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Bereits verlegte Stolpersteine



Lieselotte Betty Isenberg * 1906

Esplanade 17 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
LIESELOTTE BETTY
ISENBERG
JG. 1906
GEDEMÜTIGT/ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
10.7.1942

Lieselotte Betty Isenberg, geb. am 22.12.1906 in Marburg, Freitod am 10.7.1942 in Hamburg

Esplanade 17

Am 10. Juli 1942 gegen drei Uhr nachts wurde das 30. Polizeirevier Hohe Bleichen 19 fernmündlich verständigt, dass im Haus Esplanade 17 eine Frau Selbstmord verübt habe. Die daraufhin eintreffenden Polizeibeamten fanden "die Volljüdin Lieselotte Sara Isenberg" im Keller des Hauses an einem Heizungsrohr mit einer Wäscheleine erhängt auf. In ihrem Zimmer auf dem Bett lagen eine Geldbörse mit 23,54 Reichsmark (RM) sowie mehrere Briefmarken, Lebensmittelkarten und der "Evakuierungsbefehl" Nr. 360 von der Gestapo-Leitstelle Hamburg.

Lieselotte Betty Isenberg war als ältestes Kind des jüdischen Ehepaares Gerson Isenberg (geb. 6.4.1880) und Selma, geb. Hirsch (geb. 25.2.1881), am 22. Dezember 1906 in Marburg a.d. Lahn im Landkreis Hessen geboren worden. Ihr Bruder Hans war am 4. Mai 1910 gefolgt. Während ihre Mutter aus Eppingen in der Nähe von Heidelberg stammte, war der Vater Marburger. Dessen Eltern Tobias und Rosa Isenberg, geb. Goldschmidt, hatten dort seit 1888 am Steinweg 12 eine Schlachterei und eine Gaststätte mit Zimmervermietung besessen. Wann und warum Lieselotte Isenberg ihre Heimat verließ, ist nicht bekannt.

Im September 1935 legte die Jüdische Gemeinde in Hamburg für sie eine Kultussteuerkarte mit dem Vermerk an: "hat kein Einkommen oder Vermögen, wird von Bekannten ernährt lt. eigener Angabe". Als Adresse wurde der Grindelhof 12 genannt, als Beruf "Angestellte", beide Angaben später aber durchgestrichen. Erst ab 1940 wurde Lieselotte Isenberg, wenn auch nur geringfügig, kulturssteuerlich veranlagt, stand also in Arbeit. Ab 1941 wurde vermerkt, sie sei im Haushalt tätig und werde mit 40 RM im Monat vergütet.

Lieselotte Isenberg arbeitete als Hausangestellte bei der Witwe Nolda (s. Antonia Westberg), die auch die Eigentümerin des Mietshauses Esplanade 17 war. Deren Tochter, die Zahnärztin Ottilie Nolda (geb. 23.4.1898) sowie zwei weitere Ärzte praktizierten dort im Hause (heute beherbergt es einen "Nightclub").

Ottilie Nolda gab im Polizeibericht zu Protokoll, sie hätte noch bis etwa gegen 2 Uhr 30 einiges mit ihrer Hausangestellten wegen deren bevorstehender "Evakuierung" besprochen. Lieselotte Isenberg sei dann in ihr Zimmer im Keller des Hauses gegangen, um einen Fragebogen zu holen, den sie auszufüllen hatte. Da sie nach einiger Zeit nicht zurückkam, folgte sie ihr in den Keller und fand dort Lieselotte Isenberg erhängt auf. "Ich nehme an, dass Frl. Isenberg sich das Leben genommen hat, da sie evakuiert werden sollte. Sie hatte bereits schon einmal im Jahre 1941 einen Evakuierungsbefehl bekommen und aus diesem Grunde einen Selbstmordversuch begangen."

