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Hermann Weinberg * 1888

Markusstraße (Durchgang zur Neanderstraße, vor Sportplatz; früher Peterstraße 15) (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
HERMANN WEINBERG
JG. 1888
VERHAFTET 1942
KZ FUHLSBÜTTEL
GEFÄNGNIS GLASMOOR
DEPORTIERT 1942
AUSCHWITZ
ERMORDET 23.1.1943

Hermann Weinberg, geb. am 30.1.1888 in Herzebrock, inhaftiert 1942, deportiert am 10.12.1942 nach Auschwitz, dort am 23.1.1943 ermordet

Markusstraße/Ecke Peterstraße 15 (Peterstraße 15)

Hermann Weinberg war als Sohn von Max Weinberg und Emilie, geb. Heinemann, in Herzebrock/Kreis Wiedenbrück in Westfalen geboren worden. Dort hatte er die Höhere Schule besucht und war zunächst im Lebensmittelgeschäft seiner Eltern beschäftigt. Wegen seiner starken Schwerhörigkeit hatte er diese Tätigkeit nicht länger ausüben können und eine Lehre als Schlosser begonnen. Wann Hermann Weinberg seine Heimat verließ, ist nicht bekannt. In Hamburg war er zunächst im Stadtteil St. Pauli in der Kleinen Freiheit 63 gemeldet, 1928 in der Peterstraße 15, Haus 7.

Am 26. Juni 1929 heiratete er Emilie Grotz, die am 20. März 1906 in Vietach/Deggendorf in einem nichtjüdischen Elternhaus geboren worden war. Ihre gemeinsame Tochter Ruth kam kurz vor der Hochzeit am 25. Mai 1929 zur Welt. Das Ehepaar Weinberg wohnte in der Marcusstraße 11 (heute Markusstraße), im Valentinskamp 60 und zur Untermiete in der Neustädterstraße 16. Dann zog es wieder in die Peterstraße 15 zurück.

Emilie Weinberg berichtete später, ihr Ehemann habe bereits Anfang 1933 wegen seiner jüdischen Abstammung keine Arbeit als Schlosser mehr gefunden und deshalb Beschäftigungen als Bote angenommen. 1938 bezogen sie Fürsorgeleistungen und Hermann Weinberg musste für einen sehr geringen Lohn "Notstandsarbeiten" leisten. Das Ehepaar gehörte keiner Jüdischen Gemeinde an und ihr einziges Kind Ruth wurde nicht jüdisch erzogen.

Solche Ehen wurden von den Nationalsozialisten als "privilegierte Mischehe" bezeichnet. Hermann Weinberg war deshalb von der Kennzeichnungspflicht des "Judensterns" befreit und zunächst noch vor der Deportation geschützt.

Im September 1941 erledigte Hermann Weinberg wieder Botengänge, er war für die Firma Karl Schneemilch im Krayenkamp 16/17 tätig. Im Auftrag dieser Firma unterschrieb er auch Quittungen bei der Anlieferung und Abholung von Waren, bis er "vom Arbeitsamt" (wahrscheinlich vom Leiter der Sonderdienststelle des Arbeitsamtes für den "Arbeitseinsatz" der in Mischehen lebenden Jüdinnen und Juden, Willibald Schallert) in eine andere Firma vermittelt wurde.

Hermann Weinberg geriet in die Mühlen der NS-Justiz, als er sich darauf einließ, für seinen ehemaligen Chef Karl Schneemilch (geb. 10.3.1890), Rottiwürze (Flüssiggewürze z. B. für Suppen) von nicht einwandfreier Qualität zum verminderten Preis an einen Lebensmittelhändler zu liefern, die dieser, wie sich später herausstellen sollte, von einem "Meister Gerd" von der Herstellerfirma Möller unrechtmäßig bezog. Da die Firma Schneemilch lediglich chemische Produkte wie z.B. spezielle Fußbodenpflegemittel, aber keine Lebensmittel führte, sollte Hermann Weinberg die Quittungen mit seinem Namen unterschreiben, die er dann an Schneemilch übergab. Als die mindere Qualität der Rottiwürze durch eine Kundin zur Anzeige kam, wurde die Quelle ermittelt. Karl Schneemilch überredete Hermann Weinberg, die Schuld des unrechtmäßigen Verkaufs der Rottiwürze auf sich zu nehmen.

Am 6. August 1942 gab Hermann Weinberg während einer polizeilichen Vernehmung zunächst Folgendes zu Protokoll: "Ich bin Volljude. Meine Ehefrau ist arisch. Ich habe mit ihr eine Tochter. Aus diesem Grunde brauche ich keinen Judenstern zu tragen. Im Jahre 1941 war ich bei der arischen Firma Karl Schneemilch, Krayenkamp 16, als Bote tätig. Ich verdiente RM 45,– brutto, ca. RM 38/39,– netto. Im Auftrage meiner Firma hatte ich häufiger Bohnerwachs von der Fa. Möller abzuholen. Dadurch lernte ich den Meister mit Vornamen ,Gerd‘ kennen. Eines Tages im Herbst 1941 sagte der Meister zu mir, ob ich von der Rottiwürze etwas absetzen könne. Ich bat um einige Proben, die ich dann erhielt. Meiner Arbeitgeber-Firma Schneemilch hatte ich hiervon keine Kenntnis gegeben. Ich habe mich an den Kolonialwarenhändler Meyn, bei dem ich privat einkaufe, gewandt und diesem die Proben vorgelegt. Daraufhin erhielt ich einen kleinen Auftrag. Aufgrund dieser Bestellung lieferte ich dann ca. 25 Liter an Meyn. Der Meister Gerd übergab mir den Demijohn von 25 Litern, den ich sofort an Meyn weiterlieferte. Ich ließ mir dann das Geld RM 2,20 je Liter von Meyn geben und führte den Betrag von RM 2,– je Liter an den Meister der Fa. Möller ab. Eine Rechnung habe ich von der Fa. Möller nicht erhalten. Als der Meister die Ware anlieferte, habe ich ihn um eine Rechnung gebeten, die ich meinem Käufer vorlegen könnte. In dieser Rechnung sollte der Preis von RM 2,20 berechnet werden. Der Meister lehnte dieses ab mit der Begründung, er habe zu dreckige Hände. Einige Zeit später, nämlich im Januar 1942, ist es zu einer neuen Lieferung von 125 Litern an Meyn gekommen. […] Ich war in dem Glauben, dass ich die Ware ordnungsgemäß von der Fa. Möller bezogen habe. Ich habe keine Kenntnis davon gehabt, dass der Meister die an mich ausgelieferte Ware unrechtmäßig beiseite geschafft hat. Wenn mir vorgehalten wird, dass ich an den Kolonialwarenhändler eine Quittung ausgestellt habe, die auf den Namen der Fa. Möller lautete, so erkläre ich hierzu, dass der Meister Gerd mich hierzu ermächtigt hat."

