 (Joseph, Paul); StaH 351-11 AfW 12079 (Meffert, Peter); StaH 213-11 Amtsgericht Hamburg Strafsachen 5657/41; StaH 332-5 Standesämter 13788 u 3002/1902; StaH 332-5 Standesämter 14232 u 2031/1904; StaH 332-5 Standesämter 13846 u 836/1932; StaH 332-5 Standesämter 7223 u 350/1939; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 5; Gramenz/Ulmer: Juden, S. 114–121; Meyer: Verfolgung, S. 79–87.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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