Lieselotte Isenberg war am 25. Oktober 1941 für die Deportation in das Getto "Litzmannstadt" nach Lodz vorgesehen gewesen. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete sie bereits im Haushalt der Noldas. Sie soll sich die Pulsadern aufgeschnitten haben, konnte aber gerettet werden. Ihr Name war von der Deportationsliste gestrichen worden. Auf dem "Evakuierungsbefehl", den Lieselotte Isenberg neun Monate später für den 11. Juli 1942 erhielt, hieß es offiziell, dass der Transport mit unbekanntem Ziel abginge. Zweiundzwanzig der zum Abtransport vorgesehenen Personen wählten wie Lieselotte Isenberg den Freitod. Der Transport ging ins Vernichtungslager Auschwitz.

Die Behörde des Oberfinanzpräsidenten/Vermögensverwertungsstelle Hamburg ließ nach dem Freitod von Lieselotte Isenberg deren verbliebenen Besitz am 3. November 1942 öffentlich versteigern: drei Koffer, drei Handtaschen, ein Damenschirm, drei Kleider, drei Röcke und Blusen, sechs Unterkleider, ein Damenmantel, zwei Damenhüte, Unterwäsche, Handschuhe und Schuhe, Bettbezüge, Tischdecke und Tücher, zwei Handtücher, Servietten und ihre Geldbörse erbrachten einen Erlös von 288 Reichsmark (RM).

Lieselottes Mutter Selma Isenberg erfuhr wahrscheinlich von der Selbsttötung ihrer Tochter. Sie gehörte am 6. September 1942 zu den Marburger Jüdinnen und Juden, die von Kassel aus mit einem Sammeltransport zunächst ins Getto nach Theresienstadt kamen. Selma Isenberg wurde am 18. Mai 1944 in Auschwitz ermordet.

Gerson Isenberg, Lieselottes Vater, wurde 10. November 1938, wie viele jüdische Männer, im Zuge der Pogromnacht verhaftet und von Marburg am 12. November 1938 in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht, wo er nur zwei Tage später verstarb. Als Todesursache wurde "Herzschlag" angegeben.

Sohn Hans war schon früh nach Frankreich emigriert und lebte als Kaufmann in Toulouse. Am 5./6. August 1944 wurde er mit einem Transport aus Toulouse ins KZ Buchenwald verbracht. Dort wurde er mit der Häftlingskategorie "Politisch Mischling I Grades" zunächst in Block 52 im sogenannten Kleinen Lager untergebracht. Am 14. September 1944 wurde er ins Außenlager Plömnitz verlegt. Unter dem Decknamen "Leopard" mussten die Häftlinge schwere Beton- und Transportarbeiten in unterirdischen Schachtanlagen für die Rüstungsproduktion leisten. Hans Isenberg soll sich unter den Häftlingen befunden haben, die im April 1945 von amerikanischen Truppen befreit wurden.

An das Ehepaar Gerson und Selma Isenberg erinnern Stolpersteine im Marburger Steinweg 12.

Lieselotte Isenberg fand ihre letzte Ruhestätte auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel in Ohlsdorf. Für ihre Beerdigung sorgte im Auftrag des Jüdischen Religionsverbandes Iwan von der Walde, der sich einen Monat später ebenfalls das Leben nahm (s. Stolpersteine in Hamburg-Eppendorf und Hamburg-Hoheluft-Ost Band 2).


Stand: Juli 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: 1; StaH 331-5 Unnatürliche Sterbefälle 3 Akte 1942/1636; StaH 214-1 OFP 367; StaH 332-5 Standesämter 1152 u 392/1942; Auskunft aus der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora von Stefanie Dellemann, E-Mail vom 24.8.2016; Wussow: Plömnitz (Leopard), in: Benz/Distel (Hrsg.): Ort, Band 3, S. 546–549; www.geschichtswerkstatt-marburg.de/projekte/isenb.php (Zugriff 19.3.2016); http://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_hhn_420907.html (Zugriff 19.3.2016); http://www.statistik-des-holocaust.de/Plaut1.jpg; http://www.statistik-des-holocaust.de/Plaut2.jpg (Zugriff 7.4.2016); http://totenbuch.buchenwald.de/names/details/person/434/ref/recherche (Zugriff 7.4.2016).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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