Am 29. August 1942 verurteilte das Amtsgericht Hamburg Hermann Weinberg in einem Schnellverfahren wegen Hehlerei in zwei Fällen, wegen Nichtführen des Vornamens "Israel" und gewinnsüchtiger Urkundenfälschung zu zehn Monaten Gefängnis. Da er die mit Schreibmaschine ausgestellten Quittungen der Herstellerfirma der Rottiwürze bei der Ablieferung der Ware mit "Hermann Weinberg" unterschrieben hatte und nicht den Zwangsnamen "Israel" hinzufügte, hieß es in der Urteilsbegründung: "Da aber seine Frau arisch ist und aus der Ehe ein Mädchen stammt, braucht er einen Judenstern nicht zu tragen. Diese Vergünstigung hat er dazu ausgenutzt, um seine jüdische Rassenzugehörigkeit zu verschleiern. Er ist bereits im Jahre 1941 wegen Nichtbeantragens einer Kennkarte und Nichtführens des Zwangsnamens Israel bestraft worden."

"Meister Gerd" wurde wegen Diebstahls verurteilt, wie hoch seine Strafe ausfiel, geht aus der Akte nicht hervor. Und auch Karl Schneemilch wurde verhaftet. Vier Tage nach seiner Festnahme, am 23. August 1942, wurde er in seiner Zelle im Untersuchungsgefängnis am Fenster erhängt aufgefunden.

Hermann Weinberg musste am 19. September 1942 seine Haftstrafe antreten. Am 30. September wurde er ins Gefängnis Glasmoor bei Glashütte/Kreis Segeberg überführt. Im November stellte er einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens und schilderte in einem vier Seiten langen Rechtfertigungsschreiben an die Staatsanwaltschaft einen ganz anderen Sachverhalt. Den unrechtmäßigen Handel mit Rottiwürze habe er auf sich genommen, weil er sich seinem ehemaligen Chef verpflichtet fühlte, da dieser die Existenz seiner Firma gefährdet gesehen und gebeten habe, ihn aus "der Sache" herauszuhalten. "Karl Schneemilch war mir in der Zeit meines dort seins ein äußerst gütiger Chef, der mir 2 Mal mit Geldmitteln aus der Bedrängnis half, dadurch fühlte ich mich verpflichtet, ihm eine Gefälligkeit erweisen zu müssen, an eine strafbare Handlung habe ich nicht gedacht. […] Er wollte alles bezahlen, mich entschädigen, bei eventueller Strafe meine Familie unterstützen, bis ich nachgab, ihm mein Wort gab. […] An eine Strafe von 10 Monaten hat niemand gedacht."

Das Wiederaufnahmeverfahren wurde abgelehnt. Hermann Weinberg wurde am 18. November 1942 nach Hamburg in das Polizeigefängnis Fuhlsbüttel zurückverlegt und im Zuge der Deportationen jüdischer Strafgefangener am 10. Dezember 1942 nach Auschwitz überstellt. Er erhielt dort die Häftlings-Nummer 82489. Aus dem Meldebuch des "Häftlingskrankenbaues" geht hervor, dass Hermann Weinberg am 21. Januar 1943 wegen "allgemeiner Schwäche" in den Block 28 kam und einen Tag später in den Block 20 verlegt wurde. Dort soll er am 23. Januar 1943 verstorben sein.

Emilie Weinberg geriet nach der Verhaftung ihres Ehemannes in noch größere finanzielle Not. Zudem wurde sie in der Peterstraße ausgebombt und flüchtete nach Bayern. Sie starb am 17. November 1977 in Hamburg.

Auf dem ehemaligen Grundstück des Hauses Peterstraße 15 erstreckt sich heute ein eingezäunter Sportplatz, daneben befindet sich der Spielplatz einer Kindertagesstätte. Die Fläche wurde nach dem Krieg nicht wieder mit Wohnhäusern bebaut.


Stand: August 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: 4; 9; StaH: 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht-Strafsachen 5467/43; StaH: 242-1II Gefängnisverwaltung Abl. 13, jüngere Gefangenenkartei Männer; StaH: 351-11 AfW 31128 (Weinberg, Emilie); 332-5 Standesämter 1152 u 437/1942; StaH 332-5 Standesämter 13202 u 389/1929; StaH 332-5 Standesämter 2216 u 800/1890; StaH 331-5 Polizeibehörde – Unnatürliche Sterbefälle 3 Akte 1258/1942; StaH- 242-1 II Gefängnisverwaltung Abl. 12, 561 (Schneemilch, Karl); Meyer: Verfolgung, S. 79–87.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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